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Am Ende des 12. Jahrhunderts sind in allen Lebensbereichen tiefgreifende Veränderungen zu beobachten: Der Horizont erweitert sich in wörtlicher wie in übertragener Bedeutung. Das Bildungssystem verändert sich durch die Hohen Schulen und Anfänge der Universität, die Geldwirtschaft setzt sich durch, die "rechnenden Künste", vor allem die Geometrie, ermöglichen eine neue Architektur von Kathedralen, Burgen und Städten.
Wolfdieter Haas beschreibt sehr plastisch eine Epoche im Wandel. Hier werden ebenso Westeuropa wie das byzantinische Reich, das Heilige Land, die Kreuzfahrer und die Muslime als
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Produktbeschreibung
Am Ende des 12. Jahrhunderts sind in allen Lebensbereichen tiefgreifende Veränderungen zu beobachten: Der Horizont erweitert sich in wörtlicher wie in übertragener Bedeutung. Das Bildungssystem verändert sich durch die Hohen Schulen und Anfänge der Universität, die Geldwirtschaft setzt sich durch, die "rechnenden Künste", vor allem die Geometrie, ermöglichen eine neue Architektur von Kathedralen, Burgen und Städten.
Wolfdieter Haas beschreibt sehr plastisch eine Epoche im Wandel. Hier werden ebenso Westeuropa wie das byzantinische Reich, das Heilige Land, die Kreuzfahrer und die Muslime als Teile einer sich im Ganzen verändernden Welt einbezogen, denn eine überwiegend national orientierte Sicht könnte diesen Wandel nicht erfassen. Die ebenso anschauliche wie differenzierte Darstellung weist beständigen Wandel nach, wo das hohe Mittelalter sonst eher statisch erschien. Eine Bibliographie und ein Register runden den Band ab.
Autorenporträt
Dr. Wolfdieter Haas lebt bei Hamburg. Forschungsaufenthalt in Rom, Arbeiten u. a. zur Papstgeschichte des 11. Und 12. Jahrhunderts, zu Friedrich Barbarossa und Heinrich dem Löwen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2003

Dinge bewegen sich nachhaltig
Wolfdieter Haas meldet sich von einer Wendephase des Abendlands

Die Welt wandelt sich stets. Aber manche Wandlungsimpulse ragen wie Berggipfel aus dem Kontinuum heraus. Einen dieser Höhe- und Wendepunkte bilden - jedenfalls von der deutschen Geschichte aus betrachtet - die Jahre 1197 und 1198, als der Kaiser Heinrich VI. nach erfolgreicher, doch unheilschwangerer Eroberung des Königreiches Sizilien, nach seinem Scheitern mit dem Plan, das deutsche Wahl- zu einem Erbkönigtum umzuformen, und unmittelbar vor Aufbruch ins Heilige Land zu einem neuerlichen Kreuzzug vor Brindisi von der Malaria dahingerafft wurde, als in seinem Reich alsbald erst der Welfe Otto IV. und der Staufer Philipp von Schwaben, Heinrichs Bruder, sodann Otto und Friedrich II., Heinrichs Sohn, um die Krone kämpften und als in Rom der erst sechsunddreißigjährige Lothar von Segni als Innozenz III. die Nachfolge Petri antrat - ein Erneuerer der Kirche, ein Seelsorger und nachdenklicher Theologe und ein begnadeter Politiker obendrein, der eigentliche Begründer des Kirchenstaates, ein kompetenter Rechtsschöpfer und ein strenger Herr der Christenheit, einer der bedeutendsten Päpste der Weltgeschichte. Beides zusammen, die Ohnmacht auf dem Königs- und die Stärke auf dem Apostelthron, wurde für Deutschland oft als Katastrophe betrachtet; in Europa freilich verteilte es die Gewichte neu, und daran partizipierte auch die künftige deutsche Geschichte in eigentümlicher Weise.

Der Blick auf Deutschland und Italien genügt freilich nicht, um das welthistorische Gewicht der beiden Jahre zu verdeutlichen. Auch im Norden und Süden Frankreichs, in England, in den Reichen südlich der Pyrenäen, in Skandinavien, unter den Slawen, in Byzanz und im gesamten Mittelmeerraum, in der jüdischen Diaspora bahnten sich Veränderungen an, welche die Dinge nachhaltig in Bewegung bringen sollten. Der Aufstieg der französischen Monarchie zur Vormacht Europas begann, während das normannische Königtum Englands, das bislang auf dem Festland seine Machtbasen besaß, sich bis auf einen vergleichsweise geringen Restbesitz mit Bordeaux, der künftigen Hauptstadt, im Zentrum auf die Insel beschränken mußte. Landfrieden, coutumes und baillis, Common Law und Magna Charta, das Widerstandsrecht gewannen Gewicht. Die italienischen Seekommunen trugen das Ihre zum Wandel bei; Venedig lenkte mit raffinierter Strategie und gegen den Willen des Papstes den Kreuzzug gegen Byzanz statt gegen die Muslime. Die Krone Aragón um Barcelona expandierte mit der Eroberung der Balearen und Valencias zu einer der großen Seemächte im Mittelmeer, während das lateinische Kaisertum in Konstantinopel von der Gnade der Serenissima lebte. Um 1220, als Friedrich II. zum Kaiser gekrönt wurde, sah die politische Landschaft Europas grundlegend anders aus als knapp dreißig Jahre zuvor, als sein Vater die nämliche Krone empfing.

Das Bevölkerungswachstum beschleunigte sich zumal im Westen, Süden und im Zentrum Europas. Allenthalben, nördlich und südlich der Alpen, im Westen und Osten, wurde es eng. Binnenkolonisation und Auswanderung in dünnbesiedelte oder eben eroberte Gebiete (wie ins Heilige Land, nach Ungarn oder ins Baltikum) sollten Abhilfe schaffen. Die attraktiven Städte nahmen immer mehr Menschen auf. Verbesserungen in der Landwirtschaft, in Verkehrstechnik und Infrastruktur vermochten für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Die Wertschätzung der Handarbeit nahm zu, Arbeitsteilung und Geldwirtschaft breiteten sich aus. Fern- und Nahhandel, das Handwerk, die Produktion für den Markt (etwa von Tuch und Barchent), neue Techniken schufen oder erweiterten die materiellen Grundlagen für eine zunehmend sich ausdifferenzierende Gesellschaft. Reichtum fern allen Feudalbesitzes wurde möglich; spezialisierter Geldhandel begann, die Städte, Märkte und Messen zu durchdringen und fromme christliche Geldhändler in moralische Nöte zu stürzen. Fege- und Höllenfeuer loderten heller auf als je zuvor.

Schulen, Studium und Wissenschaften, zumal die Theologie, die Jurisprudenz - römischrechtliche Legistik und kirchenrechtliche Kanonistik -, das Notariatswesen blühten auf, weil neue gesellschaftliche Bedürfnisse nach ihnen verlangten; Theologie und Philosophie entstanden als Spezialdisziplinen; die Universitäten gewannen ihre dauerhafte Gestalt. Man lernte, die Welt mit anderen Augen zu sehen, die Gedanken in neuartiger Weise miteinander zu verknüpfen. Neue Formen der Laienfrömmigkeit mündeten immer häufiger in Opposition zur allgemeinen Kirche und zu ihrer Hierarchie, in offene Häresie. Zumal Frauen schlossen sich neuen spirituellen Bewegungen an. Der Geldbedarf der Fürsten und Könige, auch der päpstlichen Kurie wuchs ins ungeheure. Eine ungewohnte Zentralisierung des Steuer- und Finanzwesens antwortete darauf; ein neuartiges Beamtentum - Betätigungsfeld für Universitätsabsolventen - trat auf den Plan; Kirchen- und Zivilrecht schickten sich an, ein säkulares Staatsrecht zu entwickeln; die erste Konzeption von staatlicher Souveränität regte sich; kurzum: der Verstaatungsprozeß entfaltete sich in den westlichen Reichen, während in Deutschland die Territorialisierung der politischen Macht auf Jahrhunderte hinaus gefestigt wurde. Königshof und fürstliche Residenzen wurden ortsfeste komplexe Institutionen. Das Rittertum als Lebensform, die höfische Welt zogen herauf, Minnesang und Artusromane kamen in Mode. "Eine veränderte Wahrnehmung der Wirklichkeit stellte neue Aufgaben."

Der Autor Wolfdieter Haas unternimmt den Versuch, dies alles im Zusammenhang zu zeigen, die Vielfalt der Wandlungsimpulse um die Jahre 1197/98 also zusammenzuführen und die Komplexität ihrer Wechselwirkungen zu beschreiben: das Bevölkerungswachstum, die freiwillige, religiös motivierte Armutsbewegung, die machtvoll auftretenden Häresien, die neuen Impulse durch die Heiligen Dominicus und Franciscus, die Transformationen und Perversionen der Kreuzzugsidee, die ja bis in die Gegenwart nachwirkt, die wachsende Zentralisierung und Intensivierung der Königsherrschaft und die Territorialisierung, die technischen Innovationen, den neuen "gotischen" Baustil, die steinernen Burgen, die Befestigungen der Städte, die Verwissenschaftlichung des Abendlandes durch Jurisprudenz, Theologie und dialektische Logik und ihre Institutionen, die Universitäten.

In einer Serie knapper Einzelstudien und historischer Miniaturen werden diese Bereiche behandelt. Doch gerade mit ihnen melden sich leise Zweifel. Die Ausführungen wirken gelegentlich bloß additiv nebeneinandergestellt. Der Leser hat Gleichzeitiges irgendwie als Interdependentes zu betrachten und verliert mitunter das Gesamtziel, den Zusammenhang weit auseinanderliegender Lebensbereiche, aus den Augen. Das Wechselspiel von Weltsicht und Weltgestaltung sähe man gerne deutlicher. Und auch das Thema, das einleitend mit Versen aus der sogenannten "Elegie" Walthers von der Vogelweide angeschlagen wird, das Gefühl der Fremdheit in einer sich wandelnden Welt, wird nicht weiter verfolgt. Was hätte es des vereinzelten Hinweises auf Zornesausbrüche eines Philippe Auguste bedurft (der Jähzorn seines Gegenspielers Johann ohne Land, andere Zornausbrüche blieben unerwähnt)?

Manches ist zu vermissen. Warum blieb der deutsche Thronstreit seit 1198 ganz ausgeblendet, obgleich Haas in der "Schlußbetrachtung" en passant auf seine schwerwiegenden Folgen verweist? Wer die Bedeutung der Schlacht von Bouvines nicht schon kennt, wird sich hier von ihr kaum einen Eindruck als einem der "100 Tage, die Frankreich machten", verschaffen können. Europas Norden, Süden und Osten treten bedauerlicherweise zurück; auch der Beitrag des Judentums zur "Welt im Wandel" bleibt unbeachtet - durchaus im Unterschied etwa zum Hof des Kaisers Friedrich II., wo jüdische Gelehrte stets willkommene Gäste waren. Insgesamt wäre wohl größere Konzentration auf das Rahmenthema, eben die Zusammenschau der im Wandel begriffenen Lebensbereiche, angebracht und wären weniger "Bäume" mehr an "Wald" gewesen. Auch sind einige kleinere Korrekturen angebracht: Der Papst Alexander III. etwa war kein Kanonist. Paris wurde nicht seiner Hohen Schule wegen französische Hauptstadt, diese vielmehr dürfte maßgeblich die Durchsetzung der Pariser Schule gegenüber den anderen herausragenden Schulen in der Île-de-France bewirkt haben. Die Bologneser Rechtslehrer verdienten gerade als Lehrer gegen Bezahlung Unsummen durch ihre Studenten, nicht einfach als Juristen. "Die Normandie als Vorbild" findet Erwähnung, der angevinische Hof in Rouen indessen sieht sich unterbelichtet.

Wie dem aber sei, Haas legt ein ermutigendes Buch vor, ein Buch zur rechten Stunde, das sich von aller Nationalgeschichte verabschiedet, sich statt ihrer einer Wendephase des ganzen Abendlandes zuwendet, die zwar in Nationalgeschichten münden wird, gleichwohl in den gemeinsamen kulturellen Grundlagen alle Nationalität transzendiert.

JOHANNES FRIED

Wolfdieter Haas: "Welt im Wandel". Das Hochmittelalter. Jan Thorbecke Verlag, Stuttgart 2002. 453 S., 5 Karten, geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfdieter Haas habe hier "ein ermutigendes Buch" und vor allem "ein Buch zur rechten Stunde" vorgelegt, lobt Johannes Fried, ein Buch, das sich von aller Nationalgeschichtsschreibung verabschiede, sich einer "Wendephase des ganzen Abendlandes" zuwende und durch seine Beschäftigung mit den gemeinsamen kulturellen Grundlagen "alle Nationalität transzendiert". Zu diesem Lob stellt der Rezensent jedoch eine ganze Reihe von Kritikpunkten. Haas hat den Versuch unternommen, erfahren wir, sämtliche "Wandlungsimpulse" um die entscheidenden Jahre 1197 und 1198, in denen sich alle Gewichte in Europa neu verteilen sollten, im Zusammenhang zu zeigen. Genau diesem Anspruch aber, bemängelt der Rezensent, sei der Autor nicht wirklich gerecht geworden, seine Ausführungen wirkten gelegentlich dann doch "bloß additiv nebeneinandergestellt". Außerdem vermisst der Rezensent Wichtiges, Anderes kommt ihm zu kurz, beispielsweise der deutsche Thronstreit von 1198, die Schlacht bei Bouvines oder der Beitrag des Judentums zum Wandel in der betreffenden Zeit.

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