Produktdetails
  • Verlag: Sauerländer
  • Seitenzahl: 153
  • Altersempfehlung: 12 bis 15 Jahre
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 387g
  • ISBN-13: 9783794147854
  • ISBN-10: 3794147855
  • Artikelnr.: 09742178
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.09.2001

Ein Kind
im Mahlstrom
Der Junge Jozef gerät in
den Wahnsinn des Krieges
XAVIER-LAURENT PETIT: Kriegskind, Verlag Sauerländer, Frankfurt am Main 2001. 154 Seiten, 26,80 Mark.
Das Unheil kommt von jenseits des Horizonts, und es erscheint unbegreiflich. Jozef wird es überleben, aber alles, was diesem Dorfkind vertraut war, wird zerstört sein, seine Heimat, seine Familie, seine Kindheit. Sein Körper und seine Seele werden schwere Verwundungen tragen. Xavier-Laurent Petit erzählt die Geschichte eines Kindes, das in den Mahlstrom des Krieges gerät. Jozef erlebt, wie Nachbarn zu Feinden werden, wie Menschen sich aufhetzen lassen. Wie sie dem Wahnsinn des Krieges verfallen, dessen Gewalt in jeden Winkel eindringt und den Raum für Menschlichkeit zu verschlingen droht.
Aus der Sicht des Kindes wird dies in eindringlichen Bildern beschrieben, die von Verzweiflung und Kriegsgrauen erzählen, ohne in blutrünstige Schilderungen zu verfallen. Dies ist die eine Erzählebene von „Kriegskind”: das Tonbandprotokoll in Ich-Form, in dem Jozef einem Reporter im Flüchtlingslager von seinen Erlebnissen berichtet.
Sie wechselt ab mit der Perspektive eines Erzählers, der Jozefs Bericht komplettiert. Der Krieg im Buch trägt Züge des Balkankrieges, doch es könnte jeder Krieg sein und Jozef jedes Kind, das in ihm zum Opfer wird. In Jozefs Gestalt versammelt der Autor die Schicksale vieler Kinder, die er in Flüchtlingslagern des Balkans Mitte der 90er Jahre recherchiert hat.
Es ist eine der ältesten Geschichten der Welt, dass Krieg nichts als Zerstörung schafft, aber man muss sie wohl immer wieder neu erzählen. Der in Frankreich renommierte Jugendbuchautor Petit, der für „Kriegskind” im vergangenen Jahr den Preis der Assemblée nationale erhielt, tut dies auch, indem er die Ursprünge und Mechanismen gewaltsamer Konflikte bloßlegt. Was in der Realität Wirtschaftsprobleme, politische Positionen, ethnische Differenzen und die Korrumpierbarkeit durch Macht sind, übersetzt er anschaulich.
Als eine Dürre Jozefs Dorf die Lebensgrundlage Wasser raubt, suchen die Einwohner in ihrer Not einen Sündenbock: Jozefs mit einem Feuermal geborene Schwester ist für sie als Unglücksbringerin gezeichnet. Seine Familie wird von der Gemeinschaft verstoßen. Und als der von einer unsichtbaren Macht gesteuerte Krieg das Dorf erreicht, wird den Verfemten natürlich auch dieses Unglück zugeschrieben. Der große Bruder lässt sich verführen von der Macht, die ihm das Soldatsein verleiht, und die vor Gram versteinerte Mutter verkauft Jozef schließlich als Kindersoldaten.
Dennoch: „Kriegskind” ist keine Geschichte ohne Lichtblicke. Ein paar Menschen in ihr verraten nicht jede Moral, geben nicht jede Menschlichkeit preis. Auch Jozef kann sie sich am Ende bewahren. So schwer verletzt dieser Junge an Leib und Seele ist – indem er seine Geschichte, zögernd zuerst, zu Protokoll gibt, beginnt er zu genesen, und er gewinnt einen Teil seines alten Lebens zurück. Die Hoffnung bekommt immerhin eine Chance.
ANDREA BACHSTEIN
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Geschichte eines Kindes, das in die Mühlen des Krieges gerät - eines Krieges, so meint Andrea Bachstein, der Züge des Balkan-Krieges trägt, jedoch geografisch nicht kenntlich gemacht wird. Dennoch liegt dieser Bezug nahe, da der Autor, in Frankreich ein preisgekrönter Jugendbuchschreiber, in den 90er Jahren in verschiedenen Flüchtlingslagern in Ex-Jugoslawien recherchiert und Interviews durchgeführt hat. Dabei muss er auf eine oder viele solche Geschichten gestoßen sein wie die von Jozef, dessen Familie plötzlich zum Sündenbock im Dorf gestempelt wird und den seine Mutter als Kindersoldaten verkauft. Besonders beeindruckend findet Bachstein, dass Petit anschauliche Bilder oder Beispiele für die komplizierten Sachverhalte und Hintergründe des Krieges gefunden hat, die einem Kind abstrakt nur schwer zu erklären seien wie etwa ethnische Konflikte, politische Festlegungen, ökonomische Probleme, allgemeine Korruption.

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