32,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Die jüngsten Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass "das Rätsel Baiuvaren" endlich gelöst ist. Multikulturell und international vernetzt waren bereits die Baiuvaren vor 1400 Jahren. Sie erscheinen in einer Landschaft, die schon Jahrtausende zuvor von Menschen besiedelt und umgeformt worden war. Dank modernster Untersuchungsmethoden wie DNA-Analysen an Skeletten und Neutronen-tomographien an baiuvarischen Schwertern erhalten wir einen sehr differenzierten Blick auf die Lebenswelt der Baiuvaren

Produktbeschreibung
Die jüngsten Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass "das Rätsel Baiuvaren" endlich gelöst ist. Multikulturell und international vernetzt waren bereits die Baiuvaren vor 1400 Jahren. Sie erscheinen in einer Landschaft, die schon Jahrtausende zuvor von Menschen besiedelt und umgeformt worden war. Dank modernster Untersuchungsmethoden wie DNA-Analysen an Skeletten und Neutronen-tomographien an baiuvarischen Schwertern erhalten wir einen sehr differenzierten Blick auf die Lebenswelt der Baiuvaren
Autorenporträt
Brigitte Haas-Gebhard, Dr. phil., geb. 1963, ist seit 1988 Leiterin der Abteilung "Mittelalter und Neuzeit" an der Archäologischen Staatssammlung München, seit 2006 mit Schwerpunkt Südbayern.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Seehofer ein Sauhaufen-Spross? Laut Brigitte Haas-Gebhard könnte das hinkommen, referiert Rudolf Neumaier die Ergebnisse der Archäologin. Allerdings kommt das Buch sprachlich und dramaturgisch viel vorsichtiger daher, wie Neumaier einräumt. Verstanden aber hat er so viel aus dieser verständlichen Arbeit und den sachdienlichen Hinweisen, die die Autorin mittels Neutronentomografie, Röntgen und Isotopenuntersuchung, als vorläufige Bilanz, versteht sich, auf den Tisch zaubert: Der Protobayer ist ein ganz Multikultureller.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2013

Mia san mia –
aber woher?
Das Volk, das plötzlich da war: Eine Archäologin
gräbt die Multikulti-Wurzeln der Bajuwaren aus
VON RUDOLF NEUMAIER
Horst Seehofer stammt vermutlich von Migranten ab. Von eingewanderten Kaukasiern oder von zentralasiatischen Hunnen. Sogar Elbgermanen und Zugereiste aus dem heutigen Mecklenburg-Vorpommern kommen als Vorfahren in Frage, ebenso Alemannen und Römer. Der Mann aber, den Geschichtsdeuter auch schon für den Urvater der Bajuwaren hielten – dieser Mann fällt nach dem heutigen Stand der Forschung aus der bayerischen Ahnenreihe: Herkules. Er würde das titanische Selbstbewusstsein dieses Völkleins und seiner Oberhäupter erklären. Psychologisch betrachtet kann es sich dabei allerdings nur um das Überspielen einer recht alten Identitätskrise handeln, denn über ihre tiefsten Wurzeln rätseln die heutigen Bayern noch immer. Die Archäologin Brigitte Haas-Gebhard fasst in ihrem Buch „Die Baiuvaren“ sachdienliche Hinweise zusammen.
  Seit Jahrhunderten spekulieren Historiker über die Herkunft der Bayern. In Chroniken taucht im Frühmittelalter plötzlich ein Stamm auf, den es zuvor nicht gab: die baibari, baioarii, Beiere, Bawari, wie sie in diversen schriftlichen Quellen heißen. Die ersten dieser Hinweise stammen nicht von bajuwarischen, sondern von externen Autoren wie Venantius Fortunatus, dem Bischof von Poitiers. Sie gaben dem Land und seinen Bewohnern einen Namen.
   Mehrmals hat die Geschichtswissenschaft diese Quellen durchgewrungen – doch ohne belastbare und endgültige Erkenntnisse über die wahren Urbayern zu schöpfen. Das 5., 6. und 7. Jahrhundert bilden in den bayerischen Geschichtsbüchern die Epoche, in der die Autoren mit Abstand am öftesten mit „könnte“, „vielleicht“ und „womöglich“ operieren. Und da jede Hypothese schon zwanzig Mal widerlegt ist und die Historiker mit ihrem Latein am Ende sind, blicken sie gespannt auf Archäologen und Anthropologen.
  Die Bajuwaren-Forschung verspricht noch viele Wendungen und Überraschungen. Wie Brigitte Haas-Gebhard schreibt, ist erst ein Bruchteil der geborgenen Skelette untersucht, die DNA-Analyse des Materials stehe gerade am Anfang. Und wer weiß, auf welche Zeugnisse die Bagger noch stoßen, wenn die Bayern weiterhin eifrig ihr Land umgraben, um wirklich jedem Dorf ein Industrie- und Gewerbegebiet zu verpassen? So gesehen ist dieses Buch, das mit feinem Gespür für Dramaturgie und Sprache sehr verständlich erzählt und dafür in einer viel zu kleinen Schrift gedruckt ist, als Zwischenbilanz zu lesen. Besonders plastisch und dadurch aufschlussreicher als der historische Abriss und sprachwissenschaftliche Schlenker sind die archäologischen Kapitel. Haas-Gebhard berichtet aus einer Werkstatt, in der mit Methoden wie Neutronentomografie, Röntgenstrahlenanalyse, molekularbiologischer Isotopenuntersuchung und Infrarot-Reflexionsspektroskopie geforscht wird.
  Nach allem, was Bayerns Boden in den letzten Jahren preisgab, scheint sich die sogenannte „Sauhaufen-Theorie“ zu bestätigen, wonach sich eine spätrömische Kernbevölkerung mit großen Migrantenscharen aus Zentralasien, Osteuropa und dem Norden Deutschlands zu einem bajuwarischen Stamm formierte. Sauhaufen-Theorie – dieser Begriff ist alt und politisch nicht korrekt, er wird von Brigitte Haas-Gebhard selbstverständlich nicht verwendet. Sie spricht von einer Multikulti-Gesellschaft – was der Vorstellung vom Wunschahnen vieler und vor allem regierender Bayern zuwiderläuft, wenn man auf Horst Seehofers „Multikulti ist tot“-Diktum blickt. Schon im 19. Jahrhundert hätten manche Bajuwarologen am liebsten eine eigene Rasse definiert. Wie sie sich den Idealvorfahren ausmalten, zeigte Julius Naue mit dem Bild „Junger Bajuvarenfürst Hortari“ vor: zottelig, kräftig, wehrhaft.
  Auch wenn sich über ihre Haarpracht wenig sagen lässt: Wehrhaft waren sie, die Bajuwaren. Das zeigt sich an Funden eingeschlagener Schädel. Zum Beispiel können die Paläopathologen minutiös nachzeichnen, wie in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts ein Mann abgeschlachtet wurde, dessen Überreste im niederbayerischen Landkreis Deggendorf zum Vorschein kamen: Der Angreifer ging extrem brutal vor, er schlug seinen Kontrahenten mit einem Schwert vom Pferd und versetzte ihm den Todesstoß mit einem Hieb durch die Schädeldecke. Der Gefallene war mit einer eitrigen Entzündung in Folge von Pfeilschusswunden aus früheren Gefechten, wahrscheinlich sogar durch Fieber geschwächt in diesen Kampf gezogen – eine Pfeilspitze steckte noch im Rückgrat. Ob alle Bajuwaren so tapfer waren wie dieser, lässt sich allerdings nicht einmal mit Isotopen- und DNA-Analyse verbindlich feststellen.
  Dafür liefern molekularbiologische Knochenproben umso verbindlichere Hinweise auf die Herkunft der Protobayern. Mit solchen Untersuchungen lassen sich die Art der Ernährung und die Provenienz der Nahrung bestimmen. Bei Skeletten kann man die Ortswechsel einer Person in den zehn Jahren vor dem Tod bestimmen. Diese Laborarbeit wird „zum Regelfall werden müssen“, schreibt Brigitte Haas-Gebhard, „sofern die Finanzierung auf die Beine gestellt werden kann“. Eine solche Isotopenuntersuchung veranschlagt sie mit circa 200 Euro pro Individuum. Wenn die Anthropologen schlau sind, treiben sie das Geld ein, indem sie Skelettpatenschaften ausloben. Die Bayern werden doch wissen wollen, wer und woher ihre Ahnen waren.
  Bisher sind die Befunde frappierend. Die Naturwissenschaftler belegten zum Beispiel in den Knochen einer im Münchner Stadtteil Ramersdorf ausgegrabenen Frau, was die Archäologen wegen des Grabschmucks schon lange vermutet hatten: dass die Probandin von der Ostsee stammte – sie hatte sich mit Vorliebe Seefisch einverleibt. Zwei andere Gewährsfrauen für die Multikulti-Version der bayerischen Geschichte kamen aus dem tiefsten Asien. Die eine weist eine Genstruktur auf, die sich heute nur noch dort und im Kaukasus findet. Die andere – gefunden in der Nähe von Erding – hat eine auffällige Kopfform, wie sie lange nur bei Hunnenfrauen bekannt war: Die Hunnen wickelten ihrem Nachwuchs vom Kleinkindesalter an Bänder um so um das Haupt, dass sich die noch biegsame Knochenplatte beim Wachsen nach hinten ausbeulte. Die dadurch geformten Turmschädel machten das hunnischen Schönheitsideal aus.
  Die schöne Hunnin von Erding war eine Zugezogene. Dass die Exotin auf dem Friedhof mit der übrigen Bevölkerung beerdigt und nicht etwa separiert wurde, stützt Brigitte Haas-Gebhards Auffassung von der Multikulti-Gesellschaft. Sie vergleicht die bajuwarische Ethnogenese mit dem Entstehen der USA: Die Migranten und die seit langem Sesshaften rauften sich zu einer kulturellen Einheit zusammen. Turmschädel kamen aus der Mode, andere Sitten bürgerten sich ein. Eine gesetzlich fixierte Eigenheit der Bajuwaren war, Zeugen bei Rechtsgeschäften am Ohrläppchen zu zupfen – um ihnen Glaubwürdigkeit zu attestieren. Die Bedeutung dieser schönen Geste hat sich im Lauf der letzten 1500 Jahre ins glatte Gegenteil verwandelt.
Brigitte Haas-Gebhard: Die Baiuvaren. Archäologie und Geschichte. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2013. 200 Seiten, 29,95 Euro.
DNA-Analysen bringen die
Knochen zum
Sprechen – aber das kostet
Schönheitsideal: Migrantin mit Turmschädel, gefunden bei Erding. FOTO: STAATSSAMMLUNG FÜR ANTHROPOLOGIE U. PALÄOANATOMIE MÜNCHEN
Prototyp weiß-blau: So sehen die Bayern ihre Vorfahren am liebsten. Im 19. Jahrhundert strickten sie bunte Legenden zur Stammesbildung. Dazu passte Julius Naues „Junger Bajuvarenfürst Hortari“.
FOTO: ARCHÄOLOGISCHE STAATSSAMMLUNG MÜNCHEN
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr