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Was haben Strahlentierchen, die kleinen Wurzelfüßler aus dem Meer, mit Architektur zutun? Mehr als man glaubt, denn ihre Abbildungen inspirierten den französischen Architekten René Binet bei der Gestaltung des monumentalen Eingangstores zur Pariser Weltausstellung im Jahr 1900. Die Zeichnungen Ernst Haeckels standen hierfür Pate, ebenso wie für das Buch "Esquisses décoratives", das Binet 1901 herausgab.

Produktbeschreibung
Was haben Strahlentierchen, die kleinen Wurzelfüßler aus dem Meer, mit Architektur zutun? Mehr als man glaubt, denn ihre Abbildungen inspirierten den französischen Architekten René Binet bei der Gestaltung des monumentalen Eingangstores zur Pariser Weltausstellung im Jahr 1900. Die Zeichnungen Ernst Haeckels standen hierfür Pate, ebenso wie für das Buch "Esquisses décoratives", das Binet 1901 herausgab.
Autorenporträt
Professor Dr. Olaf Breidbach leitet das Ernst-Haeckel-Museum sowie das Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik in Jena. Bei Prestel sind von ihm zahlreiche Publikationen erschienen.

Dr. Robert Proctor ist Dozent für Architekturgeschichte an der Mackintosh School of Architecture in Glasgow.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2007

Hier wurde märchenhaft schön geträumt
Zwei prächtige Bildbände führen durch die Evolutionswelten von Ernst Haeckel und René Binet

Es gibt ein Porträt des jungen Architekten aus dem Jahr 1904, das ihn nur wenige Jahre nach seinem größten Triumph zeigt - und damit schon wieder kurz vor dem endgültigen Aus: 38 Jahre alt ist René Binet auf diesem Bild, und welches Versprechen er seinen Zeitgenossen schien, verrät das Gemälde von Henri Bellery-Desfontaines. Die Farben: ein mystisch-schummriges Blau. Der Porträtierte: fast schwebend an seinem Arbeitspult, entrückt wie ein Magier. Sein Blick: geheftet auf die sonnenhaft leuchtende Porte Monumentale, das berühmte Pariser Weltausstellungsgebäude von 1900, in dem das Radiolarien-Urtierchen als gigantische Paradiesespforte inszeniert wurde. Mit dem riesenhaft vergrößerten Strahlentier kehrten die Weltausstellungsbesucher symbolisch an den Anfang der Evolutionsgeschichte zurück. Die Besucher traten ein in das Tor, aus dem sie vor Millionen von Jahren gekommen waren, den ozeanischen Urgrund.

Da Binet schon 1911 starb, blieb die Porte Monumentale sein einziges fertiggestelltes Werk von Bedeutung - aus dem Rückblick ist es eines der mächtigsten Bildsymbole für die Verzauberung der Welt durch die Evolutionstheorie. Nur ein Blick auf Binets zum Palast aufgeblasenes Meeresurtier widerlegt die Vorstellung, mit Charles Darwin sei die Sicht auf die Natur nüchterner geworden, illusionslos. Das Gegenteil war der Fall. Mit "Über die Entstehung der Arten" eröffnete sich 1859 ein gewaltiger phantastischer Raum. Darin gab es Albträume vom Menschen als Bestie, den schließlich das Hollywood-Epos "King Kong" auf Leinwand brachte. Aber - und das wird häufig übersehen - es wurde auch märchenhaft schön geträumt. Von Alleinheit, Beseelung des mikroskopisch Kleinen, kurz, von einer überwältigenden Schönheit der Natur, deren Teil zu sein sich der Mensch nur freuen konnte. Der Name, der mit dieser neoromantischen Naturphilosophie verknüpft ist, lautet Ernst Haeckel. Der Titel des Werks: "Kunstformen der Natur".

Zwei Bücher sind nun im Prestel Verlag in kurzer Folge erschienen, die den beiden Schönträumern unter den Evolutionsbegeisterten gewidmet sind: René Binet und Ernst Haeckel.

Schon beim Durchblättern der prachtvollen Bildbände wird deutlich, welche Verdienste dem Deutschen und Franzosen in Wissenschaft, Architektur, Design und Kunst zukommen, die sie für die Alltagskultur zu einem Amalgam verschmolzen. "Ernst Haeckel. Bildwelten der Natur" führt durch das umfassende Werk des Zoologen und passionierten Evolutionsverfechters - von den Handzeichnungen bis hin zum liebevoll ausgestalteten Gesamtkunstwerk seines Wohnhauses in Jena, die 1893 erbaute "Villa Medusa". "René Binet. Natur und Kunst" schlägt den Bogen von architektonischen Entwürfen des Franzosen bis zu seinen "Esquisses décoratives". Die Farbtafeln erschienen zwischen 1902 und 1903 in vier Teilen, der Prestel Verlag druckt eine historische Ausgabe des Haeckel-Archivs vollständig ab.

Binet, der Architekt, Entwerfer, Künstler und Handwerker, wollte mit den "Esquisses décoratives" ein Nachschlagewerk für alle dekorativen Künste liefern, die Architektur mit eingeschlossen. Seine Vision einer organischen Dingsprache allerdings schrumpft in diesem Fall jedoch seltsam klein. Mit dem Pariser Ausstellungstor hatte Binet für einige Wochen eine Umwelt geschaffen, die in jeder Hinsicht größer war als die Menschen, die sich in ihr bewegten. Mit den Ornamenttafeln bastelte er dagegen nur einen dekorativen Zoo: Friese aus Fischen, Hummer als Türklopfer oder Quallen als Tapeziernägel. Die Form folgte kaum einer Funktion - als kriminell verurteilte 1908 der österreichische Architekt Adolf Loos in seiner Schrift "Ornament und Verbrechen" solchen Dekorationsnippes.

Für die Popularisierung der Evolutionstheorie war sie allerdings Gold wert. Der amerikanische Wissenschaftshistoriker Robert Proctor kann in seinem, dem Buch beigefügten Essay zeigen, wie nachhaltig die Evolutionstheorie Binet inspirierte. Mit Haeckel wechselte Binet einige Briefe und bat den Jenaer Professor darum, sich für den Vertrieb seiner "Esquisses décoratives" in Deutschland einzusetzen. Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen: Verstehen lassen sich Binets Entwürfe auch als eine Art Merchandising für die Evolutionstheorie.

Dass die schönen Bilder als Werbeträger dienen konnten, zeigt ebenfalls das Beispiel Ernst Haeckel. Olaf Breidbach, Wissenschaftshistoriker und Leiter des Ernst-Haeckel-Museums in Jena, stellt Haeckels bildnerisches Werk umsichtig in den Zeitkontext von Kunst und Design. Alois Riegls Ornamenttheorie, die englische Lebensreformbewegung von William Morris, die Science-Fiction-Literatur eines Camille Flammarion - zu all diesen Strömungen knüpft Breidbach Bezüge. Wie ein eigenständiges Bildessay durchziehen das Buch dabei Aufnahmen von Haeckels "Villa Medusa". Hier möblierte er sich bis unters Dach im Evolutionsdesign: Lampen wie Seeanemonen, Truhen mit Quallenintarsien, Beistelltischchen mit Radiolarienverzierung.

"Es ist wahrlich eine großartige Ansicht", schrieb Darwin schon 1859 am Ende seines Gründungswerks, "dass aus so einfachem Anfange sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer entwickelt." Ja - denkt staunend der Leser angesichts dieser beiden Bücher. Ist so. Eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen.

JULIA VOSS

Olaf Breidbach: "Ernst Haeckel. Bildwelten der Natur". Prestel Verlag, München 2006. 304 S., 180 Farb- u. 20 S/W-Abb., geb., 78,- [Euro].

Olaf Breidbach, Robert Proctor: "René Binet". Natur und Kunst. Prestel Verlag, München 2007. 96 S., 75 Farb-Abb., br., 19,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hingerissen zeigt sich Julia Voss von diesem Bildband über das Werk des Architekten und Künstlers Rene Binet. Neben Binets architektonischen Entwürfen insbesondere auch zum monumentalen Eingangstor zur Pariser Weltausstellung im Jahr 1900 findet sie in dem Band auch die "Esquisses decoratives". Diese Darstellung von Ornamenten und Schmuckformen, eine Art Nachschlagewerk für alle dekorativen Künste, bietet der Band zu ihrer Freude in einem vollständigen Abdruck der historische Ausgabe des Haeckel-Archivs. Wie sie anmerkt, spielten diese Ornamenttafeln - zu sehen sind Friese aus Fischen, Hummer als Türklopfer oder Quallen als Tapeziernägel -, von Adolf Loos in seiner Schrift "Ornament und Verbrechen" als Dekorationsnippes gebrandmarkt, eine herausragende Rolle bei der Popularisierung der Evolutionstheorie. Überaus instruktiv scheint Voss in diesem Zusammenhang der dem Band beigefügte Essay des Wissenschaftshistorikers Robert Proctor, der den entscheidenden Einfluss der Evolutionstheorie auf das Schaffen Binets vor Augen führt.

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