Produktdetails
  • Verlag: Langen/Müller
  • Seitenzahl: 349
  • Erscheinungstermin: 27. Juli 2009
  • Deutsch
  • Abmessung: 192mm x 118mm
  • Gewicht: 432g
  • ISBN-13: 9783784431888
  • ISBN-10: 3784431887
  • Artikelnr.: 26238431
Autorenporträt
Arno Surminski 1934 in Jäglack (Ostpreußen) geboren, arbeitet seit 1972 freiberuflich als Wirtschaftsjournalist und Schriftsteller. Er hat neunzehn Romane und Erzählbände veröffentlicht, darunter die Bestseller "Jokehnen", "Sommer vierundvierzig" und die Erzählbände "Aus dem Nest gefallen" und "Die masurischen Könige". 2008 erhielt Arno Surminski den Hannelore-Greve-Literaturpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2009

Unterwegs in Armandaland

Wer seine Seele kennt, lebt nicht mehr unbeschwert: Arno Surminski schaut mit den Augen einer kecken, alten Dame, die durch Amerika reist, auf ein Jahrhundert Geschichte.

Man nehme eine kecke, alte, eigensinnige Dame, aufgeladen mit dem jugendlichen Spürsinn einer Agatha Christie, bewaffnet mit einer Krücke, damit sie gegen Polizisten zu Felde ziehen kann und Menschen züchtigen, die ihr im Wege stehen. Dazu noch eine Ladung ungebrochenen Lebenswillens, geborgt vielleicht von jener anderen urgesichtigen Ikone, die im Kultfilm "Harry and Maude" begeisterte. Das ungefähr ist Amanda, "so klein, so zierlich, auf dem Kopf ein Sommerhütchen mit Trockenblumenstrauß, ein gebräuntes, faltiges Gesicht, hellwache Augen wie ein verschrecktes Reh", in jungen Jahren Tänzerin, jetzt steinreich und nun doch etwas gebrechlich, weshalb sie sich für ihre ausgedehnten Reisen per Reisebüro neuerdings Begleitung bucht.

Nun stellt ihr Arno Surminski aber keineswegs einen selbstmordsüchtigen Harry an die Seite. Stattdessen Konrad Eisbrenner, einen etwas tumben, verträumten Medizinstudenten ohne Geld. Der ahnt nicht, worauf er sich einlässt, als er seine Amerika-Sehnsucht mit Amanda stillt. Eigentlich soll er sie nur auf den Flügen behüten und erhielte als Dank Taschengeld zum Allein-Trampen. Doch der Zweimetermann Richard, Amandas Sohn, erscheint zum Abholen einfach nicht. Er ist nämlich tot, sogar schon sehr lange. Und überhaupt lügt die alte Dame lustvoll, und zwar nicht nur im Flieger hoch über den Wolken, sondern auch auf Land die kommenden Wochen, in denen sie mit "Conny", wie der Student bald heißt, Amerika durchquert. Und Conny ist durchaus verzauberbar.

"Amanda oder Ein amerikanischer Frühling" ist, auch wenn er strikt einer Route entlang prominenter Sehenswürdigkeiten folgt, alles andere als nur ein Reiseroman. Er lebt von diesem ungleichen Paar, dem immer etwas abseitig erstaunten, gutmütigen, passiven Conny und ebenjener renitenten Hochstaplerin, wie man sie nach Felix Krull vielleicht zuletzt - in männlicher Form - in Hans-Ulrich Treichels Roman "Der Papst, den ich gekannt habe" (2007) erleben konnte. In der weiblichen, auf ein Leben voller Höhepunkte heldinnenhaft zurückblickenden Variante allerdings verströmt diese überbordende Erzähllust einen anderen, mit anmutiger Tragik gepaarten Charme. Amanda findet zu ausnahmslos jedem Ort und jeder Berühmtheit die passende, persönliche Erinnerung. Sie will mit der Zarentochter Anastasia nach einer Tanzdarbietung beim Kaffee über das traurige Schicksal der Romanows geplaudert haben, John F. Kennedy bei einer Fahrt durch Berlin im offenen Auto den Satz "Ich bin ein Berliner" beigebracht haben, mit Fred Astaire in Harlem getanzt und mit Gary Cooper in Hollywood während einer Drehpause die berühmte Straße von "High Noon" abgewandert sein.

Tatsächlich verneigen sich die Diener im ersten New Yorker Hotel ehrfurchtsvoll vor ihr. An der Wall Street, wo sie Tausende Coca-Cola-Aktien kauft, scheint sie treue Kundin. Und zu allem behält sie das letzte Wort, flinker, als Conny mitdenken kann. Spricht er - man schreibt das Jahr 1990 - von der anstehenden Wiedervereinigung Deutschlands, entgegnet Amanda kurz und trocken: "Größe ist nur ein Bluff, und Großdeutschland war ein aufgeblasener Luftballon, Conny. Mir genügt es, wenn es den Menschen im Osten etwas bessergeht, größer brauchen sie nicht zu werden." Und von Psychoanalyse, so rät sie Conny unter vielem anderen, soll er bloß die Finger lassen: "Wer seine Seele kennt, kann nicht mehr unbeschwert leben." Stattdessen lieber ab nach Hawaii, denn das ist "Erotik ohne Sex".

Ein ganzes Jahrhundert Geschichte und die Erfahrung mit diversen Ehemännern zwängt Surminski in diesen zugegeben oft pauschalisierenden Blick Amandas. Und wer meint, der Autor habe seit seiner letzten, sehr gelobten Novelle "Die Vogelwelt von Auschwitz" (2008) sein Thema, die Sehnsucht nach der masurischen Heimat, nun endgültig verlassen, irrt. Auch Amanda, angeblich von Adel, wurde in Ostpreußen geboren, in einer Gegend mit Wintern "so kalt wie in Grönland"; vom Schnee hat sie das Tanzen gelernt. Die amerikanische Prärie und anderer Länder Berge und Täler weiteten aber ganz offensichtlich ihren Horizont. Heimat und Fremde kreuzen sich auf besondere Weise im Lebensstil dieser Dame: Amanda verkörpert den Wunsch nach Unbekanntem und zugleich womöglich die Angst davor. Ihre allseits gut geschnürten, von ihr regelrecht gefeierten Erinnerungshäppchen wirken wie ein sicheres Koordinatensystem, das ebendiese Angst hemmt.

Das Hochstapeln, namedropping und ständige Besserwissen haben allerdings einen kleinen Haken: Es droht den Adressaten zu erschöpfen. Diese Gefahr hat Surminski erkannt und sogar genutzt: Er agiert sie an Conny aus, der zusehends abwesender durch diese Reise geistert. Amandas Geschichten wiederholen sich. Er fühlt sich als Psychotherapeut versklavt. Ihre emsige Besichtigungsenergie überfordert den Jüngeren. Welten, wie zwischen Marlene Dietrich und Dustin Hoffman, trennen manchmal die beiden. Und schon am Monument Valley sehnt er sich insgeheim zurück zum Schweriner See.

Conny ist aber ein träger Charakter und stoppt das Reiseauto nur selten außerplanmäßig. Und so fängt sich diese dramaturgisch mögliche Schwäche in den vielen kleinen Beobachtungen, die dieser Trägheit entschlüpfen: Mal erscheint ihm Amanda, die sich ständig umzieht, wie eine Elfe oder Geisha. Dann als kleine Meerjungfrau. Und aus der Ferne betrachtet, wie sie rauchend am Ford-Pick-up lehnt, gar "wie eines jener Pin-up-Girls, die die Soldaten an ihre Spindwand hängen". Connys distanzierte Blicke variieren während der Dauer dieser Reise stark, und vielleicht ist Amanda sogar nur seine Projektionsfläche. Unaufdringlich aber nimmt ein gewisser Liebreiz in diesem erfrischenden Roman Platz. Sogar eine gegenseitige Sorge. Dies könnte, will man fast schreiben, der Roman für unsere immer geriatrischer werdende Gesellschaft sein.

Wenn er nicht darüber hinaus von der selten gewordenen Kunst erzählte, den Alltag mit Phantasie zu verzuckern. Am Ende jedenfalls hat es die geheimnisvoll Entschwundene doch geschafft, den Medizinstudenten beweglich zu machen. Surminski kehrt die Klischees von Alt und Jung um. Manchmal suhlt er sich auch lustvoll darin. Und so entsteht zwischen bekannten Bildern und intimem Blick, gefiltert duch Connys Achtsamkeit, weniger eine Amerika-, eher eine Amandakarte, unterhaltend und zauberhaft zusammengesetzt aus rührenden Lebensmomenten. Denn in die Stärke dieser Dame schleichen sich kleine Schwächen ein, während Conny zu wachsen beginnt. In griffiger, plastischer Sprache, die verwundert stockt und wieder fließt, erzählt Arno Surminski, der in diesem Jahr seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag feiert, von Aufbruchsstimmungen beim Abschiednehmen. Das ist vielversprechend.

ANJA HIRSCH

Arno Surminski: "Amanda oder Ein amerikanischer Frühling". Roman. LangenMüller Verlag, München 2009. 350 S., geb., 19,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eingenommen ist Rezensentin Anja Hirsch von Arno Surminskis neuem Roman "Amanda oder Ein amerikanischer Frühling". Die unterhaltsame Geschichte um Amanda, eine muntere alte Dame und Hochstaplerin, die mit dem etwas trägen Medizinstudenten Conny durch die USA reist, kehrt für sie auf erfrischende Art und Weise die gängigen Klischees von Alt und Jung um. Auch wenn das Buch, das von diesem ungleichen Paar lebt, einer Route von berühmten Sehenswürdigkeiten folgt, sieht Hirsch darin mehr als einen Reiseroman, nämlich fast so etwas wie den Roman für unsere "immer geriatrischer werdende Gesellschaft". Das Ganze kommt für sie charmant, berührend und mit viel Witz rüber. Zudem lobt sie die "griffige, plastische" Sprache des Autors und seine "überbordende Erzähllust". Hirschs Fazit: ein wunderbarer Roman über "Aufbruchstimmungen beim Abschiednehmen".

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