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Stand am Anfang der Geschichte des Luchterhand Verlags, dessen literarisches Programm mit so prominenten Autoren wie Günter Grass, Ernst Jandl oder Alexander Solschenizyn, Georg Lukács oder Herbert Marcuse aufwarten konnte, ein Fall von "Arisierung", von Enteignung eines zumindest teilweise jüdischen Firmenbesitzes? Eine hochkomplizierte Unternehmensgeschichte unter dem NS-Regime und eine sich über mehr als zehn Jahre hinziehende gerichtliche Aufarbeitung in der Bundesrepublik der 50er Jahre deuteten darauf hin, und so stellte sich der Fall auch der Presse dar, die seit 2012 eine…mehr

Produktbeschreibung
Stand am Anfang der Geschichte des Luchterhand Verlags, dessen literarisches Programm mit so prominenten Autoren wie Günter Grass, Ernst Jandl oder Alexander Solschenizyn, Georg Lukács oder Herbert Marcuse aufwarten konnte, ein Fall von "Arisierung", von Enteignung eines zumindest teilweise jüdischen Firmenbesitzes? Eine hochkomplizierte Unternehmensgeschichte unter dem NS-Regime und eine sich über mehr als zehn Jahre hinziehende gerichtliche Aufarbeitung in der Bundesrepublik der 50er Jahre deuteten darauf hin, und so stellte sich der Fall auch der Presse dar, die seit 2012 eine wissenschaftliche Untersuchung als dringend erforderlich erwies.

Dieses Buch unternimmt nun die so lange entbehrte genaue Erforschung des Sachverhalts. Und siehe da: Ein Gerichtsdrama mit zahlreichen Wendungen, Überraschungen und Effekten wird zum Lehrstück: über Geschichtsschreibung jenseits von ideologischen Vorentscheidungen und Schwarzweißmalerei, jenseits von einfachen Täter- und Opferrollen,ein Lehrstück über das Wirtschaften in einem totalitären Staat, über Deutungshoheit und Moral.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2018

Der Kampf zweier geldgieriger Aufsteiger
Quer durch Prozessakten aus fünfzehn Jahren: Ein Band über den Luchterhand Verlag im Nationalsozialismus

Im Sommer 2012 erschien in der "taz" unter dem raunenden Titel "Ein dunkler Keller" ein Artikel über die angebliche NS-Vergangenheit des Luchterhand Verlags. Gern, wenngleich kurz, nahmen sich die Medien des Falles an. Dabei ging es aber keineswegs um den Verlag, vielmehr um den Verleger. Da das Unternehmen zu Random House gehört, agierte der damalige Verleger Georg Reuchlein nach dem Vorbild des Mutterhauses, das die Untersuchung einschlägiger Vorwürfe durch eine Historikerkommission unter Saul Friedländer untersuchen ließ, die 2002 - unter Mitwirkung des Rezensenten - zwei dicke Bände vorlegte.

Diesmal wurde der Leipziger Buchwissenschaftler Siegfried Lokatis mit der Prüfung betraut, der zwei Master-Studentinnen daran setzte. Sie haben nun einen schlanken Band vorgelegt. Worum geht es? Der Verleger Hermann Luchterhand und sein Geschäftsführer Eduard Reifferscheid hatten sich 1939 in die Berliner Druckerei von O. H. Scholz, der bald mit seiner jüdischen Verlobten nach London emigrierte, zur Hälfte für 160 000 Mark eingekauft und sie im Krieg nach der Ausbürgerung von Scholz übernommen. 1949 erhob Scholz Klage, der Wiedergutmachungsprozess zog sich lange hin und endete mit einem Vergleich. War dies wirklich eine schimpfliche "Arisierung ohne Juden"?

Die beiden Autorinnen vergruben sich in die fünf Aktenbände aus fünfzehn Prozessjahren - kaum überraschend fanden sie einen "krassen Schwarz-Weiß-Kontrast der gegenläufigen Narrative". Denn "für einen Verlag im totalitären NS-Staat gab es nicht leicht die eine richtige Handlungsweise", und "auch vor den Schranken der BRD-Nachkriegsjustiz regierten Ambivalenz und Doppelbödigkeit". Weitere ergiebige Quellen fehlten, so konzentriert sich die Darstellung auf dieses Material, das gefiltert, komprimiert und "leserfreundlich" quasi als Kammerspiel in drei Stationen die Perspektiven und Argumente der Parteien Scholz und Luchterhand/Reifferscheid gegenüberstellt.

Der erste Akt handelt von der Gründung einer gemeinsamen Handelsgesellschaft - Arisierung oder nicht? -, der zweite von der Enteignung des Emigranten Scholz 1941, der dritte vom Verkauf der Druckmaschinen in der Nachkriegszeit durch Reifferscheid. Nach einem Abschnitt über die beiden Protagonisten und Informationen über rechtliche Modalitäten von Arisierung und Rückerstattungen begibt sich die Darstellung kommentarlos ins Dickicht des prozessualen Hauens und Stechens der Anwälte. War Scholz verfolgter Widerstandskämpfer oder SA-Mitglied? Wurde ihm sein Eigentum viel zu billig abgepresst, also arisiert, oder hat er sich selbst als Arier tituliert und der von seinem Gutachter vorgeschlagene Kaufpreis war viel zu hoch? War die Enteignung des Ausgebürgerten 1941 Reifferscheids Intrige oder Reichsgesetz? Und waren die nach 1945 verkauften Druckmaschinen ausgeglühter Schrott oder fast neuwertig?

Das verbissene Gezänk, das die Autorinnen als "schäbige Prozessführung" Luchterhands tadeln, war freilich Alltag. Der Verleger siegte in erster und zweiter Instanz, doch das Oberste Rückerstattungsgericht verwies ans Landgericht zurück; nach jahrelangen Verzögerungen erging im Juni 1966 der endgültige Vergleichsbeschluss: Luchterhand musste 110 000 Mark erstatten.

Der Titel des Bandes ist leider eine Fehletikettierung. Denn mit dem Verlag selbst von seiner Gründung 1924 bis 1947, seiner Firmenentwicklung sowie seinem Programm befassen sich nur knapp zwanzig Seiten. Man erfährt nichts über den Gesamtumfang der Produktion, die "Analyse des Verlagsprogramms" greift nur vier Titel kursorisch heraus. Produziert wurden ausschließlich Fachschriften, Formulare, Loseblattsammlungen und Handbücher der Bereiche Steuern und Recht. Der Verlag habe also "sehr wohl mit NS-Organisationen kooperiert". Wie allerdings die Veröffentlichung eines "Handbuchs des gesamten Jugendrechts", eines "Filmhandbuchs" oder der "Vorschriften über Preisbildung und Warenregelung" zu bewerkstelligen gewesen wäre, ohne mit den Behörden in Kontakt zu treten, verraten die Autorinnen nicht.

Freilich hat sich auch Luchterhand wie viele andere Verlage so opportunistisch verhalten, wie es zum Überleben des Unternehmens notwendig erschien, vulgo: war feige um des Profits willen. Aber man drängte sich dem Regime nicht auf wie manch andere Traditionsunternehmen. Es ist zu bedauern, dass an keiner Stelle des Buchs ein vergleichender Blick über den Luchterhand'schen Tellerrand hinaus gewagt wird.

In den letzten Jahren ist eine Anzahl solider Studien zu Verlagen in der NS-Zeit erschienen, die eine vergleichende Kasuistik ermöglicht hätten. Das gilt insbesondere für den Verlag C. H. Beck, der dasselbe Ressort Recht beackerte. Auch Beck hatte einen jüdischen Verlag für 250 000 Mark "arisiert" und leistete 1945 eine Entschädigungszahlung. Dort erschien der BGB-Kommentar des NS-Juristen Palandt, das vielleicht erfolgreichste juristische Buch des zwanzigsten Jahrhunderts, ebenso der Kommentar zur "deutschen Rassengesetzgebung" des späteren Adenauer-Intimus Globke.

Der Kenner Siegfried Lokatis hat sich mit dem Epilog begnügt. Auf gut zehn Seiten zieht er souverän das Resümee dieses Kampfes zweier "geldgieriger sächsischer Aufsteiger". Von Arisierung konnte nicht die Rede sein, auch war der Kaufpreis eher zu hoch als zu niedrig. Figur und Strategie des zeitweisen SED-Mitglieds und Autokraten Reifferscheid, der sich nach 1945 die Verlagsmehrheit geschickt sicherte, bleiben im Halbschatten; letztlich hat er als Einziger vom Prozess profitiert.

Die anschauliche, wenngleich thematisch eng angelegte Fallstudie zu Luchterhand zeigt einmal mehr, wie notwendig die wissenschaftliche Aufarbeitung der braunen Jahre des deutschen Buchhandels ist. Es gibt noch mehr dunkle Keller.

REINHARD WITTMANN

Siegfried Lokatis,

Sophie Kräußlich und Freya Leinemann:

"Luchterhand im Dritten Reich". Verlagsgeschichte im Prozess.

Hauswedell Verlag, Stuttgart 2018. 225 S., br., 34,90 [Euro].

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