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Produktdetails
  • Basler Studien zur Philosophie
  • Verlag: Francke
  • Seitenzahl: 573
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 784g
  • ISBN-13: 9783772020810
  • ISBN-10: 377202081X
  • Artikelnr.: 27617984
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.2001

Hier regiert der Eff Zee Kah
Die Lebenswelt ist unsere Spielwiese: Dagmar Fenners langer Marsch durch die Philosophiegeschichte

Schöne Kunstwerke offenbaren uns laut F.W.J. Schelling, daß "reine Güte Grund und Inhalt der ganzen Schöpfung ist". Das Schöne als Vorschein des Guten? Erich Kästner bezweifelte das. Sein Casanova sprach über Äpfel an Ästen: Die schönsten schmecken nicht immer am besten! Und seit Adorno die schönen Kunstwerke wegen ihres "widerlich-affirmativen Wesens" gar als "trostspendende Sonntagsveranstaltung für Spießbürger" diffamiert hat, ist das Verhältnis des Schönen zum Guten zum zentralen Problem der Gegenwartsästhetik geworden.

Dagmar Fenner konzentriert sich auf das akademische Randproblem, wie die philosophischen Disziplinen Ästhetik und Ethik zueinander stehen. Ihre These lautet: Die Ästhetik hat die Metaphysik sukzessive als philosophische Leitdisziplin abgelöst, und zwar zu hohen Kosten für alle Beteiligten. Die Metaphysik sei heute in völliger Bedeutungslosigkeit versunken; ethische Begründungsprobleme würden "leichterhand durch prickelnd-brisantere Fragen des Lebensstils suspendiert"; die Ästhetik hätte mit der postmodernistischen Fokussierung auf gesellschaftlich nutzlose Kunst bezahlt. Methodisch wird das mit einem anstrengenden Marsch quer durch die Philosophiegeschichte untermauert.

Platons Geringschätzung der Künstler erklärt Fenner mit der antiken Vorstellung, daß Mimesis aus rauschhafter Verwirrung entstünde. Für Aristoteles hingegen sei Mimesis schon schöpferische Poesis gewesen. Weil jedoch ein zuverlässiges metaphysisches Grundgerüst Ästhetik, Ethik und Erkenntnistheorie noch verbunden habe, sei bei Aristoteles von Autonomie der Kunst und genialischem Schöpfertum noch nicht die Rede und die Kunst dem ethischen Zweck einer kathartischen Reinigung der Polisbürger untergeordnet gewesen. In der Neuzeit avancierte Fenner zufolge der Künstler vom Handwerker zum Genie, die Ästhetik zum Rettungsanker in der Metaphysikkrise und das ästhetische Urteil zum subjektiven Geschmacksurteil, während das Kunstwerk zur Ware und "merkwürdigerweise gerade dadurch autonom" wurde.

Aber auch die Neuzeit sei janusköpfig gewesen. Denn während Kant die Ästhetik analog zur Ethik behandelt habe, sei der ästhetische Staat bei Schiller "selbstherrlich und arrogant" zum Endziel der ästhetischen Erziehung arriviert. Hegel handelt Fenner dann fix als "Schiffbruch der idealistischen Ästhetik" ab und springt mit einem großen Satz in die Moderne, um nicht den Eindruck zu verwischen, daß die Geschichte der Philosophie geradlinig eine Geschichte ästhetischer Machtergreifung, in deren Zuge Kunst zum "Modell eines autonomen Systems schlechthin" erhoben wurde.

Schopenhauer und Nietzsche werden zu Antipoden aufgebaut. Für Schopenhauer sei das Ästhetische noch Vorstufe des Ethischen gewesen: Den Impuls zum moralischen Handeln habe er in das durch ästhetische Kontemplation erwirkte Vergessen des egoistischen Individualwillens verlegt. Erst Nietzsche hat die Kunst von sämtlichen ethischen Kategorien gereinigt: Seine Tragödie sollte nicht mehr vom Willen entlasten, sondern diesen gerade steigern zu dionysischer Lust. Das heißt: In der Moderne wurde der platonische Philosophenkönig vom Künstlergott entthront.

In der Postmoderne ging es der Ethik dann endgültig an den Kragen! Das Ästhetische wurde zur Lebensform, und im Gegenzug expandierten Werk- und Kunstbegriff. Spätestens jetzt outet sich Fenner jedoch selbst als Postmodernistin, wenn sie den inflationären Gebrauch des Ästhetischen in der Postmoderne verteidigt und ihr Interesse formuliert an den "Möglichkeiten und Grenzen einer Existenz, die sich am ästhetischen Programm der neuen ästhetisierten Philosophie der Postmodernisten ausrichtet". Das hätte interessant werden können, aber Fenner läßt statt dessen noch mehr Theorieskizzen folgen.

Aber ist die Geschichte der Philosophie überhaupt tatsächlich so eindimensional als Machtübernahme der Ästhetik verlaufen? Schließlich hat ein John Dewey noch in den dreißiger Jahren seine Ästhetik der Ethik untergeordnet. Und vor allem: Wer würde das postmoderne Lifestyle-Gerede mit ethischen Reflexionen über Moralität oder Glück verwechseln? Sue Ellen aus "Dallas" hat gesoffen wie ein Loch, weil sämtliche Brillanten eben keine glückliche Frau aus ihr machen konnten! Wie tragfähig ist die Ästhetik der Postmoderne als philosophische Leitwissenschaft? Dieser Frage widmet Fenner unter dem Etikett "ästhetiktheoretische Ernüchterung" stiefmütterlich nur die allerletzten Seiten, in denen die Postmoderne als "Traum frei flottierender Künstlersubjekte" jenseits aller sozialen Einbindungen erscheint.

MARIE-LUISE RATERS

Dagmar Fenner: "Kunst - jenseits von Gut und Böse?" Kritischer Versuch über das Verhältnis von Ästhetik und Ethik. Francke Verlag, München, Basel 2000. 570 S., geb., 108,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wenn der Hegel derart fix abgehandelt wird, ist der Rezensentin Marie-Louise Raters nicht ganz wohl. Die Darstellung der Philosophiegeschichte als "Geschichte ästhetischer Machtergreifung", wie sie die Autorin vorlegt, nimmt Raters ihr nicht ab. Zu eindimensional wird ihr bei diesem "angestrengten Marsch" verfahren, allzusehr sei die Autorin selber dem postmodernen Ästhetikprimat zugetan. Die der Rezensentin auf den Nägeln brennende Frage nach der Tragfähigkeit postmoderner Ästhetik als einer philosophischen Leitwissenschaft indessen findet sie auf den Seiten des Buches nur "stiefmütterlich" behandelt.

© Perlentaucher Medien GmbH