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Die Brecht-Forschung füllt Bibliotheken. So umfangreich das Wissen über einzelne Texte des Brechtschen Oeuvres auch geworden ist, so groß ist zugleich die Unklarheit über dessen Zusammenhang und Entwicklung. Auf grundlegende Fragen fehlt es noch immer an einleuchtenden Antworten: Welches sind die markanten Evolutionslinien im Werk Bertolt Brechts? Wo weist es Zäsuren auf, wie weit reichen seine Kontinuitäten?
Müller und Kindts Buch liefert die wichtigsten Grundlagen für ein umfassendes Verständnis des Brechtschen Werks in seiner Entwicklung. Es zeichnet die Evolution von Brechts Frühwerk in
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Produktbeschreibung
Die Brecht-Forschung füllt Bibliotheken. So umfangreich das Wissen über einzelne Texte des Brechtschen Oeuvres auch geworden ist, so groß ist zugleich die Unklarheit über dessen Zusammenhang und Entwicklung. Auf grundlegende Fragen fehlt es noch immer an einleuchtenden Antworten: Welches sind die markanten Evolutionslinien im Werk Bertolt Brechts? Wo weist es Zäsuren auf, wie weit reichen seine Kontinuitäten?
Müller und Kindts Buch liefert die wichtigsten Grundlagen für ein umfassendes Verständnis des Brechtschen Werks in seiner Entwicklung. Es zeichnet die Evolution von Brechts Frühwerk in Interpretationen seiner Gedichte aus den "Augsburger Jahren" nach. Mit Gott, der Natur, der Liebe und dem Lyriker Brecht selbst nimmt die Studie die zentralen Dimensionen des ebenso eigenwilligen wie faszinierenden lyrischen Universums in den Blick, das Brecht in der Zeit zwischen 1916 und 1924 schuf. Der frische Blick auf Brechts frühe Lyrik läßt vermuten, daß auch viele der herkömmlichen Vorstellungen über seine späteren Texte dringend einer Überprüfung bedürfen.

Aus dem Inhalt:
VORWORT
Das Produkt emanzipiert sich von der Produktion ...
BRECHTS FRÜHE LYRIK
GOTT
NATUR
LIEBE
BRECHT
EPILOG
Der Dichter solidarisiert sich nicht einmal mehr mit sich selbst
Autorenporträt
Hans-Harald Müller wurde 1943 in Hamburg geboren, wo er Germanistik, Anglistik und Sprachwissenschaft studierte. Seit 1977 Professor am Literaturwissenschaftlichen Seminar der Universität Hamburg, zahlreiche Gastprofessuren im In- und Ausland.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.2002

Ich bin nicht der, den ihr sucht
Inspiration für Bob Dylan: Ein neuer Blick auf den jungen Brecht

"It ain't me babe, it ain't me you're lookin' for." Bob Dylans berühmte Selbstverweigerung zitiert den jungen Brecht. "Wer immer es ist, den ihr sucht", hieß es dort, "ich bin es nicht." Diese Eintracht ist ein Lehrstück für die Nachgeborenen. Denn als sich Bertolt noch ,Bertold' schrieb, hatte er mehr mit dem wandernden Sänger der Never ending tour gemeinsam als mit den Heilsverkündern seiner eigenen Generation. Heutige Leser, die mit Brecht erzogen wurden und über dem Weisheitslehrer den Singer-Songwriter nie recht in den Blick bekamen, können sich nun die Augen reiben. Die Hamburger Literaturwissenschaftler Hans-Harald Müller und Tom Kindt haben in einem schlanken Buch eine Revision des lyrischen Frühwerks unternommen, die wesentliche Entdeckungen der neueren Forschung gewissermaßen unplugged präsentiert.

Im Wechsel weiter Überblicke und differenzierter, allein metrisch manchmal anfechtbarer Gedichtanalysen wird hier Brechts lyrische Welt kartographiert, von den Dichtungen der Augsburger Schülerzeit bis zur "Hauspostille". Ausdrücklich wollen die Verfasser "keine ,neue' Theorie zur Werkentwicklung" formulieren, sondern nur die vorhandenen "in gewisser Weise pointieren". Die Bescheidenheit gegenüber der Forschung ist angemessen; die "gewisse Weise" aber hat es in sich. Manchmal sind es gerade die Pointierungen, die das Bild eines Autors verändern können.

Als ein Grunddatum dieser Dichtung wird hier endgültig jener Vorgang sichtbar, den die Verfasser die "Streichung Gottes" nennen. Sie ist, vorsichtig gesagt, nicht weit entfernt von jener Ermordung, deren sich eine Generation zuvor der "Tolle Mensch" in Nietzsches Parabel bezichtigt hatte. Wie dort, so geht es auch beim Augsburger Gymnasiasten um einen willentlichen und pathetischen Akt, keineswegs um ein bloßes Verschwinden. Und wie dort erscheint diese Tat so fundamental erschütternd, daß nur die mühselige Arbeit der Umwertung sie umzudeuten vermag in die große Befreiung. "Von Gott muß reden, wer von Brecht redet": Das erste Hauptkapitel, das mit dieser lapidaren Bemerkung eröffnet wird, gibt Thema und Ton des Bandes vor. Dabei werden keineswegs nur die bekannten Prägungen von Denkformen und Sprechweisen Brechts durch die protestantische Erziehung nachgezeichnet, sondern auch seine über mindestens dreißig Jahre geführte und entschieden agonal zu denkende "Auseinandersetzung mit Gott". In ihrer Folge wird "Natur" neu zur Debatte stehen und "Liebe" auch; beides im quälenden und produktiven Gegeneinander von "naturalistischem Credo und metaphysischem Bedürfnis". Weil alle Liebe erkaltet, hat sie Teil an der Kälte des Himmels; weil alles Fleisch wie Aas ist, kann es zurückkehren in den erlösenden Strom bewußtlosen Lebens. "Das Aas", heißt es hier einmal, "hat es gut bei Brecht." Man könnte hinzufügen: und sonst auch niemand.

Nach Gott, Natur und Liebe erscheint schließlich als letztes Stichwort der Name dessen, der als perspektivischer Mittelpunkt dieser Welt schon die ganze Zeit anwesend war und sich nun als "Bert Brecht", "Biti" oder "BB" zur Hauptfigur auf seiner antimetaphysischen Weltbühne stilisiert. Auch dieses Subjekt aber wird nun ein sehr anderes sein als in der Stille der Welt vor Nietzsche. Brechts schreibend-geschriebenes "Ich" bringt sich zur Geltung, indem es über die Diskontinuität einander widersprechender Stimmen den Namen des Autors als Spielmarke setzt. Wenige Lyriker seiner Generation dürften häufiger den eigenen Namen ins lyrische Rollen-Ich eingetragen haben als er, und wenige dürften dabei die Pluralität dieses Ich so gründlich ausgekostet haben. Hatte der Schüler Brecht noch durch die abgenutzten Wörter hindurch zurückkehren wollen zur Ursprünglichkeit der entfremdeten Dinge, so beginnt er mit zunehmendem Sprach- als Selbstbewußtsein, in den Wortspielen zu schwimmen wie ein Fisch im Wasser. Das Ich aber, das sich so in den Maskenspielen artikulieren wird, ist das des "it ain't me" - triumphal präsent nur, indem es sich entzieht. Wie beim frühen Hamsun, den der Achtzehnjährige zusammen mit Shakespeare und Goethe unter seinen Lieblingsautoren nennt, wird der Tod des Subjekts umgedeutet zum verklärten Modus des neuen Lebens. Noch in diesem Paradoxon der Individualität als Selbstverleugnung ist das Modell von Kreuz und Auferstehung wiederzuerkennen.

Erstaunlich oft erweist sich Brechts "anthropologischer Naturalismus" hier auch als ein anthropomorpher. Mit beharrlicher Beiläufigkeit wird das Weltall rhetorisch personifiziert, mit Sinnen und Willen ausgestattet - der leere Kosmos als mythisierte Gestalt des abwesenden Gottes. Darüber würde man gern noch mehr erfahren, als hier verheißungsvoll angedeutet wird. Das gilt erst recht für die Nachbarschaft zur Vorstellungs-, auch zur Bilder-, ja zuweilen Sprachwelt Nietzsches. Ganz gewiß endet sie mit der Notiz "Nietzsche mag ich nimmer" so wenig, wie die Wirkung der Bibel mit der Streichung Gottes erlischt. Dabei kann getrost dahingestellt bleiben, wie weit hier die Genealogie reicht und wo die bloße Analogie beginnt. Immerhin sind die wörtlichen Anklänge stellenweise verblüffend, so im Vergleich der Eingangsparabel in Nietzsches "Über Wahrheit und Lüge" mit Brechts Prosastück "Gott" von 1919. Dies gehört zu den neueren Forschungseinsichten, die noch immer nicht selbstverständlich geworden sind: Vor Marx war Nietzsche in Brechts lyrischer Welt, und vor Nietzsche war die Bibel - die dann allein sein Schreiberleben lang in ihm bleiben sollte wie die Kälte der schwarzen Wälder.

Diese Nachbarschaft läßt sich, entsprechend den Differenzierungen des neueren Nietzsche-Bildes, längst nicht mehr auf die vertraute und beruhigende Formel des "Nihilismus" begrenzen. Nicht nur die dionysische Schmerzlust Baals und die Entwürfe einer Imitatio Christi durch den Antichrist sind Nietzsche bemerkenswert nah, sondern auch seine Sprachskepsis, die nie ganz verschwindende Neigung zu zyklischen Welt-Bildern als Ausdruck eines konsequenten Immanenzdenkens, und endlich jenes "amor fati", das sein ambivalentes Verhältnis zur kalten Welt grundieren wird. Ihr will er als ein großer Jasagender begegnen, eben weil ihn so friert; dieses Jasagen aber wird für ihn kein Einverständnis mehr sein, sondern Teil einer renitenten Selbstbehauptung. Und so fern auch der arme BB der Idee des Übermenschen zu stehen scheint - seine Selbstermutigung, "der grausamen / Wirklichkeit / grausamer zu begegnen", kommt ihrem autobiographischen Glutkern doch ziemlich nahe.

Durchweg herrscht in diesem Werkporträt eine undogmatische Neugier. Die Verfasser sind an den Brüchen dieses Werkes fast noch mehr interessiert als an seinen Entwicklungslinien; ihre Einsicht, daß Brecht immer wieder "nicht allein gegen die literarische Tradition, sondern auch gegen eigene Vorstellungen anschrieb", dürfte weit über das Frühwerk hinaus gelten. Und schon dies macht eine weltanschauliche Fixierung des Gedichteschreibers zu einem schwierigen, am Ende vielleicht gar nicht erstrebenswerten Unterfangen - gerade dort, wo die Texte selbst sich festgelegt zu haben scheinen. Daß sie Fragen neu aufwirft, die von der marxistischen wie der bürgerlichen Brecht-Exegese schon beantwortet schienen, macht Nutzen und Vergnügen dieser Studie aus. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus beim Lesen der Verse dieses todessüchtigen Brecht. Noch immer sind sie so vital und elektrisierend wie eh und je; ihre Zeit ist noch im Kommen. "Ich bin noch immer unterwegs zur Sonne", notiert Brecht 1922 im Tagebuch. Auch dies wird bei Dylan wieder zu hören sein, ein halbes Jahrhundert später: "But me, I'm still heading towards the sun." Unser Glück, daß sie beide noch unterwegs sind.

HEINRICH DETERING.

Hans-Harald Müller/Tom Kindt: "Brechts frühe Lyrik". Brecht, Gott, die Natur und die Liebe. Wilhelm Fink Verlag, München 2002. 160 S., br., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.10.2002

Verbaler Overkill
Das Aas hat es gut bei ihm:
Die Lyrik des jungen Bert Brecht
Dem jungen Brecht spüren Hans-Harald Müller und Tom Kindt in einer neuen Monografie nach, wobei sie sich, wie das Vorwort sagt, „um eine Schreibweise bemüht haben, die ihrem Gegenstand nicht völlig unangemessen ist”. Das ist leichter gesagt als getan. Die beiden Autoren leisten, wenn sie sich den vier Themenkreisen Gott, Natur, Liebe und, natürlich, Brecht, zuwenden, solide Arbeit, die vor allem das alte Handwerk der Gedichtinterpretation wieder zu Ehren bringen will. Immer wieder gelingen ihnen auch schöne Sätze wie „Das Aas hat es gut bei Brecht.” Aber diese Dichtung scheint der Deutung merkwürdig unbedürftig. Ach, dem Mann, der das Kind missbraucht hinterm Dorfe / Neigen sich Ulmen noch mit schönem und schattigem Laub. / Und es empfiehlt eure blutigen Spuren, ihr Mörder / Unserm Vergessen der blinde, freundliche Staub. Das lässt sich kaum missverstehen, zumal der Titel klar sagt, was er will: „Von der Willfährigkeit der Natur”.
Soweit das Gedicht ein Geheimnis birgt, liegt es jedenfalls jenseits des verlässlichen philologischen Rüstzeugs. Der Germanist soll nicht stimmungsvoll mit- oder nachschwingen; irgendwie jedoch sollte er auf die spezifisch Brechtsche Verschränkung von Rohheit und Trauer und die Einzigartigkeit der so erzeugten Gebilde trotzdem reagieren. Wenn Müller und Kindt über ein solches Produkt schreiben: „Hinter dem Wechsel von Indifferenz und verbalem Overkill, mit dem die Sprecher der ,Epilogpsalmen‘ auf den Tod ihrer Geliebten reagieren, ist unschwer Brechts Wunsch erkennbar, eine Liebe zu Grabe zu tragen”, – dann ist das zwar sachlich vielleicht nicht falsch; aber es fällt gegenüber seinem Gegenstand stilistisch dermaßen ab, dass es verstimmt. Das mag nach Fundamentalkritik klingen, die weniger auf ein bestimmtes Buch zielt als auf das Fach überhaupt. Aber an manchen Büchern tritt dessen Crux eben deutlicher hervor als sonst. Die Philologie, heißt es, sei die einzige Kunstwissenschaft, die im selben Material arbeitet wie ihr Gegenstand. Das aber kann zum Nachteil werden: Sie stehen direkt nebeneinander, und in dem Maß, wie dieser erstrahlt, muss sich jene verdunkeln.
BURKHARD
MÜLLER
HANS-HARALD MÜLLER UND TOM KINDT: Brechts frühe Lyrik. Brecht, Gott, die Natur und die Liebe. Wilhelm Fink Verlag, München 2002. 158 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

""Gewissermaßen unplugged" sieht Rezensent Heinrich Detering wesentliche Entdeckungen der neueren Forschung zu Brechts früher Lyrik präsentiert. Heutige Leser, die mit Brecht erzogen wurden und "über dem Weisheitslehrer den Singer-Songwriter nie recht in den Blick bekommen" hätten, könnten sich nun die Augen reiben. Denn der frühe Brecht, wie die beiden herausgebenden Hamburger Literaturwissenschaftler ihn sehen, habee mehr mit Bob Dylan als den Heilsverkündern der eigenen Generation gemein. Dylan zitiere Brecht denn nicht nur mit seiner berühmten Selbstverweigerung "It ain't me babe, it ain't me, you're looking for." Im Wechsel weiter Überblicke und differenzierter Gedichtanalysen werde Brechts lyrische Welt kartografiert - von der Augsburger Schülerzeit bis zur Hauspostille. Lediglich metrisch findet Detering diese Analysen gelegentlich anfechtbar. Ansonsten ist er begeistert von den Ergebnissen der Herausgeber, deren undogmatische Neugier am Stoff ihn beeindruckt. Dass sie Fragen aufwerfen, die von der bürgerlichen wie marxistischen Brecht-Exegese schon beantwortet schienen, macht für den Rezensenten "Nutzen und Vergnügen" dieser Studie aus.

© Perlentaucher Medien GmbH"