Produktdetails
  • Verlag: DuMont Buchverlag
  • Seitenzahl: 248
  • Abmessung: 250mm
  • Gewicht: 672g
  • ISBN-13: 9783770150816
  • ISBN-10: 3770150813
  • Artikelnr.: 23968250
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.06.2000

Er trug auf beiden Schultern
Die Lebenserinnerungen des Kunsthistorikers Heinrich Klotz
Stecknadeln mit bunten Kugelköpfchen bescherten dem zweieinhalbjährigen Heinrich Klotz das erste „halbbewußte” einschneidende Erlebnis seiner Entwicklung. „Heute wird mir bewußt, daß dieses erste mir erinnerliche Erlebnis ein ästhetisches war. ”
So beginnen die Erinnerungen des vor einem Jahr, am 1.  Juni 1999, verstorbenen Heinrich Klotz, der als Gründungsdirektor des deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, des Zentrums für Kunst und Medientechnologie und der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe in der Ruhmeshalle der Architektur- und Kunstgeschichte einen geziemenden Platz sicher hat. Die Vorstellung, dass er von diesem Platz aus das Treiben der Kunst- und anderen Menschen beobachten könnte, ist für alle, die ihn kennen lernen durften, kaum vorstellbar. Eher sollte man ihn sich als quengelnden Engel Aloisius vorstellen, der durch seine Rastlosigkeit die himmlische Ruhe so sehr stört, daß man ihn mit einem göttlichen Auftrag wieder auf die Erde schickt. Was wäre sein Auftrag? Würde man ihn in die Problem-Hauptstadt Berlin schicken? Oder zur Expo 2000?
Mancherlei Anregungen kann man in diesen Erinnerungen finden, um diese Vorstellung auszuspinnen. Angefangen von seiner Marburger Zeit und dem Engagement für sein „Lieblingsthema, integrierendes Bauen”, über sein „Paulus-Erlebnis” in Yale, als er erstmals mit den Bauten von Robert Venturi und Charles Moore in Berührung kam, bis hin zu den bedeutenden Museumsgründungen.
Neue Begriffe der Kunstbetrachtung und ein neues Denken sind mit der Person Heinrich Klotz auf das engste verwoben. Lesend noch einmal den Anfängen der Postmoderne in der Architektur nachzuspüren, das gehört zu den schönsten Stellen in seinem Buch. Was heute den meisten Menschen nur ein müdes Lächeln entlockt – in den siebziger Jahren waren das „radikale Thesen, die Öffentlichkeit in Bewegung versetzten”.
Dem Prinzip der Bewegung ist Heinrich Klotz zeit seines Lebens treu geblieben, und es ist ein Vermächtnis, das er an uns „weitergegeben” hat. Kaum hatte seine Sache, für die er sich engagierte, sich realisiert, begann er gleich etwas Anderes: „Wenn ich nun doch wieder etwas Neues begonnen habe, so hat das seinen Grund in meinem Bedürfnis nach Verwirklichung. ”
Seine Kritiker sahen darin eine Flucht nach vorn. In der Tat: „Ich gestehe, daß ich schwer zu fassen bin und kaum auf eine Thematik festgelegt werden kann. ” Heinrich Klotz hat viele unterschiedliche Maler, Architekten, Politiker und Journalisten kennen und schätzen gelernt – und von allen will er erinnernd berichten. Daraus leitet sich ein zweites Prinzip ab – das Sowohl-als-auch. „Immer wieder kam ich in die Situation, das eine zu wollen und das andere auch. Ich war von Natur aus Mediator und trug auf beiden Schultern. Das Entweder-oder fiel mir schwer. ”
Heinrich Klotz hat sein Buch nicht vollendet. Die Erinnerungen an Menschen, die seinen Weg begleitet haben, sind eine anregende Lektüre, sie zeigen den Autor zahlreicher Künstlerporträts in seiner Bestform. Dennoch ist das unfertige Buch auch manchmal ermüdend – immer wieder ist sein Bemühen zu spüren, ein letztes Mal schreibend seinen Kritikern entgegenzutreten – die an „die Herrschaft der Spezialisten gewöhnt”, nicht glauben wollten, „daß umfassendere Interessen und Tätigkeiten auf solider Basis überhaupt möglich und redlich sein sollten. Meine Kritiker haben mir am meisten verübelt, daß ich kein Spezialist bin und daß man mir nicht nachweisen konnte, als universell Interessierter ständig Fehler gemacht zu haben. ”
Das Buch endet mit einem Satz, der für Heinrich Klotz die berühmte Nadel im Heuhaufen ist. „Mein Sowohl-als-auch kann man in bestimmten Situationen als Pluralismus bezeichnen. Man hat mir vorgeworfen, der Beliebigkeit Tür und Tor zu öffnen. Doch haben meine Kritiker nicht verstanden, daß zwischen Pluralismus und Beliebigkeit ein Unterschied besteht. Beliebigkeit heißt, alles ist möglich – Pluralismus aber bedeutet, ein Spektrum begrenzter Möglichkeiten gelten zu lassen. ” Eine Möglichkeit wäre, daß er gar kein nörgelnder Aloisius ist, sondern ein Suchender nach gleichgesinnten Generalisten.
MICHAEL THEN
HEINRICH KLOTZ: Weitergegeben. Erinnerungen. Dumont Verlag, Köln 1999. 248 Seiten, 68 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der vor einem Jahr verstorbene Kunsthistoriker und Gründer u.a. des deutschen Architekturmuseums in Frankfurt hat hier seine unvollendet gebliebenen Memoiren vorgelegt, in denen "zahlreiche Künstlerportraits" zu den anregendsten Seiten gehören, meint Michael Then. Ermüdet hat das Buch des "Pluralisten" den Rezensenten dort, wo der Autor sich allzu ausführlich bemüht, "ein letztes Mal schreibend seinen Kritikern entgegenzutreten". Then zitiert viele Sätze des "Generalisten", der sich immer wieder mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen hatte, er wahre keine Kontinuität und wechsele gleich zum nächsten Projekt, sobald etwas realisiert war. Klotz` Alibi: "Ich war immer ein Mediator und trug auf beiden Schultern. Das entweder-oder fiel mir schwer." Gegen solche Rechtfertigungspassagen stehen jedoch höchst spannende Geschichten der Zeitzeugenschaft, so beispielsweise die von der bedeutenden Entwicklung des Beginns der Postmoderne in der Architektur, befindet Then.

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