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Sein Abgang als Bundesminister für Arbeit und Soziales kam 2002 überraschend. In knappen Worten informierte der wieder gewählte Kanzler Gerhard Schröder, dass er in seiner zweiten Amtszeit Wolfgang Clement als "Superminister" in sein Kabinett aufnehmen werde. Walter Riester, dessen Rentenvorschläge für viel Furore gesorgt haben, räumt alle nachträglichen Spekulationen aus dem Weg - kann Schröders Entscheidung nachvollziehen - und erläutert selbstkritisch die Gründe, warum die kapitalgedeckte Rentenversicherung nicht zum geplanten Erfolg beigetragen hat. Zum ersten Mal spricht der ehemalige…mehr

Produktbeschreibung
Sein Abgang als Bundesminister für Arbeit und Soziales kam 2002 überraschend. In knappen Worten informierte der wieder gewählte Kanzler Gerhard Schröder, dass er in seiner zweiten Amtszeit Wolfgang Clement als "Superminister" in sein Kabinett aufnehmen werde. Walter Riester, dessen Rentenvorschläge für viel Furore gesorgt haben, räumt alle nachträglichen Spekulationen aus dem Weg - kann Schröders Entscheidung nachvollziehen - und erläutert selbstkritisch die Gründe, warum die kapitalgedeckte Rentenversicherung nicht zum geplanten Erfolg beigetragen hat. Zum ersten Mal spricht der ehemalige Minister Klartext: Er, der sich ein Leben lang mit der Arbeits- und Rentenpolitik beschäftigt hat, legt offen die Probleme der Bundesrepublik dar. Arbeitslosigkeit und die Entlastung zukünftiger Generationen sind nur durch eine Weiterentwicklung seiner Vorschläge zu lösen. Ganz dem politischen Vermächtnis seiner gewerkschaftlichen Anfänge verpflichtet, erzählt Riester von seiner Kindheit in Kaufbeuren und seiner wichtigsten Lebenserfahrung als junger Mann: sich zu engagieren und zu kämpfen, auch wenn es sinnlos erscheint. Von dieser Position hat er sich niemals getrennt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2004

Sisyphos im Politikbetrieb
Randale und Revolte als Programm - Walter Riester attestiert sich "Mut zur Wirklichkeit"

Walter Riester: Mut zur Wirklichkeit. Droste-Verlag, Düsseldorf 2004, 271 Seiten, 16,95 Euro.

Auf dessen letztem Presseempfang als Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung versuchte ein Journalist Walter Riester mit der Bemerkung zu trösten, daß es ihm zwar nicht in der Sache, aber doch um ihn persönlich sehr leid tue. "Bei mir ist es gerade umgekehrt", gab Riester unverdrossen zurück: Mit der Ablösung durch Wolfgang Clement könne er gut leben, doch die Zusammenlegung des Wirtschafts- und Arbeitsministeriums halte er für falsch.

Die Episode zeigt, daß der ehemalige Vizechef der IG Metall, den Gerhard Schröder 1998 aus Frankfurt in sein Kabinett geholt hatte, bis zum Schluß seinen Überzeugungen treu geblieben war. Von dieser Geradlinigkeit soll auch der Titel seines Buches zeugen, das der gelernte Fliesenleger mit dem Titel "Mut zur Wirklichkeit" überschrieben hat. Darin verrät er viel mehr über den Politikbetrieb in Bonn und Berlin und über die Genese der Rentenreform von 2001 als über den Menschen Riester.

Über diesen erfährt der Leser immerhin, daß seine Rauflust als Kind den Lehrern Anlaß zu zahlreichen Klagen gab, daß er von seiner resoluten Mutter ohne viel Federlesens bei der Gewerkschaft Bau-Steine-Erden angemeldet und zum Eintritt in die SPD gedrängt wurde. Die Sozialdemokratie aber erschien Riester damals zu angepaßt und konformistisch, die Jusos hielt er für zu konservativ, und auch im Gewerkschaftsbetrieb fühlte sich Riester, der als Kassierer die Sorgen und Nöte der Arbeiterfamilien unmittelbar kennenlernte, eher der radikaleren IG Metall verbunden. So überrascht es wenig, wenn der ehemalige Minister die Sinnfrage im Rückblick mit Albert Camus beantwortet: Nur die Auflehnung gibt dem Leben seinen Wert.

Das Buch streift Riesters weiteren Werdegang: nach der Meisterprüfung zunächst das Studium an der Frankfurter Akademie der Arbeit, dann der Wechsel vom Deutschen Gewerkschaftsbund zur IG Metall und schließlich der Aufstieg unter Franz Steinkühler, die mit dem damaligen baden-württembergischen Arbeitgeberchef Dieter Hundt ausgehandelten Tarifabschlüsse und das ausgeschlagene Angebot Ferdinand Piëchs, Personalvorstand von VW zu werden. Bei alledem sieht sich Riester immer als radikaler Vordenker, der - anders als Klaus Zwickel - nicht das Herz, sondern den Verstand der Leute anspricht. Der Metall-Funktionär erklärt, weshalb man aus Gründen der Mobilsierungsfähigkeit die 35-Stunden-Woche nur mit vollem Lohnausgleich fordern kann, und er rückt das Bild vom politischen Quereinsteiger zurecht, das ihm die Medien 1998 zugeschrieben haben, obschon er Mitglied im Landesvorstand und im Präsidium der baden-württembergischen SPD war und 1992 sogar bedrängt wurde, im Falle eines Wahlsieges Umweltminister zu werden. Kern des Buches ist allerdings Riesters Kampf für eine Reform der Rentenversicherung, die - bei allen handwerklichen Mängeln und Kompliziertheiten - immerhin die paritätische Finanzierung durchbrochen hat, was für einen ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär eine bemerkenswerte Leistung ist. Erstmals gibt Riester auch Auskunft über seine damals geheimgehaltenen Überlegungen, jährlich ein halbes Prozent der Lohnerhöhungen in einen Tariffonds zu leiten, der die Ausfälle der Rentenversicherung ausgleichen und Alterskapital bilden sollte.

Das Bemühen, Aufbruchstimmung zu erzeugen, nimmt man Riester gerne ab. Doch mit seinen Plänen für den Tariffonds und das Bündnis für Arbeit wurde er von den Gewerkschaftschefs rasch in seine Schranken verwiesen. Man warf ihm vor, das Rentenproblem über die Tarifpolitik lösen zu wollen. Hinzu kam der Vorwurf seiner früheren Kollegen, er habe mit der Rentenreform ein bewährtes System den Interessen der Wirtschaft preisgegeben. "Ich verstand diese Haltung nicht. Die Arbeiterbewegung hatte sich in ihrer Geschichte immer wieder neu definiert, das machte auch ihren Erfolg aus."

Riesters Buch liest sich flott - trotz der einen oder anderen sprachlichen Holprigkeit, die offenkundig dem Bemühen geschuldet ist, die Tonbandaufzeichnungen so authentisch wie möglich in die Schriftform zu übertragen. Es gewährt nicht nur einen Einblick in den Politikbetrieb einer turbulenten Zeit (man denke an den Aufruhr über die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes, die Equal-Vergabeaffaire und den Statistikskandal bei der Bundesanstalt für Arbeit); es offenbart an einigen Stellen auch die abenteuerliche Weltsicht, die heute noch die Funktionärselite prägt. So rügte Riester Anfang 1996 seinen Kollegen Zwickel, dieser dürfe sich in den Bündnisverhandlungen bei Bundeskanzler Helmut Kohl eine so gewichtige Aussage wie die Senkung der Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent nicht abhandeln lassen, "ohne sich einer verbindlichen Gegenleistung sicher zu sein".

Riesters Aufzeichnungen sind über weite Strecken deskriptiv, nicht analytisch. Seine Erinnerungen sind naturgemäß ich-bezogen, selten eignet er sich eine übergeordnete Perspektive an. Erfreulicherweise geht Riester über die Rechtfertigung seiner Politik als Arbeitsminister hinaus und mischt sich auch in die aktuelle Debatte ein. So versuche er Menschen mit dem Hinweis in die Partei zurückzuholen, daß es bei den Auseinandersetzungen mit der Wirklichkeit für eine politische Partei wie die SPD "keinen wesentlich anderen Weg gibt", mahnt Riester. "Das Tal muß durchschritten werden, eine Ausweichmöglichkeit gibt es nicht." Sein Wort im Ohr der Funktionäre.

NICO FICKINGER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nico Fickinger attestiert Walter Riesters autobiografischem "Mut zur Wirklichkeit", dass es sich "flott" lesen lasse, trotz der einen oder anderen sprachlichen Holprigkeit, die der Rezensent auf das Bemühen zurückführt, das Tonbanddiktat möglichst originalgetreu zu Papier zu bringen. Insgesamt fasst der Rezensent das Buch aber mit spitzen Fingern an. Der ehemalige Minister für Arbeit und Soziales tut sich schwer damit, meint Fickinger, die Außenperspektive auf sein Leben einzunehmen. Mit seiner Fähigkeit zur Analyse hat der Autor seinen Rezensenten jedenfalls nicht beeindrucken können. "Deskriptiv" findet Fickinger Riesters Verfahren - aber das gilt auch für den Urteilenden selbst, denn Fickinger lässt ansonsten nur des Ex-Ministers Selbstlebenswegbeschreibung Revue passieren - aber das wird der, den es interessiert, dann ja alles im Buch lesen.

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