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Was ist das Chinesische an der chinesischen Stadt? Ihre Syntax? Ihr Code? Durch seine Entschlüsselung vermag der Autor die Vielfalt der empirischen Eindrücke zu ordnen und auch aktuelle, von europäischen Architekten geplante Stadtgründungen in China neu zu "lesen".

Produktbeschreibung
Was ist das Chinesische an der chinesischen Stadt? Ihre Syntax? Ihr Code? Durch seine Entschlüsselung vermag der Autor die Vielfalt der empirischen Eindrücke zu ordnen und auch aktuelle, von europäischen Architekten geplante Stadtgründungen in China neu zu "lesen".
Autorenporträt
Dieter Hassenpflug ist Professor für Soziologie und Sozialgeschichte der Stadt an der Bauhaus Universität Weimar (Institute for European Urban Studies (IfEU). Zuletzt veröffentlicht: Dieter Hassenpflug, Reflexive Urbanistik - Reden und Aufsätze zur europäischen Stadt, Verlag der Bauhaus-Universität Weimar, Weimar 2006.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.02.2009

Feuerspeiende Drachen – aus Beton
Immer mit dem Vorschlaghammer: Chinas aktuelle Urbanisierung ist so rapide wie grundstürzend
Wenn heute Peking und Shenzhen, Harbin oder Shanghai im Lichte ihrer Wolkenkratzer funkeln und das schicke, unnahbare Design westlicher Restaurants das gemeine Publikum auf staunende Distanz hält, wenn Fastfood-Ketten und überbreite Avenuen ein populäres Bild vom kollektiven Wohlstand verbreiten, dann verunsichert das den Besucher:
Gemischt sind die Gefühle allemal. Einerseits wird der chinesische Urbanismus heute weithin als eine rasante, bilderstürmerische Metamorphose rezipiert, und seine Architektur als krude Mixtur aus High-End-Branding und banaler Massenware. Andererseits steht China in der Geographie westlicher Imagination nach wie vor für die schiere Größe, für das Unermessliche, aber auch für das ewig Gleiche, Abgeschottete. Grund genug also, dass sich zwei Neuerscheinungen mit dieser so widersprüchlichen wie tradierten Wahrnehmung auseinander setzen.
Der an der University of North Carolina lehrende Planungshistoriker Thomas Campanella bedient zunächst einmal des Lesers uneingestandene Gier nach Superlative: Beispielsweise gibt es in China nun 102 Städte mit mehr als einer Million Einwohner, in den USA hingegen lediglich neun; anno 1980 verfügte Shanghai über kaum ein modernes Bürohochhaus, während es heute mehr als doppelt so viele wie in New York sind; und offenkundig will das Reich der Mitte in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren weitere 100 Milliarden Quadratmeter Geschossfläche neu bauen.
Ein solch entfesseltes Wachstum, so die These, habe den Import ausländischer – insbesondere angloamerikanischer – Artefakte und baulich-räumlicher Environments zugleich vorausgesetzt als auch beschleunigt: Gated Communities in den sich explosiv ausbreitenden Vorstädten, die Automobilität als dominante Verkehrsform, oder auch die auftrumpfende Ikonographie neuer Central Buisiness Districts.
Campanella verweilt indes nicht nur in der Gegenwart – die er außergewöhnlich gut recherchiert hat –, sondern reist auch zurück in die Zeit, bevor Mao seinen volksrepublikanischen Aufbruch in die Textur der überlieferten Städte eingeschrieben hat. Sachlich, doch mit durchaus narrativen Qualitäten, räsoniert er über die Zerstörung des architektonischen Erbes oder über die Auswirkungen der Transformationen auf Umwelt und Alltagswirklichkeit. Dabei gelingt es ihm, die Geschichte einer so rapiden wie rigiden Urbanisierung zu „vermenschlichen”, etwa anhand von Wu Ping, die sich in Chongqing gegen den Abriss ihres Hauses wehrte und auf ihre Eigentumsrechte pochte. Drei lange Jahre stand das Haus isoliert, nur mit behelfsmäßigen Stiegen erklimmbar, inmitten einer riesigen Baugrube . China, so sein Fazit, habe das Verdikt Schumpeters von der „kreativen Zerstörung” neu definiert. Und was in der frühen Phase lediglich eine bloßes Kopieren des Westens gewesen sei, habe sich längst in ein komplexeres, eigenständiges Gebilde verwandelt.
Verschlissener Raum
Dieter Hassenpflug teilt viele dieser Einschätzungen, setzt aber andere Akzente und vor allem: er bohrt noch tiefer. Dem Weimarer Soziologen ist es weniger um die sinnlich fassbaren Phänomene als vielmehr um die dahinter liegenden Mechanismen zu tun. Zunächst weist er auf den Einfluss insbesondere von Hongkong und Singapur hin, wobei deren Images lediglich als „Sprungbrett für viel höher fliegende Raumbilder” dienen. Und er glaubt als strategische Ambition zu erkennen, dass China sich als Kulturnation (repräsentiert durch die Hauptstadt Peking) und Weltwirtschaftsmacht (repräsentiert durch die Kommerzstädte Shanghai und Shenzhen) neu definieren will.
Das heutige China ist eine vom Fortschrittsglauben getriebene Nation, die zwar eine kollektive soziale Mobilität ermöglicht, aber wenig an tatsächlich urbaner Lebensform. Zumal sich selbst die größten Metropolen bei näherem Hinsehen als zellulare Landschaften aus gegeneinander abgeschotteten Teilräumen offenbaren. Darin spiegelt sich die seit jeher überlieferte Bedeutung von Clans und Nachbarschaften, ein „Erbe des rural konnotierten Gemeinschaftslebens”. Und eben weil Raumaneignung und -nutzung auf einem tendenziell familienbasierten System fußen, sei der offene, außerhalb des Quartiers befindliche Stadtraum „der chinesischen Seele bis heute eher gleichgültig, ja sogar fremd geblieben”. Während in der westlichen Hemisphäre die Kategorie des öffentlichen Raums konstitutiv ist für das Urbanitätsverständnis, sei er dort nur „der Packesel der Stadt”, werde malträtiert und verschlissen.
Damit gehe einher, dass die Gebäudefassaden weitgehend bedeutungslos seien. Es gebe keine kulturell artikulierte Form der Beziehung von Straße und Blockrand; entsprechend uneinheitlich, zerrissen und fragmentarisch wirke das Stadtbild. Hassenpflug zieht ein deutliches Fazit: „Es wird geliefert was der chinesische Auftraggeber wünscht: eine Stadt aus geschlossenen Nachbarschaften und einer kommerzialisierten, offenen Stadtbühne gescannter oder imitierter europäischer Architekturen und Texturen.” Ihm ist ein in weiten Teilen mit leichter Hand geschriebener Essay gelungen, der sich mit Campanella schließlich einig weiß: Beide attestieren der chinesischen Stadtentwicklung kardinale Schwächen – etwa weil stets mit dem Vorschlaghammer gearbeitet werde –, glauben aber auch ungeahnte Perspektiven zu erkennen.
Denn die radikale Qualität chinesischer, rein nach ökonomischen Maximierungsprinzipien wuchernder Stadtakkumulationen mag zwar den Alleinvertretungsanspruch der Moderne relativiert haben, bewirkte aber mitnichten einen entmystifizierten Blick auf die dortige Realität (was umgekehrt auch für die chinesische Perspektive auf den Westen gilt). Beide Bücher justieren nun dieses Bild neu. Was aber heißt das für die urbane Kultur Chinas? Modern nach dem jeweils letzten Schrei der globalen Trendsetter, und im Zweifel attribuiert mit einem großen geschwungenen Dach oder einem klassischen Säulenportikus? Öffentlicher Raum, Ensemblebildung oder stadträumliche Hierarchie scheinen keine Begriffe zu sein, mit denen im chinesischen Baumarkt noch Erfolge zu erzielen sind. Kultur – verstanden als Einheit von Ansichten, Symbolen, Einstellungen und Normen – ist unter diesen Bedingungen nicht zu haben. Aber gerade diese prekären Bedingungen bilden möglicherweise den Humus, aus dem über kurz oder lang eine neue Urbanität entstehen mag. China sei, dieser Satz Hassenpflugs gibt fraglos zu denken, China sei „im Begriff, die Stadt für sich selbst neu zu erfinden – und ist bereit, für dieses Ziel ungewöhnliche Wege zu gehen.” ROBERT KALTENBRUNNER
DIETER HASSENPFLUG: Der urbane Code Chinas. Birkhäuser, Basel-Boston-Berlin 2009. 211 S., 82 Abb., 24,90 Euro.
THOMAS J. CAMPANELLA: The Concrete Dragon. China’s Urban Revolution.
Princeton Architectural Press, New York 2008. 334 S., 85 Abb., 24,90 Euro.
Leben in der Baugrube: Drei Jahre weigerte sich Wu Ping in Chongqing ihr Haus aufzugeben. Angebotene Entschädigungen lehnte sie ab und blieb hartnäckig, während um sie herum gebaut wurde. Foto: Mark Ralston, AFP
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.2009

Chinas Code

China erscheint dem westlichen Reisenden als überwältigend-verrätseltes Reich der Zeichen und Stadtutopien. Dieter Hassenpflug begibt sich nun in einem Architekturführer auf Wanderungen durch die Boomstädte Peking, Schanghai und Shenzhen, um "zum Kern der chinesischen Stadt vorzudringen, zu ihrer Syntax, ihrem Code". Trotz Hyperwachstums und Globalisierung erkennt der Autor eine Traditionsverwurzelung und Bodenhaftung der Stadtidee. Seine Grundthesen lauten auf eine Verräumlichung von Hierarchien und den Dualismus von offenem und geschlossenem Raum. Dem privat-abgeschlossenen Raum steht in China demnach nicht der öffentliche, sondern ein offener Raum gegenüber, ein Nicht-Ort, bestenfalls Transitstrecke zwischen zwei bedeutungsvollen Räumen. Private Landnahmen wie Wäscheleinen und Suppenküchen auf Bürgersteigen bezeugen die "Leichtigkeit des Überschreitens" der Kluft zwischen den beiden Sphären. Während der europäische Hang zum Dekorativen unter den Regeln und Dogmen der Moderne gelitten habe, feiere er im Citytainment des heutigen China eine fröhliche Renaissance. Diagnostiziert wird eine nachholende Entwicklung in Verschränkung mit einer "überholenden Modernisierung". Ein Nachklang taoistischen Raumdenkens, der ruralen Gesellschaft und ihrer Beziehungsnetzwerke klinge sogar noch in der chinesischen Architektursprache der Postmoderne nach. (Dieter Hassenpflug: "Der urbane Code Chinas". Birkhäuser Verlag, Basel 2009. 212 S., br., 24,90 [Euro].) sg

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gefesselt hat Robert Kaltenbrunner dieses Buch zur chinesischen Stadtentwicklung gelesen. Der Weimarer Soziologe Dieter Hasenpflug interessiert sich in "Der urbane Code Chinas" weniger für das äußere Erscheinungsbild als für die tieferen Antriebskräfte der chinesischen Urbanisierung, stellt der Rezensent fest. Nach Einschätzung des Autors will sich China in seiner urbanen Architektur als Kulturnation und ökonomische Macht gleichermaßen zeigen, wobei der Motor dieser Verwandlung ein unbedingter "Fortschrittsglauben" sei. In größeren Zusammenhängen gedachter Städtebau findet dabei laut Hasenpflug wegen der Dominanz ländlicher Lebensstrukturen und festgefügter Nachbarschaften nicht statt, so Kaltenbrunner weiter. Bilanz dieses, wie der Rezensent lobt, überwiegend flüssig geschriebenen Essays ist allerdings, dass die Stadtentwicklung in China zwar große "Schwächen" aufweist, dafür in den Augen des Autors aber auch Chancen für eine "neue Urbanität" bietet.

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