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Klezmer, die traditionelle Tanzmusik im osteuropäischen Stetl des 19. Jahrhunderts, überlebte nach dem Krieg in den jüdischen Emigrantengemeinden und erfährt derzeit weltweit eine Renaissance. Erstmals wird hier über die spannungsreiche und wechselvolle Geschichte der Klezmer-Musik über einen Zeitraum von fast fünf Jahrhunderten geschrieben, über Schauplätze, Instrumente, Stile und Musiker. Die Autoren greifen auf veröffentlichte und unveröffentlichte Quellen zurück, haben selbst Interviews mit Musikern oder deren Nachfahren gemacht und geben Notenbeispiele und eine Diskographie. Das Buch…mehr

Produktbeschreibung
Klezmer, die traditionelle Tanzmusik im osteuropäischen Stetl des 19. Jahrhunderts, überlebte nach dem Krieg in den jüdischen Emigrantengemeinden und erfährt derzeit weltweit eine Renaissance. Erstmals wird hier über die spannungsreiche und wechselvolle Geschichte der Klezmer-Musik über einen Zeitraum von fast fünf Jahrhunderten geschrieben, über Schauplätze, Instrumente, Stile und Musiker. Die Autoren greifen auf veröffentlichte und unveröffentlichte Quellen zurück, haben selbst Interviews mit Musikern oder deren Nachfahren gemacht und geben Notenbeispiele und eine Diskographie. Das Buch schließt mit einem Überblick über die gegenwärtige Klezmer-Szene.

Autorenporträt
Ottens, Rita
Der jüdisch-amerikanische Klarinettist und Komponist Joel Rubin gilt als der »gegenwärtig bedeutendste Interpret der Klezmer-Musik« ('Leipziger Volkszeitung'),
Rita Ottens als die Wissenschaftlerin, »die über Klezmer-Musik in der Alten und Neuen Welt zur Zeit wohl am besten Bescheid weiß« ('Die Zeit'). Das 'Joel Rubin Jewish Music Ensemble' ist gefeierter Vertreter einer authentischen Klezmer-Auffassung. Das Ehepaar veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze im In- und Ausland, schrieb das Drehbuch für den preisgekrönten Film über die Epstein Brothers, »A Tickle in the Heart« (1996), und gab mehrere ebenfalls mit Preisen ausgezeichnete CD-Anthologien heraus. Sie leben in Berlin, London und Los Angeles.

Rezensionen
"Das Buch steht mit seinen eingehenden historischen Kapiteln, mit seiner synchronen Darstellung der verschiedenen Klezmer-Stile, den Notenbeispielen, den Personalartikeln zu den wichtigsten Klezmer-Gruppen und sogar einer Diskografie zumindest im deutschsprachigen Raum ziemlich einzigartig da - ein Basiswerk..." 'Süddeutsche Zeitung'

"Rita Ottens´ und Joel Rubins umfassende Studie schließt eine Lücke der deutschsprachigen Literatur über diese gemordete und wieder auferstandene Musiktradition." 'Fono Forum'

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2000

Das jüdische Herz war eine Fiedel
Rita Ottens und Joel Rubin lassen den Stammbaum des Klezmer kräftig wachsen, doch wann geht die Musik weiter?

Wann immer das Wort "Klezmer" auftaucht, ist Giora Feidman nahe, obwohl er nicht allein verantwortlich ist für das "Klezmer-Revival", das in den frühen siebziger Jahren in Amerika "erfunden" wurde und inzwischen auf dem Meer der "World Music" alle Welt überspült. Feidman wurde zum "King of Klezmer" gekürt, zum Magier mit der Klarinette als Zauberstab. Idol oder Ideologie der Weltversöhnung durch Musik: An ihm scheiden sich die Geister. Dass er schwer zu fassen, eigentlich nur in Momentaufnahmen zu erwischen ist, illustriert Alexandra Vosding in ihrem Fotoband "Feidman - The Magic of Music". Umrisse im Zwielicht, Allumarmung nicht ohne Selbstgefälligkeit, dann wieder künstlerische Dialoge mit Ausstrahlung: Die Fotografin lichtet Hintergründe ab, meidet medienwirksame Konterfeis.

Im grundlegenden Buch "Klezmer-Musik" von Rita Ottens und Joel Rubin kommt Feidman nur am Rand vor, in einem abwägend kommentierten Zitat eines Interviews der "Jerusalem Post", mit Yaakov Mazor, einem Experten für chassidische Musik. Feidman zählt nicht zur Klezmer-Tradition; er stehe vielmehr "für sich selbst und seine eigene Ideologie". Weltanschaulichen Diskussionen um das Klezmer-Phänomen setzen die Judaistin und Musiksoziologin Rita Ottens und der Klarinettist und Musikethnologe Joel Rubin ihre Forschungsergebnisse entgegen, hervorgegangen aus gewissenhaftem Quellenstudium und Interviews mit Klezmorim oder ihren Nachkommen.

Klezmer ist nicht leicht zu fassen, trotz der klaren etymologischen Definition des Autorenduos: Das jiddische Wort, zusammengesetzt aus "Klej" (Werkzeuge) und "Semer" (Lied), bedeutet wörtlich "Musikinstrumente". Seit dem sechzehnten Jahrhundert wurden in Osteuropa Musiker so benannt; später wurde der Begriff auf den Berufsstand ritueller Musikanten ausgeweitet, "die - eingebunden in den Ablauf des religiösen Lebens - auf Hochzeiten und anderen Festlichkeiten aufspielten". Aus diesem Samen, der die Verbindung mit der jiddischen Sprache und dem religiösen Leben als Gene enthält, lassen die Gärtner Ottens und Rubin den fast tausendjährigen Klezmer-Baum wachsen - wurzelnd im "aschkenasischen" mittelalterlichen Rheinland, blühend im Osteuropa des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts, im späten neunzehnten Jahrhundert nach Amerika verpflanzt und dort als Partyvergnügen fast abgestorben, ehe in den Siebzigern aus alten Schellack-Platten neuer Klezmer gezüchtet wurde: Wiederbelebung ohne die einst Leben spendenden rituellen Ursprünge.

Doch Vorsicht: Diese spannende Geschichte von Werden, Vergehen und Wiedergeburt einer "volkstümlichen" Kunst handelt weder von einem Idyll noch von exotischer Folklore. Hinter der vermeintlichen Schtetl-Romantik steckten vielmehr gesellschaftliche Verachtung, Pogrome und Flucht von West nach Ost und von da über den Ozean, steckte mühsames Überleben in oft hoffnungsloser Armut. Freilich gibt es auch Erfolgsgeschichten wie die des genialischen Show-Klarinettisten Naftule Brandwein, des vornehmen Klarinetten-Klassikers Dave Tarras oder der Epstein Brothers. Aber das gehört schon ins amerikanische Kapitel.

Welche gliedernde, gar Leben deutende Funktion Klezmer in einem Fest-Ablauf hatte, schildern die Verfasser am Beispiel einer traditionellen Hochzeit in einem Schtetl. Ein genau festgelegtes Drama zwischen Trauer und Fröhlichkeit, Tod und Wiedergeburt wurde da inszeniert, mit der passenden rührenden, aufrüttelnden, tänzerischen Musik an den "Schaltstellen". Unter den Musikern ragten Virtuosen hervor, Klezmer-Paganinis. Geiger wie Nathan Milstein, David Oistrach, Jascha Heifetz oder Mischa Elman trugen die ursprünglich mündlich überlieferte, nach Gehör ohne Notenkenntnis praktizierte Klezmer-Tradition dank ihrer Anregung durch Familie oder Ausbildung in die klassische Musik hinein. Bei den meisten von ihnen hatte der emotional hoch gespannte Ton, allein schon klezmerisch, einen Trauerrand, den die Autoren "das wichtigste Kriterium für das Spiel eines Klezmers" nennen.

Die heutige Vorherrschaft von Klarinette und Akkordeon, Spätlingen im Klezmer-Instrumentarium, lässt fast vergessen, dass das jüdische Herz ursprünglich eine Fiedel war: Geige und Hackbrett waren nicht nur Leitinstrumente in den historischen Klezmer-Kapellen, sondern auch in jiddischen Sprichwörtern. Otten und Rubin gehen ausführlich auf die Zusammensetzungen der Kapellen im kulturgeschichtlichen Wandel ein. An den Metamorphosen des Klezmer-Stils wirkten auch Einflüsse von innen (chassidische Erweckungsbewegung) und aus der nichtjüdischen Umwelt mit. Charakteristische Merkmale der Klezmer-Musik - Formen und Gattungen, Tonleitern und Modulationen, Improvisation und Verzierungen, nicht zuletzt unregelmäßige Rhythmen und typisches "Knejtschn" (Normabweichungen), "Kwetschn" (Klagen) und "Krechtsn" (Seufzen) - werden so anschaulich geschildert, dass man die Musik augenblicklich zu hören meint. Wertvolle Hilfe dabei leistet die CD "Oytsres - Treasures", Aufnahmen zwischen 1908 und 1996 aus Privatsammlungen.

Kritisch mustern die Autoren das "Revival" in Amerika und Europa: Es sei, wurzellos geworden, "keine Fortführung der Klezmer-Tradition", sondern vor allem ein kommerzielles Phänomen der Unterhaltungsbranche. Von seiner eigenen Geschichte entblößt, könne Klezmer zum weit offenen Gefäß für jeden beliebigen Musikeinfluss und jede Ideologie werden. Speziell in Deutschland werde Klezmer als Überbau benutzt, als Versöhnungskonstrukt, hinter dem die tatsächliche Aufarbeitung der Vergangenheit verschwinden dürfe.

Klezmer werde so zum Werbemittel für zwischenmenschliche Beziehungen "und die parallel dazu einhergehende Entjudaisierung beziehungsweise Germanisierung der jiddischen Musik und Kultur", befürchtet Rita Otten, schärfer als im Buch, in ihrem Beitrag zum Mai/Juni-Heft 1998 der Neuen Zeitschrift für Musik. "In dieser vom Klang der Klarinette geschaffenen ,Versöhnungslandschaft' vollzieht sich dann die Aufhebung der Grenzen zwischen Juden und Nichtjuden und, in letzter Konsequenz, die Verflüchtigung der Shoa", stellt Otten mit Seitenblick auf Feidman fest. Auch das historisch und musikwissenschaftlich außerordentlich kenntnisreiche Buch, das eine Lücke im weiten Feld der Klezmer-Musik schließen hilft, endet mit einem großen, skeptischen Fragezeichen: Hat Klezmer, weltanschaulich vereinnahmt und ohne seinen geistigen Nährboden, überhaupt eine Zukunft?

ELLEN KOHLHAAS Alexandra Vosding (Fotos) / Wolfgang Weigel (Text): "Giora Feidman - The Magic of Music". Verlag Umschau/Braus, Heidelberg 1999. 92 S., Abb., geb., 49,90 DM.

Rita Ottens, Joel Rubin: "Klezmer-Musik". Bärenreiter-Verlag/dtv, Kassel/München 1999. 335 S., Abb. und Notenbeispiele, br., 19,90 DM.

"Oytsres - Treasures - Schätze". Klezmer-Musik 1908-1996. CD, Wergo/Schott, SM 1621 2, 29,99 DM.

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