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Als langjähriger Großwesir und Außenminister stand Ali Pascha wie kein Zweiter für das Schicksal des Osmanischen Reiches im 19. Jahrhundert. Er hatte das Reich des Sultans vor den Interventionen der europäischen Großmächte geschützt, Russlands Griff nach den Meerengen verhindert und gleichzeitig das Land in die Moderne geführt. Mit seiner Hilfe wurde das Osmanische Reich nach dem Sieg im Krimkrieg 1856 in die europäische Staatengemeinschaft aufgenommen. Den Fortbestand des Reiches sicherte er im Vertrag von Paris - in einer Zeit, in der der Nationalismus das Vielvölkerreich bedrohte. Sein Tod…mehr

Produktbeschreibung
Als langjähriger Großwesir und Außenminister stand Ali Pascha wie kein Zweiter für das Schicksal des Osmanischen Reiches im 19. Jahrhundert. Er hatte das Reich des Sultans vor den Interventionen der europäischen Großmächte geschützt, Russlands Griff nach den Meerengen verhindert und gleichzeitig das Land in die Moderne geführt. Mit seiner Hilfe wurde das Osmanische Reich nach dem Sieg im Krimkrieg 1856 in die europäische Staatengemeinschaft aufgenommen. Den Fortbestand des Reiches sicherte er im Vertrag von Paris - in einer Zeit, in der der Nationalismus das Vielvölkerreich bedrohte. Sein Tod 1871 stürzte das Osmanische Reich schließlich in ein Jahrzehnt der Aufstände und Kriege. Rasim Marz zeichnet das Leben Ali Paschas nach, der von Bismarck, Napoleon III. und anderen Zeitgenossen als Staatsmann Europas gewürdigt wurde.
Autorenporträt
Rasim Marz, geb. 1991, ist Historiker. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte des Osmanischen Reiches, die europäische Diplomatie des 19. Jahrhunderts und die Subversion des Nahen Ostens im 20. Jahrhundert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2016

Der Bismarck der Osmanen
Ein Reformer, der den Nationalstaat als drohende Gefahr sah: Der türkische Historiker Rasim Marz erinnert an den osmanischen Politiker Ali Pascha

In seinem Roman "Wesire und Konsuln" schildert der bosnische Schriftsteller Ivo Andric, wie seit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts die westlichen Mächte begannen, das schwächelnde Osmanische Reich diplomatisch zu "durchdringen" und politisch wie ökonomisch in den Griff zu bekommen. Das katastrophale Ende ist bekannt: Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg zerbrach das Imperium der Sultane, das sechshundert Jahre bestanden hatte; der "kranke Mann am Bosporus" - so die berüchtigte Formulierung von Zar Nikolaus I. - war gestorben und konnte auch nicht wiederbelebt werden.

Nach Gründung der säkularen Republik unter Mustafa Kemal Atatürk im Jahr 1923 wurden die Osmanen lange Zeit systematisch diskreditiert. Geradezu teleologisch zeichnete die kemalistische Geschichtsschreibung eine Linie historischer Notwendigkeit, die aus der Agonie des Reiches nach gleichsam ehernen Geschichtsgesetzen zum türkischen Nationalismus und zu Atatürk als dem Retter der Nation - was er zweifelsohne war - führte.

Inzwischen sehen manche das differenzierter. Historiker wie Halil Inalcik, M. Sükrü Hanioglu oder Ilber Ortayli rücken heute das Imperium der Osmanen wieder in ein günstigeres Licht. Besonders Ortaylis populär gewordenes Buch "Imparatorlugun en uzun yüzyil" (Das längste Jahrhundert des Reiches) zeichnet ein vielgestaltiges Bild der osmanischen Spätzeit.

Rasim Marz, ein junger türkischer Gelehrter und dezidierter "Fan" der Osmanen, erinnert nun in seinem Werk "Ali Pascha - Europas vergessener Staatsmann" an einen türkischen Diplomaten und Politiker, der zu Lebzeiten den Respekt und die Hochachtung Metternichs, Disraelis, Palmerstons, Bismarcks, Napoleons III. und der meisten anderen europäischen Politiker, mit denen er auf gleicher Höhe verkehrte, genoss. Bei uns kennt ihn leider niemand. Manche nennen ihn den "Bismarck der Osmanen".

Mehmed Emin Ali Pascha (1815 bis 1871) war der Sohn kleiner Leute - dies, aber auch nur dies hat ein gewisser Recep Tayyip Erdogan, der sich so sehr nach osmanischer Größe sehnt, mit ihm gemein. Sein Vater war Pförtner beim Ägyptischen Basar in Istanbul, der noch heute ein lebendiger Anziehungspunkt der Stadt ist. In der osmanischen Meritokratie konnte Ali rasch aufsteigen. Seine guten Kenntnisse im Französischen führten ihn in das großherrliche Übersetzerbüro (Tercüme odasi) an der Hohen Pforte, aus dem heraus viele führende Leute des Reiches Karriere machen konnten, vorwiegend als Diplomaten.

Im Schatten seines Gönners Reschid Pascha, der als eigentlicher Architekt des ersten großen Reformerlasses, des Hatt-i scherif von Gülhane von 1839, gelten kann, wurde er Botschafter in London, später Außenminister. 1852 wurde er vorübergehend der jüngste Großwesir des Reiches, im Alter von siebenunddreißig Jahren. Reschid und Ali Pascha wechselten einander in ihren hohen Ämtern ab und hatten mit der reaktionären Sultanspartei am Hof ihre liebe Not; ebenso mit rückwärtsgewandten Ulema, Theologiestudenten, und dem einflussreichen Derwischorden der Nakschbendi.

Ali Pascha, hochgebildet und belesen in westlicher politischer Literatur, wollte das Reich umfassend modernisieren: Er prägte zusammen mit Mustafa Reschid die gesamte Ära der Tanzimât, jener von Sultan Mahmud II. eingeleiteten, von seinem Nachfolger Abdülmedschid fortgesetzten großen Reformen, die das noch immer riesige Reich an Haupt und Gliedern modernisieren sollten.

Dabei war Ali Pascha durchaus ein Legitimist, der an der Herrschaft des Sultans nicht rütteln wollte. Dies unterschied ihn von den Jungen Osmanen um Namik Kemal, Ziya Pascha und Ibrahim Schinasi, welche die Konstruktion des Sultanreiches zunehmend als Despotie (istibdad) wahrnahmen und in dieser Frage eher revolutionär gesinnt waren - nach dem Vorbild der italienischen Carbonari.

Ali Paschas größte Stunde schlug 1855/56. Nach dem für die Türkei dank des Beistandes Großbritanniens und Frankreichs siegreich verlaufenen Krim-Krieg gegen Russland leitete er die osmanische Delegation bei der Wiener Friedenskonferenz und dem Friedenskongress von Paris, bei denen die Geschicke des Reiches neu geordnet wurden. Vor allem gelang es, den unheilvollen Einfluss Russlands in den Donaufürstentümern wie auf dem Balkan ein Stück weit zu neutralisieren, durch Sicherheitsgarantien der europäischen Mächte, insbesondere Englands. Ali Pascha verhandelte, begünstigt durch sein konziliantes, doch entschiedenes Wesen "auf Augenhöhe" mit den versammelten Diplomaten. Es gelang ihm, die osmanische Türkei als gleichwertigen und gleichgewichtigen Partner im diplomatischen Konzert der europäischen Mächte zu verankern.

Nach dem Vorbild Mustafa Reschids wurde Ali Pascha im gleichen Jahr auch Verfasser des Hatt-i hümayun, des zweiten der Reformerlasse der Tanzimât-Zeit, in welchem insbesondere die gleichen Rechte der nichtmuslimischen Millets (religiös definierten "Nationen" im Reich des Sultans) nochmals bekräftigt wurden. Dies war ein kardinaler Punkt, denn die "natürliche Schutzfunktion" der westlichen, christlichen Mächte wie auch Russlands für die Christen aller Bekenntnisse im Osmanischen Reich diente diesen allzu oft als Vorwand für das Eingreifen in die inneren Angelegenheiten des Reiches.

Der Großwesir und der Sultan verstanden ihren Erlass dahingehend, dass die osmanische Türkei diskriminierende Restbestände in Bezug auf Juden und Christen endlich zu beseitigen hatte, denn viele Generationen lang hatten die Minderheiten unter dem Islam besser gelebt als anderswo. Der Autor fasst Ali Paschas Konzept wie folgt zusammen: "Die Idee des Nationalstaates, die erst die Probleme der Minderheitenfrage aufwarf, sah Ali als tödlich für den osmanischen Staat an." Ein säkularer Rechtsstaat unter dem Dach sultanischer Legitimität sollte die Antwort auf den revolutionären Zeitgeist sein.

Nach dem allzu frühen Tod Ali Paschas 1871 stürzte das Reich in Turbulenzen, die möglicherweise unterblieben wären, wenn er seine Politik der Balance und Stabilität im Inneren wie Äußeren hätte fortsetzen können. Einige seiner Gegner aus den Reihen der Jungen Osmanen, so auch der bedeutende Dichter und Journalist Namik Kemal, gestanden dies freimütig ein und milderten nachträglich ihre Kritik an seiner legitimistischen Politik. Die unglücklichen Sultane Abdülaziz und Murat V. (er saß nur drei Monate auf dem Thron) wurden von Abdülhamid II. im Jahre 1876 abgelöst, an dessen Herrschaftsbeginn die große Katastrophe des russisch-türkischen Krieges stand.

Die verheerende Niederlage bedeutete den Anfang vom Ende der Osmanen, gegen das sich der Autokrat Abdülhamid und die Jungtürken vergebens mit brutalen Mitteln auflehnten. Auch wer die Begeisterung des Autors für die osmanische Legitimität nicht teilt, wird doch in diesem Buch genügend Stoff zum Nachdenken finden: über das Schicksal großer Reiche, über den Nationalismus, über Minderheiten und große Persönlichkeiten.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

Rasim Marz: "Ali Pascha - Europas vergessener Staatsmann".

Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur, Berlin 2016. 260 S., Abb., geb., 34,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Wolfgang Günter Lerch ist dankbar, dass der türkische Historiker Rasim Marz mit diesem Buch an den vergessenen Diplomaten und Politiker Ali Pascha erinnert, der von Metternich, Bismarck oder Napoleon III. gleichermaßen geschätzt wurde und als "Bismarck der Osmanen" galt. Der Kritiker liest hier nicht nur den Werdegang des türkischen Politikers nach, der in der osmanischen Meritokratie aus einfachen Verhältnissen bis zum jüngsten Großwesir des Reiches aufstieg, sondern erfährt auch, wie Pascha mit Mustafa Reschid versuchte, das Reich während der Tanzimat-Ära zu modernisieren, indem er etwa die Rechte der nichtmuslimischen Millets durch einen Reformerlass stärkte. Darüber hinaus lernt der Rezensent Pascha hier als verhandlungssicheren Diplomaten kennen, der die Gleichberechtigung der osmanischen Türkei neben den europäischen Partner bekräftigte und den Einfluss Russlands neutralisierte. Man muss Marz' Begeisterung für osmanische Legitimität nicht teilen, um diesem Buch kluge Gedanken über Nationalismus, Minderheiten, große Persönlichkeiten und das Schicksal großer Reiche entnehmen zu können, versichert der Kritiker.

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