Marktplatzangebote
17 Angebote ab € 13,30 €
  • Gebundenes Buch

In seinem neuen Buch über die Alpen zeigt Schmidt auf, wie sehr das Gebirgsmassiv im Zentrum Europas die Menschenund ihr Denken geprägt und ein Bild der Schweiz mitgeschaffen haben, das mit seinen föderalistischen Strukturen,der Bedeutung seiner Talschaften und den Einflüssen von Klima und Natur noch heute vieles verständlich macht, wasauf den ersten Blick als sperrig und unzeitgemäss erscheinen mag.Schmidt entwirft in seinem Alpen-Buch ein grossartiges Kapitel der europäischen Geistesgeschichte und spannt dabei den Bogen von der Mythologie, der frühen Alpen-Entdeckung, über den beginnenden…mehr

Produktbeschreibung
In seinem neuen Buch über die Alpen zeigt Schmidt auf, wie sehr das Gebirgsmassiv im Zentrum Europas die Menschenund ihr Denken geprägt und ein Bild der Schweiz mitgeschaffen haben, das mit seinen föderalistischen Strukturen,der Bedeutung seiner Talschaften und den Einflüssen von Klima und Natur noch heute vieles verständlich macht, wasauf den ersten Blick als sperrig und unzeitgemäss erscheinen mag.Schmidt entwirft in seinem Alpen-Buch ein grossartiges Kapitel der europäischen Geistesgeschichte und spannt dabei den Bogen von der Mythologie, der frühen Alpen-Entdeckung, über den beginnenden Tourismus bis zur systematischen Erschliessung, Möblierung und Oekonomisierung unserer Bergwelt. Er kommt dabei unweigerlich wieder zurück auf die Alpen als Kern des schweizerischen Selbstverständnisses und zeigt an zahlreichen Beispielen, wie sich ein innenpolitischer Gegenstand in wenigen Jahren zu einem ausgesprochen europäischen Thema entwickelt hat.
Autorenporträt
Aurel Schmidt, geboren und aufgewachsen in Basel, langjähriger Kulturredaktor der Basler Zeitung, heute freier Schriftsteller und regelmässiger Mitarbeiter der ältesten und erfolgreichsten Schweizer Internet-Zeitung OnlineReports.ch. Als solcher ständig allen Trends auf der Spur, aber dennoch mit einem feinen Gespür für die Fallstricke unserer Medien gesellschaft unermüdlich recherchierend, abwägend - und hinterfragend.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2011

Oben sieht die Welt intakt aus

Dem Leser kann bei dieser Gipfelwanderung schwindlig werden: Mit seinem Buch über die Alpen hat Aurel Schmidt eine Schweizer Mentalitäts- und europäische Geistesgeschichte geschrieben.

Das erste Unspunnenfest fand 1805 in Interlaken statt. Inszeniert wurde es auf Initiative der Stadt Bern zu ihrer Versöhnung mit dem aufmüpfigen Oberland, das unter Napoleon während kurzer Zeit einen eigenen Kanton gebildet hatte. Das Landvolk sollte sich in den alten Wettspielen üben und das praktisch ausgestorbene Alphornblasen wieder praktizieren. Eine Volkskultur im Geiste Rousseaus konnten sich auch reaktionäre Regime sehr wohl zunutze machen. Die patriotischen Feste belebten zudem den Tourismus, der während der kurzen "Franzosenzeit" arg gelitten hatte. Die gebildeten Stände aus halb Europa reisten zum Unspunnenfest in die Schweiz.

Aurel Schmidt sieht die Veranstaltung auf dem "kleinen Rütli" an einem Wendepunkt der Schweizer Geschichte. Für die Zeit bis 1800 spricht er vom klassischen Zeitalter der Alpen als "Museum der Freiheit". Das Ancien Régime wurde von Napoleon gestürzt, ein halbes Jahrhundert später wird 1848 die moderne demokratische Schweiz entstehen. Mit dem Unspunnenfest versuchten die Berner Patrizier, ihre verlorene Macht zu restaurieren: "Dem Wohlstand und Glück des Cantons Bern und aller seiner Bewohner, unter der Leitung einer weisen vaterländischen Regierung" war es geweiht. So liest man in einem zeitgenössischen Dokument.

Doch das Berner Landvolk ließ sich nicht mehr so leicht manipulieren: Es empfand die Feste zur nationalen Erneuerung als Entfremdung seiner Kultur. Das Unspunnenfest wurde eingestellt, die Idee indes von den europäischen Fürsten aufgenommen: Das Münchner Oktoberfest geht auf das eidgenössische Beispiel zurück. Erst seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts - als im Zuge der nationalen Einigungsprozesse in Europa der 1. August als Nationalfeiertag eingeführt wurde - werden in der Schweiz wieder Schwingund Hirtenfeste mit Umzügen, Jodeldarbietungen, Alphornkonzerten, Festspielen durchgeführt. Das zweite Unspunnenfest fand 1808, das dritte 1905 statt - und wird seither regelmäßig gefeiert.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends sind diese traditionellen Spiele wie Steinstoßen, Schwingen, Schießen, Hornussen in der Schweiz extrem populär - auch bei der Stadtbevölkerung. Diese Beliebtheit mag eine Antwort auf die Globalisierung sein und Ausdruck der Abschottung von Europa. Deutlicher als jede politische Abhandlung macht Aurel Schmidts Darstellung der Alpen nachvollziehbar, wie es möglich war, im Zweiten Weltkrieg die Eidgenossen mit der Idee des "Réduits" gegen die Bedrohung von außen zu mobilisieren: Im Falle eines deutschen Angriffs wäre das bewohnte Mittelland mit den Städten aufgegeben worden und nur der Alpenraum mit seinen Gipfeln und Geröllhalden verteidigt worden.

Unter den Bergen gibt es ein verzweigtes Netz von Bunkern, die langsam - und unter Aufwendung großer finanzieller Mittel - abgewickelt werden müssen. Die Réduit-Ideologie, der von den rechtskonservativen, europafeindlichen Kreisen weiterhin gehuldigt wird, konnte funktionieren, weil die Alpen, wie Aurel Schmidt schreibt, ein "Vermächtnis" sind.

Und ein Mythos: Käse und Kühe gehören dazu wie Sennen und die Soldaten, die das Land verteidigen. Sowie ein reiche Kultur und Literatur. Die Beschreibung der Alpen durch Albrecht von Haller und Rousseau haben sie in der Welt bekannt gemacht. Genauso souverän präsentiert der Autor die Welt der Sagen. Er zitiert die frühesten Beschreibungen bei Titus Livius. Und muss feststellen, dass man nicht genau weiß, welchen Weg Hannibal mit seinen Elefanten genommen hatte. Schmidt schildert die deutsche Begeisterung für die Schweiz und begleitet Hegel ins Haslital: "Der Eindruck, den er von den Alpen festhielt, fiel vernichtend aus." Der Philosoph des "Weltgeists" kann die Schwärmerei all der enthusiastischen Schweiz-Reisenden vor ihm nicht teilen. Nicht einmal die Tellskapelle am Vierwaldstätter See entlockt ihm ein Wort des Entzückens. "Niedrige Hügel, traurige Berge und fast nie eine weite Aussicht" - Aurel Schmidt deutet Hegels Ernüchterung als "frühen Abschied von den Aufregungen der Alpen".

In den weiteren Kapiteln geht es um die Gletscher und ihre Erforscher: Hugi und Agassiz, der ein Sklavenhalter war. Schmidt beschreibt den Zirkus auf der Rigi und das Aufkommen des Wintersports wie der Luxushotellerie - das alles sehr informativ und bestens dokumentiert. Das neunzehnte Jahrhundert ist von der Erschließung durch Straßen und Schienen geprägt. Mit dem Begriff der Lawine bringt man heute zunächst den Verkehr in Verbindung. Die Alpen als Wasserschloss werden genauso beschrieben wie als Motiv in der Kunst. Die späten Kapitel stehen für eine fortschreitende Verlagerung von der Kultur zum Kommerz. Ein "Umdenken statt mehr Wachstum" fordert der Autor zum Schluss und formuliert zehn Thesen über die Zukunft der Alpen.

Aurel Schmidt war Redakteur bei den angesehenen Samstagsbeilagen von "National Zeitung" und "Basler Zeitung". Er befasste sich mit französischer Philosophie und Ethnologie. Schmidt ist Verfasser zahlreicher Bücher, in die seine Reiseerfahrungen eingeflossen sind. "Der Fremde bin ich selber" lautet einer seiner emblematischen Titel. In den vergangenen Jahren veröffentlichte er Essays über das "Gehen" und "Lederstrumpf in der Schweiz" - eine Studie über die Demokratie auf beiden Seiten des Atlantiks. Sein Werk "Die Alpen", auf die er seinen ethnologisch geschärften Blick wirft, ist eine glückliche Synthese seiner Interessen. In ihnen spiegelt sich auch sein skeptisches Weltbild.

Aurel Schmidt eröffnet sein gewaltiges Panorama mit der Besteigung des Montblanc durch den Genfer Natur- und Alpenforscher Horace-Bénédict de Saussure im Jahre 1787 und lässt ihn berauscht zu Worte kommen: "Das große Schauspiel vor meinen Augen". Doch umgehend verweigert sich der Autor dieser Faszination und stellt sie in Frage. Die Ernüchterung ist nicht nur jene des Zeitgenossen, der ansehen muss, wie am Montblanc im Zeichen des Klimawandels der ewige Schnee schmilzt: "Endlich auf dem Gipfel. Endlich oben. Der Weitblick, die Aussicht, die Befreiung von allem Niederen. Das Innehalten beim Anblick der Gipfel. Aber die schöne Offenheit ist eine Täuschung, zu leicht stellt sich der panoramische Blick als Täuschung heraus, zu einfach ist es, die Wirklichkeit aus der Distanz zu übersehen. Oben sieht die Welt intakt aus, verfehlte Eingriffe, störende Beeinträchtigungen fallen nicht auf. Erst aus der Nähe wird die Wirklichkeit sichtbar, ob intakt oder zerstört."

Wie die guten Wilden sind die Alpen eine Projektion: "Während Jahrhunderten waren sie kaum zugänglich. Um so schneller verbreitete sich dafür die Kunde von ihrer Großartigkeit und Erhabenheit", die Schmidt in allen ihren Facetten und Widersprüchen darstellt. Beim Lesen wird einem stellenweise schwindlig wie bei einer Gratwanderung über 4000-Meter-Gipfel. Als "Vermächtnis" sind sie für den Autor heute vor allem bei den Geschäftemachern und Heimatideologen präsent. Eine "Sinnstiftung" wie während der vergangenen Jahrhunderte mag Schmidt nicht mehr erkennen: "Warum sollen Menschen auf steilen Alpenwiesen das Gras mähen und ein bescheidenes Leben führen?" Als Landschaftsgärtner werden sie subventioniert. Doch die Hirten verkörpern keine Utopie mehr, sie sind nur noch Folklore im alpinen Disneyland.

Traurige Alpen? Aurel Schmidt lässt sie aufleben und auferstehen in seiner Darstellung und Bestandsaufnahme, die angesichts ihrer Fülle einen Index verdient hätte. Das Bildmaterial ist fulminant. Die Angabe einer falschen Jahreszahl in der Legende zum Unspunnenfest wird den Weg dieses Buchs zum Standardwerk nicht aufhalten. Es ist eine schweizerische Mentalitäts- und europäische Geistesgeschichte. Sie verbreitet den Eindruck, dass für beide das Kapitel Alpen zu Ende geht, und dementiert ihn nachhaltig: auch durch ihre eigene Qualität.

JÜRG ALTWEGG.

Aurel Schmidt: "Die Alpen". Eine Mentalitätsgeschichte.

Huber Verlag, Frauenfeld 2011. 384 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Alpen und kein Ende, erkennt Rezensent Jürg Altwegg in diesem, wie er findet, wunderbar bebilderten und von Aurel Schmidt mit ethnologisch geschärftem Blick verfassten Band über die Alpen als Mentalitäts- und europäische Geistesgeschichte. Logisch, der Bergbauer erhält seine Subventionen und die Berge sind voller Lawinen - Autolawinen. Bei aller Ernüchterung entdeckt Altwegg in Schmidts Darstellung noch immer genügend Faszinierendes. Ob über die Alpen in der Kunst, die Erschließung der Bergwelt für Wintersport und Massentourismus, oder Beschreibungen bei Titus Livius und Hegel, der vorm Berg stehend so gar nicht entzückt war - stets scheint es dem Rezensenten, als gelinge es dem Autor souverän, seine Interessengebiete (Philosophie, Ethnologie, Politik) und seinen Skeptizismus mit dem Thema zu verbinden und für den Leser fruchtbar zu machen. Für Altwegg ein neues Standardwerk.

© Perlentaucher Medien GmbH