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Wie sollte man sich Balzac anders vorstellen denn als unersättlichen Schlemmer, lebenshungrig, gierig nach Geld, nach Frauen, nach Ruhm? Anka Muhlstein lässt in ihrer grandiosen Lebensbeschreibung Balzacs das Paris des 19. Jahrhunderts in all seiner sinnlichen Pracht wiederauferstehen. Honoré de Balzac war Asket und Gourmet, Hungerleider und Vielfraß in einer Person. Vor allem aber war der Autor der Menschlichen Komödie genial maßlos im Darben wie im Luxus: Phasen mönchischer Arbeitsdisziplin mit frugalstem Speiseplan wechselten bei Balzac mit regelrechten Freßzügen durch die Feinkostläden,…mehr

Produktbeschreibung
Wie sollte man sich Balzac anders vorstellen denn als unersättlichen Schlemmer, lebenshungrig, gierig nach Geld, nach Frauen, nach Ruhm?
Anka Muhlstein lässt in ihrer grandiosen Lebensbeschreibung Balzacs das Paris des 19. Jahrhunderts in all seiner sinnlichen Pracht wiederauferstehen.
Honoré de Balzac war Asket und Gourmet, Hungerleider und Vielfraß in einer Person. Vor allem aber war der Autor der Menschlichen Komödie genial maßlos im Darben wie im Luxus: Phasen mönchischer Arbeitsdisziplin mit frugalstem Speiseplan wechselten bei Balzac mit regelrechten Freßzügen durch die Feinkostläden, Märkte und Bäckereien von Paris. Balzacs Leben fällt in eins mit dem Siegeszug der für die Zeitgenossen erstaunlichsten Hervorbringung der französischen Revolution: des Restaurants. Für den Romancier wie für den Menschen Balzac war das Restaurant eine Bühne, der ideale Ort zur Inszenierung seiner Sittengemälde und seiner Lust am Exzess. Balzacs Speiseplan ist ein Gesellschaftsroman eigener Art, sein obsessiver Konsum von Birnen, Kaffee oder Weintrauben verrät viel über seine Form der Weltaneignung.
Die französische Autorin Anka Muhlstein folgt Balzac durch dick und dünn und gewinnt dabei verblüffend neue und sehr unterhaltsame Einsichten ins Leben und ins Werk des großen Getriebenen der französischen Literatur. Warum brachte Balzac zeit seines Lebens Nüsse mit Armut in Verbindung? Weshalb bedeutete ihm ein Makkaroniauflauf mit süßen Beigaben das Paradies? Und wieso vergleicht Balzac reizvolle Frauen stets mit Früchten? Die 88 Bände von Balzacs "Menschlicher Komödie" sind, so der erstaunliche Befund Anka Muhlsteins, "eine Sittenstudie anhand der Küche, ein regelrechter Guide Michelin des 19. Jahrhunderts."
Autorenporträt
Anka Muhlstein, geb. 1935 in Paris, Historikerin und Autorin, lebt zusammen mit ihrem Mann, dem Romancier und Anwalt Louis Begley, seit 1974 in New York. 1996 wurde sie mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.

Grete Osterwald wurde 1947 in Bielefeld geboren und lebt als freie Übersetzerin aus dem Englischen und dem Französischen in Frankfurt am Main. Sie erhielt u. a. 2001 den Übersetzerpreis des Verlages C.H.Beck und 2007 den Wilhelm-Merton-Preis für ihr umfangreiches Gesamtwerk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2011

Auf der Hut vor bösen Tischgenossinnen

Wie man im Paris des frühen neunzehnten Jahrhunderts lebte, liebte und aß: Anka Muhlsteins "delikate Biographie" über die Kulinarik bei Honoré de Balzac.

Wer dem Schriftsteller Balzac sich über den Magen nähert, muss eine gute Verdauung haben, würde man denken. Dieses Buch zeigt es anders. Die getrüffelten Geflügelpasteten, der nur in Paris so gut zubereitete Rheinkarpfen, gewisse helle Saucen, tiefrote Weine, die Tortenpyramiden, die dem Vetter Pons im gleichnamigen Roman und anderen Helden der "Comédie Humaine" Entzückensseufzer entlocken, seien mehr eine Augen- als eine Gaumenfreude, schreibt Anka Muhlstein. Vom üppigen Boeuf en Gelée der Köchin Françoise bei Proust, von der wollüstig abgeschäumten Marmelade des Schwesternkreises um Kitty in "Anna Karenina" sei bei Balzac keine Spur.

Ihn habe nicht der Geschmack der Dinge interessiert, sondern das Essen als Sittengemälde, stellt die Autorin fest. Dabei sei der Romancier selbst Asket wie Schlemmer gewesen, gibt sie zu. Wenn er schrieb, reichten ihm Wasser, etwas Obst, ein weiches Ei, mit Butter verrührte Sardinen, ein Stück Lammkeule und schwarzer Kaffee. Kaum war das Manuskript abgegeben, wurden aber Austern, Seezungen, gebratene Rebhühner, Lammkoteletts vom Pré-salé, Weinflaschen und Doyenné-Birnen nicht mehr gezählt. Balzac speiste nie gleichzeitig mit seinen Romanfiguren, erklärt Anka Muhlstein anmutig: entweder aß er oder aßen sie.

Die mit ihrem Mann Louis Begley in New York lebende Pariserin beschreibt mit ihrer "delikaten Biographie" hinter Balzac zugleich das Paris des frühen neunzehnten Jahrhunderts und die Art, wie die Romanfiguren sich darin bewegen. Der Schriftsteller war ein Draufgänger in allen Dingen, maßlos im Schreiben wie im Hungern und im Prassen. Wenn er in seinen Romanen so gern Essszenen beschrieb, dann vielleicht auch deshalb, weil das Internatskind von den Eltern nicht verwöhnt wurde und angesichts seines fast immer leeren Esskorbs wie der kleine Felix Vandenesse in "Die Lilie im Tal" von den Schulkameraden so oft hören musste: "Hast du denn gar nichts drin?". Zum Glück enthält sich die Autorin meistens solcher Erklärungsversuche. Sie beschreibt einfach feinsinnig, was sie von Balzacs Lebenszeit weiß und in den Romanen liest.

Ihre Anregung darf man aufgreifen: Die "Comédie humaine" lässt sich wie ein Guide Michelin des damaligen Paris lesen. Über vierzig Lokale kommen in Balzacs Romanzyklus vor. Mehr noch: Die große Epoche des französischen Romans habe überhaupt erst mit der Geburt des Restaurants begonnen, behauptet die Autorin. Das heißt nach der Revolution, als die Köche aus den Adelshäusern in der Stadt Garküchen einzurichten begannen. Dem Salon mit den passend ausgesuchten Gästen trat konkurrierend das Restaurant als ein Ort der Durchmischung und damit der ausgefallenen Geschichten zur Seite. Man konnte dort aber auch einsam seinem Kummer nachhängen, wie der junge Lucien de Rubempré aus "Verlorene Illusionen" das nach dem Bruch mit Madame de Bargeton zu Ostender Austern, Fisch, Rebhuhn, Makkaroni und Früchten im "Véry" tut, einem unterm Directoire von zwei Lothringern gegründeten Edellokal.

Ob auswärts oder am Familientisch, lag Balzac aber stets daran, das ganze Spektrum vom Luxus bis zum Elend darzustellen. In "Tante Lisbeth" drückt die ruinierte Baronin Hulot statt eines Diners einen kläglichen Hering herunter. Und natürlich war dem Autor klar, dass die Liebe durch den Magen geht, vor allem bei den Männern. Frauen würden, so schrieb er in "Die kleinen Nöte des Ehelebens", von ihren Miedern eingeengt, vor den scharfen Blicken und bösen Zungen ihrer Tischgenossinnen auf der Hut, eher das anmutige Essen in kleinen Häppchen mit erlesenen Weinen bevorzugen, das heißt Krebse schlürfen, überbackene Wachteln knabbern, einen Auerhahnflügel abdrehen. Die Männer hingegen geben bei Balzac sich gern dem Schlemmertum hin, besonders, wenn die Freuden im Ehebett abnehmen. Da kann, wie in der "Physiologie der Ehe" beschrieben, auch schon mal ein Gatte sich die vorgetäuschte Ahnungslosigkeit gegenüber dem Liebhaber seiner Frau durch mitgebrachte Trüffelpastete bezahlen lassen.

Die zahlreichen Zitate dieses Buchs sind nach der Art feiner Rezepte vermischt, die vereinzelten Thesen mit reizvollen Anekdoten sämig geschlagen, das solide Sachwissen über Autor, Werk und Epoche in fünf ausgewogene Kapitel tranchiert. Und die Erotik scheint als Vorfreude oder als Mangel nie weit weg. "Delikat" ist diese Biographie in der Tat, denn sie zerlegt das Klischee von der Unersättlichkeit Balzacs in all seine Nuancen und vermeidet es, mit massiver Sinnlichkeit aufzutrumpfen. Fast könnte man den zuweilen knurrenden Magen bei der Lektüre vergessen, was auch an der üppigen, aber nie überladenen Sprache der Übersetzerin liegt.

JOSEPH HANIMANN.

Anka Muhlstein: "Die Austern des Monsieur Balzac". Aus dem Französischen von Grete Osterwald. Arche Literatur Verlag, Zürich und Hamburg, 2011. 189 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Anka Muhlsteins "delikate" Balzac-Biografie setzt dem Leser so manche Pariser Gaumenfreude vor, notiert Rezensent Joseph Hanimann mit knurrendem Magen. Balzac selbst habe nach der Beendigung eines Skripts stets fürstlich zu tafeln gewusst, erfahren wir, wenngleich er sich während der Arbeit eher in Askese übte und die Exzesse seinen Romanfiguren überließ. Genüsslich teilt Hanimann mit, was neben den titelgebenden Austern bei Monsieur Balzac, vor allem aber im Paris seiner Zeit sonst noch auf den Tisch kam. Denn Muhlsteins Eingebung, die "Comedie humaine" als Restaurantführer zu lesen, findet der Rezensent durchaus plausibel; ebenso ihre These, dass erst mit der nachrevolutionären Gar- auch die Gerüchteküche so richtig zu brodeln begann und letztlich dem französischen Roman eine Blütezeit bescherte. Vollmundig lobt Hanimann Muhlsteins Zubereitung des Stoffs: "In fünf ausgewogene Kapitel tranchiert" sei dieser, sparsam beigegebene Thesen würden "mit reizvollen Anekdoten sämig geschlagen".

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