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Produktdetails
  • Verlag: Czernin
  • Seitenzahl: 223
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 270g
  • ISBN-13: 9783707601466
  • ISBN-10: 3707601463
  • Artikelnr.: 10920326
Autorenporträt
Barbara Coudenhove-Kalergi, geboren 1932 in Prag, wurde 1945 als Prager Deutsche vertrieben und lebt seither in Österreich. Nach Stationen u.a. bei der Presse, der Arbeiter-Zeitung und bei "profil" kam sie Mitte der 1970er Jahre zum ORF. Bis heute ist sie ständige Kolumnistin der Tageszeitung "Der Standard" und unterrichtet Asylbewerber. 2013 wurde Barbara Coudenhove-Kalergi mit dem "Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln" ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2003

Wechselbad-Lektüre
Neuerscheinungen über die Benes-Dekrete von 1945

Beppo Beyerl: Die Benes-Dekrete. Zwischen tschechischer Identität und deutscher Begehrlichkeit. Promedia Verlag, Berlin 2002. 134 Seiten, 9,90 [Euro].

Barbara Coudenhove-Kalergi /Oliver Rathkolb: Die Benes-Dekrete. Czernin Verlag, Wien 2002. 223 Seiten, 19,- [Euro].

Das Büchlein von Beppo Beyerl beginnt ganz sympathisch, nämlich mit der durch die Grenzverschiebungen nationalistischer Politik seit 1918 schwer beeinträchtigten Lebensgeschichte zweier Familien an der böhmisch-österreichischen Grenze: Der Irrwahn nationalistischer Ideologie auf beiden Seiten - bei Tschechen und Deutschen - könnte nicht anschaulicher bewußtgemacht werden. So liest man ermutigt weiter, wird aber bald enttäuscht, da hier wiederum in salopper Weise die alten Geschichtsklitterungen serviert werden, die tschechischerseits seit Eduard Benes in Umlauf gesetzt worden sind.

Grundsätzlich falsch ist es beispielsweise, die Geschichte des sudetendeutsch-tschechischen Konflikts erst mit 1933 beginnen zu lassen und damit die Sudetendeutschen von Anfang an in die Nähe Hitlers zu rücken. Vielmehr lag das Grundübel der Republik in der Schaffung eines tschechoslowakischen "Nationalstaates", der kein echter Nationalstaat, sondern die schlechte Kopie des k.u.k. Vielvölkerstaates war, in den die Deutschen gegen ihren ausdrücklichen politischen Willen integriert wurden. Es geht auch nicht an, den zweifellos anwachsenden Nationalismus der Sudetendeutschen mit Recht zu kritisieren, ohne die chauvinistische "Reconquista-Ideologie" der tschechischen Medien ebenfalls zu zitieren, etwa das Benes nahestehende Massenblatt "Ceské Slovo", eine "cloaca maxima" des aggressiven, antideutschen Nationalismus.

Erst beide Seiten der Medaille ergeben ein realistisches Bild der fragwürdigen politischen Mentalität der ersten CSR und erklären das verhängnisvolle Auseinanderdriften beider Völker, die einst gemeinsam bessere Zeiten erlebt hatten. Nach Ausweis des Textes und der vom Verfasser benutzten Literatur hat er sich in wichtigen Punkten der einseitigen tschechischen Version der Ereignisse angeschlossen. Das ist um so mehr zu bedauern, als damit ein vernünftiger Dialog, wie ihn auf sudetendeutscher Seite die "Ackermanngemeinde" und die "Seliger Gemeinde" pflegen, eher vereitelt wird. Schwere Fehlleistungen der tschechoslowakischen Nationalitätenpolitik zwischen 1918 und 1938 werden entweder gar nicht erwähnt oder bagatellisiert, so etwa die gravierende Sistierung demokratischer Grundrechte durch das sogenannte Republikschutzgesetz von 1936, das Massenverhaftungen ohne richterliche Erlaubnis ermöglichte.

Der Autor trägt mit großer Sorgfalt alles zusammen, was gegen die Sudetendeutschen sprechen könnte. Selbst deren erfolgreiche Integration in der Bundesrepublik, eine erstaunliche Leistung der deutschen Nachkriegszeit, wird mit der dubiosen Bemerkung abqualifiziert, daß man damit "ihr sich schon abzeichnendes Absinken in die Kleinkriminalität stoppen" wollte. Sätze solcher Art senken den ohnehin begrenzten Wert dieser oberflächlichen Publikation. Eher akzeptabel sind Abschnitte wie "Wilde Vertreibungen" und "Reaktion auf tschechischer Seite" auf die Vertreibung der Sudetendeutschen. Insgesamt eine Art "Wechselbad-Lektüre".

Um die Vorgeschichte und Folgen der sogenannten "Benes-Dekrete" von 1945 geht es auch in dem Sammelband von Barbara Coudenhove-Kalergi und Oliver Rathkolb. Wirft man einen Blick auf zitierte Literatur, so ergibt sich als erster Eindruck so ziemlich das gleiche Bild wie bei der Publikation von Beyerl: Die Literatur von sudetendeutscher Seite - und damit sind keineswegs nur die Publikationen der Sudetendeutschen Landsmannschaft gemeint - bleibt weitgehend unberücksichtigt, auch wenn es sich um quellengesättigte wissenschaftliche Werke handelt. Das führt des öfteren zu extremen Verzerrungen der geschichtlichen Realität.

Historiographisch unverantwortlich ist es, ohne kritischen Kommentar einen Beitrag des Präsidenten Benes zu bringen, der in einer milden Suada so ziemlich alles verschleiert, was zum Thema Vertreibung der Sudetendeutschen wichtig und wissenswert wäre. Ganz anders hört sich nämlich Benes' hohnvolles Triumphieren im Briefwechsel mit Wenzel Jaksch, dem Führer des sudetendeutschen sozialdemokratischen Exils in London, an, als Benes von den Alliierten endlich die Zusage zur Abschiebung der Deutschen aus der Republik erhalten hatte. Hier redet er unverstellt zynisch und ohne demokratische Phrasen, die den vorliegenden Text so unerträglich machen.

Ähnliches gilt für die haßerfüllten Reden des Präsidenten nach 1945, der seltsamerweise zum neuen Idol der jetzigen Republik avanciert ist: ein schlechtes Zeichen. Es hätte auch gut zum Thema gepaßt, den engen Kausalzusammenhang zwischen der Vertreibung der Sudetendeutschen und dem erfolgreichen kommunistischen Staatsstreich vom Februar 1948 zu thematisieren, der Benes von der politischen Bühne fegte und der Tschechoslowakei fünfzig Jahre sowjetische Diktatur bescherte. Benes selbst hatte 1943 in Moskau sein Land vertraglich an Stalin ausgeliefert, um dessen Zusage zur Vertreibung zu erhalten, und die bewaffneten kommunistischen Kader, die im Februar 1948 nach Prag marschierten, um die Macht zu ergreifen, kamen zum Großteil aus den von Deutschen entleerten Grenzgebieten.

Es gibt auch durchaus lesenswerte Beiträge in diesem Bande, so etwa Volker Zimmermann über die "Sudetendeutschen in der ersten tschechoslowakischen Republik" und Leopold Grünwald über sudetendeutschen Widerstand gegen Hitler. Ansprechend sind die Aufsätze von Peter Mähner über "Ein Dorf in Südmähren", von István Deák über die Vertreibung der Ungarn aus der Slowakei sowie von Oliver Rathkolb über die "Vertreibung der Sudetendeutschen und ihre verspätete Rezeption in Österreich". Rathkolb beleuchtet eine ganz andere Seite der Folgen der Benes-Dekrete, die alles andere als ein Ruhmesblatt der österreichischen Nachkriegsgeschichte ist. Erfrischend für eine weitere Diskussion sind schließlich die Beiträge "Tschechisch-sudetendeutsche Stereotypen" von Bohumil Dolezal und die "Stimme der zweiten Generation", nämlich von Alena Misková und Peter Becher. Vielleicht rauft man sich doch noch "europäisch" zusammen.

FRIEDRICH PRINZ

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der von Barbara Coudenhove-Kalergi und Oliver Rathkolb herausgegebene Sammelband über die Vorgeschichte und Folgen der "Benes-Dekrete" von 1945 hat auf Rezensent Friedrich Prinz einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Ähnlich wie bei Beppo Beyerls Arbeit über die "Benes-Dekrete" sieht er auch hier Einseitigkeit zu Lasten der Sudetendeutschen am Werk. Die Literatur von sudetendeutscher Seite etwa bleibe "weitgehend unberücksichtigt", tadelt Prinz, was seines Erachtens dann auch des öfteren zu "extremen Verzerrungen der geschichtlichen Realität" führt. Für "historiographisch unverantwortlich" hält er es beispielsweise, ohne kritischen Kommentar einen Beitrag des Präsidenten Benes zu bringen, der, so Prinz, "in einer milden Suada so ziemlich alles verschleiert, was zum Thema Vertreibung der Sudetendeutschen wichtig und wissenswert wäre". Anders als bei Beyerl findet Prinz im vorliegenden Band aber auch durchaus Lesenswertes, etwa Volker Zimmermanns Beitrag über die "Sudetendeutschen in der ersten tschechoslowakischen Republik" und Leopold Grünwalds Aufsatz über sudetendeutschen Widerstand gegen Hitler. "Erfrischend für eine weitere Diskussion" sind seines Erachtens die Beiträge "Tschechisch-sudetendeutsche Stereotypen" von Bohumil Dolezal und die "Stimme der zweiten Generation", nämlich von Alena Misková und Peter Becher. "Vielleicht", so der Rezensent abschließend, "rauft man sich doch noch 'europäisch' zusammen".

© Perlentaucher Medien GmbH
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