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Lois ist Krankenpfleger, ein Beruf mit einem gewissen Anstand. Er weiß, wie es ist, in der Obhut von Menschen zu sein, die einem nur Gutes wollen: Er ist in einem Heim aufgewachsen, ohne Eltern, hinter den sieben Bergen, wo es nicht gerade zugeht wie im Märchen. Heimisch ist er freilich nicht geworden in der Welt, und auch in Wien fühlt er sich nicht recht wohl in seiner Haut: Haarige Ungeheuer bevölkern die Mariahilferstraße, Ameisen bauen unter der Erde an einer Megacity, während die Stadt darüber sich regt wie ein schlafender Riese, und Kristina, seine Nachbarin, die will etwas von ihm und…mehr

Produktbeschreibung
Lois ist Krankenpfleger, ein Beruf mit einem gewissen Anstand. Er weiß, wie es ist, in der Obhut von Menschen zu sein, die einem nur Gutes wollen: Er ist in einem Heim aufgewachsen, ohne Eltern, hinter den sieben Bergen, wo es nicht gerade zugeht wie im Märchen. Heimisch ist er freilich nicht geworden in der Welt, und auch in Wien fühlt er sich nicht recht wohl in seiner Haut: Haarige Ungeheuer bevölkern die Mariahilferstraße, Ameisen bauen unter der Erde an einer Megacity, während die Stadt darüber sich regt wie ein schlafender Riese, und Kristina, seine Nachbarin, die will etwas von ihm und wollte jedenfalls immer schon Pathologin werden. Eines Tages entdeckt Lois Wanderheuschrecken auf dem Fensterbrett, kleine, zerbrechliche Monster, die der Wind in eine fremde Welt verschlagen hat - wie ihn selbst auch. Nun, was fliegen kann, ist noch kein Engel und auch noch kein Superman. Wie schon in "stillborn", seinem als "fulminant", "virtuos" und "sprachlich überwältigend" gefeierten Roman-Debüt, entfaltet Michael Stavaric auch in seinem zweiten Roman das beeindruckende Porträt einer Figur, die sich mit all ihren Eigenheiten gegen die Uneinheimlichkeit der Welt wappnet.
Autorenporträt
Michael Stavaric wurde 1972 in Brno (CZ) geboren und lebt in Wien. 1979 Emigration nach Österreich. Studium der Bohemistik/Publizistik an der Universität Wien. Vormals lange Jahre Lehrbeauftragter an der Sportuniversität Wien. Freier Schriftsteller, Übersetzer und Ghost-Writer. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. Michael Stavaric erhielt verschiedene Preise. 2008 wurde er mit dem "Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis" geehrt, 2009 mit dem "Literaturpreis Wartholz 2009" und 2012 mit dem "Adelbert-von-Chamisso-Preis".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.08.2007

Angst vor Fliegen
Michael Stavaric sucht Monster und findet Insekten
Auf der Liste der literarisch verwerteten Lieblingstiere rangiert die Heuschrecke ziemlich weit hinten: Geschichten über Hunde, Katzen, Bären oder selbst Mäuse und Maulwürfe sind Legion, die Heuschrecke dagegen ist schwer zu vermitteln. Vielleicht erinnert sie zu stark an biblische Plagen und Hedgefonds-Manager, dazu kommen furchteinflößende Kauwerkzeuge und ein gegen null tendierender Flauschfaktor. Kurz: Ihr Leben bleibt fremd und undurchschaubar. Dass Michael Stavarics Roman „Terminifera” eine seltene Wanderheuschreckenart im Titel trägt, ist deshalb durchaus als Bekenntnis zu verstehen: gegen eine ranschmeißerisch verständliche Literatur und für einen Helden, der zwar kurios und kauzig, aber niemals niedlich wirkt.
Eine richtige Geschichte hat dieses Buch nicht zu erzählen: Es besteht aus den bizarren Gedanken, die sich der Krankenpfleger Lois Lane so macht – über seinen Hund, seine Kollegin, seine Nachbarin und die vielen Ungeheuer, die die Stadt Wien bevölkern. „Monster gibt es nicht”, lautet sein Mantra, aber seine Arbeitstage im Krankenhaus und all die Boas und Termiten, die sich in seinem hermetischen Kopfkino breitmachen, belehren ihn eines Besseren. Dass er Insekten immer schon faszinierend fand, scheint die passende Einstiegsdroge in die wunderbare Welt der Zwangsneurosen zu sein: „gestoßene Schmetterlinge, die helfen gegen Bauchweh und Gliederschmerzen, Ameisen schützen vor Durchfall, Heuschrecken sorgen für eine bessere Durchblutung des Darms, der Kopfhaut. Mit Würmern kann man sich zur Not seine Schuhe zubinden.”
Michael Stavaric, der 1972 in Brno geboren wurde und heute in Wien lebt, hat seiner Hauptfigur dabei selbst insektoide Züge verliehen: Lois, ein ehemaliges Heimkind, ist eingeklemmt in einem Gefühlspanzer, der kaum freundliche Regungen nach außen dringen lässt. Sein Monster-Mantra wird deshalb von einer zweiten Schreckensmelodie begleitet: „Im Heim”, so beginnen Lois’ Rückblenden in die Vergangenheit, und was da hochkommt, hat im besseren Fall mit den endlosen Arlberger Wintern und im schlechteren mit Kopfunterwasserhalten, sexuellen Demütigungen und anderen Qualen zu tun. Kein Wunder also, dass dieser Ich-Erzähler alles andere als liebenswürdig, ja manchmal geradezu hämisch in seiner Abwehr menschlicher Annäherungsversuche wirkt.
Mein Herz aus Stein
Gleichzeitig aber ist er mit feinen Fühlern ausgestattet, die den Sprachraum um ihn herum nach interessanten Assoziationen abtasten. So entsteht ein grotesker Mikrokosmos, in dem Mr. Spock und Superman ebenso ihren Platz finden wie Unfall-Schauergeschichten, Wespennester im Spital oder merkwürdige Geschlechtsverwandlungsphantasien. Das erinnert an Foucaults erziehungsgeschädigte „Anormale” und steht gleichzeitig in der Tradition des literarischen Schul-Bashings – welche Ätzkraft so eine k.u.k.-Anstalt entwickeln kann, hatte einst Musils „Zögling Törleß” vorgegeben, und noch das Heim von Lois fungiert vor allem als Trainingslager der Unbehausten: „Mein Herz aus Stein. Es gehörte mir. Mir allein.”
Die Wiener Sprachspielschule springt einen dabei auf jeder Seite an: Sätze prunken mit ihrer Unvollständigkeit, und besonders bedeutungsschwangere Wörter – „Distanz, die”, „Bauch, der”, „Lüge, die” – werden in Einzel-Abschnitten lexikalisch durchdefiniert. Solche formalistischen Extravaganzen sind leider überdosiert – genauso wie die Heimkind-Litanei, die Lois’ neurotische Macken immer auf seine beschädigte Kindheit zurückführt. „Alles was Flügel hat fliegt. Dass ich nicht lache”, heißt es irgendwann aphoristisch-verkniffen zwischen zwei Gedankenblöcken, und dieses Credo im psychologischen Dreieck aus Verletzung, Hohn und grimmigem Witz exerziert der Roman auch umstandslos durch. Die kleine, feine Freakshow, die „Terminifera” durchaus zu bieten hätte, bleibt deshalb merkwürdig starr, fast so, als müsste sie erst noch aus ihrem Winterschlaf aufgetaut werden – und da wäre der Halbvulkanier Spock ja eigentlich ein guter Ratgeber gewesen. JUTTA PERSON
MICHAEL STAVARIC: Terminifera. Roman. Residenz Verlag, Wien 2007. 146 Seiten, 17,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eigentlich hätte aus Michael Stavarics "Terminifera" durchaus ein faszinierendes Porträt eines verschrobenen Neurotikers werden können, meint Jutta Person, die dann aber nicht recht zufrieden gestellt ist. Dabei bietet der insekteninteressierte Krankenpfleger Lois Lane eine ausreichend schräge Gedankenwelt, um zu fesseln, wird aber durch die an die Wiener Schule angelehnten, allzu forciert verfolgten Sprachspiele seines Autors sowie durch die ständig wiederkehrende Klage über die schädlichen Folgen von Lois' Vergangenheit als Heimkind untergraben, bedauert die Rezensentin.

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