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Eine bissige, kühne Satire über eine Gesellschaft, die ihre ethnische Spaltung noch lange nicht hinter sich gelassen hat.
Dickens, ein Vorort von Los Angeles, ist der Schandfleck der amerikanischen Westküste: verarmt, verroht, verloren. Zugleich ist es der ganze Stolz seiner schwarzen Einwohner, eine Bastion gegen die weiße Vorherrschaft. Hier zieht der Erzähler von "Der Verräter" friedlich Wassermelonen und Marihuana. Doch als sein bürgerrechtsbewegter Vater durch Polizeigewalt stirbt und die Gentrifizierung den gesamten Vorort auszuradieren droht, wird er unversehens zum Anführer einer…mehr

Produktbeschreibung
Eine bissige, kühne Satire über eine Gesellschaft, die ihre ethnische Spaltung noch lange nicht hinter sich gelassen hat.

Dickens, ein Vorort von Los Angeles, ist der Schandfleck der amerikanischen Westküste: verarmt, verroht, verloren. Zugleich ist es der ganze Stolz seiner schwarzen Einwohner, eine Bastion gegen die weiße Vorherrschaft. Hier zieht der Erzähler von "Der Verräter" friedlich Wassermelonen und Marihuana. Doch als sein bürgerrechtsbewegter Vater durch Polizeigewalt stirbt und die Gentrifizierung den gesamten Vorort auszuradieren droht, wird er unversehens zum Anführer einer neuen Bewegung: Mit seinem Kompagnon Hominy, alternder Leinwandheld aus "Die kleinen Strolche", führt er Sklaverei und Rassentrennung wieder ein ...
Autorenporträt
PAUL BEATTY, 1962 geboren, zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Begonnen hat er als Lyriker, schnell avancierte er zum Star der New Yorker Slam-Poetry-Szene. Seine Romane haben in den USA Kultstatus. Für »Der Verräter« wurde Beatty mit dem National Book Critics Circle Award sowie - als erster Amerikaner - mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Paul Beatty lebt in New York.

Henning Ahrens, geb. 1964, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in der niedersächsischen Provinz. Für seinen Lyrikband "Lieblied was kommt" (1998) erhielt er einen der Wolfgang-Weyrauch-Förderpreise beim Literarischen März 1999 sowie den Pro Litteris-Preis 1999 der Märkischen Kulturkonferenz und den Hebbel-Preis (2001). Er übersetzte u.a. J. C. Powys, Jonathan Safran Foer, Jonathan Coe und Hugo Hamilton. Zuletzt erschien sein Lyrikband "Kein Schlaf in Sicht" und der Roman "Tiertage".
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Ein über 30 Seiten langer Monolog reißt den Leser mit in diese bitterböse Satire, für die Paul Beatty 2016 den Man Booker Prize bekommen hat. Sein vornamenloser schwarzer Ich-Erzähler steht vor dem Obersten Gerichtshof der USA, erwartet seinen Prozess und raucht erst einmal das von ihm angebaute Marihuana. Vorgeworfen wird ihm etwas, was er tatsächlich getan hat: Er hat in dem Stadtteil Dickens in Los Angeles Sklaverei und Rassentrennung wieder eingeführt. Dennoch hält er sich für nicht schuldig. Schließlich hat die formale Abschaffung niemals funktioniert. In einer Verbindung aus komischer Überspitzung und schmerzhafter Gesellschaftsanalyse lässt Beatty einen Erzähler auf uns los, der als Kind von seinem Vater für Experimente missbraucht wurde, die sich um schwarze Identität und Rassismus drehten, und sich nach dessen Tod daran macht, die Bürgerrechte wieder auszuhebeln. Dabei hinterfragt Beatty sämtliche Aspekte von Rassismus, er arbeitet mit Sprache und Rhythmus, mit tatsächlichen und fiktiven Verweisen und entfacht einen verwegenen Strom aus messerscharfen Analysen und vernebelten Witzen. Manches ist außerhalb der USA nicht leicht zu entschlüsseln. Aber am Ende dieses mutigen und hochkomischen Romans sieht man die Welt mit anderen Augen.

© BÜCHERmagazin, Sonja Hartl (sh)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2018

Moloch, in dem ich Engel erträume!

Eine verrückte Suada mit der Wut von Allen Ginsbergs "Howl" und dem Witz tagesaktueller Stand-up-Comedy: In Paul Beattys Satire "Der Verräter" will ein schwarzer Erzähler die Sklaverei wieder einführen, um Amerika aufzurütteln.

Von Jan Wiele

Dass dieses Buch auf Englisch mit einem aufgedruckten Lob der Komikerin Sarah Silverman erschien, ist eine erste Vorbereitung auf seinen zersetzenden Humor; aber selbst wenn man alle unkorrekten Witze aller berüchtigten amerikanischen Comedians zusammennimmt, wird man nicht annähernd die Dichte erreichen, die Paul Beattys Roman "Der Verräter" aufbietet. "Aus dem Mund eines Schwarzen klingt das sicher unglaublich, aber ich habe nie geklaut", lautet sein erster Satz. Es ist bei weitem noch nicht sein provokantester. Wenn man so will, ist das Buch eine Dauerprovokation, allerdings im Gegensatz zu mancher Stand-up-Comedy keine schnell verpuffende, sondern eine lang nachwirkende. Das weiß man bereits nach den ersten 33 Seiten des Prologs, der für sich in die Literaturgeschichte eingehen könnte und mit den Worten endet: "Die Lynch-Party kann beginnen!"

Der in diesem Roman spricht, ist massiv traumatisiert und steht zudem nach eigener Auskunft unter Drogen. Als wir diesem sonderbaren Erzähler zuzuhören beginnen, sitzt er im Supreme Court der Vereinigten Staaten und wartet auf seinen Prozesstermin. Der Grund: Er hat versucht, Rassentrennung und Sklaverei wieder einzuführen - wohlgemerkt, um zu zeigen, dass beide ohnehin noch existieren, selbst wenn sie nicht mehr offen so bezeichnet werden. Der große Reiz an Beattys Erzählung liegt darin, dass sie diese Unglaublichkeit, diese satirische Überspitzung, einbettet in realistische, teils historische Ereignisse. Beatty baut immer wieder anhand real existierender oder leicht fiktionalisierter Orte, Namen und Geschehnisse fundierte Settings auf, die dann durch groteske Einfälle plötzlich in die Luft gejagt werden.

Der Ort des Geschehens liegt im Großraum Los Angeles und heißt in der Fiktion Dickens. Die reale Vorlage dafür ist Compton, Wiege des Gangsta-Rap, suburbane Niedergangsgegend. Wegen dieses Niedergangs ist Dickens von den Karten getilgt worden, es gibt stattdessen gentrifizierte Teilbezirke mit ganz neuen Namen, in denen man so tut, als ob der Rest nicht existierte. Tatsächlich aber lebt in jenem Rest der Erzähler, er ist sogar dort aufgewachsen und verfolgt mit seinem Plan, segregierte Schulen wieder einzuführen und Sitzplätze nur für Weiße im Bus, nichts anderes als die dramatische Erzeugung von Aufmerksamkeit für das vernachlässigte Viertel.

Warum der Erzähler zu solchen Mitteln greift, wird bei der Schilderung seiner Kindheit verständlicher: Von seinem Vater, einem Sozialwissenschaftler, wurde er zu Experimenten in Verhaltenspsychologie missbraucht, die sich um schwarze Identität und den Umgang mit Rassismus in Amerika drehten. So grausam der Vater hier wirkt, so anders wird er sonst wahrgenommen: Im Viertel ist der Mann, der nebenbei Farmer ist und Pferde hält, auch als "Nigger-Whisperer" bekannt, weil er Schwarze in Not, die etwa vor einem Amoklauf oder vor dem Suizid stehen, durch gutes Zureden davon abbringt: Kaum legt er seinen "Tweedsakko-Arm" um einen von ihnen und flüstert ihm eine tiefe Wahrheit ins Ohr, übergibt noch der schwerste Junge "brav die Waffe und den Schlüssel zu seinem Herzen". Diese märchenhafte Deeskalationsfigur hat sich Beatty indes wohl nur ausgedacht, um sie sodann desto härter mit einer gegenwärtigen amerikanischen Realität kollidieren zu lassen: Als der Vater auch eine Auseinandersetzung mit Polizisten durch schlaue Worte lösen will, wird er von diesen ohne Umschweife hinterrücks erschossen - so, wie es in den vergangenen Jahren in den Vereinigten Staaten wirklich vorgekommen ist.

In der Schilderung der furchtbaren Polizeigewalt entfaltet Beattys Satire maximale Schärfe. Spätestens danach zeigt der erzählende Sohn Anzeichen von Realitätsverlust und Irrsinn; er fasst allerdings auch den Plan, irgendwie doch in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Alles Weitere, was er unternimmt, ist Teil einer halb ernsten, halb ridikülisierten Suche nach schwarzer Identität. Dazu gehören auch seine grotesken Segregationsund Sklavenhaltungsideen, die Züge einer Kunstaktion haben, außerdem eine gewisse Verwandtschaft mit Filmen von Spike Lee oder Quentin Tarantino. Ihren verstörenden Höhepunkt wird diese Aktion erreichen, wenn er auf offener Straße einen alten schwarzen Mann mit dem Gürtel auspeitscht, der das auch noch selbst so will. Dieser Hominy Jenkins ist ein von Beatty erfundener ehemaliger Kinderstar aus dem Kreis der "Kleinen Strolche", der in seinem Leben so viel Rassismus erfahren hat, dass er am Ende so weit ist, seine empfundene Sklavenrolle auch aller Welt zeigen zu wollen.

Was Beattys Roman zu einer so herausfordernden Lektüre macht, ist sein ständiges Schwanken zwischen solchen Verrücktheiten und den beschriebenen Realitätseffekten. Es gibt daher keine durchgängige Rezeptionshaltung, sie pendelt vielmehr zwischen Schmunzeln und Schock - wobei freilich auch viele einfach nur witzige Exkurse in dem Werk stecken, etwa ein kurzes Zwischenspiel, in dem es um die Suche einer Partnerstadt für Dickens geht. Zur Debatte stehen Ciudad Juárez, Tschernobyl und Kinshasa. In der mexikanischen "Stadt, die nie aufhört zu bluten", findet man Dickens allerdings "zu brutal". Tschernobyl sagt ab, weil die Umweltverschmutzung um Los Angeles zu groß sei, und für Kinshasa ist Dickens schlicht "zu schwarz".

An solchen Stellen schimmert durch, dass Beatty vom Poetry-Slam herkommt und daher oft gezielt auf Pointen hinsteuert. Er war aber auch Lyriker, was den etwas überkandidelten Metaphern- und Vergleichszwang des Erzählers erklärt, der aus den Tiefen der amerikanischen Kultur- und Entertainmentgeschichte schöpft und manchmal äußerst voraussetzungsreich ist. Das alles auf Deutsch wiederzugeben ist oft überaus schwierig und hat eine immense Leistung von Henning Ahrens verlangt. Ohne den Übersetzer kritisieren zu wollen, darf man vielleicht sagen, dass eine derartige lyrische Suada - Beatty hat auch bei Allen Ginsberg gelernt und verdankt dessen Amerika anklagendem Prosapoem "Howl" einiges - stellenweise nur im Original die richtige Wirkung entfaltet. Andererseits ist dieses Original wirklich nicht leicht zu lesen; umso dankbarer ist man für die Übersetzung.

Für den Tonfall hat Beatty, wenn man so will, schon lange geübt und mit "Der Sklavenmessias" (1999) oder "Slumberland" (2009) auch schon ein ganz ähnliches Satirekonzept verfolgt - mit dem "Verräter" hat er es allerdings auf die Spitze getrieben und ist dafür 2016 mit dem Booker-Preis belohnt worden. Am Ende des Romans muss der Oberste Gerichtshof darüber entscheiden, "ob ein Verstoß gegen die Bürgerrechtsgesetze, der das verwirklicht hat, was diese Rechte ursprünglich leisten sollten, aber nicht geleistet haben, eine Verletzung ebendieser Rechte darstellt". Diese Fragestellung kann man ganz gut auf den Roman übertragen: Für viele mag er in seiner satirischen Radikalität durchaus eine Verletzung bedeuten - aber wird diese womöglich aufgewogen durch einen kathartischen Effekt?

Paul Beatty: "Der Verräter". Roman.

Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Luchterhand Verlag, München 2018. 352 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2018

Melonen
und
Marihuana
Aus den Zeiten, als subversiver Humor noch
geholfen hat: Der mit dem
Man Booker Prize ausgezeichnete
Paul Beatty probt in „Der Verräter“ die
Wiedereinführung der Rassentrennung
VON HUBERT WINKELS
Manchmal könnte man heulen. Zum Beispiel ganz am Schluss des Romans, wenn der schwarze Clubvorsitzende Foy Cheshire „am Tag nach der Amtseinführung unseres schwarzen Kumpels stolz wie Bolle in seinem Mercedes-Coupé durch die Stadt fuhr, hupend und die amerikanische Flagge schwenkend. Er feierte nicht als einziger; die Freude im Viertel war zwar nicht ganz so groß wie nach dem Freispruch von O. J. Simpson oder 2002 nach der Meisterschaft der Lakers, aber fast.“
2015 wurde „Der Verräter“, im Original: „The Sellout“, von Paul Beatty in den USA veröffentlicht, da blickte man schon auf fast zwei Amtszeiten Obamas zurück. Und Beattys furioser und manchmal aggressiver Humor arbeitete sich an einer komplizierten Dialektik von schwarzer Kultur, Subversion, gespielter Affirmation und Widerstand ab, einer vielschichtigen, windungsreichen Geschichte der Selbstdefinitionen schwarzer Amerikaner. – Und jetzt das! Ein Jahr nach der Veröffentlichung haben wir Trump und die Wiedergeburt eines Gespenstes: der White Supremacy als verschwörungstheoretisch verbrämte regulative Idee.
Der Leser könnte heulen, für einen Moment, am Ende der Lektüre. Doch nein, so geht das nicht! Es wäre eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, nicht nur der realen sozialen und kulturellen Geschichte, sondern auch Paul Beatty, dem Roman und seiner satirischen Weltaufschließungskunst gegenüber. Und der ganzen Tradition von Spott, Satire, Ironie und hinterlistiger Bedeutung, die sich co-evolutionär zur amerikanischen Gesellschaft über Jahrzehnte entfaltet hat, im Roman und im Film, in Popmusik und Mode und Sprachformen und Verhaltenscodes. Und gegenüber der Reflexion, die jene Codes befragt und um- und umwälzt.
Genau dies, das frech-freudige Umwälzen der popkulturellen Codes geschieht in „Der Verräter“ exzessiv. Das Buch ist bis zum Bersten der Sprache gefüllt mit den Elementen einer schwarzen Kultur, die das ganze 20. Jahrhundert umfasst, und mit einem Humor, der sie permanent in Frage stellt, der sie, philosophisch gesprochen, ent-essentialisiert. Mit Übertreibung und Großsprechertum, mit Slang und Wissenschaftsjargon, abendländischem Bildungszierrat und hartem Rhythmus, mit aberwitzigen Metaphern, ins Nirvana leitenden Metonymien und unter allen satirischen Mitteln besonders lustvoll mit Listen, der Kunst der Aufzählung, die eine neue Taxonomie der Dinge nahelegt.
Der Ich-Erzähler ist Farmer (Melonen und Marihuana) in Dickens, einer brandgefährlichen schwarzen Gemeinde in South-Central Los Angeles. Das ist ein Slapstick-Eldorado, wo es alle Drogen und Waffen und unbekannte berühmte alternde Filmstars gibt, aber normalerweise keine Bauern. Nur unser „Heros“, so heißt der Erzähler dank eines kleinen manipulativen Spracheingriffs, züchtet neben M & M auch Satsumas und, nach einem Studium der Nutztierwissenschaften, Strauße. Strauße? „Das echte Geld würde ich aber durch den Verkauf von Zuchttieren an Nigger-Neureiche machen, weil ein Strauß im Durchschnitt nur circa vierzig Pfund essbares Fleisch hat, weil Oscar Wilde tot ist und weil niemand mehr Federboas und gefiederte Hüte trägt, ausgenommen Drag-Queens über vierzig, bayerische Tuba-Spieler, Marcus-Garvey-Imitatoren und Pfefferminzlikör süffelnde Südstaaten-Schönheiten, die beim Kentucky Derby Dreierwetten abschließen und selbst dann nicht bei Schwarzen kaufen würden, wenn diese das Geheimnis für faltenlose Haut und Zwanzig-Zentimeter-Schwänze im Angebot hätten.“
Wieviel schwarze Geschichte geht in einen harmlos daherkommenden Satz, der sich zwischendurch im Sinnlosen verliert, um in seinem Verlauf einen neuen Horizont zu eröffnen? Wieviel echten Output generiert eine Serie von ins Absurde tendierenden Übertreibungen der kennerhaften Art (Wer ist Marcus Garvey?), die in keinen einzelnen Kopf passen? Das ist eine Frage an den ganzen Roman. Er tut eine Weile so, als ob er ein Entwicklungsroman wäre, um sich dann aber eher kleinteilig und mittels hingewürfelter Stationen aus komischen und pointiert erzählten Episoden des sozialen Wahnsinns zu regenerieren.
Sogar der wohl wichtigste Teil Handlung hat diese Drehung ins Nirwana der Bedeutung. Der Erzähler hat nämlich die Nase voll von den unbewussten und halb verdeckten rassistischen Vorurteilen, die bis in die Gehirnwindungen der Schwarzen selbst wirken, die glauben, dass mit der juristischen Gewährung der Bürgerrechte schon irgendwas gelöst wäre. Also beschließt unser unzuverlässiger erzählerischer Gewährsmann, die Rassentrennung in den bescheidenen Verhältnissen seiner ziemlich durchgedrehten Umgebung wieder einzuführen. Da trifft es sich gut, dass sein Ex-Filmstar-Freund, der ehemals kleine Schwarze mit dem Afro und den weit aufgerissenen Augen, der letzte Überlebende der ˋKleinen Strolche, dass also der kleine große Hominy Jenkins, in alter Anhänglichkeit an kulturelle Einschreibungen, gerne von ihm als Sklave gezüchtigt werden möchte. Und dass Heros’ˋ Ex-Freundin und Immernoch-Geliebte Marpessa Busfahrerin und äußerst gewitzt ist und sich mit dem alerten Straußenzüchter an Rosa Parks und deren historisches Sitzenbleiben in einem Rassentrennungsbus in Alabama in den fünfziger Jahren erinnert. Unser Heros wickelt nun diesen zweifelhaften Fortschritt ab, indem er Schilder im Bus anschlägt, die auffordern: „Ggf. für Senioren, Behinderte und Weiße freigeben“.
Und weil er schon einmal dabei ist, beider fröhlichen Segregation, etabliert er in Dickens gleich auch eine rein weiße Mittel-Schule, jedenfalls hängt er ein paar bunte Fotos und Sprüche auf, die das ankündigen. Weil obendrein das gewalttätige schwarze Nest Dickens bei einer Gebietsreform im LA-County seinerzeit beseitigt wurde, gründet er das kriminelle schwarze Städtchen mit einem Sportplatzkreidelinienwagen auch gleich neu: Geh, erzähl es auf dem Sportplatz, zieh erst mal eine neue Grenze, mit weißem Kalk, auch gern in Schlangenlinie!
Nun inszeniert Beatty diese Inversionen einer halbwegs emanzipativen Sozialgeschichte nicht mit mächtigem Aplomb, wie man es von großen Satirikern wie Jonathan Swift oder, ähem, Günter Grass kennt, sondern eher zaudernd und bedenkenträgerisch. Er lässt sogar im Roman erklären, dass dieses revisionistische Mittel wieder bewusst machen könnte, wie schlecht es um die Lebenschancen auch unter Bedingungen formaler Gleichheit bestellt ist. Lakonisch und wie nebenbei heißt es, diese rassistischen Interventionen hätten fördernd gewirkt, die Schwarzen seien jetzt bessere Schüler, und im Bus seinen alle respektvoll miteinander. Kurz: Beatty will diese Inversion der Emanzipation nicht zu dem heißen Zentrum des Romans machen (deswegen heißt er auf englisch auch nicht „Der Verräter“), sondern als eine rhetorische und sozial-operative Intervention unter anderen vorstellen, die einen ununterbrochenen Strom an Fragen nach den geltenden Codes der Kommunikation und des Verhaltens erzeugen.
Die Antwort aber klingen immer anders, können immer nur andersherum verstanden werden – weil wir es nämlich mit Literatur, mit richtig guter Literatur zu tun haben.
In Beattys Roman liegen diese Literatur und ihr Held zum Beispiel bekifft unterm Tisch im Supreme Court der USA. Dort unten im obersten Gericht beginnt und endet der Roman. Eine große Inszenierung! Weed und Constitution! Rausch und Gesetz! Die Bong und die Bank der schwarzen Roben!
Es zeigt sich, dass das Problem mit den wirklich wichtigen Dingen die wirklich wichtigen Dinge selber sind, die Fokussierung aller Probleme auf eine unbedingte Frage. Oder, wie Heros es sagt: die „Einsicht, dass es nichts Unbedingtes gibt, es sei denn, man stößt darauf. Die Einsicht, dass Widersprüche weder Sünde noch Verbrechen sind, sondern menschliche Schwächen wie der Glaube an die Willensfreiheit und Haarspliss.“ Hier ist sie wieder, die Aufzählung, wenn auch in Kurzform, die eine neue Ordnung der Dinge gebiert: Freiheit und Haarspliss.
Dass man dieses überquellende ˋLiteraturereignis des „Cross the Border – Close the Gap“ˋauch auf deutsch betört halluzinieren kann, ist auch dem Übersetzer Henning Ahrens zu verdanken, der in Sachen Beatty-Mimesis Ulrich Blumenbach und Robin Detje nachfolgt. Teils mäandert Ahrens dem Original vor allem rhythmisch und pointenstark hinterher, teils geht er deutsche idiomatische Wege und folgt, vor allem bei den überlangen übervollen Sätzen, seinem ausgeprägten musikalischen Sprachgefühl. Es ist sicher von Vorteil, dass Ahrens in seiner eigenen erzählenden Literatur auch zu pseudorealistisch aufgezogenen Farcen neigt.
Heros jedenfalls hängt mit seiner Haschischpfeife halb unter dem Tisch bei seinem finalen Prozess vor dem Obersten Gerichtshof in Washington, der Rassentrennung angeklagt, high ist gar kein Ausdruck. Sein Blick gleitet durch hundert Jahre schwarzer Tagträume, Daddys Sozialkundeunterricht und den Thunfischwrap der Justizwachmeisterin. Nihilismus und Tiefenschärfe fügen die Dinge neu, konstellieren sie immer überraschend und dennoch lesbar. Man muss den bekifften Listen, spekulativen Mesaillancen und hart gerappten Fügungen im Roman nur mit jener Empathie folgen, derer gute kluge Literatur immer bedarf.
Paul Beatty hat seine Mittel über viele Jahre entwickelt. Der Schüler von Allen Ginsberg war Poetry-Slammer, lehrt Creative Writing an der Columbia Universität in New York, hat eine bahnbrechende Anthologie zum schwarzen Humor herausgegeben und eine Reihe turbulenter Romane auf der Suche nach dem coolen, übervollen, aberwitzigen, großmäuligen, den Weltaugenblick treffenden Ton verfasst (einer, „Slumberland“, spielt übrigens in der Berliner Musikszene); und er hat ihn gefunden als der Sprachmusiker, der er ist.
Er kann jetzt immer so weitermachen, der Stoff wird ihm nicht ausgehen, der soziale nicht, der psychologische nicht, nicht der Sound, und schon gar nicht die Wassermelonen und das Marihuana und die Satsumas, die baut Beattys Heros schließlich auf seiner Farm selber an.
Unter allen satirischen Mitteln
benutzt Beatty besonders lustvoll
das der Liste
High ist gar kein
Ausdruck. Sein Blick
gleitet durch
hundert Jahre schwarzer
Tagträume
Paul Beatty:
Der Verräter.
Roman. Aus dem
Englischen von
Henning Ahrens.
Luchterhand Verlag,
München 2018.
351 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Mit 'Der Verräter' hat Beatty nicht nur einen anmaßenden, überdrehten, unerschrockenen Roman geschrieben. Sondern einen Weckruf.« Dennis Pohl / SPIEGEL ONLINE