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Eine junge Frau auf der Suche nach der verlorenen Schönheit der Welt, dem Ende des Winters und den richtigen Klamotten Ein fulminantes Debüt, das durch die Originalität seiner Sprache besticht, die zwischen poetischer Leichtigkeit und resignierter Rotzigkeit changiert, und durch seinen Witz, der sich nicht mal von der scheinbaren Sinnlosigkeit des Lebens totkriegen lässt ... Camelia ist 19 und findet ihr Dasein schlicht zum Kotzen. Sie lebt in England, in Leeds, in einer so heruntergekommenen Straße, die leicht als Beweis dafür angeführt werden kann, dass es Gott tatsächlich nicht gibt.…mehr

Produktbeschreibung
Eine junge Frau auf der Suche nach der verlorenen Schönheit der Welt, dem Ende des Winters und den richtigen Klamotten
Ein fulminantes Debüt, das durch die Originalität seiner Sprache besticht, die zwischen poetischer Leichtigkeit und resignierter Rotzigkeit changiert, und durch seinen Witz, der sich nicht mal von der scheinbaren Sinnlosigkeit des Lebens totkriegen lässt ...
Camelia ist 19 und findet ihr Dasein schlicht zum Kotzen. Sie lebt in England, in Leeds, in einer so heruntergekommenen Straße, die leicht als Beweis dafür angeführt werden kann, dass es Gott tatsächlich nicht gibt. Camelia passt nicht in diese Welt, denn sie kann wenig Schönes darin entdecken, und wenn sie doch mal wieder einen Versuch wagt, sich im Einkaufszentrum eine knallpinke Jacke kauft, dann landet sie sofort darauf in der Mülltonne, denn was kann man schon mit einer bunten Jacke anfangen in einer Stadt, in der der Winter ja doch nie endet. Zuhause in der gemeinsamen Wohnung sitzt ihre Mutter, die einst so schöne Flötistin, die im Prinzip schon vor der Tochter das Handtuch geworfen hat. Seit der Vater bei einem Unfall samt seiner Geliebten auf dem Beifahrersitz tödlich verunglückt ist, spricht sie nicht mehr. Ihre einzige Beschäftigung besteht darin, Löcher zu fotografieren: Risse im Fußboden, Mottenlöcher in Kleidern, Körperöffnungen. Camelia hat sich schon so gut wie damit abgefunden, dass diese heruntergekommene Wohnung das Letzte sein wird, was sie von dieser Welt gesehen hat, da lernt sie eines Tages Wen kennen. Einen jungen Chinesen, der behauptet, die verschnittenen Klamotten, die Camelia seit geraumer Zeit aus einem Container zieht, habe sein Bruder genäht. Wen bringt Camelia Chinesisch bei, sie verliebt sich in seinen Bruder Jimmy. Und plötzlich kommt der Tag, an dem sie beschließt, sich ihr verlorenes Leben zurückzuholen
Autorenporträt
Judith Schwaab, geb. 1960 in Grünstadt, studierte Italienischen Philologie. Sie ist Lektorin und Übersetzerin von u.a. Debra Dean, Fernanda Eberstadt, Anthony Doerr.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Auch wenn es mitunter unappetitlich wird in diesem Debüt der jungen Italienerin Viola di Grabo, hat sich Claudia Tieschky doch ganz gut mit dem Buch unterhalten. Zumindest hat die autoaggressive Erzählerin von "Siebzig Acryl, dreißig Wolle" die Rezensentin mit ihren aufsässig-großmäuligen Tirade "bei Laune" gehalten, und da Grabo nicht nur bulimisch, sondern sehr kultiviert Wörter "kotzt", erkennt die Rezensentin auch auf einen "Sinn für Kunstfaser". Grabo erzählt von einer jungen Sinologin, die in Leeds mit einer depressiven Mutter lebt, sich Geld verdient, indem sie Gebrauchsanweisungen aus dem Italienischen übersetzt, und ansonsten an der Welt verzweifelt. Sehr nachdrücklich scheint die Rezensentin aber ein Kräftemessen in Szene gesetzt, zwischen "dem Drang, sich selbst loszuwerden" und sich selbst unsterblich zu machen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2012

Die Vorzüge der Kunstfaser
Dreiärmelige Müllkleider basteln, Tabletten sammeln: Viola di Grado setzt in ihrem bemerkenswerten Debüt „Siebzig Acryl, dreißig Wolle“ ein sehr böses Kind in die Welt
Ziemlich sicher würde der etwas dämliche Titel dieses Romans seiner Heldin gefallen. Camelia Mega aus dem englischen Leeds, 21 Jahre, hätte, wetten wir, Vergnügen daran, wenn „Siebzig Acryl, dreißig Wolle“ irrtümlich für eines dieser Frauenbücher gehalten würde, bei denen am Ende alles gut wird – zum Beispiel durch Selbstfindung beim Stricken.
  Stricken ist kuschelig und daher garantiert bald wieder in Mode, Nebeneffekt der Erschöpfungsgesellschaft, vielleicht strickt Meinhard Miegel schon heimlich. Camelia Mega würde es stattdessen für einen ganz hübschen Effekt halten, Käuferinnen zu schocken, die von dem orangefarbene Titelblatt mit dem hellen Wollfaden auf beruhigende Lektüre schließen. Um Stabilität geht es zwar schon, aber auf ganz andere Weise.
  Wir treffen die Heldin in einem recht ungepflegten Zustand. Papa Mega ist bei einem Autounfall direkt nach dem Sex mit seiner englischen Geliebten umgekommen. Die wunderschöne italienische Mutter Livia Mega hat sich deshalb in einen stinkenden Zombie verwandelt, der das Haus nicht verlässt und mit seiner Passivität die Tochter in Geiselhaft nimmt. Sogar das leeren Plastikherz im Kühlschrank hat Schimmel angesetzt. Der Dezember vergehe nicht in diesem Scheiß-Leeds, behauptet die Ich-Erzählerin, die zum Lebensunterhalt Gebrauchsanweisungen für Waschmaschinen aus dem Italienischen übersetzt – dabei fliegen draußen die Wespen herum, und das einzige was nicht vergeht ist diese irre Leere um sie herum, dieser Zustand, der selbst die Logik der Jahreszeiten aushebelt.
  So richten sich Camelias bedenkenlose Taten wahlweise gegen die Umwelt im trüben Leeds, wo es den Tag nur im TV gibt, und gegen sich selbst. Oder sagen wir so: Die einzige Handarbeit, die in diesem Buch vorkommt, besteht im ausdauernden Verstümmeln von Kleidern und der mädchenhaften Kunst, sich mit dem Messer blutige Schriftzeichen in die Haut zu ritzen.
  Die Autorin Viola di Grado, 1987 in Catania geboren und wie ihre Heldin eine Kennerin der chinesischen Sprache, trägt auf dem Foto im Buchcover ein schwarzes Kleid mit kurzen Puffärmeln; dazu eine rote, fellgefütterte Kapuze über den langen, blonden Haaren.
  Ein Wesen wie Rotkäppchen und der Wolf zusammen. Sie hat in ihrem bemerkenswerten Debütroman – der in Italien Aufmerksamkeit und Preise erhielt – die Literatur freundlicherweise um ein böses Mädchen bereichert, aber das ist noch nicht alles.
  Sie hält den Leser mit ihrem scheinbar wie in einem Zug weggeschriebenen Text in einer bösen, klugen, mächtig dick aufgetragenen Sprache bei Laune – und übernimmt nebenbei in diese Sprache ein paar gängige Spielarten jener Störungen bei Mädchen, denen gegenüber die Gesellschaft angeblich ja so ratlos ist: Bulimie und Selbstverletzung zum Beispiel.
  „Ich schaute ihm hinterher, wie er im pornografischen Licht des Sonnenuntergangs seinen Abgang machte (. . .) Dann kotzte ich ein ausgiebiges ,Das Bullauge auf keinen Fall gewaltsam öffnen‘ auf das blöde Katzenvieh, das neben dem Fenster saß und das ich am Tag vorher auf der Straße gefunden hatte. Aber warum war es im Haus? Ach so. Ich wollte es als Fußabstreifer verwenden.“
  Camelia Mega mag Blut auf dem selbstgebastelten, dreiärmeligen Müll-Kleid haben und Tabletten für ihren letzten Tag sammeln, aber sie kann es einfach nicht lassen, Wörter zu kotzen, sie bleibt ein unbesiegtes, aufsässiges Großmaul, dem die Wertbestimmungen der Leistungsgesellschaft völlig fremd ist. Natürlich kümmert sich Viola die Grado eher um die gehobene Variante, nicht einfach Bulimie, sondern Wörterkotzen. Nicht einfach Wegwerf-Sex, sondern dazu ein Grundkurs in den Feinheiten chinesischer Schriftzeichen. Man könnte es einen gewissen Sinn für Kunstfaser nennen.
  Ihr räudiges Heldenkind aber besitzt die gelangweilte Verachtung der großen Außenseiter: Für eine Welt, in der Väter verschwinden und die große Liebe so krass danebengeht, dass man es gebrauchsweise eben mit dem falschen chinesischen Bruder treibt. Camelia kauft Blumen und „entjungferte sie noch auf der Straße mit meinem Schweizer Offiziersmesser“.
  Der Papagei, der für die stur schweigende Mutter angeschafft wird, erhält eine kaum pfleglichere Behandlung. Ansonsten fingert die Kleine an ihrem Schmerz herum, der sie zumindest einigermaßen bei Verstand hält – jedenfalls solange sich die Mutter als verlässlich verfügbarer Pflegefall erweist.
  „Was für eine Enttäuschung, es tat weniger weh als alles andere“, notiert Camelia, als sie sich ein Tattoo stechen lässt. Der chinesische Junge, der sie nicht lieben will, erklärt ihr später, dass sie jetzt das Wort „Loch“ auf der Haut herumträgt. Françoise Sagan hat vielleicht einst ähnlich kaltblütig über jenen Nullpunkt geschrieben: wenn der kaputte Drang, sich selbst loszuwerden und das unsterbliche junge Ego auf Unentschieden spielen. Aber natürlich – alles andere wäre Illusion – ist dies auch der Roman einer konservativen Jugend gegen den Zerfall der Familie , gegen einen Egoismus der Eltern, der die Kinder allein und hilflos zurücklässt.
  Jack Kerouac hämmerte seinen Freiheitsrausch „On the Road“ auf Endlospapier in die Maschine. Die bösen Kinder des neuen Jahrhunderts träumen aber nicht mehr von Freiheit. Sie werfen wie Camelia Mega ihre ganze gewaltige Maßlosigkeit auf das zarte Ziel, Schutz zu finden.
CLAUDIA TIESCHKY
Die einzige Handarbeit, die in
diesem Buch vorkommt, besteht
im Verstümmeln von Kleidern
Viola di Grado, 1987 in Catania geboren, hat in London studiert. Ihr Romandebüt spielt in Leeds.
FOTO: LUZPHOTO / FOTOGLORIA
    
    
    
Viola di Grado: Siebzig Acryl, dreißig Wolle.
Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Judith Schwab. Luchterhand Literaturverlag, München 2012. 254 Seiten, 14,99 Euro.
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