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Ein Landgut in Trafaria, südlich von Lissabon, auf der anderen Seite des Flusses Tejo: Hier leben, über ein halbes Jahrhundert lang, drei Generationen einer portugiesischen Familie, gefangen im Würgegriff des patriarchalischen Großvaters, vor dessen tyrannischer Herrschaft es für sie fast kein Entrinnen gibt.
Der Roman beginnt mit der Beerdigung des Großvaters, der das Gut vor Jahrzehnten gegründet und es mit äußerster Kälte, Rücksichtslosigkeit und Gewalt zu wirtschaftlicher Blüte geführt hat. Eine gefühlslose Gier, sowohl in materiellen wie in sexuellen Dingen, prägt ihn bis ins hohe
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Produktbeschreibung
Ein Landgut in Trafaria, südlich von Lissabon, auf der anderen Seite des Flusses Tejo: Hier leben, über ein halbes Jahrhundert lang, drei Generationen einer portugiesischen Familie, gefangen im Würgegriff des patriarchalischen Großvaters, vor dessen tyrannischer Herrschaft es für sie fast kein Entrinnen gibt.

Der Roman beginnt mit der Beerdigung des Großvaters, der das Gut vor Jahrzehnten gegründet und es mit äußerster Kälte, Rücksichtslosigkeit und Gewalt zu wirtschaftlicher Blüte geführt hat. Eine gefühlslose Gier, sowohl in materiellen wie in sexuellen Dingen, prägt ihn bis ins hohe Greisenalter. Er ist gewohnt, sich einfach zu nehmen, was er begehrt, er unterdrückt und betrügt seine Frau, und er verachtet seinen Sohn und seine Enkel, die er für Idioten und Schwächlinge hält. Zusammen mit seinem ebenso gefürchteten Verwalter und mit Unterstützung auch des Priesters herrscht er über das Gut und seine Bewohner mit harter Hand. Gleichwohl verfällt das Gut über die Jahre unaufhaltsam. Und erst als sein jüngster Enkel auf das Erbe verzichtet und alles daransetzt, wenigstens seinen Bruder zu retten, scheint der Teufelskreis aus Unterdrückung und Angst durchbrochen zu werden.

»Der Archipel der Schlaflosigkeit« erzählt eine Geschichte von der Allgegenwärtigkeit archaischer Gewalt. Im Mittelpunkt stehen die Themen, die das Werk dieses vielleicht größten portugiesischen Autors unserer Zeit bis heute prägen: der Aufstieg und Niedergang des Landes und seiner Menschen und die Frage, wie es dazu kommen konnte, der Schrei nach Liebe und menschlicher Wärme und die Suche nach dem Sinn unserer Existenz in einer grausamen Welt, in der selbst Gott, wie es scheint, den Menschen nicht mehr helfen kann.
Autorenporträt
António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren und hat Medizin studiert. Während des Kolonialkrieges war er als Militärarzt in Angola, arbeitete danach in der Psychiatrie und war lange Jahre Chefarzt in einer Psychiatrischen Klinik in Lissabon. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. Sein umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Preisen, zuletzt dem Camões-Preis, ausgezeichnet und ist in vierzig Sprachen übersetzt.

Maralde Meyer-Minnemann, geboren 1943 in Hamburg, lebt heute als Übersetzerin in Hamburg. 1997 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen, 1997 den Preis Portugal-Frankfurt, 1998 den Helmut-M.-Braem-Preis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hans-Peter Kunisch ist baff. Da denkt er, der alte Erzähler Antonio Lobo Antunes kommt langsam zur Ruhe und gönnt sich ein kleines Kunststückchen für die Verkaufstische der Buchhandlungen - weit gefehlt. Was laut Kunisch so konventionell und ganz nach Antunes-Art mit genauer Beobachtung der Verhältnisse zur Zeit Salazars und deren Ende (auf dem Land diesmal zwar) beginnt, endet als gut geplante Auflösung des Erzählzusammenhangs, die den Leser mit lauter Fragen zurücklässt: Wer erzählt? Und gibt es das beschriebene Familienlandgut im Mittelpunkt des Buches überhaupt wirklich? Große Historie, großer Roman, muss Kunisch respektvoll anerkennen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.02.2013

Ein Hauch von Zedernöl und Muff
In seinem Roman „Der Archipel der Schlaflosigkeit“ spiegelt António Lobo Antunes,
der Altmeister der portugiesischen Literatur, die große Historie in der Geschichte einer Familie
VON HANS-PETER KUNISCH
Der alte Lobo Antunes wird zum Fuchs. Zuletzt überforderte der mittlerweile 70-jährige portugiesische Dauer-Nobelpreiskandidat auch gutwillige Leser gern von Anfang an, zog sie ohne Umschweife in seine Symphonien aus ineinander verschlungenen Stimmen, deren zentrale Geschichte, wenn es denn eine gab, kaum mehr zu erkennen war.
  In seinem neuen Roman „Der Archipel der Schlaflosigkeit“ scheint ein ganz anderes Formprinzip zu gelten. António Lobo Antunes beginnt harmlos, geradezu konventionell: ein Haus mit einer Reihe Zypressen, die zum Tor führt. Ein Enkel erinnert sich an seinen dominanten Großvater, der ein Landgut begründet und beherrscht hat. Das übliche Personal ist da, aber die bei Antunes schon klassische Frage: Wer spricht? ergibt sich nicht. Die Erzählerrolle ist klar besetzt, die Atmosphäre wird behutsam aufgebaut: „die Korkeichen und der Weizen, die kleine Stadt, in der die Lichter die Dunkelheit unterstreichen, jedes Mal weiter entfernt. (. . .) im oberen Stock parfümierte meine Mutter die Truhen.“
  Noch immer gibt es die Themen, die Antunes’ von wilden Metaphern und großer Musikalität geprägte Sprache seit drei Jahrzehnten inhaltlich bestimmen. Anstelle des verstaubten Stadtbürgertums rückt er diesmal die ländliche Gesellschaft zu Zeiten Salazars in den Mittelpunkt, wie auch ihr abruptes Ende durch die Nelkenrevolution von 1974. Aber in diesem neuen Epos sind die wiederkehrenden Motive nicht notwendiger Kitt der Erzählkonstruktion, sie gewinnen erst allmählich an Gewicht, spielen manchmal keine Rolle. Eine Weile lang schnurrt die Geschichte wie von selbst. Hat der Meister etwa klein beigegeben, geht es auch ihm plötzlich darum, formal leicht Verdauliches auf Verkaufstischen zu platzieren?
  Schon bald wird klar, dass das ein Irrtum ist. Der vorsichtige Auftakt bedeutet hier nicht viel mehr als die sanfte Einleitung einer neuen großen Geschichte der Auflösung. Sie wirkt vielleicht sogar radikaler, bestätigt sie doch eine alte Regel: Den Boden kann den Lesern erst wirkungsvoll unter den Füßen wegziehen, wer ihn vorher selber gut verlegt hat. Der schnell vergessene Anfangssatz: „Woher kommt nur das Gefühl, dass in diesem Haus, obwohl es unverändert ist, fast alles fehlt?“ ist wichtiger als zuerst angenommen. Am Ende ist nicht einmal mehr klar, ob es das Landgut, um das sich in diesem Buch alles dreht, je gegeben hat.
  Der Großvater, der gleich anfangs vorgestellt wird, ist ein ebenso primitiver wie starker Charakter. „Komm’ her“, sagt er vor anderen zur Magd, wenn er sie missbrauchen will. „Die da“, wenn etwas mehr Auswahl besteht. Für seinen Sohn und seine Enkel hat er vor allem einen Namen: „Idiot“. Ja, einer wie dieser Großvater, der sich das Landgut in Trafaria an der Tejo-Mündung, schräg gegenüber von Lissabon, aus dem Nichts erschaffen hat, kann sich alles erlauben.
  Die sprachliche Klasse Antunes’ gründet auch diesmal auf genauer Beobachtung, die es ihm erlaubt, Tiere wie Menschen so knapp wie einprägsam zu charakterisieren: die Milane etwa, die „unbewegt“ über der Lagune „schweben (. . .) die Erde ist es, sie verändert sich, faltet sich, weitet sich, und sie stehen still.“ Schließlich „klettern“ die Milane „den Kopf zwischen den Schultern, die Luft hinauf, in den Klauen ein Huhn.“ Antunes’ Stärke ist das passende drastische Detail. Etwa in der Beschreibung der Großmutter: „Obwohl sie alt war und die Brille auswechseln musste, so wie sie fast alles auswechseln musste, das Herz, die Bauchspeicheldrüse, das Gedächtnis, verlangte sie jeden Tag gekämmt und aus einem mit einer Art Birne versehenen Flakon parfümiert zu werden, der das Zimmer mit dem Duft alter Möbel erfüllte oder besser mit einem Hauch Zedernöl und einem Hauch Muff (. . .).“
  Das weiß der Bruder des Erzählers. Überraschenderweise ist er es, der das zweite Großkapitel eröffnet. Er scheint ein Autist zu sein, ist in einer (psychiatrischen?) Klinik untergebracht, und, während ihn die Familie besucht, gibt er vor, nichts zu hören. Er sät zum ersten Mal den Zweifel: „Was für ein Landgut?“, „welches Landgut?“, lässt er seine Besucher immer wieder raunen, „eine für mich ganz ungerechtfertigt gestellte Frage, da ich es, hinter dem Rücken der anderen, ganz alleine konstruiert habe, als ich mir sicher war, dass sie schliefen (. . .).“ – Ist dieser Erzähler verrückt oder weiß er mehr als die anderen? Was ist geschehen? Warum lebt die Familie, die ihn besucht, jetzt in einer schäbigen Mietwohnung?
  Wieder benutzt Antunes das Einzelschicksal einer Familie zur Darstellung von Teilen der großen Historie. Die Zeit herrschaftlicher Güter ist lange vorbei, während der Nelkenrevolution wurde das Landgut gestürmt und die Familie vertrieben. Jetzt will sie offenbar nichts mehr von ihrer Niederlage wissen. Und nur der „verrückte“ Bruder lässt sich nicht beirren? Wer gehört überhaupt zur Familie? Väter und Mütter waren auf solchen Landgütern selten eindeutig bekannt, war doch das weibliche Personal Freiwild. Nicht nur der Großvater hat die Abhängigen missbraucht. Auch der Verwalter und sein Gehilfe kennen die Magd, die sich als ebenso gedemütigte wie willfährige Mutter der klassischen Großfamilie erweist.
  Im dritten Großkapitel des Buchs verändert sich die Perspektive noch einmal. Anfangs wird jetzt von Schwester Marie-Adelaide erzählt, auch sie bloß eine geduldete und unterdrückte Frau. In ihren Erinnerungen beginnt das Landgut von Neuem zu blühen, doch Marie-Adelaide ist tot.
  Ist die ganze Welt nur ein Fiebertraum aus dem Jenseits? Weiter hat Antunes den Zweifel an der Realität nie getrieben. Immer neue Figuren tauchen in diesem letzten Kapitel auf, mischen sich zum Chor. Wenn in konventionellen Romanen aus mehreren Perspektiven nacheinander erzählt wird, ergibt sich im Allgemeinen ein vielfältiges, mehr oder minder geschlossenes Bild. In „Der Archipel der Schlaflosigkeit“ geschieht genau das Gegenteil. Durch immer neue Geschichten auf unsicherem Grund löst sich allmählich jede Gewissheit auf. Kunstvoll evoziert und zerstört Antunes jeden verlässlichen Erzählzusammenhang, geschickt lässt er alle Fragen offen.
Polyphones Erzählen ist hier
ein Kunstgriff, um falsche
Gewissheiten zu erschüttern
António Lobo Antunes erzählt diesmal von einem Landgut auf der anderen Seite des Tejo.
FOTO: ISOLDE OHLBAUM/LAIF
   
   
António Lobo Antunes:
Der Archipel der Schlaflosigkeit. Roman.
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2012. 320 Seiten, 22,99 Euro.
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