Marktplatzangebote
9 Angebote ab € 1,73 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Man stelle sich vor: Jemand gibt eine Dinnerparty, man unterhält sich gepflegt über Gott und die Welt, und zwischen Hauptgang und Dessert steht einer der Gäste auf und geht kurz nach oben. Und kommt nicht wieder. Hat sich im Gästezimmer eingeschlossen. Auf Tage, Wochen, Monate ...
Zu einer Dinnerparty bringt der Freund eines Freundes einen Fremden mit, Miles Garth. Man unterhält sich, wird angenehm betrunken, die Diskussionen werden lebhafter, und manchmal schrammen sie auch kurz am Streit vorbei. Man kennt das. Miles fügt sich einigermaßen in die Runde ein, auch wenn er als Vegetarier, der…mehr

Produktbeschreibung
Man stelle sich vor: Jemand gibt eine Dinnerparty, man unterhält sich gepflegt über Gott und die Welt, und zwischen Hauptgang und Dessert steht einer der Gäste auf und geht kurz nach oben. Und kommt nicht wieder. Hat sich im Gästezimmer eingeschlossen. Auf Tage, Wochen, Monate ...

Zu einer Dinnerparty bringt der Freund eines Freundes einen Fremden mit, Miles Garth. Man unterhält sich, wird angenehm betrunken, die Diskussionen werden lebhafter, und manchmal schrammen sie auch kurz am Streit vorbei. Man kennt das. Miles fügt sich einigermaßen in die Runde ein, auch wenn er als Vegetarier, der nicht trinkt und manchmal allzu offen spricht, irgendwie anders ist. Doch dann steht Miles mitten unter dem Essen auf, schließt sich im Gästezimmer ein und ist fortan nicht mehr dazu zu bewegen, wieder herauszukommen. Das kennt man eher nicht. Und es ist überdies ganz schön peinlich, zumal der ungebetene Dauergast bald überregionale Prominenz erlangt und sich um das Haus in Greenwich eine Miles-Fangemeinde schart, inklusive Protestbannern und Merchandising. Währenddessen versuchen vier Personen das Rätsel um Miles zu lösen: Anna, die vor dreißig Jahren mit Miles durch Europa reiste; Mark, der Miles zur Party mitgebracht hat; May, eine alte, demente Frau, deren Verbindung zu Miles sehr überraschend ist (und sehr zu Herzen geht); und die neunjährige Brooke, die vor Wissbegierde strotzt und Wortspiele über alles liebt.

Ali Smith erzählt diese aberwitzige Geschichte, die eigentlich jedem hätte genauso passieren können, mit unvergleichlichem Wortwitz und rasantem Charme. Ihr Roman ist eine umwerfende Satire über die Brüchigkeit gesellschaftlicher Konventionen - und wie wenig es nur braucht, um die geheiligte Ordnung unseres bürgerlichen Lebens gehörig durcheinanderzubringen.
Autorenporträt
Smith, AliAli Smith wurde 1962 in Inverness in Schottland geboren und lebt in Cambridge. Sie hat mehrere Romane und Erzählbände veröffentlicht und zahlreiche Preise erhalten. Sie ist Mitglied der Royal Society of Literature und wurde 2015 zum Commander of the Order of the British Empire ernannt. Ihr Roman »Beides sein« wurde 2014 ausgezeichnet mit dem Costa Novel Award, dem Saltire Society Literary Book of the Year Award, dem Goldsmiths Prize und 2015 mit dem Baileys Women's Prize for Fiction. Mit »Herbst« kam die Autorin 2017 zum vierten Mal auf die Shortlist des Man Booker Prize sowie auf Platz 6 der SWR-Bestenliste.

Morawetz, SilviaSilvia Morawetz, geb. 1954 in Gera, studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik und ist die Übersetzerin von u.a. Janice Galloway, James Kelman, Hilary Mantel, Joyce Carol Oates und Anne Sexton. Sie erhielt Stipendien des Deutschen Übersetzerfonds, des Landes Baden-Württemberg und des Landes Niedersachsen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Katharina Teutsch fragt sich, wieso diese Autorin, eine mehrfache Booker-Prize-Nominierte immerhin, bei uns so wenig Beachtung findet. Die Antwort gibt sich Teutsch dann selbst, indem sie Ali Smiths neuen Roman als intellektuelles Dandytum bezeichnet, das auch noch Sprachkritik betreibt. Das schreit doch förmlich nach der Nische! Leider, meint Teutsch, die das Buch sehr genossen hat, weil Smith, wie sie schreibt, mit einfachen Mitteln Klischees und Erwartungshaltungen, gewohnte Sprecherrollen etwa, angenehm enttäuscht, den Spaß an der Sprache ins Spiel bringt, die Balance zwischen Wahrheit und Fiktion hält und das alles nicht schulmeisterlich, sondern locker von der Leber weg. Die Handlung des Buches, wie sie Teutsch hier anreißt, klingt auch schräg genug.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2012

Mit der Falltür ins Vergnügen

Die mehrfach für den Booker Prize nominierte Schottin Ali Smith springt in ihrem Roman "Es hätte mir genauso" mit ihren Lesern im Dreieck zwischen Pop- und Subkultur.

Die Schottin Ali Smith hat nach einer Sammlung wunderbarer Kurzgeschichten wieder einen Roman geschrieben. Weil das unbestreitbar eine gute Nachricht ist, verwundert es, wie wenig Beachtung er bislang gefunden hat. Vielleicht, weil Smiths Literatur so unprätentiös ist und scheinbar mühelos zusammengefaltet wie der aus einer Buchseite gebastelte Papierflieger eines Kindes.

Jedenfalls gibt es in "Es hätte mir genauso" einen Prolog, der sich poetologisch deuten lässt. Er beginnt mit dem widersinnigen Satz "Tatsache ist, denk dir einen Mann . . ." Was denn nun, ist der Mann "Tatsache" oder "Idee"? Und dann geht es weiter mit diesem phantastischen Sachverhalt, denn der Mann sitzt auf einem Hometrainer und hat seltsame Metallabdeckungen vor den Augen und über dem Mund. Ein kleiner Junge befreit ihn von seinen Scheuklappen. Als Nächstes holt er ein Blatt Papier hervor und bringt dem Mann auf dem Hometrainer bei, es so zu falten, dass es ein gutes Flugobjekt abgibt. "Dann zielt der Mann mit seinem Flugzeug auf die Ecke gegenüber, die an der Tür. Der Flieger folgt exakt der anvisierten Flugbahn. Fast schon dreist, diese Exaktheit."

Ob derlei Selbstbeschreibung bewusst angelegt wurde oder nicht: Die "dreiste Exaktheit" bringt ziemlich genau zum Ausdruck, was Ali Smiths Prosa kann. Mit vermeintlich einfachen Mitteln, der entwaffnenden Weltklugheit eines Kindes oder mit schwatzhaften Engelszungen schafft die mehrfach für den Booker Prize nominierte Autorin literarische Kunstflugobjekte. Und der Leser, gut angeschnallt, fliegt voller Vertrauen in diese virtuose Pilotin jeden noch so kühnen Looping mit.

Folgende Ausgangslage bringt ihn zuvor auf Kurs: Ein gewisser Miles Garth war einer Einladung zum Abendessen nach Greenwich gefolgt, hatte sich zwischen dem Hauptgang und dem Dessert kurz in Richtung Badezimmer absentiert und schließlich die Tür des angrenzenden Gästezimmers hinter sich verschlossen. Dort hockt er zu Beginn des Romans auf einem Hometrainer und weigert sich, Gründe für seine Verbarrikadierung anzugeben. Die Lees, Gastgeber wider Willen, sind mit den Nerven am Ende. Im Handy des Fremden finden sie als einzigen Kontakt den Namen einer Frau, die Garth vor Jahrzehnten auf einer Europa-Reise kennengelernt hat und die die Lees nun um Hilfe bitten. Kommuniziert wird unterdessen durch den Türspalt, den gelegentlich auch Truthahnaufschnitt passiert. "Voluminöseres können wir ihm nicht bieten, weil der Spalt zwischen Tür und Boden sehr schmal ist. (Die Tür unseres Gästezimmers, genaugenommen alle Türen im Obergeschoss unseres Hauses sind angeblich achtzehntes Jahrhundert, das Haus selbst wurde allerdings in den Zwanzigern des neunzehnten Jahrhunderts gebaut, und Sie verstehen sicher, dass ich beunruhigt bin, zumal die Türangeln innen sind. Ich habe Grund zu der Annahme, dass er einen unserer Sessel unter den Türgriff, ebenfalls achtzehntes Jahrhundert, geklemmt hat.)"

Dann wird die Lage unübersichtlich: Brooke, ein neunjähriges Mädchen aus der Nachbarschaft, dessen Eltern offenbar an der Universität arbeiten, schleicht sich koboldhaft ins Geschehen. Sie redet altklug und verdächtig elaboriert daher. Als Miss Lee sie nach Hause schicken will und das bourgeois verklausuliert mit "Ich glaube, du wirst anderweitig gewünscht" zum Ausdruck bringt, antwortet Brooke vergnügt: "Worte, Worte, Worte." Das sei aus Hamlet, "einem Stück von Shakespeare, aber das wissen Sie bestimmt".

Der naseweiße Unschuldsengel gehört fest ins Figurenrepertoire dieser Autorin. In ihrem Roman "Die Zufällige" stört ein himmlischer Besucher eine englische Mittelstandsfamilie auf. In der Kurzgeschichte "Das Kind" findet eine Büroangestellte in ihrem Supermarktwagen ein Baby. Da es niemandem zu gehören scheint, legt sie es in ihr Auto, da reißt der Balg vom Rücksitz aus doch tatsächlich einen chauvinistischen Witz nach dem anderen. Diese Erwartungsverfremdung hat den schönen Effekt, dass gewohnte Sprecherrollen, die Babys, Frauen oder Professoren vorbehalten sind, unterlaufen werden können. Chauvinistenwitze sind einfältig und dumm. Aus dem Mund eines Säuglings werden sie auf einmal komisch.

Dass der Nennwert des Gesagten immer davon abhängt, wer spricht und mit welcher Legitimation, ist eines jener kommunikationstheoretischen Probleme, die Ali Smith in jedem ihrer Bücher erforscht. Sprache macht einen Heidenspaß, aber die clevere Brooke hat sie längst als Spiel um Status und Selbstermächtigung entlarvt. Zu ihren Spezialitäten gehören Wortspiele, Witze oder Floskeln ("Tatsache ist, . . ."). Doch auch die anderen Figuren des Romans haben sich in den Netzen der Sprache verstrickt. Es herrscht Sprachverwirrung und Sprachverzauberung, und es geht dabei immer wieder um die Frage, wie wahrheitsfähig Worte unabhängig von ihrem Sprecher, aber auch ihrem Empfänger sind.

Und wie determinierend. Nachdem man bis fast zum Ende des Buchs meinte, in der Akademikertochter Brooke ein weißes Mittelstandsmädchen vor sich zu haben, entlarvt das Attribut "schwarz" das soziale Arrangement schlagartig als Hirngespinst des Lesers. Smith macht in all ihren Texten von solchen Falltüren in die Untiefen des Klischees Gebrauch - keineswegs schulmeisterlich, sondern immer so, dass man es wie bei einer Zaubervorführung staunend zur Kenntnis nimmt.

Kindermund tut dabei meistens Wahrheit kund. Das ist zwar selbst ein Klischee, doch Brooke erhält Schützenhilfe von ihren sprachklugen Eltern. Sie steht nämlich selbst vor der Schwierigkeit, eine Geschichte schreiben zu wollen, die aus "wahren Tatsachen" und "erfundenen Sachen" besteht. Etwa die Geschichte eines Mannes, der sich in einem Zimmer einsperrt und dort Tausende Meilen auf seinem Hometrainer zurücklegt, so lange, bis er "mit dem Fahrrad über die Dächer von London fahren kann". Aber wie soll sie das hinkriegen, dass es realistisch klingt.

"Du möchtest also sprechende Zauberfrösche und Realismus", sagt ihr Vater. Und ihre Mutter ergänzt: "Sie meint, sie möchte ein Werk der Einbildungskraft, das gleichzeitig im strengen Sinne wahr ist." Das Wunderbare an Ali Smith ist, dass ihr selbst dieser Balanceakt spielend gelingt. In der deutschsprachigen Literatur gibt es im Moment nur Silvia Bovenschen, die ähnlich überzeugend intellektuelles Dandytum mit Jargonparodie und Sprachkritik verbindet.

KATHARINA TEUTSCH

Ali Smith: "Es hätte mir genauso". Roman.

Aus dem Englischen von Silvia Morawetz. Luchterhand Literaturverlag, München 2012. 316 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
»Verspielt, humorvoll, ernst, höchst scharfsinnig und zutiefst berührend.« The Guardian