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Mit acht Jahren wurde die erste Geschichte von Hanns-Josef Ortheil veröffentlicht, und seither ist er zum Schreiben auf die denkbar lustvollste Weise verurteilt. In »Die weißen Inseln der Zeit« entwirft Hanns-Josef Ortheil ein Panorama seiner Passionen und Vorlieben. Wir durchstreifen mit ihm, dem fünften Kind eines Elternpaars, das vor seiner Geburt vier Söhne verloren hatte, das Kindheits-Köln der fünfziger Jahre, begleiten ihn bei den ersten Schritten einer später abgebrochenen Pianistenkarriereund erfahren von den Anfängen seines Schriftstellerdaseins. In seinem unverwechselbar melodiösen…mehr

Produktbeschreibung
Mit acht Jahren wurde die erste Geschichte von Hanns-Josef Ortheil veröffentlicht, und seither ist er zum Schreiben auf die denkbar lustvollste Weise verurteilt. In »Die weißen Inseln der Zeit« entwirft Hanns-Josef Ortheil ein Panorama seiner Passionen und Vorlieben. Wir durchstreifen mit ihm, dem fünften Kind eines Elternpaars, das vor seiner Geburt vier Söhne verloren hatte, das Kindheits-Köln der fünfziger Jahre, begleiten ihn bei den ersten Schritten einer später abgebrochenen Pianistenkarriereund erfahren von den Anfängen seines Schriftstellerdaseins. In seinem unverwechselbar melodiösen und persönlichen Ton erzählt Ortheil von seinen Jahren in Rom, seinen ersten Konzerten, seinen Streifzügen durch europäische Städte und Landschaften und zeigt uns, wie er zu einem der bedeutendsten Romanciers und Essayisten seiner Generation wurde.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2004

Nachmittag mit Goldrand
Hanns-Josef Ortheils autobiographisch-essayistisches Quodlibet

Hanns-Josef Ortheil, einst Pianist, heute Romanautor und Essayist, erster deutscher Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus (an der Universität Hildesheim), begeisterter Gast Italiens und italienischer Speiserestaurants, hat mit seinem Buch "Die weißen Inseln der Zeit" ein Menü, ein literarisches Quodlibet komponiert. In fünf Gängen - "Orte", "Bilder", "Klänge", "Lektüren" und "Coda" - stehen autobiographische Großstadtimpressionen, Entdeckungen in Museen, Nachzeichnungen einer abgebrochenen musikalischen Laufbahn, Kommentare zu Büchern und ihren Autoren und schließlich eine Klage über den Verfall der Gesprächskunst und ein Preis der Sprache Thomas Manns zur Wahl. Unterschiedlichste Erwartungen werden hier erfüllt - nach dem Motto des Direktors im "Vorspiel auf dem Theater" des "Faust": "Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen." Geht hier auch jeder "zufrieden aus dem Haus"?

Haken wir also zunächst ab, was uns nicht zufriedenstellt. Der "Nachbemerkung" läßt sich entnehmen, daß ein Großteil der gesammelten Texte für die führenden deutschsprachigen Feuilletons geschrieben wurde. Die Namen der genannten Redakteure glänzen doppelt hell, weil die Zeit der Entstehung und des Drucks der Texte im dunkeln bleibt. Aber manchmal wäre dem Leser die Möglichkeit zur richtigen biographischen oder zeithistorischen Einordnung der Texte wichtig. Nicht alle Beiträge können von gleicher gedanklicher Geschliffenheit und sprachlicher Eleganz sein. Der Essay zu Hermann Lenz' "Portrait" der Stadt Stuttgart etwa will sich nicht recht aus der Hülle des bloßen Referats herausschälen. Andererseits hat Ortheil keine Spreu in diese Textauswahl geschmuggelt.

In diesem Menü wird jeder etwas für seinen Geschmack finden. Und so will ich freimütig bekennen, was mir besonders gemundet hat, und fange mit dem Ende an. Gegen das Gros der Dankreden wirkt die Rede zur Verleihung des Thomas-Mann-Preises der Hansestadt Lübeck so erfrischend und originell, weil Ortheil sein Verhältnis zum Autor des "Tonio Kröger" und des "Zauberbergs" selbstironisch aus den Gesprächen entwickelt, die er nach der frohen telefonischen Botschaft aus Lübeck mit seinen Kindern Lotta und Lucas führte, denen er auch seinen "Roman eines Vaters" ("Lo und Lu", 2000) gewidmet hat, und viel früher mit einer Frau, die sein "ganzes Leben" veränderte. Er ist an diesem Abend so sehr in Gedanken an Thomas Mann verloren, daß er nun seine Frau Katja nennt.

Unter den Kommentaren zu Hörtexten ist wohl der zu einer CD mit Reden und Gesprächen Theodor W. Adornos der spritzigste. Ortheil zeigt, wie "Teddie" aus der Beschimpfung der Banausen den Funken des Narzißmus schlägt und wie diese Selbstbespiegelung umschlägt in die Entdeckung des Schönen. Nur Canetti setzt die Zungen-Eilfertigkeit Adornos ironisch matt: "Verehrter Herr Adorno, Sie beginnen mit dem 14. Kapitel meines Buches, ich darf jetzt einmal berichten, was ich in den ersten dreizehn zu entfalten mich wähnte."

Wichtige Fährten zum Verständnis des literarischen Werks legen Ortheils Berichte über seinen Weg als Musiker. Der früh als Talent Entdeckte spielt sich mit seinem vorzeitig abgebrochenen Probevortrag spielend in die Musikhochschule hinein und lernte in der Meisterklasse eine völlig neue Technik des Klavierspiels. Seine Glücksstunde schlägt, als er für einen plötzlich erkrankten großen Pianisten einspringen darf; mit dem Stück, Schumanns Klavierkonzert in a-Moll, geht er auf Tournee. Das Ende der hoffnungsreichen Laufbahn kommt abrupt, mit dem Anriß einer Sehne. Jetzt wirft der Enttäuschte alle Energien auf die Sprache, versucht Musik in Text zu überführen, in Wortmusik. So bahnt sich der Librettist seinen Weg, in Opern wie "Sturmnacht" (1987) und "Achill unter den Mädchen" (1997), so kulminiert die Verwandlung der Musik in Literatur in seiner jüngsten Künstlerromantrilogie über Goethe, Turner und Mozart.

Diese Darstellung der eigenen Künstler-Metamorphose nimmt entschieden einen autobiographischen Erzählstrang auf, der sich mit momentanen Aufblendungen in das ganze Buch hinein verästelt und so immer wieder "Inseln der Zeit" auftauchen läßt. Klar überwiegt das autobiographische Element in den Essays unter dem Stichwort "Orte". In der Heimatstadt Friedrich Engels' und der Geburtsstadt Else Lasker-Schülers, in Wuppertal, gerät der katholisch Getaufte im Gymnasium unter die streng-fleißigen Protestanten, die sich morgens "lateinisch und griechisch" begrüßen; er behauptet sich als Musterschüler mit Goldrandbrille und ohne Humor. Rheinische Luft atmet der in Köln Geborene mit fünfzehn Jahren wieder in Mainz; gleichgültig wird ihm die homerische Syntax, er beginnt zu schreiben. Nach dem Abitur, als er sich in Rom als Organist der deutschen Gemeinde durchschlägt, erwacht seine lebenslange Liebe zu Italien. Aber Wurzeln schlägt er schließlich im Stuttgarter Gartenhaus, oberhalb der Stadt.

Daß Ortheil gegen das Übermaß, das gewaltige Gebirge des Kölner Doms das Häuslich-Vertraute des Mainzer Doms stellt, ist kein Affront gegen Köln und sein Wahrzeichen. Im Gegenteil, ihre magnetische Kraft hat die Stadt bewahrt; nicht weniger als fünf Köln-Essays eröffnen den Band. Jedes Jahr zieht es Ortheil nach Köln zurück, wo "sich der alte Schwarz-Weiß-Film aus den frühsten Kindertagen" wieder zusammensetzt. Bilder der Verkleidungen und Masken des Karnevals sind dabei. Inbild alles "Kölschen" aber ist ihm "UnserallerOnkel" Heinrich Böll.

Die Münsterländerin Annette von Droste-Hülshoff hat in ihrer Ballade "Meister Gerhard von Köln" (1841) den damals noch unfertigen Kölner Dom zum Schauplatz eines schaurigen nächtlichen Gespensterauftritts gemacht. Da loben wir uns doch die bacchantische Vision Ortheils. Der Rhein steigt über die Ufer, der Dom beginnt zu schwanken, und in breiten Strömen fließt aus den Brauhäusern das Kölsch, das Spezialbier der Stadt, in den Rhein. Ihre Sprache und ihr Bier bezeichnen die Kölner als "Kölsch"; und in beiden offenbart sich für Ortheil das "kölsche Wesen". Was immer das bedeuten mag - solange am "kölschen Wesen" nicht "die Welt genesen" soll, lassen wir uns das Wort gefallen.

WALTER HINCK

Hanns-Josef Ortheil: "Die weißen Inseln der Zeit". Orte, Bilder, Lektüren. Luchterhand Literaturverlag, München 2004. 317 S., geb., 19,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"In diesem schönsten, gewiß aber unvergleichlichsten Mozart-Buch liest der Autor Mozarts Sprache wie eine Partitur, und er lässt uns dessen Musik auf neue Art hören."
(Frankfurter Rundschau)

"Das überaus einleuchtende Selbstporträt eines großen Schriftstellers."
(Die Zeit)

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Walter Hinck beginnt seine Rezension mit der Nennung dessen, was ihm nicht an diesem Band mit gesammelten Feuilletons, Reden, kleinen Essays, Notizen aus der Feder Hanns-Josef Ortheils gefallen hat, und das kommt mehr einer Rüge des Verlags als des Autors gleich. Viele Texte seien für die Feuilletons der großen Tageszeitungen entstanden, erklärt Hinck, aber wann genau sie geschrieben wurden, bleibe im Dunklen und lasse teilweise eine historische Einordnung nicht zu, rügt Hinck. Naturgemäß seien nicht alle Texte von der gleichen gedanklichen Brillanz, gesteht der Rezensent zu, sieht aber keinen Grund zur Klage, da ansonsten "jeder etwas für seinen Geschmack finden" könne. Nach Hincks Geschmack ist Ortheils Dankesrede für die Verleihung des Thomas-Mann-Preises der Stadt Lübeck, worin der Autor sein Verhältnis zu Thomas Mann selbstironisch und originell aus Gesprächen mit seinen Kindern entwickele. Akzeptabel - als Nicht-Kölner - findet Hinck Ortheils Texte über Köln, die Stadt seiner Kindheit, aufschlussreich den Bericht über Ortheils Weg als Pianist und dessen abgebrochene Karriere. So erklärt sich, meint er, wie Ortheil immer wieder versuche, Musik in Text zu überführen. Wer aufmerksam in den Texten lese, werde ohnehin einen autobiografischen Erzählstrang finden, der Rückschlüsse auf das literarische Werk Ortheils zulasse.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr