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Georg von Heuken ist schon fünfzig, als er endlich, nachdem er seit Jahren von diesem Wechsel geträumt hat, die Verlage seines Vaters übernehmen kann. Die nach dem Krieg unbekümmert ihren Erfolg suchende Generation tritt ab und macht widerstrebend Platz. In bewunderswert genauen und ironisch geschliffenen Bildern hat Ortheil diesen Gesellschaftsroman von enormer Dichte geschrieben, hinter dessen Kulissen sich auch eine Liebesgeschichte ereignet. An einem Montagmorgen erhält Georg von Heuken die Nachricht vom zweiten Herzinfarkt seines Vaters, des Großverlegers Reinhard von Heuken. Damit…mehr

Produktbeschreibung
Georg von Heuken ist schon fünfzig, als er endlich, nachdem er seit Jahren von diesem Wechsel geträumt hat, die Verlage seines Vaters übernehmen kann. Die nach dem Krieg unbekümmert ihren Erfolg suchende Generation tritt ab und macht widerstrebend Platz. In bewunderswert genauen und ironisch geschliffenen Bildern hat Ortheil diesen Gesellschaftsroman von enormer Dichte geschrieben, hinter dessen Kulissen sich auch eine Liebesgeschichte ereignet. An einem Montagmorgen erhält Georg von Heuken die Nachricht vom zweiten Herzinfarkt seines Vaters, des Großverlegers Reinhard von Heuken. Damit beginnt für ihn, den ältesten Sohn einer alten rheinischen Unternehmer-Dynastie, der Kampf um die Nachfolge und das Erbe des Vaters, der im Krankenhaus liegt und sich an den laufenden Geschäften nicht mehr beteiligen kann. Zum einen hat er es dabei mit seiner Schwester und einem jüngeren Bruder zu tun, die ebenfalls als Verleger im Familienunternehmen tätig sind, zum anderen mit einem gefeierten Autor, einer Agentin, einem Lektor und einem Biographen des Vaters, die den Kampf um die Nachfolge allesamt argwöhnisch verfolgen und mit ihren jeweils eigenen Mitteln versuchen, auf sein Ergebnis Einfluss zu nehmen. Schritt für Schritt arbeitet von Heuken daran, Terrain zu gewinnen, während er unmerklich immer mehr den Wegen und dem Zauber seines übermächtigen Vaters folgt, der in den letzten Jahren vor dem Infarkt ein verborgen gehaltenes nächtliches Zweitleben in einer Suite des Kölner Dom-Hotels führte. Um die Rätsel dieser geheimen Stunden zu erkunden, quartiert sich von Heuken in der Suite ein und entdeckt in sich allmählich Fertigkeiten und Leidenschaften, von denen er sich zuvor nicht einmal hätte träumen lassen, dass sie in ihm schlummern könnten. Hanns-Josef Ortheils neuer großer Roman ist nicht nur ein weit ausholender, virtuos in die Vergangenheit zurückblendender Familienroman, sondern auch das faszinierend aktuelle Panorama unserer Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts, vor dessen Hintergrund und im Verborgenen der neue Verleger auch in eine Liebesgeschichte hineingezogen wird - zu seinem großen Glück.

Autorenporträt
Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, so mit dem "Brandenburger Literaturpreis", dem "Thomas-Mann-Preis", dem "Georg-K.-Glaser Preis", dem "Koblenzer Literaturpreis", dem "Nicolas Born-Preis", dem "Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis" und 2016 mit dem "Hannelore-Greve-Literaturpreis". Die Romane von Hanns-Josef Ortheil wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005

Bücher machen Leute
Hanns-Josef Ortheils Verlagskomödie / Von Friedmar Apel

Wer in diesen Zeiten der üblen Laune das Positive sucht, der wende sich den Büchern von Hanns-Josef Ortheil zu. Da schreiben nicht unglückliche alternde Schriftsteller an Texten über unglückliche alternde Schriftsteller, da gelingen die Bücher wie das Leben, und die Liebe ist kein Ding der Unmöglichkeit. Sein neuer Roman zeigt ihn auf der Höhe einer Entwicklung, die ihn von biographischem und historistischem Erzählen zur intelligenten Unterhaltungsliteratur und schließlich zur Form des auf Aktualität zielenden Gesellschaftsromans geführt hat.

"Die geheimen Stunden der Nacht" ist eine so detaillierte wie spannende Darstellung des Verlagsgewerbes. Das Thema war nach den das Mythische streifenden Vorgängen um einige deutsche Verlagshäuser wohl fällig. Um es produktiv aufzugreifen aber, braucht es Kenntnisse, und die bezieht Ortheil aus nächster Nähe. So ist das Buch seiner Frau, der Verlegerin Imma Klemm, gewidmet. Der Autor vergißt nicht zu erwähnen, daß sie die Urenkelin des Verlegers Adolf von Kröner ist, der die Buchpreisbindung durchsetzte. Derart ist der Roman auch eine Hommage an die verbliebenen Traditionshäuser und ihre Art des Büchermachens - und ist bestimmt nicht nostalgisch gemeint.

Georg von Heuken, Sohn eines Kölner Verlegers vom knorrigen alten Schlag, ist schon fünfzig Jahre alt, als der zweite Herzinfarkt seines unnahbaren Vaters ihm zunächst schreckhaft die Aussicht eröffnet, den Verlag zu übernehmen. Auf dem Weg dahin muß er seine Schwester Ursula überzeugen und den angeberischen Bruder Christoph ausstechen und sich argwöhnischen Beobachtern innerhalb und außerhalb des Verlages aussetzen, die ihm das Format seines Vaters nicht zutrauen. Die Nagelprobe ist der Umgang mit dem eitlen alten Starautor des Verlags, Wilhelm Hanggartner, der immer für eine Hunderttausender-Auflage gut ist, sein neues Manuskript aber nur dem befreundeten Patriarchen übergeben will. Daß es von Heuken gelingt, Hanggartner den Bauch zu pinseln, ohne aus der Rolle zu fallen, verbucht er als erstes Zeichen wachsender Souveränität.

Trotz der nahenden Buchmesse aber kann er sich nicht nur auf das Geschäft konzentrieren. Es drängt ihn zu erfahren, was sein Vater in der Suite des Domhotels getrieben hat, in der ihn der Infarkt ereilte. Dabei entdeckt er die verborgenen Seiten seines Vaters und zugleich Wünsche und Leidenschaften in sich, die während seiner brav und monogam geführten Ehe jahrzehntelang nicht zutage getreten waren. Schließlich gilt es, sich auch in der Liebe gegen den Vater durchzusetzen. In der Auseinandersetzung mit seiner Herkunft nähert er sich dem Vater immer mehr an und muß feststellen, daß es womöglich gar nicht schlimm ist, so zu werden wie er.

Fast schon didaktisch aufbereitet, erfährt der Leser alles Wichtige über die Buchproduktion - von der Manuskriptbearbeitung über die Autorenpflege bis zu Herstellung und Marketing nebst brancheninternem Jargon und Witz. Das Personal ist vom Lektor über die Agentin bis zur Sekretärin typisch, zugleich aber stattet der Erzähler jede Figur in milder Ironie mit einer individuellen Charakteristik aus, und mit einer Ausnahme werden sie alle früher oder später liebenswert. Das Ganze wird eingebettet in jede Menge Kölner Lokalkolorit mit "Kölsch" und "Krüstchen".

Wie gewohnt läßt Ortheil auch im neuen Roman seiner Lust an der Beschreibung von Orten und Dingen freien Lauf. In der Geschichte wird das aber spezifisch motiviert, indem die Entwicklung des Helden auch als eine des immer wacheren Hinsehens erscheint. So läßt sich das Rheinufer mit der gleichen Intensität schildern wie die Einrichtung eines Hotelzimmers, einen roten Sportwagen der Marke Mazda, einen Floating-Tank, in dem sich Georg von Heuken zu entspannen pflegt, oder ein Kleidungsstück, das die schöne Vorzimmerdame Joana trägt, die der Held mit neuen Augen anschaut. Es "handelt sich um einen eher weiten Blazer aus feiner, im Licht des Deckenstrahlers schimmernder Seide, die anscheinend bemalt ist, die zurückhaltende zwischen Hellgrün und einem Wolkenrosa changierende Bemalung ist aber farblich so geschickt verteilt, daß er keine Knöpfe, Taschen oder andere Details erkennt, all das macht sich vielmehr erst beim zweiten Hinsehen bemerkbar, als er den Blazer auf seine Einzelteile hin betrachtet."

Diese emphatische Hinwendung zur Sichtbarkeit der Welt gehört wesentlich zum optimistischen Gestus des Romans. Der Mensch mag, nach einer gern zitierten Sentenz des alten Verlegers, nur Gast auf Erden sein und unter mancherlei Beschwerden seiner transzendenten Heimat zustreben. Solange er aber wandelt, soll er die weltlichen Dinge in ihrer Schönheit und ihrem Nutzen als die seinen betrachten. So wird die Geschichte hauptsächlich im Präsens erzählt. Die Vergangenheit wirkt zwar als Tradition oder Erinnerung an die Kindheit weiter, sie zählt aber für Georg von Heuken zunehmend nur als vergegenwärtigte, als Spannung des Lebendigen, die ausgehalten und gestaltet werden muß. So entwickelt sich der Held von einem sentimentalen Mitläufer, dessen Blick keinen Halt im Gegenwärtigen findet und der manchmal lieber unsichtbar wäre, zu einem, der heraustritt, hinschaut und handelnd standhält.

So kommt es in dieser Geschichte ganz anders als beim Suhrkamp Verlag, auf den manche Anspielung zielt, und das darf als Plädoyer für die Söhne oder Töchter, für eine natürliche Erbfolge im Verlagswesen gelesen werden, wenngleich auch die Rolle der Ehefrauen nicht unterschätzt wird. Aber Ortheil hat es trotz der unübersehbaren Anspielungen auf Siegfried und Joachim Unseld nicht auf einen publicityträchtigen Schlüsselroman abgesehen. Die Beschreibung des Traditionsverlags "mit seinen mehr als zehn Lektoren und hundert Mitarbeitern", Belletristik und Sachbuch, Reisebücher, Kunst und Fotografie, leiht sich Züge mehrerer bekannter Häuser. Sie bildet das in ironischem Realismus beschriebene Ambiente, in dem sich aktuelle Konflikte wie im Brennspiegel betrachten lassen.

Um so merkwürdiger mutet der offenbar gewollte Stilbruch an, daß der Leser in dem pompösen Starautor des Verlags, Wilhelm Hanggartner, dem Virtuosen der "Preisgabe", der seine "intimsten Passionen" öffentlich ausbreitet und, wenn alles nichts hilft, irgendeinen "abwegigen Kommentar zur Lage der Nation" abgibt, beim besten Willen zur Fiktion eine Karikatur Martin Walsers erkennen muß, auch wenn nicht alle Züge passen. Sie ist freilich nicht ohne Respekt gezeichnet. "Auch bei seinen Lesungen rudert und schaufelt er unablässig mit seiner Rechten, manchmal sieht es so aus, als wolle er seine eigenen Texte entsorgen oder wegkippen wie Schrott, um den sich gefälligst die anderen bemühen sollen. Dennoch, man hört ihm zu, das muß man ihm lassen, er ist nicht einer von jenen Autoren, die ihre Arbeiten so matt vortragen, als hätten sie die Lust an ihnen selbst schon verloren."

Aus der spottlustigen Überzeichnung der Figur zieht Ortheil zum Schluß überdies noch eine hübsche Pointe, indem er seinen Roman so enden läßt, wie es Hanggartner salbadernd vorgibt. So bekennt Ortheil in der Form, daß ihm nichts Walserisches, keine Autoreneitelkeit fremd ist: "Zutiefst zuwider war es mir, meinen Figuren den Laufpaß zu geben, ihnen schnöde das Glück zu entziehen. Als Autor spielt man ja Gott, alle Gesetze des Lebens hat man selbst in der Hand, man kann bestrafen, belohnen, den Rücken kehren, ach, am Ende habe ich meinen Figuren den Rücken gekehrt. Sich abwenden, beiseite gehen, der alte Autoren-Gott trollt sich davon und überläßt das Leben sich selbst, wie findest du das?"

Der positiv gestimmte Leser von Ortheils Roman findet es gut, denn er ist überzeugt, daß Georg von Heuken auch die noch ausstehenden Proben aufs Glück bestehen wird. Daß ein solcher Schluß "marketingtechnisch perfekt" ist, wie der angehende Verleger meint, ist zwar so zweifelhaft wie viele andere branchentypische Phrasen, die im Laufe der Geschichte gedroschen werden, aber das kann dem Leser egal sein. Er fühlt sich von diesem Familien- und Gesellschaftsroman in der Tradition Balzacs bestens belustigt und belehrt.

Hanns-Josef Ortheil: "Die geheimen Stunden der Nacht". Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2005. 382 S., geb., 21,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2005

Das feuerrote Spielmobil
Hanns-Josef Ortheil zwischen Tratsch und Recherche
Wer fährt eigentlich ein solches Auto? Einen roten Mazda RX-8 mit schwarzroten glänzenden Ledersesseln, ein flaches japanisches Fahrzeug mit Drehkolbenmotor und über zweihundert Pferdestärken, eine Maschine, mit der man, laut Werbung, den „täglichen Spaßfaktor um ein Vielfaches erhöht”? Georg van Heuken fährt ein solches Auto, so will es jedenfalls Hanns-Josef Ortheil, der diese Figur für seinen jüngsten Roman erfunden hat: einen Helden, der morgens in die Garage geht, um sein Gefährt zu betrachten. „Er steht da wie ein exotisches fettes Insekt, das in solchen Standboxen auf ideale Weise gedeiht und bei Sonnenlicht ausrastet. Vier Türe, vier Sitze - das war der Kompromiß, auf den von Heuken sich gerade noch eingelassen hatte, dafür ist der Wagen immer noch Sportwagen genug, auf den Punkt getrimmt und mit einem leicht arroganten Design, durchaus also etwas für Fahrer, die ihre Runden auch einmal allein drehen wollen.”
So ist es auf der zehnten Seite des jüngsten Romans von Hanns-Josef Ortheil zu lesen, und noch oft durchquert das Auto dieses Buch, neben einem älteren Alfa-Romeo und einem schwarzen Mercedes, der allerdings nicht fährt, sondern nur poliert wird.
Die Lehre des weißen Anzugs
Glanzvolle Auftritte von Automobilen sind selten in der jüngeren deutschen Literatur. Gewiss, sie sind nicht immer zu vermeiden. Man stolpert über dieses Blech, wenn man sich auch nur irgendwie mit der Gegenwart beschäftigt, und viele beschäftigen sich sogar gern mit ihnen. Eine solche Beschreibung aber ist anders: Denn sie will den Reiz des Fahrzeugs auskosten, sie will wiedergeben, wie es betört und verzaubert, sie will dessen Bedeutung im Kopf eines wohlhabenden Mannes von gut fünfzig Jahren vermessen - und selbstverständlich will sie auch die Peinlichkeit ausloten, die entstehen muss, wenn dieser gar nicht mehr junge Herr, ein seriöser Verleger von auch literarischen Werken, im nächsten Augenblick mit seinem brummenden feuerroten Spielmobil unterwegs ist.
Das Anliegen, mit der Dichtkunst so nah wie möglich an die Welt, so wie sie auch im Subjektiven ist, heranzurücken, hat Meister in der Beschreibung des lockenden Details hervorgebracht, Meister auch in der Verquickung journalistischer Techniken mit literarischem Schreiben. Tom Wolfe mag der größte von ihnen gewesen sein, und Amerikaner sind die meisten, von denen auch Hanns-Josef Ortheil gelernt hat - nicht wenig übrigens, wie nicht nur seine Darstellung des Mazda RX-8 offenbart, sondern auch sein Umgang mit dem grün-goldenen Etikett von Parfümflaschen der Marke „4711” sowie mit der Glasarchitektur für Bürogebäude unter besonderer Berücksichtigung von Innengärten mit vier „lungernden” kleinen Bäumen.
Tom Wolfe, um bei diesem Meister einer detektivisch inspirierten Literatur zu bleiben, trägt einen weißen Anzug, immer, einen Zweireiher mit einem Einstecktuch. Dieses Kostüm ist weit mehr als ein Markenzeichen. Es ist ein Arbeitsanzug, mit dem er zur Recherche ins jeweilige Milieu auszieht, damit jeder darin sofort erkennt, dass hier ein Fremder kommt, der nach Erledigung seines Auftrags wieder als Fremder gehen wird. „Vermischt euch nicht mit mir”, sagt dieser Anzug, „so wie ich mich nicht mit euch vermische. Ich habe nur insoweit Anteil an euch, wie ich euch brauche.” Denn es ist das Privileg des fremden Gastes, erkennen zu können, nach welchen geheimen Regeln eine Gesellschaft funktioniert, und er erkennt sie nur, weil die Regeln für ihn selbst nicht gelten.
Hanns-Josef Ortheil aber trägt keinen weißen Anzug. Er würde es auch nie tun. „Zwei Hemden mit diesen seitlich wegfliehenden Spitzen, wie nennt man die bloß? Ein Sakko und zwei Hosen, die dazu passen. Unterwäsche, Strümpfe, ein Paar Schuhe. Was er da einpackt, ist Freizeitkleidung, Casual Look, als führe er für ein Wochenende aufs Land, um sich zu entspannen.” Der Held ist es, Georg von Heuken, der hier seine Siebensachen zwecks Erbschaft und Ehebruch zusammenlegt. Doch es könnte genauso gut auch der Dichter selber sein.
Denn Hanns-Joseph Ortheils Roman „Die geheimen Stunden der Nacht” handelt im hohen Maße von einem Leben, das dieser Schriftsteller für das eigene halten muss. Es sind seine Hosen, die hier gefaltet werden, und er ist es, der, von der Wahl des Autos über den Restaurantbesuch bis hin zur Inneneinrichtung, in den Attributen des bundesdeutschen Reichtums schwelgt. Oder anders gesagt: Dieses Buch ist der Versuch einer Gesamt- und Totalkolportage aus dem deutschen literarischen Betrieb, weshalb der Anteil an Recherche am Ende sehr gering und der Anteil an Tratsch sehr hoch ausfällt - wobei dieser Tratsch, das sei zur Ehre der Person Hanns-Josef Ortheil, aber nicht zur Ehre des Schriftstellers gleichen Namens gesagt, sich im wesentlichen an das landläufig Bekannte hält, also niemanden mehr verletzen kann.
Der Roman spielt in Köln, in einem Medienkonzern, der das Neven DuMont Haus zu bewohnen scheint, und erzählt also von einem großen, alten, vitalen Verleger, der überdeutlich die Züge Siegfried Unselds trägt. Dieser erleidet seinen zweiten Herzinfarkt, und Georg van Heuken, das älteste seiner drei Kinder, macht sich auf, zunächst eher unwillentlich, dann um so entschiedener, die Nachfolge anzutreten. Im Umfeld treten auf: eine Schwester, die, ebenso zurückhaltend wie klug, an Monika Schoeller, die Geschäftsführerin des S. Fischer Verlags, erinnert, und ein Bruder, von dem mancher Leser glauben wird, in ihm den verstorbenen Verleger Karl Blessing wiedererkennen zu können. Es finden Lektoratskonferenzen statt, es wird über Vertriebsprobleme diskutiert, Neuerscheinungsverzeichnisse werden entworfen, ein paar Jungautoren huschen durch das Bild. Klein ist diese Welt, eine Nische nur im Wirtschaftsleben der Nation, und zudem, da sich das Buch zudem nur auf einen literarischen Verlag innerhalb des gesamten Konzerns konzentriert - warum eigentlich, es geht doch um das gesamte Erbe? - eine Nische, der man keine große Zukunft mehr versprechen kann.
Warum geschieht das? Warum dieser engagierte Blick durch die Schlüssellöcher einer ebenso beschränkten wie bedeutungslosen Branche, ein Blick, der doch kaum mehr als die paar tausend praktisch Beteiligten interessieren dürfte? Warum dieser Aufwand an glänzenden Details, an detektivischem Schreiben? Der Grund für diese Disproportion zwischen Enthusiasmus und Gegenstand ist im Schriftsteller selbst zu suchen, in seiner Unfreiheit der Branche gegenüber. Und wie unfrei er ist - das erschließt sich weniger dadurch, dass Hanns-Josef Ortheil im wirklichen Leben mit einer Verlegerin und Verlagserbin verheiratet ist, sondern durch die Art und Weise, wie er in seinem Werk den ideellen Kern des Buchgewerbes, den Roman und den Romancier behandelt.
Denn nur einmal geht es in diesem Buch um Literatur. Genauer: es geht um sie, indem es nicht um sie geht. Die Frage, ob es Georg van Heuken gelingt, der Nachfolger seines Vaters zu werden, entscheidet sich zu einem großen Teil daran, ob er in der Lage ist, dem Großautor des Unternehmens das Manuskript eines neuen Romans abzuringen. Hinter diesem fiktiven Wilhelm Hanggartner verbirgt sich, unschwer zu erkennen, der leibhaftige Martin Walser - das beginnt bei einem Wohnsitz am Rande Deutschlands, es geht fort über eine demütige Ehefrau, und es endet bei den buschigen Augenbrauen noch lange nicht: „Hanggartner mit Hut und gewaltigem, um den Hals gewundenen und erstaunlich zielsicher nach hinten geworfenem Schal, er lehnt mit dem Rücken gegen einen kalkweiße Mauer, als habe er sich mit jemandem verabredet und warte noch einmal wie ein verträumter Jüngling auf die Marienerscheinung einer Frau aus den Himmeln.”
Dieser Hanggartner, ein furchterregend eitler und pompöser Kerl, ein geiler, versoffener Autor, für den der eigene Lektor nur noch ein Schulterzucken übrig hat, einer, der längst leergeschrieben sein soll, der aber von jedem Buch Hunderttausende von Exemplaren verkauft, ist die eigentliche Mitte von Hanns-Josef Ortheils Roman. Und das ist so, weil das Buch sich an dieser Figur von einer mehr oder minder fiktiven Kolportage aus dem literarischen Betrieb in dessen vermeintliche Entlarvung verwandelt.
Wie leicht wäre es gewesen, selbst unter diesen Voraussetzungen, ein wenig vom echten Martin Walser in das Buch einzubringen, von seiner Frechheit, von seiner wahrhaft literarischen, ja sogar erlösenden Schamlosigkeit. Doch wo es, die Notwendigkeit einer Entlarvung einmal vorausgesetzt, darum gegangen wäre, den Reichtum an solcher Hochstapelei zu entdecken, das hohe Maß an Stilisierung und Erfindung, da soll es bei Hanns-Josef Ortheil auf die Dürftigkeit des Porträtierten ankommen. So werden das wirkliche und das erfundenen Leben, die Erfahrung und die Literatur aneinandergelegt, und alles, was dabei herauskommt, ist billig und schäbig und windig, der Vollrausch eingeschlossen. Auf sehr protestantische Weise wird hier der Pomp auf seine hohle Mitte hin abgeklopft.
Ein sehr durchsichtiger Walser
Das ist bitter. Wie bitter es ist, scheint dem Autor nicht einmal aufzufallen. Mit Liebe, ja Hingabe beschreibt er den Verlag, den Aufbau und die Funktion eines solchen Unternehmens. Mit noch größerer Leidenschaft widmet er sich dessen betriebswirtschaftlichen Dimensionen. Aber wenn es darum geht, das zu beschreiben, wovon und worin ein solcher Verlag lebt, eben das Buch, den Roman, entpuppt sich der Autor als Verräter - so, als mache er selber nur zum Scherz bei ähnlichen Unternehmungen mit, so, als wäre er eigentlich etwas Besseres und Größeres, etwas, das mit den albernen Zappeleien des Schriftstellers, der hier entlarvt wird, nichts zu tun habe. Es ist diese lächerliche Überheblichkeit angesichts der mehr oder minder eingebildeten Geheimnisse des literarischen Betriebs, die den hohen Anteil an Tratsch in diesem Werk motiviert, und sie ist es, die sich durch die Recherche camoufliert.
Denn was ist der Tratsch, wenn nicht der Versuch, durch Kenntnis der Hintergründe eine vermeintliche Souveränität zu erzeugen, ein Darüber-Stehen und Mitmachen-Wollen zugleich, eine Einheit von Beflissenheit und Arroganz? Denn der Tratsch ist zwar ein Verwandter der Recherche, funktioniert aber auf genau entgegengesetzte Weise: In der Recherche wird der Informant zum Mittel des Suchenden. Im Tratsch aber dient die Suche vor allem zur Herstellung einer Gemeinsamkeit mit dem Informanten. Deswegen ist der weiße Anzug so wichtig, und deswegen trägt Hanns-Josef Ortheil nur den Anzug seines Helden. Und in dieser Unfreiheit den „Informanten”, also den Angehörigen des literarischen Betriebs gegenüber, steckt das ganze Elend dieses Buches.
THOMAS STEINFELD
HANNS-JOSEF ORTHEIL: Die geheimen Stunden der Nacht. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2005. 382 Seiten, 21, 90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Bestens unterhalten hat sich Anne Kraume bei der Lektüre von Hanns-Josef Ortheil Verlagsroman "Die geheimen Stunden der Nacht". Sie attestiert dem Autor, der mit Imma Klemm, der Chefin des Stuttgarter Kröner-Verlags verheiratet ist, intime Kenntnisse des Verlagswesens, und so verwundert es nicht weiter, dass der Roman alles bietet, was den Literaturbetrieb ausmacht - Lektorenkonferenzen und Agentinnen mit Netzstrümpfen, Herbstprogramme und die Termine der nahenden Buchmesse. Kraume merkt an, dass Kenner der Branche keine Schwierigkeiten haben werden, in den detailversessenen Charakterbildern Ortheils einige der prominentesten Vertreter der Branche "enttarnen" zu können. Der alte Reinhard von Heuken etwa erinnere an den alten Siegfried Unseld, der Starautor des Verlags, Wilhelm Hanggartner, an Martin Walser. Kraume hebt aber auch hervor, dass der Roman bei allen "kenntnisreichen und leicht wehmütig-ironischen Schilderungen der Verlagswelt" mehr ist als eine "augenzwinkernde Verständigung unter Eingeweihten", nämlich ein "kaschierter Initiationsroman", in dem der Sohn des Großverlegers und Patriarchen Reinhard von Heuken nach dessen zweiten Herzinfarkt endlich die Möglichkeit erhält, aus dem Schatten des übermächtigen Vaters zu treten.

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"Hanns-Josef Ortheil bietet [...] kultivierte Stunden des Wohlbehagens - einen erstklassigen Unterhaltungsroman mit literarischem Anspruch." Neue Zürcher Zeitung