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Ein pensionierter Diplomat liest in Rio de Janeiro die Nachricht von der Ermordung eines Kollegen, der ihm unterstellt war, als er in Peking arbeitete. Und ihm fällt wieder ein, wie widerwillig dieser ansonsten fähige junge Mann reagierte, als er einen speziellen Auftrag ausführen sollte: Der Sohn eines einflussreichen Brasilianers, ein Fotograf, war ein Jahr davor im Altaigebirge im äußersten Westen der Mongolei verschwunden, und sein Vater verlangte, dass man sich auf die Suche nach ihm machte. Bewegt kramt der alte Diplomat Papiere hervor, die ihm sein Kollege nach der Reise aushändigte,…mehr

Produktbeschreibung
Ein pensionierter Diplomat liest in Rio de Janeiro die Nachricht von der Ermordung eines Kollegen, der ihm unterstellt war, als er in Peking arbeitete. Und ihm fällt wieder ein, wie widerwillig dieser ansonsten fähige junge Mann reagierte, als er einen speziellen Auftrag ausführen sollte: Der Sohn eines einflussreichen Brasilianers, ein Fotograf, war ein Jahr davor im Altaigebirge im äußersten Westen der Mongolei verschwunden, und sein Vater verlangte, dass man sich auf die Suche nach ihm machte.
Bewegt kramt der alte Diplomat Papiere hervor, die ihm sein Kollege nach der Reise aushändigte, und findet darunter zwei Tagebücher, das des verschollenen Fotografen und das seines soeben ermordeten Kollegen. Er beginnt, nach Verbindungen zu suchen.
Beide berichten von unzuverlässigen Führern, von Treffen mit Nomaden in der Wüste Gobi und in den mongolischen Steppen, vom Leben der Rentiere züchtenden Tsaatan an der Grenze zu Russland, von der Begegnung mit einem Untertonsänger, einem zwielichtigen buddhistischen Mönch und einem kasachischen Falkner. Der Fotograf scheint besessen gewesen zu sein von einer erschreckenden Gottheit, die als nackte, rote Frau mit einem blutgefüllten Schädel in der Hand dargestellt und offenbar heimlich verehrt wird. Der junge Diplomat, "der Westler" genannt, folgt den Spuren des Fotografen immer tiefer ins Herz der Mongolei, obwohl er Land und Leute mit Distanz und Misstrauen, ja Abscheu betrachtet. Doch so nahe er ihm auch zu kommen glaubt: Es scheint, dass sein Weg nie zum vorgesehenen Ziel führt, dass etwas zu finden erst möglich ist, wenn man die Suche aufgegeben hat.
Autorenporträt
Bernardo Carvalho wurde 1960 in Rio de Janeiro geboren. Er ist Schriftsteller und Journalist, hat in Brasilien und Portugal bereits mehrere Romane und einen Band mit Erzählungen veröffentlicht. Seine Werke sind in zehn Sprachen übersetzt. Für "Neun Nächte", seine Erstveröffentlichung in deutscher Sprache, erhielt er die beiden renommiertesten Literaturpreise Brasiliens: Machado des Assis und Jabuti.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2007

Der Schlaf des Gesetzes
Verschollen: Bernardo Carvalho ruft die Gespenster der Mongolei

In den Landkarten gehen sie als "Straßen" durch: kaum sichtbare Spuren, in den Boden gedrückte Profile und Einkerbungen, die der Wind schnell wieder verweht. Man muss darum ganz genau hinschauen, um die feinen Furchen zu erkennen, die einzigen Garanten des richtigen Weges. Besucher können von der feinen Wahrnehmung mongolischer Reiseführer in der Regel nur träumen. Was sie sehen, verstehen sie nicht, und was sie zu verstehen glauben, hat mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Noch die aufgeklärteste, selbstkritischste Hermeneutik klopft oft vergeblich an die vielen Türen, hinter denen das Fremde sich verschanzt.

Es gehört zur Kunst des brasilianischen Autors und Journalisten Bernardo Carvalho, das Wissen der modernen Ethnologie um die Beschränkungen der eigenen Einsichtsfähigkeit nicht nur anschaulich in Szene zu setzen, sondern auch als Strukturprinzip des Erzählens selbst zu nutzen, aus der Kluft zwischen Schein und Sein, Wirklichkeit und Deutung eine Spannung zu erzeugen, die sich in seinen Romanen von der ersten bis zur letzten Seite hält. In dem im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienenen Roman "Neun Nächte" folgte Carvalho den Spuren des amerikanischen Ethnologen Buell Halvor Quain, der sich 1939, während seiner Feldforschungen bei den Krahô-Indianern, im Alter von siebenundzwanzig Jahren das Leben nahm; eine schwere Krankheit hatte ihn offenbar befallen. Aber das erklärt noch nicht den Gewaltcharakter seines Todes, die zahllosen Schnittwunden, die er sich zufügte. An den Ufern des Amazonas hatte Quain sich offenbar nicht nur physisch, sondern auch psychisch auf tödliche Weise infiziert.

In dem nun erschienenen Roman "Mongólia" entfaltet Carvalho die Geschichte eines fiktiven Protagonisten: eines brasilianischen Fotografen, der sich im Auftrag eines großen Magazins auf eine längere Reise durch die Mongolei begibt. Er kehrt zum vorgesehenen Zeitpunkt aber nicht zurück; irgendwann verlieren sich seine Spuren. Ein Beamter an der brasilianischen Botschaft in Peking erhält daraufhin den Auftrag, das Schicksal des Fotografen aufzuklären. Als er kurz nach seiner Rückkehr nach Brasilien stirbt, lässt er nicht nur seine eigenen Reiseaufzeichnungen zurück, sondern auch die des vermissten Fotografen, auf die er während seiner Nachforschungen gestoßen ist. An deren Durchsicht begibt sich nun der ehemalige Vorgesetzte des Diplomaten, der ihn einst beauftragte, nach dem verschollenen Fotografen zu suchen. Die raffiniert ersonnene Ausgangslage ist von hohem Reiz. Denn von Anfang an hat man es mit einem dreistimmigen Text zu tun: den Ausführungen des ehemaligen Vorgesetzten und den Aufzeichnungen aus den beiden Tagebüchern.

Diese drei Stimmen arrangiert Carvalho zu einer kunstvollen Komposition; er lässt den Eindrücken des einen die der anderen folgen, die sich gegenseitig ergänzen, oft genug aber auch einander widersprechen. Denn die Mongolei ist ein Land mit einer Kultur, mit Verhaltensweisen und Verständigungsmustern, die sich westlicher Logik nicht schnell erschließen. Der "Westler", wie der den Spuren des Fotografen folgende Diplomat von den Einheimischen genannt wird, scheitert daran regelmäßig. Er bringt "keine Geduld mehr auf für die umständliche Art des Führers, sich dem Wesentlichen zu nähern, in kleinen Schritten, es immer wieder umkreisend, ohne es wirklich anzusprechen, eine nach seiner bisherigen Erfahrung übliche Eigenart der Mongolen". Allerdings hat Caravalho historisches Bewusstsein genug, die mongolischen Eigenarten vor dem Hintergrund ihrer Entstehung zu zeichnen: der Ausrufung der Mongolischen Volksrepublik 1924 und des immer stärkeren Einflusses der UdSSR, der in den späten 1930er Jahren zu den "Säuberungen" führte, denen knapp 40 000 Menschen zum Opfer fielen, unter ihnen zahllose Intellektuelle und rund 18 000 buddhistische Mönche. Fast die gesamten Klöster wurden zerstört, ebenso suchte man der traditionell nomadischen Lebensweise der Mongolen ein Ende zu machen.

Ausführlich berichtet Carvalho von den Schrecken der Geschichte, wodurch der Roman ebenso wie durch die anschaulichen Landschaftsschilderungen den Charakter einer Reisereportage erhält. Tatsächlich war der Autor drei Monate in der Mongolei unterwegs. "Mongólia" ist ein Roman, dessen Spannkraft auf dem Willen der Protagonisten gründet, eine Kultur zu durchdringen, deren Tradition gleichsam gekappt wurde. Die Mongolen, heißt es in den Aufzeichnungen des Fotografen, "haben gelernt, sich aus allem rauszuhalten. Die Vergangenheit besteht, sofern sie nicht ganz verlorengegangen ist, nur noch aus Sagen und nebulösen Vermutungen. Jahrhundertelang haben die Lamas die Dinge für sie imaginiert. Siebzig Jahre lang hat die Partei es übernommen, sich für sie, an ihrer Stelle zu erinnern. Nun heißt sich erinnern imaginieren." In diesen Schlund des Imaginären wird auch der Fotograf stürzen. Auch die anderen Protagonisten werden an dem Land irre.

Eigentlich wäre das Arrangement des Textes darauf angelegt, zumindest einen im klassischen Sinn allwissenden Erzähler zu präsentieren: den Diplomaten, der seinen Untergebenen einst anwies, auf die Spurensuche in die Mongolei aufzubrechen. Und doch verweigert ihm Carvalho diese Gunst. Stattdessen lässt er ihn ebenfalls ins Leere laufen. Die mongolische Geschichte hat ein intellektuelles Vakuum geschaffen, in dem sich niemand so leicht zu orientieren vermag. So nützt es dem Chefdiplomaten wenig, Beobachter der Beobachter zu sein; auch seine Schlüsse gehen fehl und lösen jenes Mysterium nicht auf, in dem der Fotograf befangen ist.

Nicht von ungefähr erinnert "Mongólia" an einen anderen brasilianischen Roman, der sich den Geheimnissen der großen Ebene widmete, Guimarães Rosas' "Grande Sertão: Veredas". Auch dieser Roman spielt in einer geschichtslosen Zeit oder besser: in einer Zeit vor der Geschichte, zumindest vor dem Einzug der modernen Zivilisation. Während in der Mongolei das Gesetz im frühen zwanzigsten Jahrhundert abgeschafft wurde, war es in den Sertão, das unwirtliche Hinterland im brasilianischen Nordosten, zu dieser Zeit noch kaum vorgedrungen. Gehetzt, unsicher, bedroht ist das Leben auch dort, und entsprechend stark blüht dort kompensierende Phantasie. Der Sertão, könnte man sagen, ist die Mongolei Brasiliens, und so mag es kein Zufall sein, dass sich Carvalho für das zentralasiatische Steppenland interessiert. Hier wie dort gilt die alte Erfahrung, dass der Schlaf des Gesetzes Gespenster gebiert.

KERSTEN KNIPP

Bernardo Carvalho: "Mongólia". Roman. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Karin von Schweder-Schreiner. Luchterhand Literaturverlag, München 2007. 221 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hat Bernardo Carvalho in seinem zuletzt auf Deutsch erschienen Roman "Neun Nächte" vom Schicksal des Ethnologen Buell Halvor Quain erzählt, der 1939 bei den Kraho-Indianern am Amazonas Selbstmord beging, folgt er in seinem jüngsten Roman nun den Spuren eines fiktiven in der Mongolei verschollenen Fotografen, stellt Rezensent Kersten Knipp fest. Indem ein brasilianischer Beamter der Botschaft und, nachdem auch der verschwindet, sein Vorgesetzter auf die Suche nach den Vermissten geschickt wird, entsteht eine reizvolle, dreifach gebrochene Erzählperspektive, lobt der Rezensent fasziniert. Die sich mal ergänzenden, mal widersprechenden Aufzeichnungen der Reisenden lassen die spannungsreiche Diskrepanz zwischen "Schein und Sein" der Eindrücke deutlich werden und zeigen den Abstand der Interpretation der Fremden zu der ihnen unverständlichen mongolischen Kultur, was für Knipp die ihn überaus bestrickende Konstruktion dieses Romans ausmacht.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Der Roman ist der Bericht einer Reise, verpackt in Erfundenes - und das ergibt eine Literatur, die Bernardo Carvalho berühmt machen müsste. Spannend bis zur überraschend letzten Seite." (Kurier)