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Als Gast bei den arabisch-jüdischen Hausbesitzern in Haifa am Ende des Zweiten Weltkriegs fühlt sich Becky nicht wirklich wohl. Immer hört man alles und jeden durch die dünnen Wände, und womöglich stammen die Läuse auf dem Kopf ihres Jungen ja tatsächlich von den Schaffellen der Gastgeberfamilie, auf denen er so gerne sitzt. Auch das ständige Kartenspielen ihres Mannes behagt ihr nicht. Und dann liegt eines Abends auch noch ein betrunkener britischer Soldat auf der Türschwelle, der sich bald dafür entschuldigen wird und die Familie teilhaben lassen will an seiner Obsession: Detailversessen…mehr

Produktbeschreibung
Als Gast bei den arabisch-jüdischen Hausbesitzern in Haifa am Ende des Zweiten Weltkriegs fühlt sich Becky nicht wirklich wohl. Immer hört man alles und jeden durch die dünnen Wände, und womöglich stammen die Läuse auf dem Kopf ihres Jungen ja tatsächlich von den Schaffellen der Gastgeberfamilie, auf denen er so gerne sitzt. Auch das ständige Kartenspielen ihres Mannes behagt ihr nicht. Und dann liegt eines Abends auch noch ein betrunkener britischer Soldat auf der Türschwelle, der sich bald dafür entschuldigen wird und die Familie teilhaben lassen will an seiner Obsession: Detailversessen kopiert er Rembrandts Bild »Die Landschaft mit den drei Bäumen « ...
Ein halbes Jahrhundert später, in der Novelle Stromkastenbrände, ist immer noch Krieg, diesmal der Golfkrieg. Und auch jetzt, in einem Mietshaus in Tel Aviv, will sich so etwas wie Heimat nicht einstellen. Der Stromkasten fängt Feuer, und Sofie Jakov, die ältere Dame aus dem obersten Stockwerk, überlebt den Brand nicht. War es ein Kurzschluß, oder steckt der Junge aus den besetzten Gebieten, der einmal das Treppenhaus gewischt hat, dahinter? Unterschiedlich in Ton und Atmosphäre, zeigen die beiden Novellen mit einem ebenso gelassenen wie genauen Realismus, mit einer unbestechlichen Sympathie für die Verwerfungen und Verstrickungen der Figuren, wie sehr und wie hinterhältig die politischen Konflikte sich in das Leben des einzelnen einschreiben.
Autorenporträt
Jehoschua Kenaz wurde 1937 in Petach Tikwa geboren. Er studierte an der Hebräischen Universität und später an der Sorbonne in Paris. 1960 erschien seine erste Erzählung, inzwischen zählt er mit Abraham Jehoschua und Amos Oz zu den wichtigsten israelischen Gegenwartsautoren. 1995 wurde er mit dem hochangesehenen Bialik-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.07.2003

Die tödliche Gefahrnamens Mensch
Jehoschua Kenaz’ Novellen
„Landschaft mit drei Bäumen”
Die Reihenfolge irritiert. Warum die inhaltlich triftigere an den Anfang gesetzt und die leichtere, zum Einstimmen geeignete als Coda? Man sollte den Novellenband „Landschaft mit drei Bäumen” von Jehoschua Kenaz lesen wie ein hebräisches Schriftstück: von rechts nach links, für uns hier demnach von hinten nach vorn.
„Landschaft mit drei Bäumen” heißt die Novelle, die Ende des Zweiten Weltkriegs in Haifa spielt, wo die Schiffe mit den illegalen Einwanderern ankommen, die die englischen Besatzer nicht ins Land lassen wollen. Doch davon ist nicht eigentlich die Rede. Jehoschua Kenaz versetzt den Leser in eine alles andere als komfortable Familiensituation. Beckys Sohn wird entlaust. Die Mutter ist von Vorurteilen keineswegs frei und vermutet, dass er sich das Ungeziefer auf dem Schaffell der jeminitisch-jüdischen Vermieter, der Chazons, geholt hat.
Schlomo Chazon wiederum verhehlt sein Misstrauen nicht gegen Frank, der immer häufiger bei Beckys Familie zu Besuch ist. Denn dieser Frank ist Engländer und in den Augen des künftigen Untergrundkämpfers Schlomo ein Feind. Frank will seiner Einsamkeit entrinnen und macht deshalb Becky und die Ihren zu Mitwissern seiner heimlichen Obsession: Er kopiert Rembrandts Kupferstich „Landschaft mit drei Bäumen” als Tuschzeichnung, was ihm allenfalls Bewunderung, aber keine Zuneigung einbringt. Selbst als er ihnen die vollendete Zeichnung schenkt, garantiert ihm das keine liebevolle Erinnerung: Die Kinder entdecken im Naturidyll versteckt ein Liebespaar in Aktion.
Armer roter Kater
Kenaz versteht es nicht nur meisterlich, die Protagonisten seiner Alltagsminiaturen lebendig werden zu lassen; er mischt unmerklich kleine Tröpfchen Gift in die menschliche Melange, die sich harmonisch zu mengen anschickt. Oh nein, der englische Soldat Frank kann einem nicht sympathisch werden, genauso wenig, wie man die Bewohner jenes Hauses zu schätzen lernt, wo 50 Jahre später, zu Zeiten des ersten Golfkriegs, ein Schwelbrand im Sicherungskasten die gebrechliche Sofie Jakov tötet. Wieder sind es die politischen Verhältnisse und die durch diese erhöhte Gewaltbereitschaft, die die Geschicke und das Handeln der Hausbewohner bestimmen. Latente Aggression und Argwohn haben die menschlichen Beziehungen versaut. Es bekämpft der Einsame den Einsamen, es misstraut der Jude dem Araber und umgekehrt. Der Verdacht, dass der Palästinenserjunge Rachmani, der im Hause geputzt hat, den Brand gelegt hat, erhärtet sich nicht. Und es bleibt ebenso ungeklärt, ob es eine jüdische Gang war, die den Jungen mit einem Lastwagen angefahren hat oder ein Palästinenser, welcher Rachmani den Job neidete.
„Stromkastenbrände” endet mit Auflösung und Tod. Stirbt am Anfang die alte Sofie mehr oder weniger einen Tod aus Angst vor dem Tod, so verendet am Ende ein kleiner Kater kläglich. Geli und Zachi haben Rotschopf adoptiert und kastriert und nach ihrer Trennung einfach ausgesetzt. Wie die Katze unbeachtet verreckt, ist Symbol für das, was die Menschen um sie herum ausmacht: eine Brutalität und Herzenskälte, die sie jederzeit über Schwache und Außenseiter herfallen lässt. Und dabei sind diese Hausbewohner sicherlich ganz normaler Durchschnitt – mit all ihren Ängsten und ihrer Feigheit. Wie Beckys Familie und die Chazons. Oder Israelis von heute, schriebe Kenaz eine dritte Novelle hinzu.
EVA-ELISABETH FISCHER
JEHOSCHUA KENAZ: Landschaft mit drei Bäumen. Zwei israelische Novellen. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Luchterhand Literaturverlag, München 2003. 317 Seiten, 22 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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"Kenaz ist ein begnadeter Schriftsteller!" (Philip Roth)

"Kenaz kann alles. Er wischt sich selbst völlig aus und ist nur präsent im Erzählrhythmus seines Romans, der nie Eile hat, sondern das Tempo dem tatsächlichen Ablauf anpaßt." (FAZ)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2003

Der ewige Palästinenser
Allegorien des Unheils: Zwei Novellen von Jehoschua Kenaz

In mancher Hinsicht ist "Stromkastenbrände", Jehoschua Kenaz' Novelle über ein Mietshaus in Tel Aviv, die israelische Version der "Lindenstraße". Auch die zur Zeit des Golfkriegs spielende Prosahandlung durch den regen Kontakt, den die Protagonisten miteinander pflegen, obwohl sie nichts als dieselbe Adresse verbindet. Da ist Sofie Jakov, eine alte Dame und passionierte Radiohörerin, die einem Feuer fangenden Sicherungskasten zum Opfer fällt, Flora Maschiach, die mit ihr so verschwägerte wie verfeindete Nachbarin, Etti, eine unter ihr wohnende Beamtin aus der Telefonzentrale, die noch immer unter einer zehn Jahre zurückliegenden Vergewaltigung leidet, ein lärmendes junges Liebespaar und zwei Mädchen, die trotz intensiver gegenseitiger Abneigung eine Wohnung miteinander teilen.

Doron, ein arbeitsloser Programmierer, dem die Freundin davongelaufen ist, kümmert sich um die Treppenpflege und darf dafür den schwungvollen Titel "Hausbeiratsvorsitzender" führen. Ihm fällt die undankbare Aufgabe zu, mit Ismail, dem langjährigen Putzmann, zu verhandeln, einem Palästinenser, der während des Krieges im Gaza-Streifen unter Hausarrest stand und sich nun aus dem Job gedrängt findet. Er fordert vergeblich eine Entschädigung. Von diesem Moment an scheint ein Fluch auf dem Haus zu liegen.

Der Brand, der Unfall, in den Rachmani, der neue, jüdische Putzmann, gerät, Dorons Streit mit der Freundin - alles weist auf die Entscheidung zurück, Ismail nicht länger die Treue zu halten. So verwandelt sich der läppische Vorfall in eine Allegorie des arabisch-israelischen Verhältnisses mit seinen Schuldzuweisungen und Unheilsspiralen. Kenaz hat ein bemerkenswertes Talent, das Schleichende und Beiläufige eines Verhängnisses literarisch einzufangen. Spürbar wird die allgemeine schlechte Laune, die Engherzigkeit aller Beteiligten, das Mühsame jeder Anstrengung, begangene Fehler wiedergutzumachen. Seine Figuren sind kindisch, rechthaberisch, übermäßig mit sich selbst beschäftigt. Aus ihrem chronischen Unmut und ihrer auftrumpfenden Aggressivität spricht eine vom Raketenkrieg aufgepeitschte Gereiztheit, aber auch ein Mangel an verbindlichen Umgangsformen, ein existentielles Beleidigtsein, das sich vor den großen, politischen Problemen in eine Trotzhaltung zurückzieht.

Nicht unbedingt zum Wohle der Erzählung fügt der Autor ihr eine surreale Dimension hinzu, in der das Dämonische mal in Gestalt eines kratzlustigen, roten Katers, mal als Teufelsfigur, aus deren Augenschloten "Feuerzungen" schießen, und dann wieder als schnauzbärtiges Gespenst sein Wesen treibt. Rachmani wird von diesem Unhold an seinem Schlafplatz im Luftschutzkeller sexuell bedrängt, Etti glaubt in ihm ihren Vergewaltiger zu erkennen, und Sofie Jakov phantasiert ihn in ihrer Todesstunde als geheimnisvollen "Südamerikaner" herbei. Und doch ist der düstere, mit masochistischem Eros aufgeladene Widersacher, der den Figuren in Traumzeitmomenten erscheint, so etwas wie der ewige Palästinenser. Kenaz überblendet seine Situation mit der des mutterlosen Katers, der das "Strauchdickicht" und den dort vom Abfall lebenden Troß streunender Katzen auf der Suche nach einem besseren Zuhause verläßt. Das findet er nur vorübergehend, und für den Verrat wird er von den Seinen zerrissen.

Weniger plastisch bleibt die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Haifa spielende Titelerzählung. Auch in ihr arbeitet der Autor mit allegorischen Mitteln. Der Protagonist ist ein Junge, der zwischen dem orthodoxen Lebensstil seiner Eltern und der Liberalität einer Nachbarsfamilie hin- und hergerissen wird. Fasziniert beobachtet er Frank, einen britischen Besatzungssoldaten, der regelmäßig in seinem Elternhaus einkehrt. Der introvertierte Mann arbeitet an der minutiösen Reproduktion des Rembrandt-Stichs "Die Landschaft mit drei Bäumen" und macht ihn der Familie beim Abschied zum Geschenk. Die idyllische Szenerie erhält ein anderes Gesicht, als die Beschenkten im Gebüsch ein obszönes Liebespaar entdecken. Das mühsam restaurierte Paradies gleicht dem jungen israelischen Staat: Auch wenn er auf den ersten Blick durch patriarchalische Zufriedenheit besticht, vollzieht sich in der Hecke schon der Sündenfall.

Kenaz deutet den Konflikt zwischen einem traditionellen Selbstbewußtsein und modernen Begehrlichkeiten nur sehr zart, im ratlosen Erstaunen einer jungen Seele an. Der Himmel des Nachbilds erscheint dem Knaben "lastender, das Leben auf der Erde wurde nahezu erdrückt von seinem Gewicht": Franks Pastorale glich "mehr einem Land der Verbannung". Es entspricht diesem melancholischen Befund, wenn die drei Bäume sich in drei britische Sergeanten verwandeln, über die es heißt, daß sie von jüdischen Untergrundkämpfern "in einem Orangenhain bei Netanya aufgehängt wurden".

INGEBORG HARMS

Jehoschua Kenaz: "Landschaft mit drei Bäumen". Zwei israelische Novellen. Aus dem Hebräischen übersetzt von Barbara Linner. Luchterhand Literaturverlag, München 2003. 319 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als israelische Version der "Lindenstraße" bezeichnet Ingeborg Harms die Erzählung "Stromkastenbrände", eine von zwei in einem Band zusammengefassten Novellen des israelischen Autors Jehoschua Kenaz. Nur der Umstand, dass sie in einem gemeinsamen Mietshaus in Tel Aviv wohnten, verbände die Protagonisten miteinander, erklärt Harms. Bislang gab es einen palästinensischen Putzmann, der sich durch Hausarrest im Gazastreifen aus dem Job gedrängt findet und von einem nicht-palästinensischen Kollegen ersetzt wird. Ein ursprünglich läppischer Vorfall, eine kleine Entscheidung, die eine ganze Kette an Ereignissen nach sich zieht, kommentiert Harms, und sich zu einer "Allegorie des arabisch-israelischen Verhältnisses" auswächst. Harms ist beeindruckt, wie es Kenaz gelingt, das schleichende Unheil, die nervöse Verfassung der Hausbewohner, ihr "existentielles Beleidigtsein" und ihre damit einhergehende politische Ignoranz einzufangen. Die vom Autor eingefügte surreale Dimension stört nach Harms eher, und auch die mit allegorischen Mitteln arbeitende zweite Titelerzählung bleibt ihrer Meinung nach etwas blass.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Jehoschua Kenaz (ist) der klügste und bedeutendste der heute lebenden und schreibenden israelischen Schrifsteller." (Die literarische Welt)