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Eine außergewöhnliche Familiengeschichte, eine Reise zurück in die Nazi-Zeit: Die Erzählerin sucht nach den Spuren ihrer an Schizophrenie erkrankten Großmutter, die während des Krieges in einer psychiatrischen Anstalt verschwand und aus dem Familiengedächtnis gelöscht wurde. Und dabei stößt sie in den Akten auf eine Frau, die ihr auf alarmierende Weise ähnlich ist.

Produktbeschreibung
Eine außergewöhnliche Familiengeschichte, eine Reise zurück in die Nazi-Zeit: Die Erzählerin sucht nach den Spuren ihrer an Schizophrenie erkrankten Großmutter, die während des Krieges in einer psychiatrischen Anstalt verschwand und aus dem Familiengedächtnis gelöscht wurde. Und dabei stößt sie in den Akten auf eine Frau, die ihr auf alarmierende Weise ähnlich ist.
Autorenporträt
Melitta Breznik, geb. in Kapfenberg, Österreich, studierte Humanmedizin und wurde zur Praktischen Ärztin ausgebildet, bevor sie sich als Fachärztin in Psychiatrie und Psychotherapie spezialisierte. Sie lebt in der Schweiz im Kanton Graubünden. Bei Luchterhand sind von ihr bisher erschienen: »Nachtdienst« (Erzählung 1995), »Figuren« (Erzählungen 1999), »Das Umstellformat« (Erzählung 2002), »Nordlicht« (Roman 2009), »Der Sommer hat lange auf sich warten lassen« (Roman 2013) und »Mutter. Chronik eines Abschieds« (2020).
Rezensionen
»Eine glasklare Erzählerin.« (Süddeutsche Zeitung)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Zauberworte hinter Panzerglas
Die weiße Flecken füllen: Melitta Brezniks Erzählung "Das Umstellformat" / Von Peter Demetz

Die Reise zurück in die Vergangenheit der nationalsozialistischen Diktatur hat längst ihre eigene literarische Gattung gebildet, deutlicher heute als gleich nach dem Krieg. Die nobelsten Intentionen überwiegen, allein - nicht immer waltet eine Unterscheidungskraft, die weiß, wann die aufgetürmten Schreckensworte sich selber zu sabotieren beginnen, und mit dem unentwegt dämonischen SS-Scharführer ist es auch nicht getan.

Melitta Breznik geht ihren eigenen Weg, ohne uns vom Grauen, den Verbrechen und den Verdrängungen abzulenken, die in Familie und Gesellschaft schwären; die Psychiatrie, ihr Beruf, fördert ihre Neigung zu einer diskreten Sachlichkeit, die sie uns schon in ihren Erzählbänden "Nachtdienst" (1995) und "Figuren" (1999) vor Augen führte. In ihrem dritten Buch "Das Umstellformat" erzählt sie, wie eine österreichische Ärztin im Mai 1998 eine Reise nach Hessen unternimmt, um jene Anstalten aufzusuchen, in welchen man ihre geisteskranke Großmutter in den Kriegsjahren festhielt. Sie will wissen, was es mit der Diagnose einer unheilbaren paranoiden Schizophrenie auf sich hatte, wie die Patientin starb und warum man in ihrer Familie so wenig an sie dachte, als ob ihre Gestalt weggewischt wäre wie ein "weißer Fleck" der Familiengeschichte.

Die Ärztin überzeugt ihre Mutter, die in Hessen aufwuchs, mit ihr zu fahren. Die beiden Frauen - die Tochter wißbegierig und traurig, denn sie hat über die Euthanasiemorde gelesen; die Mutter eher irritiert und darauf bedacht, die Orte ihres eigenen Lebens wiederzusehen - halten in Frankfurt, wo die Polizei einst die Kranke erst in die Landesheilanstalt überweisen ließ, dann in die Kliniken in Marburg, Hadamar und Merxhausen. Dort haben Mutter und Tochter Gelegenheit, die Akten und die Krankengeschichte einzusehen und den Friedhof zu besuchen, wo die Großmutter bestattet liegt, Massengrab und "Kollektivkreuz". In Hadamar erklärt ihnen der Chefarzt, daß die Tötungen im Jahre 1941 "ein offizielles Ende" nahmen, doch "allem zum Trotz sei das Sterben in den meisten Anstalten unbeobachtet weitergegangen", wegen "der erbärmlichen Bedingungen vom Verlauf des Krieges" und weil "mancherorts ganz bewußt weiter getötet worden sei". Auffällig jedenfalls, wie der Eintrag der Fieberkurven im Jahre 1941 plötzlich abbricht, später fehlen auch Aufzeichnungen über den Blutdruck, und der Totenschein, ausgestellt am 9. Mai 1943, vermerkt das Ableben der Patientin ohne Angabe von Gründen.

Die Autorin nennt ihr Buch, bescheiden genug, eine "Erzählung" oder, im Innern der Prosa, einen "Bericht". Sie liebt es allerdings, ein besonderes Interesse für ihre reisende Erzählerin eher zu verbergen, als zu offenbaren. Merkwürdig: Je mehr sich die Forschende dem Ziel ihrer Forschungen nähert, desto klarer wird ihr, wie innig sie der Großmutter, physiognomisch und im gedanklichen Bewußtsein, verbunden ist - als solle so der weiße Fleck der Familiengeschichte getilgt werden. Ein spätes Anstaltsfoto beweist, daß sie ihr "wie aus dem Gesicht geschnitten ist", und der wahnsinnige Gedanke ihrer Großmutter, ein diabolisches "Umstellformat" habe sich, als Institution, der Menschen bemächtigt oder hypnotisiere sie, hat sich unverrückbar in ihrem Bewußtsein eingenistet. Also, mitten in der herben Sachlichkeit, eine romantische Novelle von einem Ich, das sich in einem anderen, problematischeren wiederfindet, moderner E. T. A. Hoffmann? Das Finale, das sich durch eine lang aufgeschobene Dramatik und die Gegenwart aller Sätze aus dem Zusammenhang hebt, liest man deshalb mit besonderer Aufmerksamkeit. Der Ärztin gelingt es da in ihrem eigenen Institut, eine aufgeregte Kranke durch das Panzerglas der Station plötzlich zu besänftigen, indem sie das Signalwort "Umstellformat" mit ihren Lippen formt - Intuition, ärztliche Analytik, oder ist sie, als Enkelin, von ihrer Großmutter affiziert?

In der epischen Balance dieser Prosa darf sie aber, selbst als Erzählerin, keine Privilegien für sich beanspruchen, denn sie bleibt eine Figur unter anderen, die alle ihre eigenen Rechte haben, und ihre verborgene Novelle bildet nur ein Element des subtilen Textes, der sich aus verschiedenen Stücken zusammensetzt, die Analogien bilden oder einander kommentieren, ohne Rücksicht auf die bequeme und traditionelle Zeitenfolge.

Im Grunde arbeitet Melitta Breznik mit zwei Formen der Sprache: dem Monolog in Bekenntnis, Beobachtung, Beichte oder Meditation eigener Erfahrungen, und mit einer anderen, der erstarrten Sprache der Behörden, Staatspolizei und Umstellformat-Anstaltsleitungen, die selbst in das Idiom jener eindringt, die mit diesen Institutionen "Schriftwechsel pflegen", wie der Großvater, der zunächst um die Entlassung der Kranken ersucht und sich später amtlich von der hilflosen Kranken scheiden läßt, um die Haushälterin zu heiraten. Eine andere Gruppe von Monologen löst sich aus der Enge der Familie, nicht aus dem Spiel der Sprachformen, denn die Reisende findet sich mit einem norwegischen Gastgeber (mit dessen Tochter sie einst im Schulaustausch ein norwegisches Gymnasium besuchte) konfrontiert, der ihr im täglich tröstlichen Schnapsdusel und nach zwanzig Jahren gesteht, ein Anhänger Quislings gewesen zu sein, der nach Kriegsende in einem Straflager arbeitete und von allen Nachbarn verachtet wird. Diese alten Männer kommen nicht gut davon, aber die Erzählerin, die Polemiken nicht liebt, bewahrt ihnen wenigstens einen verlorenen Rest von widersprüchlichem Menschentum.

In dieser Gruppierung problematischer Naturen, der Kombination verschiedener Sprachformen und dem persönlichen Umgang mit der Zeitfolge bewegt sich Melitta Breznik allerdings weit über die erprobten Sicherheiten ihrer früheren Arbeiten hinaus. Wohin? In einen vielstimmigen Roman, den sie womöglich wider Willen geschrieben hat. Sie nennt ihn immer noch eine Erzählung, aber er wiegt, schmal ist nicht dünn, Hunderte von Seiten anderer mühelos auf.

Melitta Breznik: "Das Umstellformat". Erzählung. Luchterhand Literaturverlag, München 2002. 144 S., geb., 15,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2002

Das Rappeln einer Wehrmachtsuhr
Neues von der Heimatfront: Melitta Breznik macht Visite in der Psychiatrie
Nur selten versäumt es die zeitgenössische deutschsprachige Literatur, den deutschen Familienroman als Parallelaktion zu erzählen, indem sie die Urszenen der eigenen Kindheit und die traumatisierenden Verbrechen unter – um mit Herta Däubler-Gmelin zu sprechen – ,Adolf-Nazi‘ sich gegenseitig steigern lässt. Insgesamt führt diese Konstellation zu einer Entsexualisierung der Freud’schen Erzählungen: Statt libidinöser Träume massenmörderische Alpträume.
Die Autorin Melitta Breznik, Jahrgang 1961, machte bisher mit ihren Büchern „Nachtdienst” und „Figuren” auf sich aufmerksam. Ihr jüngstes Buch, „Das Umstellformat”, erzählt von einer Frau, die – wie die Autorin – Ärztin ist und in der Psychiatrie arbeitet. Im Jahre 1998 macht sie sich zusammen mit ihrer alten Mutter auf den Weg, um eine dunkle Stelle in der Familienchronik zu erhellen. Denn da gab es ihre Großmutter, über diese wurde nicht geredet. Sie muss während der Jahre des Nationalsozialismus erst in eine Psychiatrie eingeliefert und dort dann unter elenden Bedingungen gestorben sein. Weil aber, worüber nicht gesprochen wird, nur umso stärker die Nachgeborenen im Griff hat, und zwar bis ins übernächste Glied, kann es kein Zufall sein, wenn die Enkelin nun ausgerechnet in einer Psychiatrie arbeitet, als schlösse sich so familiengeschichtlich der Kreis über den Abgründen der deutschen Geschichte.
Wo Es war, soll Ich werden, was dunkle, nur halbbewusste Determination war, soll ausgeleuchtet und angenommen werden. Eine Photographie, die die Protagonistin von ihrer Großmutter in den Händen hält, weist eine erstaunliche physiognomische Ähnlichkeit zwischen den beiden auf. Durch die Mauer des Schweigens hat sich unbemerkt eine tiefere Verbindung zwischen Großmutter und Enkelin aufrecht erhalten, die die Nachgeborene jetzt aufarbeitet.
Mit ihrer Mutter reist die Ich-Erzählerin von Österreich nach Hessen, in Nürnberg macht man eine Zwischenstation, um das Reichsparteitagsgelände anzuschauen: „Ich hatte nur eine ungefähre Ahnung von der Lage des Reichsparteitagsgeländes, das ich mir ansehen wollte, weil ich mich an die Aufmarschszenen aus Riefenstahls Film über die Parteitagsversammlungen erinnerte, die für mich ein Bild für die Verführung und Verführbarkeit der Menschen damals darstellten.” Die Mutter wird ungeduldig, eine Nuance des Gereizten schleicht sich in ihren Ton: „Was willst du hier eigentlich finden, frag ich mich, und was hat das alles mit deiner Großmutter zu tun?”
Nun, mit der Großmutter hat das insofern zu tun, als diese 1935 in die Landesheilanstalt Hadamar in Hessen eingeliefert und Opfer des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms wurde. Von Nürnberg geht es dann weiter nach Marburg, Hadamar und Merxhausen, die Stationen, in denen die Großmutter bis zu ihrem Tod 1943 festgehalten wurde. Nach der restriktiven Informationspolitik der Nachkriegszeit bekommen Mutter und Tochter jetzt Einblicke in die Archive, so dass sie die Krankengeschichte der Großmutter anhand der amtlichen Korrespondenz und der Krankenakten rekonstruieren können.
Auf dem Röntgenbild
Melitta Breznik nennt ihr Buch eine Erzählung. In der Tat ist es äußerst schlank – nicht nur, was seine 136 Seiten betrifft. Auch was seine Fabulierlust angeht, hat es wahrlich kein Fett angesetzt. So als entspräche der Sezierung der Vergangenheit erzähltechnisch das Ideal des Skeletts, verzichtet Melitta Breznik auf alles, was über die Knochenumrisse eines Röntgenbildes hinausginge. Krankenakten, Tonbandprotokolle und der Bericht der gemeinsamen Recherche sind kühl hintereinander geschaltet, als sei die Erzählung mehr Dokumentation als Fiktion. Was diese Unterinstrumentierung rechtfertigen soll, ist natürlich der Ernst des Themas, vor dem jedes Decorum moralisch zweifelhaft wäre. Die Kritik hat deshalb Brezniks „Umstellformat” für seine Diskretion gerühmt und sie eigens gelobt für ihre Immunität gegenüber jener popliterarischen Unbekümmertheit, die ihre eigene Lebenswelt allzu munter und ichverliebt abbilde. Tatsächlich ist „Das Umstellformat” strengster ästhetischer Protestantismus, nichts für die Augenlust des Lesers, und deprimierend langweilig, weil es das Thema der Vergangenheitsaufarbeitung geradezu mechanisch exekutiert.
Es lässt sich der Eindruck nicht zerstreuen, dass in der deutschen Literatur der Mangel eines originären Erzähleinfalls gerne durch Rückgriffe auf den Themenkomplex Drittes Reich kompensiert wird. Das ist ein Gegenstand, bei dem nicht weiter motiviert werden muss, warum er zum Anlass für das eigene Schreiben geworden ist. Mal sind diese Bücher besser, mal sind sie schlechter, aber irgendwann hat man das Gefühl, sie seien die zeitgenössische Form des Ritterromans, der sich auch durch die verlässliche Wiedererkennbarkeit seiner Kulissen und Kostüme auszeichnete.
Statt Burgen, Degen und Kreuz sind es heute Bahnhöfe, Rampen und schwarze Ledermäntel. Wenn Melitta Breznik die fünfziger-Jahre-Kindheit ihrer Protagonistin charakterisieren will, dann braucht sie dazu nur wenige Utensilien: Die „Märsche der Wehrmacht”, die ihr Vater immer hörte, den „Steingutkrug der Legion Condor im Vitrinenfenster neben dem Fernseher” und die Wehrmachtsuhr, die einen Ehrenplatz im Dokumentenschrank hat.
Wie Chiffren funktionieren diese Utensilien, die dem Erzähler nichts mehr abverlangen, weil ihr Bedeutungswert längst klar definiert ist. Das gleiche gilt für den semi-dokumentarischen Zugriff, der sich darauf verlässt, dass in der Sprache der Krankenakten die Banalität des Bösen immer schon mitgehört wird, in der Bürokratie und Inhumanität zusammen fallen. Alles in diesem Buch ist streng, schmucklos und zurückgenommen – und zeigt nur wieder einmal, wie gerade im orthodoxen Purismus die Gefahr des inversen Pathos lauert: Wenn alles auf leise gestimmt ist, nehmen eben selbst leise Sätze ein enormes Gewicht an. „Mit dem Ende des Krieges ist nicht alles vorbei gewesen.” Ein solcher Satz im Kontext allgemein regen Geredes ist vollkommen in Ordnung. Wenn er aber zu den wenigen Sätzen gehört, die es durch das Purismus-Sieb geschafft haben, erhalten sie ein Gewicht, bei dem zwischen Banalität und Pathos nicht mehr zu unterscheiden ist.
IJOMA MANGOLD
MELITTA BREZNIK: Das Umstellformat. Erzählung. Luchterhand Verlag, München 2002. 136 Seiten, 15 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ein wenig ambivalent bespricht Iris Radisch dieses Buch der österreichischen Ärztin über die Suche nach ihrer in Hadamar angeblich an "Herzversagen" gestorbenen Großmutter. Sie findet einen "durch Sprödigkeit bestechenden - literarischen Arztbericht", Tonbandprotokolle mit der Mutter und eine im "damaligen Anstaltsdeutsch" verfasste "Krankengeschichte". Man weiß nicht recht, ob sie die unmögliche "nachträgliche Beseelung im Brutkasten der Literatur" bedauert, oder ob sie sie als angemessen empfindet. Nicht das Leben der Großmutter wird am Ende auffindbar, schreibt Iris Radisch, sondern in den Blick kommt der "norwegische Gastvater der Erzählerin (früher Mitläufer, heute Alkoholiker)". Man weiß nicht recht, was die Rezensentin meint, wenn sie sagt: "auf die Unerlöstheit der Großeltern folgt die Mutlosigkeit der Enkel". Oder hält Iris Radisch die Zweifel der Autorin, dass nämlich "nichts" weiter passiert wäre, hätte sie, die der Großmutter "wie aus dem Gesicht geschnitten ist", sich in der Großmutter wiedergefunden, für diese "Unerlöstheit" und "Mutlosigkeit"?

© Perlentaucher Medien GmbH
"Melitta Breznik hat über das dunkelste Kapitel einer Familie und der deutschen Geschichte ein beklemmendes Buch geschrieben." (Wirtschaftswoche)