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Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili wurde in einem kleinen Dorf in Georgien als Sohn eines Schuhmachers geboren. Vom Dieb mauserte er sich zum kleinen Agitator. Mindestens fünfmal wurde er verhaftet und in die Verbannung nach Sibirien geschickt. Jedesmal entkam er. Schließlich brachte er es zum Volkskommissar in Lenins Regierung. In der fiktiven Autobiografie werden Stalins Wünsche und Ängste offenbar, dass er sich für einen großen Dichter hält, wie er sich die ideale Ehe vorstellt, warum ihm jedes Mittel recht ist, nach oben zu kommen. Sein Verfolgungswahn wird deutlich, er selbst enthüllt…mehr

Produktbeschreibung
Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili wurde in einem kleinen Dorf in Georgien als Sohn eines Schuhmachers geboren. Vom Dieb mauserte er sich zum kleinen Agitator. Mindestens fünfmal wurde er verhaftet und in die Verbannung nach Sibirien geschickt. Jedesmal entkam er. Schließlich brachte er es zum Volkskommissar in Lenins Regierung.
In der fiktiven Autobiografie werden Stalins Wünsche und Ängste offenbar, dass er sich für einen großen Dichter hält, wie er sich die ideale Ehe vorstellt, warum ihm jedes Mittel recht ist, nach oben zu kommen. Sein Verfolgungswahn wird deutlich, er selbst enthüllt die "Wahrheit" über den grausamen Diktator, der er war. Nicht nur die kaltblütige Schilderung seiner Verhörmethoden und Säuberungen lassen den Leser erschaudern, sondern auch, wie er im Hintergrund taktiert, um sich Lenins Nachfolge zu sichern. Systematisch betreibt er die politische Vernichtung seines Erzfeindes, des Intellektuellen und designierten Nachfolgers für die Leitung im Kreml, Leo Trotzkis. Doch selbst im mexikanischen Exil kann ihm dieser noch gefährlich werden. Deshalb plant Stalin zwischen 1937 und 1940 das Attentat auf Trotzki. Die Zeit drängt, denn Trotzki steht kurz davor, das große Geheimnis in Stalins Leben aufzudecken, das Unnennbare, das Verbrechen, von dem keiner je erfahren darf ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Der pralle Stalin
Richard Lourie schnuppert das Böse / Von Stephan Wackwitz

Die Frage der Wissenschaft, "wie es eigentlich gewesen sei", beantworten historische Romane mit den Mitteln der Fantasie. Sie werfen Fakten und Fabeln durcheinander. Aus nahe liegenden Gründen beschäftigt sich die literarische Rekonstruktion der Geschichte deshalb gern mit jenen historischen Gestalten, über die nicht allzu viel Gesichertes bekannt ist. Je geringer das Wissen, desto größer die Chancen der Poesie. Damit hängt auch zusammen, dass etwa Robert Graves' Claudius-Romane oder Gore Vidals Roman über Julian Apostata die Form der fiktiven Autobiografie gewählt haben.

Obwohl man unvergleichlich viel mehr Fakten über sie zur Hand hat als über die Kaiser Claudius und Julian, weiß man über über Stalin und Hitler im Grunde wenig. Oder besser: Was man weiß, das versteht man nicht. Je genauer man Aufstieg und Fall dieser parallel lifes zu rekonstruieren lernt, desto vollständiger verweigern sie sich der Einfühlung. Worin man sich aber nicht einfühlen kann oder will, das sieht desto fremder zurück, je genauer man es sich ansieht.

Deshalb wechseln die Gesetze der fiktiven Autobiografie in Richard Louries Roman über den sowjetischen Gewaltherrscher unversehens die Gattungsgrenzen. Aus einer Methode des historischen Romans ist eine der Horrorliteratur geworden. Während die Hauptperson des Terrors beredt ihr Weltbild ausbreitet, nähert sich die entsetzliche Wirklichkeit gleichsam von hinten wie in Borges' dem Andenken H. P. Lovecrafts gewidmeter Erzählung "There are more things". Dabei sind nur zwei Elemente dieser Geschichtserzählung vollständig fiktiv: dass Stalin seinen Aufstieg als Doppelagent mit Hilfe der zaristischen Ochrana befördert und dass er Lenin umgebracht haben soll, nachdem der kranke Revolutionsführer sich (auch das weiß man aus seinem Testament) gegen eine Nachfolge Josef Dschugaschwilis ausgesprochen hatte.

Louries Roman einer traditionellen Theorie der Geschichte. Zwei böse Männer, Trotzki und Stalin, haben sich auf einen Wettlauf eingelassen. Trotzkis Ziel ist die Enthüllung der Wahrheit über Stalin. Die Abschriften seiner Stalin-Biografie werden seinem Gegner durch Agenten in den Kreml geliefert. Stalins Ziel ist es, Trotzki zu ermorden, bevor der die Beweise beisammen hat, die den sowjetischen Diktator stürzen würden. Die Weltrevolution, die Zwischenkriegszeit, der sozialistische Aufbau, der Zweite Weltkrieg - sie sind nur Fußnoten zur Leidenschaft der Männer, die Geschichte machen.

Lourie folgt nicht der Geschichtsversion, die vor allem durch Trotzki selbst und von Isaak Deutscher stark gemacht worden ist. Für sie war Stalin der unbegabtere, der flachere, der "graue" Kontrahent im Duell mit dem brillanten, flamboyanten, gebildeten Trotzki. Lourie gibt seinem Protagonisten eine diabolische Tiefe, die in dessen Verwurzelung in einer orthodoxen, aber bewusst widerrufenen Gottesfurcht gründet. "Für mich war die Frage nach Gott eine ernste und sehr wichtige Frage", schreibt der fiktive Stalin. "Ich habe häufig an Gott gedacht. Ich dachte mir Fragen aus, die sich nicht beantworten ließen, etwa: Konnte er einen Stein erschaffen, der so schwer war, dass nicht einmal er selbst ihn würde heben können? Wenn es einen Gott gab, warum ließ er dann zu, dass mein Vater mir mit der Faust ins Gesicht schlug?"

Nicht nur die Technik der Macht und ihre virtuose Beherrschung interessieren den Autor an seiner Figur, sondern vor allem die negative Theologie, der man folgen muss, wenn man diese Technik wirksam anwenden will. "Überdies kann jeder Dummkopf seine Feinde vernichten. Es bedarf einer besonderen inneren Freiheit, seine Freunde zu vernichten." Diese innere Freiheit trainiert Stalin durch die bewusste Zurückweisung der Liebe, der Freundschaft, der Angst um das eigene Leben, sogar der Vernunft. "Was nützte die unbeschränkte Macht, wenn man sich dem Diktat der Vernunft beugen musste?" Doch auch die Mechanik der bürokratischen Macht ist in diesem Roman mit deprimierender Genauigkeit beschrieben. Ihr erstes Element ist die Fähigkeit, sich in seine Gegner vollständig einzufühlen, eine diabolische Verdrehung der christlichen Forderung, seine Feinde zu lieben. Der Mann, in den wir uns nicht einfühlen wollen, kann sich in uns alle einfühlen - solange es uns noch gibt. "Wenn ich so denken kann, können unsere Gegner es auch", sagt Louries Stalin, oder: "Wenn ich Russland verraten konnte, warum sollte Hitler nicht auch Deutschland verraten können?"

Die zweite Schneide jener Schere, mit der Bürokraten jedem ihrer Gegner den Kopf abschneiden können, ist gleichfalls eine Spielart virtuoser Selbstverleugnung: Es ist die Fähigkeit, Langeweile zu ertragen. Stalin hat sie in den sibirischen Landschaften der Verbannung trainiert. Wer in der Steppe nicht verrückt geworden ist, wird es auch nicht, wenn er seine Tage mit dem Geschwätz der Komitees verbringen und dabei noch seine Intelligenz in Anspruch nehmen muss. "Ich hatte bereits erlebt und erfahren, wie langweilig Versammlungen und die Arbeit in Komitees sein konnten, wie endlos. Viele Genossen konnten das nicht ertragen. Also gaben sie irgendwann nach oder stimmten zu, nur um die Debatte zum Abschluss zu bringen. Die Fähigkeit, zur Not mehr und immer noch mehr Stumpfsinn zu ertragen, ist das große Geheimnis meines Erfolges. . . . Historiker werden noch in ferner Zukunft dicke Bücher schreiben und zu ergründen suchen, warum Leo Trotzki nach Lenins Tod den Machtkampf gegen Stalin verloren hat. Sie werden Dutzende, gar Hunderte von Erklärungen finden, aber es gibt im Grund nur eine: Trotzki hat Langeweile gehasst, und Stalin hat sie geliebt."

So gesehen ist alles ganz einfach. Wie gesagt: Louries "Stalin" ist ein Stück historischer Horrorliteratur. Anders als die Kunst hat die Geschichte keine Ordnung. Verwandelt sie sich aber in Poesie, muss sie sich deren strengen Gesetzen fügen. Louries Roman tut seiner Zentralfigur dadurch unrecht, dass sie den russischen Gewaltherrscher - den Gesetzen der Horrorliteratur entsprechend - in eine von allem Anfang an und in jeder seiner Handlungen von der Substanz des Bösen sozusagen prall gefüllte Figur verwandelt. Horrorfiguren sind so monolithisch wie die Dämonen, von denen sie literarhistorisch abstammen. Louries Stalin will schon als Kind die absolute Macht, und er denkt jede Sekunde seines erzählten Lebens an nichts anderes. Literarische Figuren funktionieren nur so, die Geschichte funktioniert so nie.

Das Paradox der Horrorliteratur besteht darin, dass sich der Leser in Figuren einfühlt, in die man sich eigentlich gar nicht einfühlen kann. Er lernt im besten Fall etwas über sich selbst. Wenn man in einen Abgrund lang genug hineinschaut, schaut er schließlich in uns hinein. "Wenn wir uns zum Beispiel mit Mr. Causaubon in ,Middlemarch' oder Mrs. Jellyby in ,Bleak House' identifizieren", schreibt Richard Rorty, "geht uns vielleicht auf, was wir selbst getan haben. Vor allem zeigen solche Bücher, wie unser Streben nach Autonomie, unser zwanghafter privater Ehrgeiz, eine bestimmte Perfektion zu erreichen, uns abstumpfen gegen den Schmerz, den wir verursachen." Erweitert Louries Buch die Fantasie der Demokratie? "Ich empfinde nichts", sagt sein Stalin, nachdem er das Duell gewonnen hat, "weil nur noch das Nichts übrig ist. Dasselbe Nichts, in das jeder eingeht. Mein Vater, meine Mutter, meine Frauen. Mein Trotzki. Mein Lenin. Das Nichts, an das ich immer geglaubt habe. Ich kann meinen Schnauzbart riechen, der sich mit den Mundwinkeln in einem Lächeln hebt. Er riecht nach Tabak. Jetzt weiß ich, was mein Name wirklich bedeutet: Stalin ist die Stärke, eine Welt zu ertragen, in der es nur das Nichts und einen selbst gibt. Endlich habe ich Gott an Einsamkeit übertroffen." Alles, Nichts, Gott, Einsamkeit. Es ist schwer, sich in so große Dinge einzufühlen oder etwas aus ihnen zu lernen. Dass der eigene Schnurrbart nach Tabak riechen kann, ist eine Beobachtung, die man wiedererkennt, auch wenn man Nichtraucher ist und keinen Bart hat. Der Herr der großen Säuberungen selbst aber bleibt noch auf der letzten Seite dieses Romans ein Rätsel - gerade weil er so gewesen sein könnte, wie Lourie ihn beschreibt.

Richard Lourie: "Stalin. Die geheimen Aufzeichnungen des Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans J. Becker. Luchterhand-Literaturverlag, München 1999. 346 S., geb., 44,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Stephan Wackwitz zeigt sich angetan von diesem Stück "historischer Horrorliteratur". Lourie gelinge durch diese fiktive Autobiographie Stalins, dass man sich in etwas einfühlen könne, "in das man sich eigentlich gar nicht einfühlen kann": ein Monstrum. Alle historischen Details in diesem Roman seien korrekt, außer dass Stalin ein Doppelagent des Zaren gewesen sei und dass er Lenin umgebracht habe. Als Schlüssel von Stalins Handeln erscheine dabei eine Umkehrung des christlichen Gebots der Feindesliebe: Freundeshass.

© Perlentaucher Medien GmbH"