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Produktdetails
  • Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
  • Seitenzahl: 295
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 466g
  • ISBN-13: 9783627000868
  • ISBN-10: 3627000862
  • Artikelnr.: 09801474
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.02.2002

Bindende Wahrheit
Die Erzählerin als schweigende
Sphinx: Maya Rasker
Zigaretten holen – und dabei verschwinden. Das fängt ja gut an, denkt sich auch Gideon, der Mann Raya Mira Salomons, Schriftstellerin und Mutter. Hätte sie sich nicht etwas Raffinierteres ausdenken können? Etwas literarisch Wertvolleres? Geblieben sind ein paar Sandalen. Eine Himmelfahrt mit einer Reliquie für die Nachwelt. Sie hat ihren Mann mit seinen Erinnerungen zurückgelassen – und mit ihren eigenen Aufzeichnungen in einem alten Koffer auf dem Dachboden, dem Speicher der Erinnerung. Noch so ein Klischee, doch davon erfährt man erst viel später, und es bleibt auch ein Klischee.
Dazwischen aber spannt die Holländerin Maya Rasker mit großem Feingefühl ihren ersten Roman aus. Gideon, der Fotograf, taucht langsam aus seiner Betäubung auf und sucht die Bilder seiner Erinnerung zusammen. In Rückblenden erinnert er sich an Raya Mira, an die erste Begegnung, an ihre Schwangerschaft. Er erzählt von der Geburt und der Liebe zu seiner Tochter Lizzy und von der Entzweiung durch die Elternschaft. Als Lizzy an ihrem fünften Geburtstag nicht mehr aufwacht, brechen beide zu einer Reise auf, um sich zu suchen und wieder zueinander zu finden. Ein Jahr später, am Geburts- und Todestag der Tochter, verlässt er auch die Mutter „Mit unbekanntem Ziel”, wie der etwas einfallslose Titel lautet.
Spickzettel des Lebens
Sie wollten eine gemeinsame Geschichte werden, Raya Mira und Gideon. Er, der eigentlich ein ganz normales Leben suchte und sie, die sich ihres erfunden hatte. Mit der Hochzeit beginnt sie erst, die Wahrheit zu sagen und auf kleine Zettel, Spickzettel des Lebens, ihre Gedanken niederzuschreiben. Doch je mehr Bruchstücke er sammelt, um endlich, danach, das Bild seiner Frau zusammenzufügen, das Buch ihres Lebens zu schreiben, das sie so abrupt aussetzte, desto weniger kann er sie greifen. Sie verschwimmt ins Unbestimmte, kreist einzig um ihre Tochter, die sie bedingungslos liebt und umsorgt. Dass genau dieser Mittelpunkt sie von innen aushöhlt, ahnt der Leser – und darin geht es ihm genauso wie Gideon – erst allmählich.
Rätselhaft wie eine Sphinx, ein geheimnisvolles Orakel, beschreibt Maya Rasker ihre Protagonistin. Eine Geschichtenerzählerin, die selten spricht und ihr Schweigen nur manchmal mit aphoristischen Weisheiten durchbricht. Sie erinnert an die stoische Heldin einer antiken Tragödie, in der langsam das Unglück heranreift. Schon während der Schwangerschaft fürchtet sie ihre Unzulänglichkeit als Mutter, aber auch als Künstlerin. Was die eine beginnt, kann die andere nicht vollenden. Das Buch der Mutterschaft ist unendlich, das Kunstwerk offen.
Von nichts weniger als der Schöpfung, der biologischen sowohl als der künstlerischen, handelt der Debütroman von Maya Rasker, die damit auch einen Künstlerroman geschrieben hat. Zwei Menschen auf der Suche nach ihrer Geschichte zwischen Dichtung und Wahrheit, zwischen Kunst und Leben: sie mit Worten, er mit Bildern. Doch wieviel Wahrheit verträgt eine gemeinsame Geschichte? Wo liegt die Wahrheit in der Lüge und umgekehrt, wo erweist sich gerade die Wahrheit als Lüge für das eigene Leben?
Die Farben der Lebenszeit
Das Thema ist hoch, der Ton hingegen angenehm leicht, ja fast prosaisch. Maya Rasker berichtet nicht, analysiert nicht, sondern erzählt, direkt und unmittelbar. Sie versucht weder, ihren Figuren mit der Atemlosigkeit verspäteter Pop-Prosa auf den Leib zu rücken, noch sie cool vorzuführen, sondern bettet ihr klischeegefährdetes Sujet geschickt in den ruhigen Fluss ihrer lebendigen Erzählung ein und nimmt dieser dadurch jegliches Pathos. Souverän schneidet sie die Szenen ineinander und lässt Bildern und Gedanken Raum zur Entfaltung, den sie mühelos ausfüllen, ohne bedeutungsschwer daherzuklotzen oder in metaphorische Tiefen abzustürzen.
In der Verflechtung von Erinnerung und Gegenwart schildert die Autorin auch die Suche Gideons nach einer Wahrheit, der er sich nur zögerlich nähert. Gideon rückt dabei immer mehr ins Zentrum des Interesses; ursprünglich als Erzähler angetreten, die Geschichte seiner Frau in verehrungsvollem Ton zu dokumentieren, wird er immer mehr vom Wunsch nach Selbsterkundung getrieben. Als seine Tochter im Eisloch zu versinken droht und ihre Erinnerung eingefroren ist, taucht er mit seiner Kamera in eine Welt schwarzweißer Bilder, der die lebendigen Farben fehlen. Er möchte ihr ein Stückchen Lebenszeit wiedergeben und sucht doch eigentlich nach seinem eigenen schwarzen Loch.
Wenn er am Schluss auf dem Speicher der Erinnerung angelangt ist, den Kofferdeckel öffnet und der Schleier des Geheimnisses sich lüftet, ergreift Raya Mira das Wort, erzählt ihre eigene Geschichte, ihre Wahrheit, an der die gemeinsame Geschichte scheitern musste. Erst hier verfällt der sonst ausgesprochen gelungene Roman dem Klischee, erstarrt im Nachhinein zum Denkmal, das Gideon seiner Frau setzt mit dem Pathos dessen, der sich durch die Erkenntnis der Wahrheit ewiglich bindet. Der Paukenschlag hallt noch lange nach.
VERONIKA SCHÖNE
MAYA RASKER: Mit unbekanntem Ziel. Roman. Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2001. 295 Seiten, 19,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Iris Denneler hat kein einziges lobendes Wort für den Roman von Maya Rasker übrig. Der ist für die Rezensentin auch weniger Roman als vielmehr leicht durchschaubare, langatmig geschriebene und deutlich belehrende "Verständigungsprosa für rollenunsichere Jungmütter und -väter". Der Plot ist schnell erzählt: Eine junge Mutter verschwindet beim Zigarettenholen, ihr Mann rekonstruiert ihr Leben und muss am Ende erkennen, dass sie aus Überforderung das gemeinsame Kind erstickt und die Flucht ergriffen hat, berichtet Denneler mit leicht genervtem Unterton. Auch wenn die Autorin die Dunkelkammern menschlicher Beziehungen gut kenne, sei sie nicht in der Lage, ihr Wissen literarisch umzusetzen. Denneler konstatiert einen deutlichen Mangel an "Sinnlichkeit, Imaginations- und Ausdruckskraft" bis hin zum "Tod des Erzählens".

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