Produktdetails
  • Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
  • Seitenzahl: 301
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 496g
  • ISBN-13: 9783627000400
  • ISBN-10: 3627000404
  • Artikelnr.: 24066927
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.03.2000

Miss Jekyll & Miss Hyde
„Manola” – der abgedrehte Weiberroman der Margaret Mazzantini
Alfred Jarry meets Thomas Bernhard und Woody Allen in einer Inszenierung von Schlingensief – so etwa liest sich das neueste Buch von Margaret Mazzantini, die vor vier Jahren mit ihrem Debütroman Die Zinkwanne Aufsehen erregte. Als eine Melange aus klassisch absurdem Theater und drastisch heutiger Weltsicht präsentiert sie nun die Geschichte der Zwillinge Anemone und Ortensia.
Sie wachsen auf im Stundenhotel der Eltern, wo es die Mutter, eine ehemalige Witzeerzählerin aus einer Oben-ohne-Bar, mit ihrem Mann in der Besenkammer treibt und in der Portiersloge nächtigt, weil eine emanzipierte Frau auch mit dem Angeheirateten kein Bett teilen sollte. Der Papa hängt dem Berufstraum „Haifischdompteur” nach, haust im versumpften Swimmingpool und beweist Tierliebe, indem er Dank seiner behaarten Körperfülle den unterschiedlichsten Insekten ein Fortpflanzungsbiotop bietet. Als beide genug haben vom Leben, chauffieren sie sich bei bester Laune einfach in den Abgrund: Gipfel der Bosheit – zumindest für Ortensia, die mit Hilfe ihrer streng freudianischen Analytikerin auf dem besten Wege war, ihre Eltern symbolisch zu töten; das läuft nun erstmal voll ins Leere.
Überhaupt war Ortensia von Anfang an vom Leben benachteiligt: dreizehn Sekunden nach der Schwester geboren, was „verheerende Auswirkungen auf ihr Horoskop” hatte, behaart wie ein Orang Utan, platt wie eine „eingelegte Sardine”, somit prädestiniert für Phobien, Manien und Traumata aller Art. Sie ist dürr, hässlich, neurotisch und intelligent, produziert gewagte Theorieen zu ihren ingeniösen Zwangsvorstellungen und hat als Kind die Hotelgäste unter anderem mit einem speziellen Roomservice genervt: Sie setzte Hirschkäfer, Gottesanbeterinnen, Skorpione und Taranteln in den Zimmern aus.
Anemone dagegen ist hübsch, mit weiblichen Rundungen, die sie offensiv zu nutzen weiß, etwa als Regionalmeisterin für „Aqua-Sex”. „Ansonsten lebt sie”, nach dem Befund ihrer Schwester, „in einer so schamlos oberflächlichen Dimension, dass Freud bestimmt den Beruf gewechselt hätte, wenn er ihr begegnet wäre. Ich meine, er hätte nie und nimmer das Unbewusste entdeckt. ”
Miss Jekyll and Miss Hyde, Nacht- und Tagseite der Seele als zwei sehr bunt und sehr verrückt schillernde Seiten einer Medaille. Lustvoll beschreibt Margaret Mazzantini jederzeit die Grenze der Realität. Mit brillantem Wortwitz treibt sie (auch in der Übersetzung von Ulrich Hartmann) ihr anarchisches Spiel mit den Klassikern aus dem Psychokabinett der allzu menschlichen Verbiegungen, Beschädigungen und geheimen Wünsche. Ihr Kunstgriff der Parodie mittels surrealer Zuspitzung funktioniert perfekt als literarischer Katalysator für Sachverhalte und Reflexionen, die sich in einer naturalistischen Schilderung als sattsam bekannt und ausrechenbar lesen würden. Die 1961 in Dublin geborene, in Irland und der Toskana aufgewachsene Autorin interessiert nicht die Wahrscheinlichkeit einer Geschichte, sondern ihr Potential an abstrusen Charakterfacetten als Jongliermaterial, wobei auch die Grenze zum Klamauk manchmal ins Schwimmen gerät. Dazu spart sie nicht an Spott für die Errungenschaften der mitteleuropäischen Zivilisationsgeschichte von Kommunismus, Freudianertum, Existentialismus, Feminismus und Jugendrevolte.
Poldo stinkt zum Himmel
Die alternierenden Monologe von Ortensia und Anemone, gerichtet an eine sich im Buch kaum materialisierende Magierin Manola, folgen einem streng symmetrischen, dramaturgischen Plan. Exakt in der Mitte taucht Poldo auf, „dreihundertfünfzig Kilo verteilt auf einhundertvierundsiebzig Zentimeter Höhe, immer dieselben Jeans, steif von Körperschmiere, ein paar dünne, von Schweinefett glänzende Haare, flockengroße Schuppen, Pilze auf den Zähnen, knubbelige Nase. Ein Gestank, den man nicht mal aus zehn Meter Entfernung aushält: eine Mischung aus verwesendem Tierkadaver, öffentlicher Toilette, Gummischlappen-Fußschweiß und Anus. Knatternde Fürze. ”
Ortensia verfällt diesem Adonis, allerdings eher intellektuell-spirituell, und es ist von furioser Komik, wie Margaret Mazzantini beiden Schwestern die zeitgeistgerecht gestylten Ausführungen zur Potenzproblematik in höchst unterschiedlichem Vokabular und Pointierung referieren lässt. Aber es ist die sinnliche Anemone, die den gargantuesken Poldo vor den Traualtar schleppt und fortan zur hausfraulich-mütterlich, dicken Schlampe mutiert. Unterdessen wirft Ortensia ihren Affenpelz ab, entwickelt Kurven samt hedonistischem Lebensgefühl und schickt ihr Psychotante zum Teufel.
Aus der mageren Raupe schlüpft der Schmetterling, derweil sich der lustige Falter sich ins Larvenleben zurück verpuppt, so ließe sich Margaret Mazzantinis Buch über die Metamorphosen auch der modernen Frau in nuce beschreiben. In jeder Frau (und in jedem Mann) steckt mehr als ein Lebensentwurf, nämlich die berühmten Zwei-Seelen-ach. Keine brandneue Einsicht, die aber als echter Weiberroman so frech, geistreich, abgedreht und witzig in seinen Einfällen und Wortspielen serviert wird, dass es jeder Woody-Allen-Komödie zur Ehre gereichen würde.
BARBARA VON BECKER
MARGARET MAZZANTINI: Manola. Roman. Aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/M. 2000. 302 S. , 44 Mark
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2000

Die Kurtisane der Fantasie
Margaret Mazzantini und das Wunderbare

Die Gattung des Kunstmärchens war seit ihrer Entstehung im Italien der Renaissance, bei Boccaccio, Straparola oder später Basile, in ihren periodischen Erfolgen beim Publikum eigentümlich an die Sprünge der Vernunft- und Moralgeschichte gebunden. Bei der modernen Wiederbelebung im Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts, bei Perrault, Mme d'Aulnoy oder Antoine Hamilton, wurden Geschichten wunderbaren Inhalts zu Exempeln einer Dialektik der Aufklärung. Im Märchen restituierte die Einbildungskraft das von Vernunft und bürgerlicher Moral Verdrängte und brachte zugleich die latente Unvernunft zum Vorschein. Die Derbheit, mit der die italienischen Muster von Eros, Kot und Blut redeten, und damit der psychohygienische Nutzwert der Form gingen dabei weitgehend verloren. In der deutschen Romantik wurde das Märchen im Autonomieanspruch zur subtilen Instanz der Vernunftkritik sowie der Loslösung der Poesie von einem als allgemein gedachten Kommunikationszusammenhang, in die sich die Sorge um die Isolierung der Seele mischte.

Im zwanzigsten Jahrhundert wollte die Erneuerung dieser Form des Wunderbaren nicht recht gelingen. Margaret Mazzantini versucht in ihrem Kunstmärchen, das gemäß einer inflationären Praxis als Roman firmiert, gleichwohl eine Anknüpfung an die neuzeitlichen Ursprünge, gleichzeitig aber spielt sie fortwährend auf die Geschichte der Gattung an. Die Konstruktion ist so einfach, wie es sich für ein Märchen gehört. Die verblümten Schwestern Ortensia und Anemone sind zweieiige Zwillinge. Ortensia ist potthässlich, garstig und gestört, Anemone schön, sexuell attraktiv und unproblematisch. Abwechselnd erzählen sie ihre Geschichte der schweigenden Wahrsagerin Manola. Im Fortgang des Erzählens kommt es dann zu einer wundersamen Umkehrung. Aus Anemone wird eine "jammernde schwabbelige Matrone", aus Ortensia ein ästhetisches Wesen, in dem sich Geist, Seele und Sinnlichkeit vereinen. So stellen sie sich in der Verwandlung als die beiden Seiten derselben Anima heraus. Das kann ruhig verraten werden, weil alles von vornherein darauf hinausläuft und weil es vielmehr auf die Durchführung der vorgeblichen Einsicht ankommt, dass "Illusionen eitle Kreaturen sind, hinterlistige Kurtisanen unserer Fantasie".

Das Zauberschloss der alten Märchen ist in "Manola" ein Stundenhotel, "ein echtes Wunder", in dessen Klientel man all "die Feen, Ritter, Fürsten, Hexen und auch manch einen Zwerg" wiedererkennt. Die Mutter der ungleichen Schwestern ist ein Luftgeist, eine Art somnambule Pipi Langstrumpf mit Voodoo-Fähigkeiten, der Vater ein trunksüchtiger Kobold, insgesamt "eine nervöse Künstlerfamilie". Die Kinder nun sollen, wie schon die romantische Märchentheorie wollte, "ein uraltes, fein verästeltes Wissen" haben. Das führt gelegentlich zu handfesten und altbackenen Weisheiten, die im Aufklärungsmärchen "moralités" hießen, zum Beispiel, "dass es im Leben immer einen Langen gibt, der einen Kurzen verschlingt". Im Übrigen aber sind die Einsichten ganz von heutiger Populärpsychologie durchtränkt.

Das Material des Wunderbaren schöpft Margaret Mazzantini aus dem Spektrum funktionalisierter moderner Unvernunft, aus dem Jargon der Tiefenpsychologie Freud'scher wie Jung'scher Prägung, dem ganzen Psycho-Schnickschnack verschiedenster Therapie- und Selbstverwirklichungsformen, dem geballten okkulten und pseudoreligiösen Unsinn von Horoskop und Wahrsagerei bis zum Euro-Buddhismus und schließlich aus dem Recycling philosophischer Moden. In diesem Gequatsche muss die dem Leser zunächst vorgespiegelte Absicht notwendig scheitern, in erneuter Drastik zur Sprache zu bringen, wovon die bürgerliche Vernunft einst nicht reden mochte. Noch Freud hatte da Ortensias Psychoanalytikerin zufolge "leichtes Spiel", heute aber "lassen es sich alle freudig von hinten besorgen, liebe Anemone. Es gibt kein Schuldgefühl mehr; es gibt keine Familie mehr, es gibt nicht mal mehr eine spuckevoll Glauben, einen furzvoll Moral, um Obstruktionismus zu betreiben."

Solches Scheitern zelebriert die irisch-italienische Autorin als Groteske in Kaskaden von unzensierten Einfällen. Ortensia sieht schlimmer aus als das Alien und weist sämtliche vierhundert Phobien auf, die das Lehrbuch der Psychiatrie verzeichnet, von der analen Störung bis zur ecclesiogenen Neurose. Trotzdem scheint sie, zu jedem Topf passt ein Deckel, einen Geliebten zu finden: Jean-Poldo, ein stinkendes, mit "Androstan" voll gesogenes Monstrum, das aussieht wie Sartre als Elephant Man. Mit ihm erörtert sie "die sexuelle Problematik der Pizza". Er aber verlässt seinen vergeistigten Castor und wendet sich der Schönen zu, die es vermag, einen siebenundneunzigjährigen Bischof beim Orgasmus zum Feuerspucken zu bringen. Woraufhin sie, die selbst "in weniger als drei Sekunden einen wahnsinnigen Fußsohlenorgasmus" produzieren konnte, alsbald Wasser in den Beinen hat und eine "Mysophobie" entwickelt. Der göttliche Gatte schenkt ihr kein Kind, dafür "einen prächtigen Kothaufen". Den bringt die Mutter liebevoll in einem Einmachglas, "in seiner kleinen Glaswiege unter". Noch abstrusere Einfälle mag sich der geneigte Leser selbst zu Gemüte führen.

So dreht die Einbildungskraft dieser intelligenten und sprachmächtigen Autorin im Lauf der Geschichte immer heftiger durch und reiht die Einfälle zu einer dahinklappernden Mechanik, die mit dem Ekel des Lesers nicht mehr im Ernst rechnet und die ihm mit der Zeit ähnlich auf die Nerven geht, wie schon die de Sade'sche oder Bataille'sche Serienproduktion von kopulativen Absonderlichkeiten. Die weitgehende Ungerührtheit zeugt davon, dass Eros, Kot und Blut als Chiffren des Wunderbaren und Anderen kaum mehr taugen, alles scheint restlos integriert. Man kann Margaret Mazzantinis Hyperbolik die konsequente Folgerichtigkeit nicht absprechen, aber mit ihr lässt sich nur zeigen, was in der verhalten kulturkritischen Prämisse dieses postmodernen Kunstmärchens enthalten ist: "Das hat keinen Sinn."

FRIEDMAR APEL.

Margaret Mazzantini: "Manola". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Ulrich Hartmann. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2000. 301 S., geb., 44,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ziemlich angetan ist Gustav Zürcher von Margaret Mazzantinis zweiten Roman, der es seiner Meinung nach schafft, "verwegene Abwege der Seele" zu beschreiben, ohne dabei an Klarheit zu verlieren oder "ästhetischen Zauber" einzubüßen. Es geht um ungleiche Zwillingsschwestern, die sich der geheimnisvollen Manola anvertrauen und um den Dichter Poldo, der das eingefahrenen Gefüge zwischen den beiden Schwestern aufbricht. Thema des Romans ist nach Zürchers Meinung "eine aus den Fugen geratenen Weiblichkeit". Die Art und Weise, wie Mazzantini dies beschreibt, gefällt dem Rezensenten außerordentlich gut. Ihrer Phantasie setze die Autorin keine Grenzen, Surrealem mische sich mit einer wohlgeordneten Darstellung der Charaktere: "Gewürzt und geschärft mit sämtlichen Mitteln des literarischen Unernstes ? verwandeln sich Mazzantinis überbordende Ein- und Ausfälle zu ästhetischen Bausteinen eines intelligenten Zeitromans", lautet das durchweg positive Fazit des Rezensenten

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