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Unterhaltsam und verständlich entwirrt der Autor des Welterfolgs »Kapital« jedem Laien, warum die Finanzwelt und die globale Welt seit Jahren erschüttert werden und die Ursachen noch immer nicht behoben sind. Der Sündenfall begann, als Finanzjongleure die Tatsache verschleierten, dass jedes finanzielle Abenteuer irgendwann von irgendjemandem bezahlt werden muss. Dabei macht er aus seiner sehr britischen Euroskepsis keinen Hehl und umreißt Vorschläge, wie eine politische Einigung Europas gelingen und Europa stärken könnte, um die Finanzkrise gemeinsam zu überwinden. »Gestern«, so heißt ein…mehr

Produktbeschreibung
Unterhaltsam und verständlich entwirrt der Autor des Welterfolgs »Kapital« jedem Laien, warum die Finanzwelt und die globale Welt seit Jahren erschüttert werden und die Ursachen noch immer nicht behoben sind. Der Sündenfall begann, als Finanzjongleure die Tatsache verschleierten, dass jedes finanzielle Abenteuer irgendwann von irgendjemandem bezahlt werden muss. Dabei macht er aus seiner sehr britischen Euroskepsis keinen Hehl und umreißt Vorschläge, wie eine politische Einigung Europas gelingen und Europa stärken könnte, um die Finanzkrise gemeinsam zu überwinden. »Gestern«, so heißt ein sarkastischer Witz, »standen wir vor dem Abgrund. Heute sind wir einen Schritt weiter.« Dazu will es John Lanchester nicht kommen lassen - er plädiert dafür, einen Schritt zurückzutreten und entschlossen zu handeln, um nicht alles, was seit dem Fall der Mauer erreicht wurde, verloren gehen zu lassen.
Autorenporträt
John Lanchester geboren 1962 in Hamburg, wuchs im Fernen Osten auf und arbeitete in England als Lektor beim Verlag Penguin Books, ehe er Redakteur der »London Review of Books« wurde. Daneben war er für Zeitungen und Zeitschriften wie »Granta« und »The New Yorker« tätig sowie als Restaurantkritiker für »The Observer« und Kolumnist für »The Daily Telegraph«. Er gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern und führenden Intellektuellen Englands.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2013

Warum wurde der menschliche Faktor aus der Gleichung gestrichen?

Nur Flaschen essen zu Mittag: Der englische Schriftsteller John Lanchester schreibt eine kurze und heftige Zusammenfassung der Finanzmarktkrise.

Von Hannes Hintermeier

Die Geschichte hat alles, was eine gute Geschichte braucht - und noch viel mehr. Man hätte sie gar nicht besser erfinden können, wenn sie nicht schon Wirklichkeit gewesen wäre. So blieb dem Romancier, Kritiker und Journalisten John Lanchester nur noch die Möglichkeit, aufzuschreiben, was ihm und vielen anderen Menschen in Form der Finanzmarktkrise rund um den Globus vor die Füße gefallen ist: die Ursachen, Gründe und Mechanismen der größten Kapitalvernichtung in der Geschichte der Menschheit. Und dennoch, stellt Lanchester fest, haben bis heute "zahllose intelligente, belesene Menschen nicht die geringste Ahnung von den simpelsten ökonomischen Grundlagen."

Sein Buch eines lesenden und fragenden Denkarbeiters ist im Vorjahr in England erschienen; in der deutschen Ausgabe hat man das dem Titelaufgalopp vorangestellte "Whoops!" (Hoppla) gestrichen. "Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt" ist ein Seitenprodukt zu Lanchesters umfangreichem Roman "Kapital", der auch hierzulande viele Leser gefunden hat. Er handelt von einer kleinen Straße im Süden Londons, die von einer Spekulationswelle erfasst und gentrifiziert wird. Lanchester recherchierte dafür einige Jahre im Finanzsektor, und worauf er dabei stieß, ließ ihm keine Ruhe.

2008 veröffentlichte er in der "London Review of Books" den Aufsatz "Cityphilia", dem er seither diverse Betrachtungen nachschickte. Schon damals zeichnete er nach, wie das Geschäftsgebaren der Finanzindustrie in der Londoner City die Wertvorstellungen der britischen Gesellschaft zu überlagern begann: "Gier ist gut", "Bonuszahlungen um jeden Preis", "nur Flaschen essen zu Mittag". Bis "schließlich die Idee des Wertes durch die Idee des Preises ersetzt" worden sei. Das vorliegende Buch ist die Summe jahrelanger Recherchen, es machte Lanchester zu einem gefragten Kommentator für die andauernde Systemkrise der Bankenwelt. Anfang Januar hat er in der "London Review of Books" einen äußerst galligen Artikel über die Finanzlage seines Heimatlandes veröffentlicht, der auf der Titelseite mit der Überschrift "The Shit We're In" angekündigt wurde.

Wir stehen an einem Bankautomaten - und es kommt kein Geld: Mit dem Menetekel der isländischen Staatspleite beginnt das Buch. Mit dem Auftakt, der schon wieder in Vergessenheit geraten ist, weil alles, was danach kam, so viel grundstürzender war. Aber die dreihunderttausend Isländer haben erlitten, was vielen Europäern bis heute erspart geblieben ist. Um zu verstehen, was geschah, schiebt Lanchester erst einmal einen Crashkurs im Bankgeschäft ein, um sich dann dem fatalen Jahr 2008 anzunähern. Dessen Vorbote war 2007 der Bankrott der Northern Rock Bank, die Protagonisten des Folgejahrs heißen Bear Stearns, Fannie Mae und Freddie Mac, Lehman Brothers, Goldman Sachs, Morgan Stanley und AIG, damals der größte Versicherungskonzern der Welt.

Warum hat sich das Bankwesen eigentlich so stark verändert, und wodurch wurde die neue Ära eingeläutet? John Lanchester sieht einen wildgewordenen Turbo-Kapitalismus am Werk, der sich keine Zwänge mehr auferlegen wollte. Im Gegenteil, die unbegrenzte Geldvermehrung war der Antrieb. Dazu brauchte es neue Mittel, und diese komplizierten Finanzprodukte kann der Autor sehr anschaulich erklären. Derivate, Optionen, Futures, Junk Bonds, Swaps - je komplizierter und trickreicher sie wurden, desto mehr verdankte sich ihre Genese der Rechenleistung jener "Quants" genannten Mathematiker, die diese Produkte erst erdachten.

"Die Liste einzelner Banker, die bei Wetten auf Derivate auf einen Schlag mehr als eine Milliarde Dollar verloren haben, ist lang": Als einen der wichtigsten Schurken macht Lanchester deshalb jenes Team der Investmentbank J. P. Morgan aus, das 1994 bei einer Wochenendklausur in Boca Raton die Credit Default Swaps (CDS vulgo Kreditausfallversicherungen) erfand, ein Produkt, das eine neue Ära im Bankwesen einläutete und dessen "Folgen heute die Wirtschaft des ganzen Planeten erschüttern".

Lanchester ist erblich vorbelastet, sein Vater war lange Jahre im Bankgeschäft in Hongkong tätig, wo auch der 1962 in Hamburg geborene Sohn einen Einblick in das zweitälteste Gewerbe der Welt bekam. Es war der Vater, der dem Sohn einbläute: Vergiss nie, dass du eigentlich der Bank Geld leihst, wenn du etwas auf ein Konto einzahlst. Und als der Sohn im ersten Studienjahr von seinem Erzeuger gefragt wurde, ob er denn genügend Geld habe, musste der Filius erst darüber nachdenken. Was das denn sei - "genug"? Um dann zu antworten, er denke nie über Geld nach. Darauf der Vater: "Dann bist du reich."

Immer wieder schildert er sich selbst quasi als Teil der Weltwirtschaft, als Bankkunde und Kreditnehmer: Als bescheidener Immobilienerwerber hat er zunächst eine kleine Wohnung nahe St. Pancras Station in London erworben; das Viertel kam runter, Lanchester verlor viel Geld. Den zweiten Immobilienkauf unternahm er 1996 im Stadtteil Clapham, wo er heute noch wohnt. Seine Erfahrungen mit den Bankberatern trugen auch dazu bei, dem Gewerbe auf den Grund zu gehen. Denn erstens handelt es sich um "die interessanteste Geschichte, die mir jemals untergekommen" ist, und zweitens musste er bald feststellen, dass "aus irgendwelchen mysteriösen Gründen (. . .) diese Zusammenhänge der allgemeinen Öffentlichkeit vollkommen unbekannt" sind.

Immer wieder blickt der Autor auf vorangegangene Katastrophen wie die Enron-Pleite oder die wechselhafte Politik der amerikanischen und europäischen Zentralbanken; besonders die Winkelzüge des langjährigen Fed-Vorsitzenden Alan Greenspan haben es ihm angetan, weil Lanchester stets lieber die Schuld bei Personen als bei einem ominösen System sucht. Und so ist er für eine Reportage nach Nordamerika gefahren, um vor Ort zu begreifen, wie die Subprime-Krise angerührt wurde. Hunderttausende Makler verkauften Millionen von Hypotheken an Leute, die sie nie im Leben würden zurückzahlen können. Hintergrund dieses Irrsinns: Weil der faule Kredit an einen Dritten weiterverkauft wurde und "weil es deshalb vollkommen egal war, ob er zurückgezahlt werden konnte oder nicht".

Das Ausmaß der Enthemmung der Finanzmärkte begreift man besser, wenn man sich vor Augen führt, dass es noch im Jahr 1979 nicht erlaubt war, mehr als fünfhundert englische Pfund auf einmal aus dem Vereinigten Königreich auszuführen. Dann kam Margaret Thatcher mit ihrer Vision von einem Volk von Eigenheimbesitzern - kein Land in Europa hat eine höhere Hypothekenverschuldung, bezogen auf das jährliche Durchschnittseinkommen. Zehn Jahre siegte der Kapitalismus, die Rutschpartie der Finanzmärkte begann. Einer der ersten großen Höhepunkte war die Pleite von Lehman Brothers. Unvergessen auch der systemrelevante Kommentar von George W. Bush: "This sucker could go down."

Während der Nullerjahre verdoppelte sich das Gesamtvermögen der Welt. Betrug das globale Brutto-Inlandsprodukt im Jahr 2000 noch sechsunddreißig Billionen Dollar, waren es 2006 bereits siebzig Billionen. Die Banker fingen an, immer riskantere Wetten abzuschließen. Das Instrumentarium dazu hatte der chinesische Finanzmathematiker David X. Li geschaffen, der eine Formel modifizierte, die das Spekulieren mit Derivaten vermeintlich risikofrei machte. Die sich permanent steigernde Spirale der Geldgier fußte auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen, die so abstrus und bizarr waren, dass sie reale Ereignisse wie den Schwarzen Montag des Jahres 1987 als unmöglich auswiesen. An diesem Punkt wird Lanchester endgültig zornig: Die völlige Außerachtlassung des menschlichen Faktors beschreibt er als im höchsten Grade unverantwortliches Verhalten.

Fazit: Völliges Versagen der Banken im Risikomanagement, Versagen der Bankenaufsicht und der Zentralbanken. Von den Wirtschaftswissenschaften ganz zu schweigen, welche die Frage der englischen Königin bis heute nicht beantwortet haben: "Why did nobody see it coming?" Da kann Lanchester mit seiner moralischen Empörung nicht mehr hinter dem Berg halten: "Die Krise stellte den gesamten Berufsstand bloß, so dass er ein wenig der britischen Armee in Singapur ähnelte, die während des Angriffs der Japaner im Zweiten Weltkrieg mit ihren Kanonen in die falsche Richtung zielte."

Am Ende bleibt alles am Steuerzahler hängen, so wie das Schicksal des Euro an Deutschland hängen bleibt - davon ist der bekennende Euroskeptiker Lanchester überzeugt. In seinem von der Aktualität naturgemäß schon wieder überholten Ausblick auf die Euro-Krise nagelt er Deutschland auf die Rolle des Protagonisten fest, auch wenn er distanziert einräumt, "für einen Nicht-Deutschen kann der starke Hang dieses Landes zu wirtschaftlicher Strenge und Disziplin fast wie Besessenheit wirken".

John Lanchester kennt die zentrale Regel unserer Kultur: "Wenn du schon so wahnsinnig klug bist, warum bist du dann nicht stinkreich?" Den Umkehrschluss, dass alles, was sie täten, klug sei, hätten allzu viele reiche Menschen in der Finanzwelt gezogen. Nun gibt es immerhin in der Werbung erste Hinweise auf ein Umdenken, aber zunächst nur dort. So signalisieren aktuelle Fernsehspots der Commerzbank, man habe verstanden - während man diesen Prozess der Einsicht unverändert mit der Entlassung von Mitarbeitern in der Größenordnung von Kleinstädten orchestriert. Am Ende hat John Lanchester nichts zu offerieren außer Entbehrungen, Schweiß und Tränen. Seinen Lesern aber hat er mit gelegentlich sarkastischem Unterton zu geballten Einsichten verholfen. Er kann nichts dafür, dass diese nicht beruhigen, sondern die Ahnung bestärken, diese Geschichte sei noch lange nicht zu Ende.

John Lanchester: "Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt". Die bizarre Geschichte der Finanzen.

Aus dem Englischen von Dorothee Merkel. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2013. 302 S., br., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

John Lanchester erklärt in diesem Buch noch einmal den Hergang der Finanzkrise, erklärt Rezensent Lutz Lichtenberger, dem ziemlich gut gefällt, wie der Autor die ganzen "buchstabensuppigen Finanzprodukte" und komplizierten Verstrickungen der Institutionen zu einem tatsächlich unterhaltsamen Buch verschnürt. Lanchester zeichnet sich durch die Qualitäten eines Romanciers aus, meint Lichtenberger: er verfolgt unterschiedliche Handlungsstränge, entwickelt seine "Charaktere" und spart nicht an Pointen, lobt der Rezensent. Im Mittelpunkt stehe das System der "Versicherungen auf Schuldverschreibungen", das eigentlich die Beseitigung des Risikos zum Zeilt gehabt habe. Nur leider, so Lichtenberger, ging diese eigentlich positive Absicht nach hinten los, die "Anschnallgurte" verführten zum Fahren im Vollrausch.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.12.2013

Vorsicht vor menschlichen Wünschen
Wer den Anschluss bei der Finanzkrise verloren hat und verstehen will, wie die Finanzwelt tickt, der sollte zu dem Buch von John Lanchester greifen. Denn der Brite besitzt eine seltene Gabe: Er kann brillante Romane genauso schreiben wie pfiffige Restaurantkritiken oder erhellende Sachbücher. Bei der Recherche zu seinem jüngsten Roman „Kapital“ sammelte der Redakteur der London Review of Books so viel Wissen, dass er es kurzerhand zu einem Sachbuch verarbeitete.
  Die Krise war eben kein zwangsläufiger Betriebsunfall des real praktizierten Kapitalismus, sondern Ergebnis menschlicher Handlungen und Wünsche. Eine folgenschwere Idee hatten beispielsweise Mitarbeiter der Investmentbank J.P Morgan, als sie entdeckten, wie man die Risiken aus der Buchhaltung „einfach ausradieren“, gleichzeitig aus diesen Risiken aber noch Profit schlagen konnte. „Ein ökonomisches Wunderwerk“, schreibt Lanchester.
  Sein Verdienst ist es, den Protagonisten Gesichter zu geben. So wie dem Mathematiker David X Li. Mit dessen Formel konnten Banker scheinbar Unkorreliertes korrelieren – dachten sie. Dann belehrte sie die Realität eines Besseren. Der Einbruch des US-Immobilienmarktes um ein Fünftel galt in den Formeln als so wahrscheinlich wie 21 Lottogewinne einer Person in Großbritannien hintereinander. Jetzt geschah genau dies, mehrfach.
  Für die Zukunft nennt der Autor Reformideen wie die Umwandlung von Banken nach dem Vorbild öffentlicher Versorgungsbetriebe oder die Gleichbehandlung von Finanzprodukten mit Medikamenten: Produkte würden so lange verboten, bis ihre Unschädlichkeit erwiesen wäre. Lanchester warnt vor einem Zerfall Europas, ist aber skeptisch, dass die Politik Reformen in seinem Sinne anpackt: „Ich fürchte, der Westen hat sich in die Ideologie der Ausgabenkürzung verbissen“. Die Folge laut Lanchester: „Eine mühsame, zehn Jahre dauernde Plackerei durch ein wirtschaftliches Jammertal.“
CASPAR DOHMEN
  
  
  
  
  
John Lanchester:
Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt.
Klett-Cotta 2013. 19,95 Euro.
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»John Lanchester schreibt eine kurze und heftige Zusammenfassung der Finanzkrise.« Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.03.2013 » ... für alle, die nicht verstehen, warum sie mit ihren Steuern Banken "retten" sollen, nur um anschließend zu erfahren, dass solche Banken Milliardenprofite ausweisen, von den Bonuszahlungen gar nicht zu reden ... amüsant und lehrreich.« Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung, 02.04.2013 »Lanchester versteht es, verschiedene Handlungsstränge und Entwicklungslinien, Nah- und Fernaufnahmen, Personen und Pointen, das große Bild und das kleine Detail zu einer überraschend leichten Erzählung zusammenzuführen.« Lutz Lichtenberger, Frankfurter Rundschau, 14.05.2013 »Vielleicht braucht es jemanden wie John Lanchester, der uns die Krise erklärt. Dem britischen Schriftsteller gelingt, was in dieser Klarheit noch niemand geschafft hat: Er legt die Ursachen der globalen Finanzkrise dar, benennt die Schuldigen und zeigt auf, wo wir nach Lösungen suchen können.« Jörg Hackhausen, Handelsblatt, 25.06.2013 »Herausgekommen ist am Ende ein Buch, das im Plauderton verfasst ist, trotzdem aber lehrreich ist und klare Positionen formuliert.« Daniel Hackbarth, Stuttgarter Zeitung, 22.03.2013 »John Lanchester holt seine Leser aus dem Krisengerede heraus. Quer durch die Krisenschübe erkundet er die Strukturdefizite der Finanzindustrie ... Lanchester, zugleich Kenner der Finanzwelt und Romancier, führt die Leser durch Geschichten realer Erfahrungen in die sonderbare Welt jener Geschäfte, die immer neue Krisen auslösen« Erich Kitzmüller, Die Presse Spectrum, 18.05.2013 »Lanchesters Buch ist wohl eines der besten zum hochaktuellen Thema.« Dresdner Neueste Nachrichten, 22.04.2013…mehr
Wo man sich selbst
Geld leihen darf

Der englische Publizist John Lanchester zeigt den
Irrwitz der Finanzmärkte und wie es zur Krise kam

VON FRANZISKA AUGSTEIN

Zu den größten Kritikern der neuen Finanzinstrumente, soll heißen: der Kreditpapiere, mit denen die USA in die Krise getrieben wurden, gehört Paul Volcker, der ehemalige Chef der US-Notenbank. Ende 2009 sagte er in diesem Kontext scherzend: Von allen Neuheiten der vergangenen 25 Jahre, sei der Geldautomat die beste. Mit seinem Bonmot dürfte Volcker recht haben, im Hinblick auf den Geldautomaten indes irrte er: Es gibt ihn schon länger. Als John Lanchester acht Jahre alt war – „es muss etwa im Jahr 1970 gewesen sein“ – und seinen Vater, einen Bankangestellten in Hongkong, gelegentlich zum Geldautomaten begleitete, hatte er eine Heidenangst vor dem ominösen Monster: Was, wenn der Automat sich selbständig machte und heimlich alles Geld von Papas Konto wegnahm?

John Lanchester lebt seit vielen Jahren in London, er wurde Journalist, er schreibt Romane, und vor Geldautomaten fürchtet er sich schon lange nicht mehr. Wie er freimütig einräumt, waren seine Kenntnisse des Finanzwesens seit seiner Kindheit aber nicht wesentlich besser geworden: Es war ihm gelungen, frühzeitig einen so ungünstigen Kredit für eine Wohnung aufzunehmen, dass dieser ihn trotz der rasant steigenden Londoner Immobilienpreise am Ende teuer zu stehen kam. Seine Naivität fand erst ein Ende, als er für seinen fein komponierten Roman „Kapital“ Hintergrundrecherchen betrieb. Was er da entdeckte, schien ihm so spannend, dass er parallel zum Roman ein Sachbuch über die Krise verfasste. So kam es, dass der Roman „Kapital“ nur ganz nebenbei von den Finanzmärkten handelt: Was Lanchester da entdeckte, sparte er vermutlich für seine „bizarre Geschichte der Finanzen“ auf.

Für Leute wie Paul Volcker ist das Buch nicht geschrieben, sondern vielmehr für alle, die nicht verstehen, warum sie mit ihren Steuern Banken „retten“ sollen, nur um anschließend zu erfahren, dass solche Banken Milliardenprofite ausweisen, von den Bonuszahlungen gar nicht zu reden. Um die komplizierte Materie interessant darzustellen, greift Lanchester auf Metaphern und seine eigenen Erlebnisse zurück. Auch versucht er, das große Ganze darzustellen, indem er es auf private Verhältnisse überträgt. So zeigt er zum Beispiel die Mechanismen der Kreditausfall-Swaps (CDS), die erst zur Hypotheken- und dann zur Bankenkrise wesentlich beitrugen, anhand von einigen Familien in Ihrer Straße, ja in Ihrer Straße: Lanchester spricht den Leser an. Mittels des fiktiven Vergleichs stellt er diesen Aspekt des Derivate-Handels verständlich dar und dazu, warum CDS bei brummender Konjunktur wie ein Perpetuum Mobile des Finanzwesens anmuteten.

Bei diesem Vergleich kommt Lanchester dann auch zu dem Punkt, wo die Parallele zwischen Privathaushalten und den Finanzmärkten und Banken endet: „denn Sie können sich nicht selbst Geld leihen und mit dieser Art Methode einfach einen Kredit aus dem Boden stampfen“. Die Banken aber konnten das: Sie gründeten Zweckgesellschaften, die in ihren Bilanzen nicht vorkamen. Selten war das illegal; oft schrappte es quietschend an der Illegalität vorbei; meistens war es legal. Nicht zuletzt Lobbys hatten dafür gesorgt. Die von Politikern weltweit früher gepriesene oder – wie in Deutschland – rhetorisch eher zurückhaltend betriebene Deregulierung der Finanzmärkte hatte es möglich gemacht.

In ihre Zweckgesellschaften lagern die Banken aus, was ihre Bilanzen hässlich aussehen ließe. Gute Bilanzen steigern die Aktien und den Wert der Bank (und die Boni der Manager). Im Lauf der Finanzkrise kam es aber immer öfter vor, dass einzelne Banken eigentlich insolvent waren. Das macht sie zu Zombiebanken. Den Begriff erklärt Lanchester so: „Eine Zombiebank ist ein Unternehmen, das im Grunde genommen tot – also insolvent – ist, aber eine schauerliche Art von Pseudo-Dasein führt, weil ihm erlaubt wurde (für gewöhnlich von einer übertrieben nachsichtigen Regierung), weiter Handel zu treiben.“

Für das Argument „too big to fail“ hat Lanchester etwas übrig: Die Banken müssen weiterhin im Stande sein, Kredite zu vergeben, weil anderenfalls die Wirtschaft, die auf Kredite angewiesen ist, nicht mehr arbeiten kann. Die Frage war nur: Welche Banken soll der Steuerzahler stützen? Und da, sagt Lanchester, sei ein Chaos ausgebrochen. Infolge der Krise hätten viele europäische Banken im großen Stil Staatsanleihen gekauft, im Glauben, damit kein Risiko einzugehen. Dann aber ließ die europäische Konjunkturschwäche es so aussehen, „ als könnten die Staaten ihre Schulden nicht zurückzahlen und als würden daher die Leute, denen diese Schuldscheine gehörten, viel Geld verlieren. Bei diesen Schuldnern handelte es sich jedoch zu einem Großteil um die europäischen Banken“, zu denen eben auch Zombiebanken gehörten. Das Ergebnis: Niemand könne mehr unterscheiden, „welche Banken zu den wandelnden Toten gehören und welche Banken nur deshalb so sabbern, schlurfen und ächzend um mehr Verstand flehen, weil das zu ihren ganz normalen Verhaltensweisen gehört“.

Lanchesters Buch macht klar, warum der damalige Deutschbänker Josef Ackermann sich öffentlich in Szene setzte: Seine Bank brauche keine Staatshilfe. Außerdem erklärt Lanchester, wie die weltweite Krise überhaupt ins Rollen kam, die mit dem Zusammenbruch des amerikanischen Hypothekenwesens begann. Sein Buch ist amüsant und lehrreich. In der Übersetzung klingt es etwas burschikoser als im Original. Dorothee Merkel hat Lanchesters Erklärungen der Fachtermini klar ins Deutsche gebracht. Da macht es nichts, dass bei ihr „drugs“ nicht Medikamente sind, sondern aus Versehen zu „Drogen“ wurden.

John Lanchester: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt. Die bizarre Geschichte der Finanzen. Aus dem Englischen von Dorothee Merkel. Klett-Cotta, Stuttgart 2012. 302 Seiten, 19,95 Euro.

„Zombiebanken“ gibt es überall –
und sie sind schwer zu erkennen

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