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Kein Genre im Fernsehen ist so beliebt wie Talkshows. Doch was wir heute als Dauerreden am Nachmittag wahrnehmen, hat eine lange Geschichte. Harald Keller zeichnet sie nach: von den amerikanischen Vorbildern über die Gesprächssendungen im NS-Rundfunk, die Klassiker aus der Anfangszeit der Bundesrepublik bis hin zu den Shows von heute. Anhand umfangreicher Recherchen in viele Archiven ist ein unterhaltsames, faktenreiches Stück Kulturgeschichte entstanden - und ein Einblick in die deutsche Fernsehmentalität.

Produktbeschreibung
Kein Genre im Fernsehen ist so beliebt wie Talkshows. Doch was wir heute als Dauerreden am Nachmittag wahrnehmen, hat eine lange Geschichte. Harald Keller zeichnet sie nach: von den amerikanischen Vorbildern über die Gesprächssendungen im NS-Rundfunk, die Klassiker aus der Anfangszeit der Bundesrepublik bis hin zu den Shows von heute. Anhand umfangreicher Recherchen in viele Archiven ist ein unterhaltsames, faktenreiches Stück Kulturgeschichte entstanden - und ein Einblick in die deutsche Fernsehmentalität.
Autorenporträt
Harald Keller studierte Literatur-, Medien- und Kunstwissenschaften in Osnabrück und arbeitet als freier Journalist mit dem Schwerpunkt Film/Fernsehen/Kultur für verschiedene Zeitungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2009

Reden auf Sendung

Wer an den Talkshows wieder einmal verzweifeln möchte, kann zu einem Buch greifen, das sich ihnen widmet: Harald Keller hat eine Geschichte des quotenträchtigen Genres in Deutschland vorgelegt.

Laut Umschlagtext handelt es sich um die erste umfassende Kulturgeschichte der Talkshow. Eine "Talkshow" ist aber keine "talk show", und es geht hauptsächlich um die deutsche Lokalisierung des Genres. Dass sich bisher noch niemand dieses Themas angenommen hat, das könnte zwei Gründe haben: Entweder es interessiert niemanden, oder es ist besonders schwierig, darüber zu schreiben.

Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Fernsehsendungen, deren Hauptinhalt darin besteht, dass diverse Personen miteinander parlieren, sind wie der Wetterbericht nicht für die Ewigkeit bestimmt. "Die Familie Hesselbach" bekommt man auf DVD, der "Internationale Frühschoppen" ist nur noch im Archiv seines Senders zu finden. Oder auch dort nicht, denn vom Fernsehen der Frühzeit existieren manchmal gar keine Aufzeichnungen mehr. Videorecorder kamen erst 1958 in Deutschland in Gebrauch, und die teuren Magnetbänder wurden gern gelöscht und wiederverwendet. Harald Keller kann deshalb viele der ganz alten Sendungen nur anhand von schriftlichen Quellen beschreiben.

Die Talkshow kommt aus den Vereinigten Staaten. Die Idee war naheliegend, schon weil solche Sendungen relativ billig zu produzieren waren. In Deutschland wurden regelmäßig Formate ausprobiert, die in Amerika bereits erfolgreich waren. Weshalb es auch sinnvoll ist, dass Keller mit einem Überblick über die Entwicklung in Amerika beginnt.

Bahnbrechend im Bereich der Late-Night-Show war in den Jahren 1954 bis 1957 "Tonight" mit Steve Allen. Vier Jahrzehnte später bedienten sich Jay Leno und seine Kollegen immer noch bei Allens Ideen. Und natürlich auch Thomas Gottschalk, der 1992 in Deutschland als Erster eine klassische Late-Night-Show hatte.

Das deutsche Fernsehen begann nach einer längeren Testphase im Jahr 1952 mit seinen Sendungen. Am Anfang war noch vieles an den Mustern des Hörfunks orientiert. Der hatte sich in den tausend Jahren des Dritten Reichs nicht gerade als Ort für freie Gespräche ausgewiesen. Nach dem Ende des Krieges sollte sich das ändern. Werner Höfer formulierte das einmal so: "Dieses Land war so etwas wie ein einziger großer Hyde Park, und an jeder Ecke baute jemand seine Apfelsinenkiste auf und ergriff das Wort."

Höfer bestritt zwar später immer, dass sein Sonntagsritual "Internationaler Frühschoppen mit sechs Journalisten aus fünf Ländern" (oder ähnlich) eine frühe Talkshow gewesen sei, aber die Sendung enthielt doch schon verschiedene ihrer Elemente: Die Gespräche waren tagesaktuell und boten eine effektive Mischung aus Information und Unterhaltung. Schon damals hatten solche Programme Markencharakter, die Moderatoren bürgten für gleichbleibende und vorhersehbare Qualität.

So ganz reif erwies sich das deutsche Publikum aber am Anfang noch nicht. So hatte die Sängerin und Schauspielerin Margot Hielscher 1955 in ihrer Sendung "Prominente - fast privat!" einmal Maurice Chevalier zu Gast. Die Zuschauer aber reagierten wütend, weil Chevalier auf Französisch sang und dazwischen englisch redete.

In den sechziger Jahren wurde das Klima rauher. Das Bundesverfassungsgericht verhinderte das "Adenauer-Fernsehen", stattdessen entstand das ZDF. Politische Fragen drängten in den Vordergrund. Schon früh gehorchte die Sendereihe "Pro + Contra" einem antagonistischen Prinzip. Hier wurde abgestimmt. Asylrecht verschärfen? sechzehn dafür, zehn dagegen.

Im nächsten Jahrzehnt wurden bei uns schließlich echte Talkshows nach amerikanischem Muster eingeführt. Zunächst brachte man in den dritten Programmen ein paar Beispiele der "Dick Cavett Show" in englischer Sprache, was aber eher zu Missverständnissen über den Fernsehalltag in den Vereinigten Staaten führte, denn es handelte sich um untypische Highlights. Aber bald konnte man das Wesen der Talkshow ohnehin anhand der einheimischen Praxis studieren. Dietmar Schönherr machte 1973 den Anfang mit "Je später der Abend": Wir waren endlich in der großen Welt angekommen. Es dauerte aber noch, bis sich die populären Formate herausgemendelt hatten.

1984 kam das Privatfernsehen. Es entstanden Blödel-Talkshows, Konfrontations-Talkshows am Nachmittag und schließlich wie in den Vereinigten Staaten die werktäglichen Late-Night-Shows, Gottschalk, Schmidt und Kerner. Diese Sendungen verloren durch ihre Häufigkeit den Ereignischarakter. Es war normal, dass sie im Niveau schwankten. Von 1999 an wurden die Talkshows am Nachmittag dann gern durch Gerichtsshows ersetzt. Das ist dasselbe in Grün, nur gibt es am Ende noch eine autoritäre Instanz, die stellvertretend für die Zuschauer eine Bewertung trifft. Die anvisierten Zuschauer mögen das offenbar.

Womit Kellers Buch auch schon fast am Ende ist. Es kommen nur noch zwei Anhängsel: über "Big Brother" und über die Gesprächssendungen in der DDR, wo die freie Konversation, man kann es sich denken, nicht so recht erblühte. Der Autor kommt auf alle möglichen Gegenstände im weiteren Umfeld der Talkshow, ausgewählte Sendungen werden im Detail beschrieben, liebevoll ausgewählte, wenn auch viel zu wenige Fotos kommen hinzu. Die Lektüre des stattlichen Bandes ist auf jeden Fall anregender als die meisten heutigen Sendungen in jenem Format, dessen Geschichte er beschreibt.

ERNST HORST.

Harald Keller: "Die Geschichte der Talkshow in Deutschland". Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2009. 476 S., Abb., br., 14,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.07.2009

Im großen Chor
Die Geschichte des Fernsehens ist auch eine Geschichte der Talkshows. Ein neues Buch beschreibt das Gewerbe
Am 18. März 1973 begrüßte der Schauspieler Dietmar Schönherr die Zuschauer der neuen WDR-Sendung Je später der Abend mit einer Erklärung zu einem Phänomen, das er offenbar selber nicht ganz verstand: „Meine Damen und Herren, eine Talkshow, was ist das? Darüber zerbrechen sich seit einiger Zeit die Fernsehmacher in den verschiedenen Anstalten die Köpfe. Talk kommt von to talk, reden”, erläuterte Schönherr wie ein freundlicher Lehrer, „und das Ganze ist also eine Rederei. (. . .) Talkshow ist etwas, was wir alle nicht kennen; ich hoffe, Sie haben Lust, es gemeinsam mit mir und unserem Publikum hier kennen zu lernen.”
Die Leute hatten Lust. Je später der Abend war keineswegs die erste Rederei im deutschen Fernsehen, aber die erste, die sich gleich am amerikanischen Muster orientierte. So normiert das Fernsehen in den USA heute ist, von den späten Fünfzigern an war es noch (je nachdem) unvorsichtig oder mutig genug, Freibeuter wie Norman Mailer oder Gore Vidal ungehindert reden und sich gern auch gegenseitig beleidigen zu lassen. Der große Talkmaster (also Redemeister) Dick Cavett kann noch heute, Jahrzehnte nach seiner legendären Show, die besten Anekdoten aus dieser großen Zeit, zum Besten geben.
Nach den Jahren der Gleichschaltung waren es die Besatzungsoffiziere, die die staunenden Deutschen ab 1947 zu einigermaßen herrschaftsfreier Diskussion ermutigten. „Wir wurden von den Engländern zur Kühnheit ermuntert. Als kühn galt damals schon ein Gespräch, das nicht vorher geprobt, sondern live aufgeführt wurde”, berichtet Peter von Zahn, der einer der ersten Moderatoren war. Die Sendungen hießen Am runden Tisch in Bonn oder Meckerecke und leisteten einen kaum zu überschätzenden Beitrag zur Entautorisierung der Politik. Erst im Radio, dann im Fernsehen durfte über alles geredet werden, was sonst im Abituraufsatz bearbeitet wurde: „Das Christentum am Morgen des Atomzeitalters”, „Arzt und Moral”, „Sind Mann und Frau gleichberechtigt?” Und, schon sehr selbstkritisch: „Vergeht uns das Denken vor Hören und Sehen?”
Kaum gab es das Fernsehen, wurde der Internationale Frühschoppen unter der Leitung von Werner Höfer gesendet. Vielleicht, von der Sport- und der Tagesschau abgesehen, war keine andere Sendung so bezeichnend für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. „Sechs Journalisten aus fünf Ländern”, die alle fürchterlich rauchten, ließen sich bereitwillig schon mittags von einer Hostess nachschenken, diskutierten mit einer wahrhaft kühnen Publikumsverachtung die Bonner und die Weltpolitik und verliehen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer eingeschränkten Politikfähigkeit früh ein weltgewandtes Flair. Der Journalist Werner Höfer, ein ehemaliges Mitglied der NSDAP, hatte 1943 in einem Artikel die Hinrichtung eines Komponisten begrüßt, der sich defätistischer Äußerungen schuldig gemacht hatte. Warum Höfer erst 1987 durch einen Artikel im Spiegel gestürzt wurde, obwohl offenbar jeder über seine Vorgeschichte Bescheid wusste, gehört zu den Geheimnissen unseres redseligen Gewerbes.
Harald Keller notiert es nur und kann es sich auch nicht erklären. Keller hat die erste Geschichte der Talkshow in Deutschland (Fischer-Verlag) geschrieben und ist dafür mit einer staunenswerten Hingabe in die Archive und Redaktionskeller gestiegen und hat sich Hunderte von Sendungen angeschaut oder wenigstens – soweit vorhanden – deren Wortprotokolle studiert. Er hat auch noch mit einigen so genannten Pionieren dieser Form von Fernsehunterhaltung sprechen können. In den nächsten Jahren dürften Dutzende von Abschlussarbeiten mit Hilfe dieser reichen Materialsammlung entstehen.
Das verdienstvolle Werk gibt einen guten Überblick, auch wenn es auf Wertungen und damit auf eine echte Geschichte fast ganz verzichtet. Zwar wird die populäre Sendung Jetzt red i erwähnt, und an ganz anderer Stelle kommt Franz Schönhuber als Vorsitzender der Republikaner vor, mit dem ausgerechnet der allzeit freundliche Thomas Gottschalk diskutieren wollte. Schönhuber war kein Berlusconi, aber hier wäre der Hinweis fällig gewesen, dass der ehemalige Strauß-Freund nur durch seine langjährige Moderatorentätigkeit bei Jetzt red i zum Volkstribun aufsteigen konnte.
Zur Geschichte der Talkshow gehört auch, dass die Politiker Sozialdarwinismus lernten und zunehmend die Bühne des Parlaments verließen, um sich im Fernsehen und dort in jeder Schwatzrunde häuslich einzurichten. Der TV-Hybrid Guido Westerwelle besuchte sogar den Container von Big Brother, eine Sendung, die Keller wegen des verordneten Dauerquatschens nicht völlig zu Unrecht ebenfalls aufführt. Die Arbeit hat ihm, ist zu hoffen, mehr als nur ein Fischer-Taschenbuch, sondern mindestens die Promotion zum Dr.phil.tv. eingetragen.
Komischerweise findet er die legendären Höhepunkte – es sind wenig genug – nicht einmal einer Erwähnung wert: wie Fritz Teufel 1982 bei 3 nach neun den Sozialminister Hans Matthöfer mit Wasserpistole und Zaubertinte attackiert (bei youtube zu sehen); oder wie Romy Schneider, deren Männergeschmack offenbar recht demokratisch war, vor der Kamera den Kollegen Burkhard Driest mit „Sie gefallen mir” anmachte; oder beispielsweise die Sendung im Club 2, in der nach der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer die ehemaligen Studentenanführer Daniel Cohn-Bendit und Rudi Dutschke mit dem von der APO aus Berlin vertriebenen Politologen Kurt Sontheimer und mit dem Springer-Scharfmacher Matthias Walden diskutierten. Der Club 2 wurde zwar vom österreichischen Fernsehen veranstaltet, aber auch im benachbarten Bayern zu empfangen – und zwar wie das Manna vom Himmel.
Die Form ist älter als das Fernsehen und erblühte erstmals mit der Ausbreitung des Rundfunks. 1930 brachte der Hörspieldirektor Arnolt Bronnen Joseph Goebbels, den Gauleiter von Berlin, und Erwin Piscator, den kommunistischen Regisseur, zu einem Gespräch über moderne Kunst zusammen. Sie befanden sich schon damals auf der Höhe des Unterhaltungsgewerbe, denn es entwickelte sich dabei kein Streitgespräch, sondern die beiden Kontrahenten sollten aufsagen, was ihnen andere vorgeschrieben hatten.
Die Zähne, die Kleider, die Frisuren der Moderatoren wie der Gäste sind besser geworden mit den Jahren, es wird nicht mehr geraucht, aber dafür wurde das intellektuelle Niveau rasant gesenkt. Das bescheidene Potential an Stars, über das Deutschland verfügt, schreitet in einer unendlichen Prozession die verschiedenen Stationen ab, hält hier eine CD hoch, da ein Buch, lobt den eigenen Film, lobt den Moderator, der brav zurücklobt, denn das Spiel muss am nächsten Abend mit eiserner Routine weitergehen. Talkshow gibt es inzwischen jeden Abend doppelt und dreifach, es beckmannt und kernert und willt im bunten Reigen.
Das Fernsehen, fast undenkbar heute, konnte einmal sogar die Politiker entlarven, die es zu besitzen glaubten. Nach der Bundestagswahl 1987 wollte der angetrunkene Franz Josef Strauß nicht an der „Elefantenrunde” teilnehmen, sondern ließ sich zu Hause von Wolf Feller befragen, dem messdienernden Direktor des Bayerischen Fernsehens.
Die Talkshow ist, wie Dietmar Schönherr so richtig bemerkte, eine einzige große Dampfplauderei. Andererseits, was hätten wir sonst? Der bekannte Talkmaster Friedrich Hölderlin wusste das bereits 1802: „Seit ein Gespräch wir sind/Und hören können voneinander/Ein Chor nun sind wir.” WILLI WINKLER
Lob, Gegenlob, Applaus: Das Spiel muss ja am nächsten Abend mit eiserner Routine weitergehen
34 Jahre lang saß Werner Höfer immer wieder sonntags im Internationalen Frühshoppen, Hostessen schenkten nach. Es wurde viel geraucht, und seltsamerweise spielte es Jahrzehnte keine Rolle, dass Höfer eine NSDAP-Vergangenheit hatte. Dass aber offenbar jeder sein Vorleben kannte, gehört zu den Geheimnissen eines redseligen Gewerbes. Foto: WDR/Barisch
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Ernst Horst scheint zufrieden mit Harald Kellers Geschichte der Talkshow im deutschen Fernsehen. So wie offenbar der Autor erzählt auch der Rezensent ausführlich die Entwicklung des Formats von den Anfängen bis heute nach. Unklar bleibt, welche neuen Erkenntnisse Horst aus dem Buch gezogen hat. Er hebt hervor, dass Keller ausgewählte Sendungen detailliert beschreibt. Besonders gefallen haben ihm auch die "liebevoll" ausgewählten Fotos, von denen er sich allerdings mehr gewünscht hätte. Die Lektüre des Bandes scheint ihm "anregender als die meisten heutigen Sendungen".

© Perlentaucher Medien GmbH