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Als in den Augusttagen 1914 die Nachricht vom Kriegsausbruch in Europa in Lateinamerika bekannt wurde, sprach man dort von einem "Drama der gesamten Menschheit", in dem es keine Zuschauer geben könne. Viele Beobachter stimmten darin überein, dass in diesem Sommer eine Epoche endete und eine neue Ära begann. In Lateinamerika, das durch die neuartige Form des Propagandakriegs und die
neuen Kommunikationstechnologien direkter als je zuvor in die Ereignisse der "Alten Welt" involviert war, gab der Krieg den Anlass zu emanzipatorischen Bestrebungen, die sich während des Konflikts – oder
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Produktbeschreibung
Als in den Augusttagen 1914 die Nachricht vom Kriegsausbruch in Europa in Lateinamerika bekannt wurde, sprach man dort von einem "Drama der gesamten Menschheit", in dem es keine Zuschauer geben könne. Viele Beobachter stimmten darin überein, dass in diesem Sommer eine Epoche endete und eine neue Ära begann. In Lateinamerika, das durch die neuartige Form des Propagandakriegs und die

neuen Kommunikationstechnologien direkter als je zuvor in die Ereignisse der "Alten Welt" involviert war, gab der Krieg den Anlass zu emanzipatorischen Bestrebungen, die sich während des Konflikts – oder unmittelbar nach Kriegsende – bemerkbar machten. Seit längerer Zeit bestehende Konfliktpotenziale verschärften sich durch die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" und mündeten in neue soziale

Bewegungen, deren Ausrichtung höchst unterschiedlich war. Die weltumspannende Dimension der Geschichte des "Großen Krieges" wird in diesem Buch aus der Perspektive eines Kontinents analysiert, der nur auf den ersten Blick am Rand der Ereignisse stand, sich aber durch den Flächenbrand in Europa stark veränderte.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Epkenhans lässt sich von Stefan Rinke an die Probleme eines ganz anderen Kontinents erinnern. Lateinamerika und seine Beziehungen zu Europa vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg zeichnet ihm der Autor überzeugend und "gut lesbar" nach. Eine andere Geschichte der Globalisierung, die Epkenhans kaum kennt. Sie beinhaltet die Auswanderung von Europäern, die wachsende kulturelle und wirtschaftliche Verbindung zwischen der "alten" und der "neuen" Welt seit dem 19. Jahrhundert und schließlich den Schock, als all das 1914 zerbricht. Lehrreich findet der Rezensent Rinkes Studie, weil sie die Nachteile der Globalisierung nach dem Zusammenbruch der Beziehungen zeigt, als der internationale Handel zusammenbricht und die innere Stabilität in Lateinamerika ins Wanken kommt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2016

Ende der Europa-Bewunderung
Vergessener Schauplatz: Lateinamerika und der Erste Weltkrieg

Obwohl es inzwischen eigentlich eine Binsenweisheit ist, dass der Erste Weltkrieg ein globaler Krieg war, gibt es manchen blinden Fleck, den selbst die gelehrtesten Darstellungen des vergangenen Jahres übersehen haben: Lateinamerika. Sicher, manche kennen die Schlacht bei den Falkland-Inseln, in der das deutsche Ostasien-Geschwader unterging, das Zimmermann-Telegramm, in dem das Deutsche Reich der mexikanischen Regierung 1917 Unterstützung bei der Rückeroberung von Gebieten anbot, die dieses einst an die Vereinigten Staaten hatte abtreten müssen, oder auch die Bedeutung chilenischen Salpeters für die Herstellung von Munition. Mehr aber nicht.

Umso wichtiger ist die Studie von Stefan Rinke. Sie lenkt einmal mehr den Blick auf vielschichtige Globalisierungsprozesse seit dem 19. Jahrhundert. Zu nennen ist hier zunächst die Auswanderung von elf Millionen Deutschen, Franzosen und Engländern oder Angehörigen anderer europäischer Staaten nach Lateinamerika. Auch wenn sie in ihrer neuen Heimat wichtige Funktionen in Politik, Wirtschaft und Kultur übernahmen, waren die Verbindungen zu den Ländern ihrer Herkunft keineswegs abgerissen.

Gleichermaßen eng waren die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen der "alten" und der "neuen" Welt - ungeachtet aller Konflikte über unbezahlte Schulden: Während Europa Gummi, Kupfer und Salpeter für seine Industrie, Fleisch, Getreide und Kaffee für die vom Land in die Städte wandernde Bevölkerung brauchte, importierten die Staaten Lateinamerikas all das, was sie zur Modernisierung nach europäischem Vorbild benötigten: Lokomotiven und Schienen zum Bau von Eisenbahnlinien, Schiffe zum Transport von Waren und Waffen. Hinzu kamen Luxusgüter für die Oberschichten als Zeichen von Wohlstand und Modernität.

Eng waren auch die kulturellen Bindungen: Europäische Kultur, Lebensart und Ideen von Freiheit und Moderne galten als Vorbilder, denen es aus Sicht der weißen Eliten nachzueifern galt, um die eigene "Barbarei" zu überwinden. Umso größer war der Schock darüber, dass das bewunderte Europa genau diese Werte in Frage stellte, als es im Sommer 1914 begann, sich regelrecht zu zerfleischen. Die Folgen dieser Selbstzerfleischung waren überall in Lateinamerika zu spüren.

Drei Aspekte aus der lehrreichen Studie Rinkes sollen hier hervorgehoben werden: Auch wenn die Staaten Lateinamerikas wie der große Nachbar im Norden, die Vereinigten Staaten, lange Zeit ihre Neutralität wahrten, bedeutete dies nicht, dass sie vom Krieg in Europa verschont blieben. Vom ersten Kriegstag an wurden nun die Nachteile der Globalisierung deutlich: Anleihen und Kredite zur Finanzierung alter oder neuer Projekte waren an den europäischen Börsen kaum mehr zu bekommen. Fehlender Transportraum aufgrund des Ausfalls deutscher Reedereien brachte den inneramerikanischen wie auch den internationalen Handel zeitweise zum Erliegen. Die alliierte Blockade mit ihren Restriktionen für den freien Handel beeinträchtigte zugleich die für viele Staaten wichtigen Exporte. Nur diejenigen, die über kriegswichtige Rohstoffe verfügten, boomten seit 1915. Aber auch sie mussten erfahren, dass die Alliierten ihre Position hemmungslos nutzten, um die Terms of Trade zu ihren Gunsten zu ändern. Die Folgen für die Staatsfinanzen waren erheblich. Noch dramatischer waren die Auswirkungen der aufgrund dieser Verwerfungen steigenden Zahl der Arbeitslosen und galoppierenden Inflation auf die innere Stabilität. Diese konnte oft nur durch Anwendung massiver Gewalt aufrechterhalten werden.

Diese Konflikte belegen die in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzende Selbstmobilisierung lateinamerikanischer Gesellschaften. Alliierte und deutsche Propaganda hatten daran zweifellos ihren Anteil. Erstaunlich ist aber, dass diese Diskurse über "Krieg" und "Nation", "Reform", "Revolution" und "Imperialismus" sich bald keineswegs auf die Eliten beschränkten. Auch die Mittel- und Unterschichten nahmen daran regen Anteil. In diesen Diskursen ging es um die Zukunft Lateinamerikas, die angesichts des Weltkriegs offener denn je erschien.

Aber auch das bis dahin so positive Bild Europas änderte sich: "Europa ist gescheitert", stellte ein argentinischer Pädagoge angesichts der Berichte vom Massensterben an den Fronten 1915 fest. "Amerika, das seinen Entwicklungsprozess und auch die Gründe seines Scheiterns kennt, kann und muss das heilige Feuer der Zivilisation mit den Lehren der Geschichte entzünden." Die Wahrheit sah dann jedoch anders aus. Europa blieb auch 1918 ein Bezugspunkt vieler Lateinamerikaner. Dabei entbehrt es nicht einer bitteren Ironie, dass sich vor allem Militärs für die Errungenschaften des Krieges interessierten, um damit Feinde von außen, vor allem aber im Innern zu bekämpfen. Für jene hingegen, die ihren Glauben an Europa aufgrund der Gemetzel an den Fronten verloren hatten, entwickelte sich dieses zum Gegenbild für eigene Entwicklungsmodelle. Diese stellten zunehmend schärfer die alten Zentren der Weltordnung und den Imperialismus in seinen verschiedenen Facetten in Frage. Erfolg hatten sie damit vorläufig nicht. Lateinamerika blieb auch nach dem Krieg ein Experimentierfeld für informellen Imperialismus und das Profitstreben internationaler Konzerne - nunmehr vor allem seitens der übermächtigen Vereinigten Staaten. Manche Konflikte, die Lateinamerika in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschüttern sollten, haben in diesen durch den Ersten Weltkrieg nicht verursachten, wohl aber beschleunigten Entwicklungen ihre tiefere Ursache.

Rinke zeichnet die Entwicklungen überzeugend und gut lesbar nach. Zugleich rückt sie damit die Probleme eines Kontinents wieder stärker in den Mittelpunkt, der angesichts vielfältiger anderer Konflikte zu Unrecht ein wenig in Vergessenheit geraten ist.

MICHAEL EPKENHANS

Stefan Rinke: Im Sog der Katastrophe. Lateinamerika und der Erste Weltkrieg. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2015. 347 S., 39,90 [Euro].

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»Rinke hat eine beeindruckende Fülle einschlägiger Quellen aus allen Staaten Lateinamerikas erschlossen, ergänzt durch Material aus den USA und Europa. [...] So ist ein aufschlussreicher Beitrag zur Geschichte des wichtigsten nichtmilitärischen Schauplatzes des Großen Krieges entstanden.« Jörg Fisch, Historische Zeitschrift, 24.04.2017»Rinke zeichnet die Entwicklungen [in Südamerika] überzeugend und gut lesbar nach. Zugleich rückt er damit die Probleme eines Kontinents wieder stärker in den Mittelpunkt, der angesichts vielfältiger anderer Konflikte zu Unrecht ein wenig in Vergessenheit geraten ist.« Michael Epkenhans, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.03.2016»Insgesamt ist Stefan Rinke mit 'Im Sog der Katastrophe' eine gut lesbare und bemerkenswert umfassend recherchierte Studie gelungen, die Lateinamerika in die globalen Zusammenhänge des Ersten Weltkriegs einordnet. Er stellt anschaulich dar, welche Auswirkungen der Erste Weltkrieg auf den Alltag vieler Lateinamerikaner_innen hatte und welche politischen und gesellschaftlichen Änderungen sich daraus ergaben. Das Buch sei daher allen Leser_innen zu empfehlen, die auf der Suche nach Beispielen sind, um den Blick für die Bedeutung des Ersten Weltkriegs außerhalb von Europa und seinen Kolonien zu schärfen.«, Lernen aus der Geschichte»Zusammengefasst führt der kulturwissenschaftliche Zugang in Rinkes Buch zu neuen und aufschlussreichen Ergebnissen, was die Rolle Lateinamerikas im Ersten Weltkrieg und vor allem auch die Frage nach der Bedeutung das Krieges für Lateinamerika angeht.«, H-Soz-u-Kult, 13.10.2015…mehr