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Das kalte Herz der Medizin Wo Ärzte sich vor Managern und Aktionären verantworten müssen, sind Behandlungsfehler ebenso wenig Zufall wie der jüngste Transplantationsskandal. Sie sind Folgen eines Systems, in dem die Nöte der Patienten als Störung des reibungslosen Betriebsablaufs gesehen werden. Der Chirurg Michael Imhof sieht als gefragter Gutachter täglich, wie Patienten abgefertigt und alleingelassen werden. Anhand erschütternder Beispiele schildert er, was geschieht, wenn die Medizin nur noch einem wirtschaftlichen Auftrag verpflichtet ist. Ein kenntnisreiches, aufwühlendes Plädoyer für die Menschenwürde.…mehr

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Produktbeschreibung
Das kalte Herz der Medizin
Wo Ärzte sich vor Managern und Aktionären verantworten müssen, sind Behandlungsfehler ebenso wenig Zufall wie der jüngste Transplantationsskandal. Sie sind Folgen eines Systems, in dem die Nöte der Patienten als Störung des reibungslosen Betriebsablaufs gesehen werden. Der Chirurg Michael Imhof sieht als gefragter Gutachter täglich, wie Patienten abgefertigt und alleingelassen werden. Anhand erschütternder Beispiele schildert er, was geschieht, wenn die Medizin nur noch einem wirtschaftlichen Auftrag verpflichtet ist. Ein kenntnisreiches, aufwühlendes Plädoyer für die Menschenwürde.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2014

Am rentabelsten ist es, nur die Gesunden zu behandeln

Der hippokratische Meineid und die Gier der Shareholder: Michael Imhof zeichnet ein drastisches Bild des ökonomisierten Medizinbetriebs.

Von Stephan Sahm

Nichts ist ungeheurer als die Ökonomisierung - vor allem, wenn es um die Medizin geht. Wie die alte Dame in Friedrich Dürrenmatts Schauspiel eine Kleinstadt besucht und korrumpiert, so fallen in Michael Imhofs Streitschrift Pharmavertreter und Manager über Kliniken her und verheeren die ohnehin heikle Beziehung von Ärzten zu ihren Patienten.

Die Liste des Versagens ist lang. Der Autor sieht sich als medizinischer Gutachter täglich mit technischem, vielmehr aber menschlichem Versagen von Ärzten konfrontiert. Dabei verkennt er nicht die Siegeszüge der modernen Medizin. Ob Infektionskrankheiten, Schlaganfälle, Herzinfarkte, Krebstherapie, auf allen Feldern stehen neue, segensreiche Behandlungen zur Verfügung. Unzweifelhaft leistet die Medizin ihren Beitrag zur demographischen Alterslastigkeit.

Und doch treibt es Michael Imhof angesichts der Missstände die Zornesröte ins Gesicht. Die Fülle seiner Fallgeschichten macht das verständlich. Etwa die Geschichte des 89jährigen Patienten mit einer Vielzahl von Diagnosen, wie es in diesem Alter die Regel ist. Aus dem Altersheim wird er nächtens in miserablem Zustand von einer Klinik in die andere gefahren, die Krankenhäuser sind überfüllt. Niemand fühlt sich zuständig. Wegen der knappen Personaldecke in den Abteilungen sind nicht alle Krankenzimmer zu belegen. Ein Platz in einem Zimmer allein, vielleicht zum Sterben, findet sich nicht.

Die Krankenhäuser, so Imhof, sind heute durchdrungen vom Geist einer "Shareholder-Gier" privater Träger. Eine auf Effektivität und hohen Output getrimmte Organisation lässt keinen Raum für Innehalten, das Sprechen mit dem Kranken und Empathie für Menschen am Lebensende. Selbst wer Imhofs Schilderungen für überzeichnet hält, wird nicht bestreiten können, dass die vielerorts von Unternehmensberatern vorgegebene Berechnung von Pflegeminuten und die daraus kalkulierte Zahl von Pflegenden auf einer Station nicht erfassen, dass eine Schwester Zeit - vielleicht zum Weinen - braucht, nachdem in ihrer Schicht der dritte Patient verstorben ist. "Die ökonomisierte Medizin ist eine ethische Bankrotterklärung, weil in ihr die Wirklichkeit des leidenden Patienten weder Platz noch Sprache findet."

Eine der Ursachen der totalen Durchökonomisierung der Medizin findet der Autor im System der Abrechnung nach Fallpauschalen. Es verleitet dazu, möglichst klar umrissene Fälle zu behandeln. Für komplexe und komplikationsträchtige Verläufe reicht die Pauschale nicht. Pointiert könnte man sagen: Es lohnt sich, möglichst gesunde Patienten zu behandeln. Dort, wo häufig Schwerkranke betreut werden, in den großen Kliniken und Universitätsspitalen, langt das Geld nicht. Kein Wunder, Imhof hält die erste Privatisierung einer Universitätsmedizin, der Universitätskliniken Gießen und Marburg, für einen Verrat im großen Wirtschaftsmonopoly der Medizin.

Noch immer muss das Verhältnis vieler Ärzte zur Pharmaindustrie als zumindest fragwürdig bezeichnet werden. Die Annahme geldwerter Vorteile durch niedergelassene Ärzte für die Verschreibung von Medikamenten ist weiterhin zulässig (Klinikärzten ist es untersagt). Noch immer werden Fortbildungen für Ärzte meist von der Pharmabranche finanziert.

Leider trübt des Autors Furor den analytischen Ertrag der Ausführungen. Das fängt bei lässlichen Ungenauigkeiten an, wenn etwa Prävalenz und Inzidenz von Krankheiten verwechselt werden. Wundern darf man sich, worin denn die kategoriale Differenz der Sünden Geldgier und Habgier besteht, denen jeweils eigene Kapitel gewidmet sind. Als Beispiele für Habgier mancher Weißkittel macht der Autor allein die Jagd nach dem schnellen Geld aus. Unter sieben Todsünden geht es offenbar nicht. Die religiöse Konnotation soll der Brandrede weltgerichtlichen Charakter verleihen: eine Rede des toten Hippokrates vom Weltgebäude herab, dass die Medizin keine Heilkunst mehr sei.

Aufmerken darf der Leser schließlich, wenn Imhof das durch ärztliches Fehlverhalten verlorene Vertrauen beklagt und behauptet, die Patienten wendeten sich in Scharen von solcherart Medizin ab. Doch einige Kapitel später berichtet er, dass die Zahl der Krankenhausbehandlungen ständig zunimmt und nun mehr als achtzehn Millionen Fälle in Deutschland im Jahr ausmacht. Was stimmt denn nun? Wenden sich die Patienten ab, oder gehen sie doch hin und lassen sich in großer Zahl - zu großer, wie der Autor richtig bemerkt - ihre Hüften operieren?

Imhof will den großen Wurf. Der Werteverfall ist schuld. Als Heilmittel bietet jedoch auch Imhof nicht mehr an als das, was er eingangs in Leitbildern privater Krankenhausträger als bloßes Lippenbekenntnis der Manager entlarvte: Der Mensch müsse wieder im Mittelpunkt stehen. Und um dies sicherzustellen, empfiehlt er eine Prinzipienethik. Wer schon einmal mit einer heterogenen Gruppe von Personen ein medizinethisches Dilemma diskutiert hat, wird den Verweis auf die Prinzipien des Nichtschadens, des Wohltuns, des Respekts vor der Autonomie und die Beachtung gerechter Verteilung als didaktisches Konzept schätzen. Doch mehr gibt diese Vorgehensweise, die man auch als moralische Spielart des kritischen Rationalismus für die Volkshochschule bezeichnen kann, nicht her.

Und dennoch: Imhofs Buch ist wichtig - als Pamphlet, das mehr als nur ein Korn Wahrheit enthält. Stark wird Imhof, der lange Jahre als Chirurg an einer Universitätsklinik vornehmlich Krebspatienten behandelte, wenn er unheilvolle Krankheitsgeschichten schildert, an denen er selbst beteiligt war. Als Teil des Systems war er nicht in der Lage, ihnen vorzubeugen. Sein Einbekenntnis verdient Respekt. Umso mehr vermisst man eine Analyse der institutionellen Rahmenbedingungen, auf die moralisches Verhalten eben im Medizinbetrieb auch angewiesen ist.

Zuletzt sind es weniger die Patienten, die dem Medizinbetrieb davonlaufen, wie Imhof behauptet. Vielmehr sind es Pflegende und Ärzte. Man besuche nur nachts eine Aufnahmeabteilung eines großen Krankenhauses in einem Ballungsgebiet. Man wundert sich, warum sich das Menschen antun, dort zu arbeiten. Die könnten ihr Geld auch einfacher verdienen. Wie der Autor. Aufgrund seiner Erfahrung als Arzt, seines Wissens und der Fähigkeit, die Dinge beim Namen zu nennen, hätte man sich ihm gerne im Krankheitsfalle anvertraut. Er hat es aber vorgezogen, als Gutachter tätig zu sein. Eine Entscheidung, die womöglich ökonomisch richtig war.

Michael Imhof: "Eidesbruch". Ärzte, Geschäftemacher und die verlorene Würde des Patienten.

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2014. 295 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diesem Arzt hätte sich Rezensent Stephan Sahm gerne anvertraut. Allerdings hat es Michael Imhof vorgezogen als Gutachter und Buchautor zu arbeiten. So kommt Sahm immerhin in den Genuss dieses Buches, wenn man von Genuss reden möchte. Denn es geht um das kranke Gesundheitssystem, um Patienten ohne Platz, Pharmakonzerne ohne Skupel und Ärzte in der Systemfalle. Darüber berichtet der Autor laut Rezensent mitunter etwas zu polemisch und dann durchaus auch ungenau, aber anhand von Fallgeschichten, die bei Sahm Wut und Scham auslösen. Dass der Autor als Insider berichtet und sich auch selbst nicht schont, findet Sahm respektabel. Eine lesenswerte Abrechnung allemal, meint er.

© Perlentaucher Medien GmbH
Am rentabelsten ist es, nur die Gesunden zu behandeln
"Imhofs Buch ist wichtig - als Pamphlet, das mehr als nur ein Korn Wahrheit enthält." Stephan Sahm (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.03.2014)

Die 7 Todsünden der modernen Medizin
"Eine lesenswerte Abrechnung mit Ärzten, die mehr auf Profit achten als auf das Wohl ihrer Patienten." Tobias Fülbeck (huffingtonpost.de, 19.03.2014)

Chirurg packt aus
"Habgier im Gesundheitssystem - eine Todsünde, findet Michael Imhof, Chirurg an der Uniklinik Würzburg. In seinem Buch definiert er die sieben Todsünden neu und geht mit der modernen Medizin ins Gericht." Lara Schwenner
(Focus Online, 27.03.2014)