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Antisemitismus vor 1933
Die Annahme, dass es ein typisch jüdisches Gesicht, einen jüdischen Körper oder eine jüdische Gestik gebe, ist bis heute verbreitet. Sie geht auf medizinische, rassenhygienische und physiognomische Diskurse des 19. und 20. Jahrhunderts zurück. Julia Schäfer zeigt in ihrer Geschichte des visuellen Antisemitismus am Beispiel von Karikaturen in populären Zeitschriften sowohl die Entstehung antijüdischer Bilder als auch ihre parteipolitische Instrumentalisierung.

Produktbeschreibung
Antisemitismus vor 1933

Die Annahme, dass es ein typisch jüdisches Gesicht, einen jüdischen Körper oder eine jüdische Gestik gebe, ist bis heute verbreitet. Sie geht auf medizinische, rassenhygienische und physiognomische Diskurse des 19. und 20. Jahrhunderts zurück. Julia Schäfer zeigt in ihrer Geschichte des visuellen Antisemitismus am Beispiel von Karikaturen in populären Zeitschriften sowohl die Entstehung antijüdischer Bilder als auch ihre parteipolitische Instrumentalisierung.
Autorenporträt
Julia Schäfer, Dr. phil., promovierte am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Medizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2006

Humor als Waffe
Julia Schäfers Studie über Judenbilder 1918-1933
Judenbilder, verzerrende antijüdische und rassistische Darstellungen eroberten sich auf Anhieb einen erfolgreichen Platz in der deutschen Zeitschriftenlandschaft. Sie waren, ihres beleidigenden Inhalts und ihres vordergründigen Witzes wegen, über Jahrhunderte hinweg ein wirksames Agitationsmittel des Antisemitismus. Viele Darstellungen sind in ihrer Tendenz subtil-unterschwellig judenfeindlich, wobei die Grenze zwischen vermeintlich harmlosem Humor und diffamierendem Spott fließend ist, andere wiederum, „bekannte” historische Motive aufgreifend, unverblümt rassistisch/antisemitisch. Dass Julia Schäfer ihre Vorlagen vor allem der populären sozialdemokratischen (deutschen) Zeitschrift, dem „Wahren Jacob” und dem christlich-sozialen (österreichischen) „Kikeriki” entnahm, und damit zugleich den Antisemitismus von links entlarvt, macht die Angelegenheit nur noch beklemmender.
Auch wenn die Verfasserin dem „Wahren Jacob” zubilligt, dass dieser seine antijüdische Bildsprache „nur” als Chiffre nutzt, um auf der Basis populärer Vorurteile seine politische Programmatik gezielt in der Öffentlichkeit und zur innerparteilichen Polarisierung zu platzieren, bleibt das Mittel doch, was es ist - antisemitisch. Bei aller funktionalen Unterschiedlichkeit transportierten beide Blätter antijüdische Stereotypen, die dem eliminatorischen Antisemitismus den Weg bereiteten. Im alltäglichen Medium Zeitschriftenkarikatur wurden Juden immer wieder zur Zielscheibe. Das galt schon für die Zeit des Kaiserreichs, aber, im Fahrwasser demokratischer Freiheiten umso militanter und grobschlächtiger, auch in der Weimarer Epoche.
Physiognomik dunkler Gestalten
In der Karikatur bildete sich ein negativ verzerrtes Bild vom Juden heraus, das zwar stereotype Urteile aus der christlichen Tradition übernimmt, jedoch neue Überzeichnungen popularisierte. Juden verkörpern darin häufig - und nicht anders als in Werken der zeitgenössischen Literatur - das auch physiognomisch dunkle Gegenstück zu den lichteren, christlich-germanischen Gestalten: den Wucherer, den Streber, den herzlosen Ausbeuter und den fremden, „Jargon” sprechenden, „mauschelnden” Juden. Hinzu kommt der zersetzende Revolutionär, der alles Bestehende verneint und eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt.
Auch Wilhelm Busch, den geistreichen, witzigen Dichter und Zeichner, der die Schwächen des Philistertums schonungslos karikierte, verließ die Menschenliebe, wenn die Sprache auf die Juden kam. „Und der Jud‘ mit krummer Ferse,/ krummer Nas' und krummer Hos‘/ schlängelt sich zur hohen Börse/tiefverderbt und seelenlos”. Mit seinen satirischen Zeichnungen (und Dichtungen) erzielte Busch große Wirkung, seine komisch-grotesken Typen wurden Allgemeinbesitz und fanden in der Karikatur zahlreiche Nachahmer.
Vermessen und Verzeichnen
So konnte sich das Bild des krummbeinigen, höckernasigen, schwulstlippigen, hässlichen Juden, der mit unredlichen Mitteln dem Geld nachjagt und unschuldigen blonden Mädchen auflauert, stereotyp verfestigen. In vulgärer, hämischer, manchmal pornographischer Weise wurden Juden in vielen populären Zeitschriften dargestellt - auch im „Simplicissimus”, der bekanntlich auf künstlerisch hohem Niveau stand. Abstoßende physiognomische Darstellungen, sexuelle und geschäftliche Verdächtigungen von Juden versprachen den Zeitschriften höhere Rendite. Die geschmacklosen Judenkarikaturen brachten den Blättern zusätzliche Abonnenten. Die Überzeugungen, die aus den Zeichnungen sprachen, prägten wie der rhetorische Antisemitismus das Bewusstsein der Bevölkerung.
Julia Schäfer interpretiert das „sichtbar” konstruierte Objekt „der Jude” als visuellen Antisemitismus, als Element der Körpergeschichte unter rassenanthropologischen/-hygienischen Vorzeichen. Den Nazis dienten die visuellen Vorgaben als willkommene antijüdische Stereotypen, die sie in ihre Propaganda integrierten und politisch instrumentalisierten. Humoristische und karikaturistische Darstellungstechniken erwiesen sich als wirksame politische Waffe.
„Vermessen” - das bedeutet der Autorin die Suggestion von Anthropologen, Militärärzten und Rassenhygienikern, das Jüdische als objektive Tatsache zu fixieren und als Defekt erscheinen zu lassen. „Gezeichnet” - das meint die Doppelbedeutung von „zeichnen” im künstlerisch-technischen Sinne und im Sinn von stigmatisieren. „Verlachen” - das bedeutet nicht nur Amüsement, es gilt auch als Empfindung, die Aggressionen freisetzt und die Identität des Betrachters stärkt. Im Medium der Karikatur spiegelt sich, weit über die Sphäre der politischen Propaganda hinaus, der antisemitische Zeitgeist der Epoche. Der vorliegende Band demonstriert das in beklemmender Eindringlichkeit. LUDGER HEID
JULIA SCHÄFER: Vermessen - gezeichnet - verlacht. Judenbilder in populären Zeitschriften 1918-1933. Campus Verlag, Frankfurt am Main, 436 S., 44,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Überaus aufschlussreich erscheint Ludger Heid diese Studie über Judendarstellungen in den Jahren 1918-1933, die Julia Schäfer vorgelegt hat. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen zeitgenössische populäre Blätter, die trotz funktionaler Unterschiedlichkeit antijüdische Stereotypen transportierten. Die Autorin interpretiere das "sichtbar" konstruierte Objekt "der Jude" als visuellen Antisemitismus, als Element der Körpergeschichte unter rassenanthropologischen und -hygienischen Vorzeichen. Heid betont, dass den Nazis die visuellen Vorgaben als willkommene antijüdische Stereotypen für ihre Propaganda dienten. Das Resümee des Rezensenten: eine Studie, die mit "beklemmender Eindringlichkeit" demonstriert, wie sich im Medium der Karikatur der antisemitische Zeitgeist der Epoche spiegelt.

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Humor als Waffe
"Im Medium der Karikatur spiegelt sich, weit über die Sphäre der politischen Propaganda hinaus, der antisemitische Zeitgeist der Epoche. Der vorliegende Band demonstriert das in beklemmender Eindringlichkeit." (Süddeutsche Zeitung, 10.03.2006)