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Roger Bastide war ein Grenzgänger zwischen Kontinenten und Kulturen. 1938 ging er als Nachfolger von Claude Lévi-Strauss an die Universität Sao Paulo. In Brasilien wurde er als "mystischer Sohn"des Gottes Xango in eine afrobrasilianische Religionsgemeinschaft aufgenommen. 1951 berief man ihn an die Sorbonne. Astrid Reuter rekonstruiert die Denk- und Lebenswege Bastides als Suche nach dem "wilden Heiligen" und legt damit eine faszinierende Biographie des bedeutenden französischen Religionsforschers vor.

Produktbeschreibung
Roger Bastide war ein Grenzgänger zwischen Kontinenten und Kulturen. 1938 ging er als Nachfolger von Claude Lévi-Strauss an die Universität Sao Paulo. In Brasilien wurde er als "mystischer Sohn"des Gottes Xango in eine afrobrasilianische Religionsgemeinschaft aufgenommen. 1951 berief man ihn an die Sorbonne. Astrid Reuter rekonstruiert die Denk- und Lebenswege Bastides als Suche nach dem "wilden Heiligen" und legt damit eine faszinierende Biographie des bedeutenden französischen Religionsforschers vor.
Autorenporträt
Astrid Reuter ist Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Münster.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2001

Ich möchte Teil einer heiligen Bewegung sein
Theoretiker der Trance, Soziologe der Spiritualität: Astrid Reuter legt das Werk des Religionssoziologen Roger Bastide frei

In der Geschichte der französischen Ethnologie stellen die dreißiger und vierziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts vielleicht die fruchtbarste Etappe dar. Sie ist mit den Namen von Georges Bataille, Roger Caillois, Michel Leiris und Claude Lévi-Strauss verbunden, die in dieser Zeit ihre ersten großen Werke verfaßten. Allen diesen Autoren ist gemeinsam, daß die zeitgenössische Literatur für sie zu einer Quelle wissenschaftlicher Inspiration wurde. Zum größten Teil standen sie der surrealistischen Bewegung nahe, die den Traum, die Ekstase und den Mythos als literarische Themen entdeckt hatte. Während die Bedeutung ihrer wissenschaftlichen Werke heute außer Frage steht, sind andere wichtige Autoren aus dieser Epoche fast in Vergessenheit geraten. Zu ihnen gehört auch der Religionssoziologe Roger Bastide, der nur im engeren Kreis der Spezialisten für afroamerikanische Religionen bekannt geblieben ist. Die Religionswissenschaftlerin Astrid Reuter hat ihm eine intellektuelle Biographie gewidmet, die nicht nur hervorragend recherchiert, sondern auch in einer bestechend klaren Sprache geschrieben ist.

Die Lebensgeschichte Bastides weist zahlreiche Parallelen zu der anderer bedeutenderer französischer Intellektueller seiner Generation auf. Ähnlich wie Sartre oder Claude Lévi-Strauss hatte er nach dem Abschluß seines Studiums zunächst Philosophie an französischen Provinzgymnasien unterrichtet. Aus dieser Zeit datieren seine ersten eigenen literarischen Versuche, in denen er sich an seinem großen Vorbild André Gide orientierte. Allerdings blieb die erhoffte Resonanz aus. Bastide, 1898 in den südlichen Cevennen geboren, entstammte einer calvinistischen Familie. Sein Engagement für eine protestantische Ästhetik und den cevenolischen Regionalismus, das seine frühen Veröffentlichungen bezeugen, entsprach damals wohl nur wenig dem Zeitgeschmack. Der Zugang zu den tonangebenden Pariser Zirkeln blieb ihm versperrt.

1931 erschien sein erstes Buch über Probleme der Mystik, dem vier Jahre später eine allgemein gehaltene Abhandlung über die Religionssoziologie folgte. Beide Studien hätten ihm zweifellos den Zugang zu einer akademischen Karriere eröffnet, doch galt er als ein Schüler Gaston Richards, der an der Universität von Bordeaux Soziologie unterrichtete und dort einen einsamen Kampf gegen die Lehren seines berühmten Vorgängers Emile Durkheim führte. Versuchte Bastide auch dessen Schüler Maurice Halbwachs und Marcel Mauss für seine Habilitationsvorhaben zu gewinnen, so machte er ihnen gegenüber aus seiner Kritik an den "metaphysischen" Grundlagen der Durkheimschen Religionssoziologie doch keinen Hehl. Nicht in irgendwelchen kollektiven Erregungszuständen, sondern in der individuellen Begegnung mit dem "Heiligen" suchte er die eigentliche Triebkraft des religiösen Lebens. An dieser Auffassung, die er bereits in seinen Studien über die Mystik gewonnen hatte, hielt er auch später fest. Bastide leugnete keineswegs die Bedeutung sozialer Faktoren in der Religionsgeschichte. In der institutionalisierten Religion sah er jedoch nur den äußeren Rahmen, der notwendig ist, um die individuelle Erfahrung des "Heiligen" in eine symbolische Ordnung zu bringen.

Bastide blieb ein Außenseiter. Er hätte sein Leben vermutlich weiter als Gymnasiallehrer verbringen müssen, hätte sich ihm 1938 durch die Vermittlung eines Freundes nicht die Chance geboten, an der wenige Jahre zuvor neugegründeten Universität von São Paulo einen soziologischen Lehrstuhl zu übernehmen. Wie es die Verkettung der Umstände wollte, war es die Professur seines zehn Jahre jüngeren Kollegen Claude Lévi-Strauss, dessen auslaufender Vertrag von der Universitätsleitung nicht verlängert worden war, weil er eine Forschungsreise in das Landesinnere von Brasilien unternommen hatte, anstatt seinen regulären Lehrverpflichtungen nachzugehen. Bastide selbst sollte in den vielen Jahren, die er in São Paulo verbrachte, der Versuchung widerstehen, die letzten Enklaven des Exotischen in den südamerikanischen Urwäldern aufzusuchen. Feldforschungen in indigenen Kulturen hat er nie betrieben. Statt dessen fand er sein ethnographisches Feld in den brasilianischen Vorstädten. Es waren die urbanen Kultstätten des Candomblé, der Umbanda und der Macumba, jener aus Afrika zusammen mit den verschleppten Sklaven in die Neue Welt gekommenen religiösen Traditionen, die ihn von Anfang an fasziniert haben.

Die Erforschung der afrobrasilianischen Religionen stand damals noch in den Anfängen. Die Ethnologie sah ihre Aufgabe vorrangig darin, die Lebensformen der wenigen noch intakten indigenen Gesellschaften zu dokumentieren. Um synkretistische Kulturschöpfungen wie den brasilianischen Candomblé kümmerten sich nur wenige.

Bastides große Leistung bestand darin, die tendenziell rassistischen Deutungen, die von seinen brasilianischen Vorgängern über die afroamerikanischen Religionen vorgebracht worden waren, durch eine Theorie zu ersetzen, die der großen Kreativität dieser religiösen Neubildungen gerecht wurde. Bastide betonte, daß das komplizierte Kultpantheon des Candomblé mit seinen westafrikanischen Orisha-Gottheiten und katholischen Heiligengestalten kein konfuses Durcheinander unterschiedlichster religiöser Elemente darstellt. Im Anschluß an Halbwachs' Überlegungen zum "kollektiven Gedächtnis" zeigte er, wie es den afrikanischen Sklaven und ihren Nachfahren gelungen war, ihre religiösen Praktiken durch Bindungen an feste Kultstätten und an den katholischen Festkalender integral zu erhalten.

Bastide trat der weitverbreiteten Ansicht entgegen, daß die aus der afrikanischen Heimat mitgebrachten Religionen mit dem brasilianischen Volkskatholizismus vollständig verschmolzen seien. Vielmehr existierten die beiden Symbolwelten nebeneinander, verbunden durch ein System von wechselseitigen Korrespondenzen. Die Dualität des religiösen Kosmos entspreche dabei der bei aller inneren Zerrissenheit auf Harmonie ausgerichteten brasilianischen Gesellschaft. Bastides Sympathie für den Candomblé ging sogar so weit, daß er sich selbst in den unteren Grad einer der lokalen Religionsgemeinschaften initiieren ließ. In die "weiße" brasilianische Gesellschaft scheint er sich dagegen weniger gut integriert zu haben. Auch noch gegen Ende seines sechzehnjährigen Aufenthalts lehrte er an der Universität von São Paulo in Französisch. Das Portugiesische hat er Astrid Reuter zufolge nie wirklich beherrscht.

Als Bastide sich zu Beginn der fünfziger Jahre zur Rückkehr nach Frankreich entschloß, stand er aufgrund seiner zahlreichen Veröffentlichungen bereits in so hohem Ansehen, daß er auf den Lehrstuhl für Religionsethnologie an der École Pratique berufen wurde, obgleich er seine formelle Qualifikation für eine Professur, die französische Thèse d'Etat, trotz verschiedener Anläufe immer noch nicht erbracht hatte. Die offiziellen akademischen Weihen erhielt der schon lange bestallte Professor erst 1958, im Alter von fast sechzig Jahren.

Die Suche nach den Ausdrucksformen der Erfahrung des "Heiligen", die bereits das Motiv seiner frühen Studien über die Mystik dargestellt hatte, bestimmte auch sein Spätwerk. Die Trance, der Traum und der Wahnsinn sind die großen Themen, denen er sich während seiner Pariser Jahre widmete. Daneben beschäftigte er sich weiterhin mit Akkulturationsstudien, in Frankreich nun allerdings am Beispiel afrikanischer Immigranten, die zu den treuesten Hörern seiner Vorlesungen gehört haben sollen. Bastide suchte zwar die Zusammenarbeit mit Ethnopsychoanalytikern, stand ansonsten aber den Modeströmungen der sechziger Jahre eher reserviert gegenüber. Den Strukturalismus und Poststrukturalismus hat er rezipiert, ohne sich dessen Positionen selbst zu eigen zu machen.

Durchaus ambivalent war auch seine Einstellung gegenüber den politischen Ereignissen von 1968, die so viele seiner Kollegen in ihren Bann geschlagen hatten. 1973, ein Jahr vor seinem Tod, veröffentlichte er eine kleine Abhandlung, in der er eine eigenwillige Deutung des Pariser Mai gibt. Bastide, der selbst verschiedentlich gegen die soziale Beziehungslosigkeit und die spirituelle Leere der kapitalistischen Moderne zu Felde gezogen war, sah in der Studentenrevolte überraschenderweise einen religiösen Protest gegen die Tradition des cartesianischen Rationalismus. In der berühmtem Parole "Die Phantasie an die Macht" verbarg sich seiner Ansicht nach die Sehnsucht nach dem "wilden Heiligen", das in geordnete symbolische Bahnen zu bringen den Protagonisten der Bewegung freilich nicht gelungen sei. Die Kraft der Imagination habe man verspielt und statt dessen archaische Modelle kollektiver Erregung imitiert.

Obgleich Bastide nie eine geschlossene eigene Religionstheorie entwickelt hat, enthält sein umfangreiches Werk - Astrid Reuter nennt 1400 Titel - zahlreiche Anregungen. Viele damals eher randständige religiöse Erscheinungsformen sind eigentlich erst heute aktuell geworden. Das gilt im Zeitalter der Globalisierung für die aus der Konfrontation von Tradition und Moderne hervorgegangenen hybriden Kulturbildungen in Lateinamerika, Asien und Afrika ebenso wie für die aus dem Fundus des Archaischen und Exotischen schöpfenden neureligiösen Bewegungen in den Ländern des Westens. Bastide hat sich offen zu der Faszination bekannt, die für ihn von den, wie er einmal schreibt, "Abgründen" des religiösen Denkens ausging. Dennoch hat seine verstehende Religionssoziologie den Anspruch, auch erklärende Wissenschaft zu sein, nie aufgegeben. Astrid Reuters sorgfältiger Nachzeichnung seines Lebens und seines Werkes ist nur zu wünschen, daß sie zur Wiederentdeckung eines Autors führt, der in Deutschland bis heute weitgehend unbekannt geblieben ist.

KARL-HEINZ KOHL

Astrid Reuter: "Das wilde Heilige". Roger Bastide (1898-1974) und die Religionswissenschaft seiner Zeit. Campus Verlag, Frankfurt am Main, New York 2000. 410 S., br., 78,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Friedrich Wilhelm Graf hat eine brillante Intellektuellenbiografie gelesen und mit dem darin vorgestellten französischen Religionsphilosophen Roger Bastide einen neuen Freund gefunden. Was es mit Bastide so auf sich hat, teilt er uns, die wir darüber wenig wissen, wie Graf vermutet, in seiner Besprechung mit. Nur: Wie das Trauma des protestantischen Außenseiters im katholischen Frankreich die Faszination des Fremden begründete, die Bastide schließlich seine ganz eigene Sicht auf afro-brasilianische Religionsgemeinschaften entwickeln ließ - das wird uns das Buch ganz bestimmt besser mitteilen, als Graf es im gegebenen Rahmen vermag. Aber was das Buch nach Meinung des Rezensenten auch "methodisch vorbildlich" macht, hätten wir gerne erfahren.

© Perlentaucher Medien GmbH
08.03.2001, Neue Zürcher Zeitung, Studie über Roger Bastide: "Eine brillante Intellektuellenbiographie."

22.03.2001, Frankfurter Allgemeine, Ich möchte Teil einer heiligen Bewegung sein: "Eine intellektuelle Biographie, die nicht nur hervorragend recherchiert, sondern auch in einer bestechend klaren Sprache geschrieben ist."