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Produktdetails
  • Verlag: C. Bertelsmann
  • Seitenzahl: 217
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 398g
  • ISBN-13: 9783570120071
  • ISBN-10: 3570120074
  • Artikelnr.: 24402722
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2000

Na ja Tiere, kleines Gehirn
Daniel C. Dennetts Geistesleben sucht sich einen Platz zwischen Grzimek und Kant

Wissenschaftliche Bewusstseinsphilosophie drängt es zu einem einheitlichen Wirklichkeitsbild. Dualismen erträgt sie nicht; auch die epistemologisch entschärften, nur perspektivengebundenen verdächtigt sie dunkler ontologischer Machenschaften. Weltbildliche Einheitlichkeit verschafft sie sich, indem sie durch die gemeinsame Anstrengung von wissenschaftlicher Faktensammelei und didaktischer Modellbildung das erratische Bewusstsein in die Wirklichkeitskonzeption der Naturwissenschaften integriert. Dabei können zwei Wege beschritten werden: der streng szientistische, der in die Zukunft weist, und der hermeneutische, der in die Vergangenheit schaut. Der erste strebt dem Ziel entgegen, durch naturwissenschaftliche Aufklärung unser Selbstbeschreibungsvokabular von allen mentalistischen Prädikaten zu reinigen; irgendwann wird unser herkömmliches metaphysikgesättigtes Selbstverständnis dann als Konvention durchschaut und aus der Mode kommen. Der zweite hingegen wählt die gegenteilige Strategie und verwendet unsere Selbstverständigungssprache zur Beschreibung der gesamten Evolution.

Schon bei den ersten einfachen, einzelligen Lebewesen, ja selbst bei den eine Milliarde Jahre älteren sich selbst verdoppelnden Makromolekülen entdecken wir Handlungsfähigkeit, Intentionalität und Rationalität. Zumindest dann, wenn wir es Daniel C. Dennett gleich tun und alle Arten des Lebendigen als intentionale, also Handlungsgründe besitzende, Informationen verarbeitende und vordringlich Erhaltungsprobleme lösende Systeme, also, so der Originaltitel, als "kinds of minds" betrachten.

Durch die hermeneutische Brille menschlicher Selbstbeschreibung betrachtet, wird uns der Zug der Evolution vertraut. Es ist ein Entwicklungsgang auf uns zu, wir verlieren den Status ontologischer Außenseiter. Können wir die "Geburt der Handlungsfähigkeit" durch das Mikroskop der Molekularbiologie beobachten, dann fällt der Gottesbeweis aus dem Bewusstsein in sich zusammen. In dieser Entwicklungsfabel, die keine Emergenz mehr kennt, nur einen einheitlichen, durch keinerlei Wunder durchkreuzten natürlichen Selektionsprozess, klärt sich das menschliche Bewusstsein über seine eigene Genealogie auf. Innerhalb der internen Ausdifferenzierung eines basalen Rationalitätsschemas nimmt es die Position ein, in der das Bewusstsein aus seiner Trance erwacht und zu sich kommt. Unter den vielen Spielarten des Geistes ist der menschliche die Geistesart, die von sich und damit von der Art des Geistes überhaupt weiß.

Eitle Mutter Natur

Der Hegelianismus der dennettschen Evolutionstheorie ist mit Händen zu greifen. Die Einführung des Intentionalitätsbegriffs in die Evolution bringt deren heimliche geschichtsphilosophische Abstammung ans Licht. Evolution ist der lange Weg des Grundes zu seinem Gewusstwerden, die irrend-zielstrebige Suche der Rationalität nach einem sie artikulierenden und repräsentierenden Bewusstsein. Mutter Natur, so Dennetts Kosename für den experimentierenden und aussortierenden Evolutionsprozess, wollte bewundert werden und schuf sich im Rahmen einer sich exponentiell beschleunigenden Komplexitätssteigerungsgeschichte einen Bewunderer, der den "jahrmilliardenlang" existierenden Gründen auf die Spur kam. Sie schickte die sich selbst verdoppelnden Makromoleküle auf eine Bildungsreise, an deren Ende das sprachproduzierende und darum um sich selbst wissende menschliche Bewusstsein steht.

Aber nicht nur an Hegels Selbsterkennungsgeschichte des Geistes erinnert Dennetts Hermeneutik der Evolution. Über weite Strecken liest sich Dennetts Buch wie eine Volkshochschulversion von Kants Kritik der Teleologischen Urteilskraft, die den verstandesbegründeten Kausalitätserklärungen des Lebendigen ein der Urteilskraft entspringendes Verstehen der Zweckmäßigkeit des Organischen an die Seite stellt. Kant begründet diese Ausweitung mit dem Erklärungsnotstand, in dem sich die Kausalwissenschaften angesichts der evidenten inneren Zweckmäßigkeit des Lebendigen befinden. Dasselbe Argument bietet auch Dennett für die Einführung des intentionalen Standpunktes an: Hinsichtlich des Lebendigen kann die Verstehensleistung des Intentionalitäts-Rationalitäts-Schemas durch keine physikalistische oder neurobiologische Kausalerklärung überboten werden. Damit ist aber weder bei Dennett noch bei Kant eine Geringschätzung kausalwissenschaftlicher Forschungsprogramme verbunden: Beide betonen den heuristischen Wert der teleologisch-intentionalen Betrachtung. Freilich, anders als Kants Naturteleologie mündet Dennetts Konzeption in kein Schöpfungsintegral. Von der Zweckmäßigkeit der organischen Dinge zu einem Endzweck des Daseins, zu einer Schöpfung mit verantwortlichem Naturtechniker überzugehen, fällt ihm nicht ein. Die Kontingenz des Anfangs tastet er nicht an; und von einem absoluten Abschluss will er auch nichts wissen.

Aber Dennett erinnert natürlich nicht nur an Hegel und an Kant, er erinnert vor allem an Grzimek. Uns Tierfilmsehern verschaffen seine seitenlangen fiktiven Selbstgespräche von amerikanischen Halsband-Regenpfeifern und anderem Getier ein einziges Déjà-vu: Wer kennt denn nicht die Bilder von jener raffiniert-verwegenen Henne, die den dummgierigen Räuber mit vorgetäuschtem gebrochenen Flügel hinters Licht führt und vom Gelege weglockt?

Dennetts Evolutionsgeschichte hat eine durch und durch anticartesianische Moral: Nicht nur ist es nicht möglich, das Bewusstsein vom Gehirn zu trennen - wie in der Bewusstseinsindustrie gilt auch hier, dass das Medium die Botschaft ist -, es ist auch nicht möglich, das Gehirn vom Körper zu trennen. In den Geschichten vom isolierten Gehirn in der Formalinlösung lebt Descartes' Res cogitans in physiologischem Gewand weiter. Die Evolution zeigt, dass das Gehirn sich als Organ unter Organen in einem biologischen System entwickelt hat und in das kooperative Erhaltungswerk dieses Systems eingepasst ist. Das Gehirn ist körpergebunden und verrichtet seine Arbeit im Dienst des Körpers. Und wenn die Körperpolitik des Gehirns versagt, rebelliert der Körper. Mit dieser Reintegration des überheblich gewordenen Gehirns in das Körpersystem, die durch die Erinnerung an die evolutionäre Herkunft des Zentralnervensystems nahe gelegt wird, ist auch eine Neubewertung des Geistes verbunden: Er wird von seiner ausschließlichen Gehirnfundierung befreit und gleichsam über die gesamte intentionale Körpermaschinerie verteilt. Nietzsche hat von der großen Vernunft des Leibes gesprochen. Der Evolutionsphilosoph sieht es nicht anders.

Gelegentlich sind Menschen über die geringe Fassungskraft ihres Verstandes betrübt. Einem Bewusstseinsphilosophen vom Schlage Dennetts muss jedoch etwas anderes Kopfzerbrechen machen. Wie lässt sich die erstaunliche Leistungsfähigkeit menschlicher Intelligenz mit der Tatsache vereinen, dass das evolutionstheoretisch ausgebildete Hirnvehikel nicht sonderlich umfangreicher ist als das unserer nächsten Tierverwandten, sogar kleiner als das mancher Delphine. Dennetts Antwort ist: Outsourcing. Für den Menschen ist charakteristisch, dass er die ihm von der Evolution abverlangten Aufgaben nicht dadurch gelöst hat, dass er sich der Umwelt angepasst hat, sondern dass er die Umwelt sich angepasst hat und Begriffe und Werkzeuge für sich arbeiten lässt. Er entwickelt geistige und materielle Instrumente, um die Welt im Inneren zu respräsentieren und im Äußeren zu gestalten. Auch da muss man sich an Aristoteles, Gehlen und die diversen Theorien des objektiven Geistes erinnern und mild lächeln. Es hat doch etwas ungemein Beruhigendes, wenn die philosophische Selbstverständigung des Menschen von Anfang an bereits da war, wohin die dennettsche Sachbuchphilosophie sie jetzt führen will.

In der Ära des Ökologismus ist es auch zu einer Renaissance des alten anthropologischen Genres des Menschentadels gekommen. Mehr noch: Dieser alte Menschentadel ist im zeitgenössischen Ökologismus mit dem Ferment des Moralismus versetzt worden und aufgrund der diesem Gärstoff innewohnenden Spaltungskraft in Menschenhass umgeschlagen. Gleichzeitig machte sich eine romantische Haltung breit, die, über den Hochmut der eigenen Gattung verärgert und von zoologischer Intelligenzforschung unterstützt, den Abstand zur Tierwelt verringern will. Freilich nicht wie bei den Biologisten, für die der Mensch nur ein Tier ist, sondern umgekehrt: Für die Öko-Moralisten ist das Tier ohne jeden Zweifel der bessere Mensch.

Delphine sind zu dumm

Um die praktischen Sünden des Anthropozentrismus zu büßen, verfiel man auf einen praktischen Anthropomorphismus, in der Hoffnung, die Moral werde dem zugeschriebenen Bewusstsein schon folgen. Trotz der großen Vereinheitlichungswirkung des intentionalen Blickwinkels vermag der Evolutionstheoretiker derartigen Exaltiertheiten nicht zu folgen. Sein gradualistisches Entwicklungsschema stützt keine bewusstseinsmoralische Expansion. Er verweist auf die Lücken und auffälligen Beschränktheiten, die alle Tiere bei der Nutzung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten an den Tag legen. Ein gutes Beispiel ist der Delphin, Lieblingskandidat der zoologischen Intelligenzsucher: Obwohl er eindrucksvoll aus dem Wasser schnellen kann, ist er nicht in der Lage, über die ihn umgebenden Thunfischnetze hinwegzuspringen, und verendet mit den noch dümmeren Thunfischen in den Netzen der japanischen Fischer.

Dennett gehört zu den Biologisten; für ihn ist der Mensch auch nur ein Tier, ein intentionales System unter anderen. Dessen Binnendifferenzierung ist freilich so stark, die Komplexität der menschlichen Kognitionspalette, die Differenziertheit seiner Symbolsysteme und Werkzeugsysteme so ungeheuer, dass der Abstand zu den Fähigkeiten von Walen und Primaten nicht überbewertet werden kann. Daher wendet sich Dennett entschieden gegen jede Übertragung des Konzepts menschlichen Bewusstseins auf die Tiere. Immer wieder schilt er Thomas Nagel, der in einem berühmten Aufsatz wissen wollte, wie es wohl sein mag, eine Fledermaus zu sein. Bewusstsein ist mit Sprachfähigkeit unauflöslich verknüpft; den Tieren irgendeine Form von vorsprachlichem Bewusstsein, unartikulierbarer Selbstbezüglichkeit zu unterstellen ist Romantik.

Was freilich nicht heißt, dass wir mit Tieren machen könnten, was wir wollten. Nur, und zu diesem Ergebnis sind Ethiker längst gekommen, ist es nicht notwendig, den Tieren Bewusstsein zu unterstellen, um sie pfleglich und artgerecht zu behandeln. Es genügt, ihnen Empfindungsfähigkeit zuzuschreiben und eine Tierethik auf das Gebot der Leidvermeidung zu gründen. Die Leidensfähigkeit wiederum ist verbunden mit dem Komplexitätsgrad des Organismus; und Tiere sind weitaus dissoziierter als Menschen. Auch hier also kann es nicht schaden, den Romantizismusneigungen moralischer Empfindsamkeit mit solider wissenschaftlicher Kenntnis zu begegnen.

WOLFGANG KERSTING

Daniel C. Dennett: "Spielarten des Geistes". Wie erkennen wir die Welt? Ein neues Verständnis des Bewusstseins. Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel. C. Bertelsmann Verlag, München 1999. 218 S., geb., 39,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfgang Kersting refereriert das Buch in seiner Besprechung mit gelehrten Vokabeln. Dennett, der in seinem Buch "Bewusstsein" neu zu definieren sucht, scheint vor allem bei den Philosophen Rat gesucht zu haben. So bescheinigt Kersting seiner Evolutionstheorie "Hegelianismus" und eine "durch und durch anticartesianische Moral". Gleichzeitig erinnert der Autor unseren Rezensenten jedoch an den Tierfilmer Grzimek und - noch schlimmer - der Band liest sich "wie eine Volkshochschulversion von Kants Kritik der Teleologischen Urteilskraft". Alles in allem scheint Kersting mit dem Buch jedoch zufrieden zu sein. Vielleicht findet er es nur etwas zu verständlich geschrieben?

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