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Karl Marx' Leben ist gekennzeichnet von Gegensätzen: ein deutscher Jude, geboren in Trier 1818, dessen Familie zum Protestantismus konvertierte. Ein Revolutionär und Streiter für die Arbeiterklasse, der, wann immer es seine prekäre finanzielle Lage zuließ, einem äußerst bourgeoisen Lebensstil frönte und stolz auf die adelige Herkunft seiner Ehefrau Jenny von Westphalen war. Ein wütend-polemischer Agitator und schonungsloser Kritiker, der die meiste Zeit seines Lebens zurückgezogen im Lesesaal des British Museum verbrachte. Ein liebevoller und treusorgender Vater und Ehemann, der sein…mehr

Produktbeschreibung
Karl Marx' Leben ist gekennzeichnet von Gegensätzen: ein deutscher Jude, geboren in Trier 1818, dessen Familie zum Protestantismus konvertierte. Ein Revolutionär und Streiter für die Arbeiterklasse, der, wann immer es seine prekäre finanzielle Lage zuließ, einem äußerst bourgeoisen Lebensstil frönte und stolz auf die adelige Herkunft seiner Ehefrau Jenny von Westphalen war. Ein wütend-polemischer Agitator und schonungsloser Kritiker, der die meiste Zeit seines Lebens zurückgezogen im Lesesaal des British Museum verbrachte. Ein liebevoller und treusorgender Vater und Ehemann, der sein Dienstmädchen schwängerte. Ein ernster und tiefgründiger Philosoph, der das Trinken und Witzeerzählen liebte. Ein Mann, an dessen Beerdigung 1883 nicht mehr als ein Dutzend Trauernde teilnahmen und der dennoch die Geschichte tiefgreifend und unwiderruflich prägte. Nach dem Jahrhundert der Weltkriege und des Kalten Krieges, nach Vietnam und Korea, nach dem Einmarsch in der Tschechoslowakei und in Un garn, nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Fall der Mauer ist es nun an der Zeit, den Menschen zu entdecken, in dessen Namen Weltgeschichte geschrieben wurde. Francis Wheen, u. a. bekannt für seine kritisch-satirischen Kolumnen im Guardian, entmythologisiert die Ikone Karl Marx und beschreibt dessen bewegendes, von Schicksalsschlägen ebenso wie von Erfolgen erfülltes Leben. Der Autor rückt den Menschen Marx in den Vordergrund, ohne dabei Werk und Philosophie außer Acht zu lassen. Er nähert sich ihm auf erfrischend undogmatische, unvoreingenommene Art und wagt überraschende Interpretationen seines Werkes. Kurzweilig, unkonventionell, witzig-ironisch, ohne jemals trivial zu wirken - wer wissen will, was "Tristram Shandy" mit dem "Kapital" gemeinsam hat, dem sei diese Biografie unbedingt empfohlen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.2001

Von morgens neun bis abends sieben im Lesesaal
Bevor auch die PDS ihn zu den Akten legt, stoppelt Francis Wheen ein paar launige Nachrichten über Karl Marx zusammen

Noch ist Karl Marx kein Unbekannter, aber immerhin heißt Karl-Marx-Stadt wieder Chemnitz. Die großen Gesänge, ihm einst zugeeignet, sind verklungen, und die Büsten des Patriarchen eines dialektisch gewordenen Materialismus verstauben mittlerweile in den Arsenalen. Es ist sehr still geworden um den Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus. Das Klassikerschicksal droht: zitiert zu werden, ohne gelesen worden zu sein. Die unerhörte Bedeutung des Marxschen Werkes für das späte neunzehnte wie das ganze zwanzigste Jahrhundert bleibt sicherlich unumstritten; inwieweit dem angebrochenen Jahrtausend seine Signatur noch eingeschrieben sein wird, ist zumindest für die Erste Welt fraglich.

Nicht auszuschließen, daß seine Zukunft - nach einer älteren Vermutung Luciano Canforas - in Kalkutta anbricht. Auch wenn er die Globalisierung, wie sein jüngster Biograph, der englische Journalist Francis Wheen, eigens vermerkt, zutreffend vorhergesagt hat, darf mit Fug und Recht gefragt werden, ob die prognostische Kraft der Politischen Ökonomie ihr Wahrheitskriterium darstellt. Solche Pointierungen sprechen eher für ein szientistisches Mißverständnis der Marxschen Theorie, wie es gerade die Neomarxismen der Nachkriegszeit korrigieren wollten. Und wenn Broker an der Wall Street bekennen, sie läsen Marx heute, um ihr eigenes Gewerbe besser zu begreifen, handelt es sich doch nicht um seriöse Bekenntnisse, sondern um modische Selbststilisierungen.

Wheen, der unbedingt Kronzeugen für die Aktualität seines Themas mobilisieren muß, schlägt solche Bedenken in den Wind. Nicht Philosophie noch Theorie generell, nicht Wissenschafts- oder Ideengeschichte ist sein Metier; er will eine Lebensgeschichte mit dem Handwerkszeug eines solide recherchierenden Biographen erzählen. Seine jetzt in deutscher Übersetzung vorliegende Biographie verdankt sich denn erklärtermaßen auch dem harmlosen Impuls, den Menschen Marx hinter dem Mythos zu entdecken.

Aber läßt sich mit so harmlosen Mitteln ein neuerlicher Anlauf, die Vita dieses Philosophen, Ökonomen, Soziologen und Historikers Revue passieren zu lassen, rechtfertigen? Schon Isaiah Berlin hat in seiner erstmals 1939 veröffentlichten Studie über Karl Marx die fällige Warnung ausgesprochen. Völlig zu Recht betonte er, die äußeren Lebensumstände von Marx seien so monoton gewesen wie das Gelehrtendasein solcher ganz der wissenschaftlichen Forschung verschriebenen Zeitgenossen wie Charles Darwin oder Louis Pasteur.

Tatsächlich war der Tagesablauf des schließlich im Londoner Exil eingerichteten Großtheoretikers denkbar eintönig: Von morgens neun bis abends sieben saß Marx im Lesesaal des Britischen Museums, es folgten, nach einem Abendessen im Kreis der Familie, lange nächtliche Exerzitien am häuslichen Schreibtisch. Sonntags fanden Ausflüge ins Grüne statt. Wenn hier von Leidenschaften zu berichten wäre, dann weder von großen moralischen Konflikten noch von tragischen Verstrickungen. Auch erotische Eskapaden lassen sich dem Ehemann in Wahrheit nicht andichten. Marx, der bekanntlich eine umfängliche Korrespondenz führte und sich nicht zuletzt mit Friedrich Engels über Jahrzehnte beinahe täglich austauschte, war kein vergrübelter Melancholicus, kein zerrissener Intellektueller, der an der Korruptheit der Welt irre geworden wäre. Von Glaubenskrisen in seinen Episteln keine Spur, auch Selbstmitleid ficht einen Vater nicht an, der den Tod zweier Söhne und einer Tochter noch während ihrer Kindertage zu verwinden hatte. Auch als er vom Ableben der Geliebten seines Freundes Engels erfährt, fällt das spät nachts aufgesetzte Kondolenzschreiben dermaßen unbewegt, nüchtern und lieblos aus, daß sich die affektiven Temperaturen zwischen "Mohr" und "General", wie die Spitznamen der beiden lauten, eine Zeitlang merklich abkühlen.

Nein, Karl Marx ist kein Lord Byron gewesen, kein romantischer Held, kein russischer Revolutionär, kein Typ wie Alexander Herzen, keine Ikone wie Garibaldi. Alle Emphase ist ihm verdächtig, Pathos weitgehend suspekt. Passioniert ist er allenfalls bei der vernichtenden Kritik seiner Gegner und in seinem maßlosen Zigarrenkonsum. Der Nikotinmißbrauch und das ungeheure Arbeitspensum, das Marx seiner im Grunde soliden Konstitution und den schlechterdings erbärmlichen materiellen Verhältnisse, unter denen er und die Seinen zu leben hatten, abtrotzte, ruinierten die Gesundheit. Selbstverständlich bleibt bei Wheen der Seitensprung mit Helene Demuth nicht unerwähnt, einige Zeilen widmet er auch der tristen Lebensgeschichte des aus jener Verbindung mit der Haushälterin hervorgegangenen Sohnes - doch neu und erhellend sind solche Nachrichten aus der Schlüssellochperspektive nicht. Im übrigen trägt ihre korrekte Zusammenstellung und Wiedergabe ja auch nicht das geringste für ein individuierendes Verständnis des Menschen Marx aus. Auch Freud war ein Zigarren-Afficionado, auch Hegel der Vater eines unehelichen Sohnes, und daß Schopenhauer seinen Pudel liebte, erklärt seine Misanthropie noch lange nicht.

MARTIN BAUER

Francis Wheen: "Karl Marx". Aus dem Englischen von Helmut Ettinger. C. Bertelsmann Verlag, München 2001. 510 S., geb., 48,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

H. D. Kittsteiner hat sich überzeugen lassen: Marx lebt! Wenigstens in dieser "lebendig geschriebenen Einführung in das Leben eines Revolutionärs" tut er das, und zwar, wie es scheint, weil der Autor sich weniger mit philosophischen Problemen, mit Hegel und den Junghegelianern etwa, als mit Marx als Jüngling und mit Marx auf Sauftour beschäftigt. "Romanhaftes Dahinerzählen" nennt der Rezensent das auch - plastisch und mitfühlend, ganz ohne Weltanschauungszwänge und also für ein breiteres Publikum geeignet. Eigene Bedenken, der Autor habe es sich mit dem einen oder andren wichtigen Thema vielleicht doch etwas zu leicht gemacht - so, wenn er die Entwicklung der "Weltformen" aus dem "Kapital" zum surrealistischen Gesamtkunstwerk erklärt -, wischt Kittsteiner beiseite: Marx lebt! Und basta.

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