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Rofner, Angestellter der Pensionsversicherungsanstalt, interessiert sich zunehmend für S., einen Kollegen, der eines Tages nicht mehr zum Dienst erschienen ist. Rofner geht eine Beziehung mit Eva ein, die früher die Freundin von S. war, über sie kommt er an dessen Aufzeichnungen heran. Fragmente dieser Aufzeichnungen stehen neben Rofners eigenen Tagebuchnotizen. Durch S., den er nie getroffen hat, findet Rofner den Mut, seinen eigenen Visionen zu folgen und das "Fließband" zu verlassen. Der allseits gefeierte Roman "Selina" hat seinen Autor, der lange eher als Geheimtipp galt, ins Zentrum des…mehr

Produktbeschreibung
Rofner, Angestellter der Pensionsversicherungsanstalt, interessiert sich zunehmend für S., einen Kollegen, der eines Tages nicht mehr zum Dienst erschienen ist. Rofner geht eine Beziehung mit Eva ein, die früher die Freundin von S. war, über sie kommt er an dessen Aufzeichnungen heran. Fragmente dieser Aufzeichnungen stehen neben Rofners eigenen Tagebuchnotizen. Durch S., den er nie getroffen hat, findet Rofner den Mut, seinen eigenen Visionen zu folgen und das "Fließband" zu verlassen.
Der allseits gefeierte Roman "Selina" hat seinen Autor, der lange eher als Geheimtipp galt, ins Zentrum des Interesses gerückt. Auch in diesem Buch erzählt Kappacher von einem "anderen Leben"; fern jeglicher Naivität erinnert er uns daran, dass es gilt, unsere Träume zu bewahren.
Autorenporträt
Walter Kappacher, geboren 1938 in Salzburg, verließ mit 15 Jahren die Schule und war in verschiedenen Berufen tätig, 1964 Beginn der literarischen Tätigkeit, seit 1967 Veröffentlichungen, seit 1978 freiberuflicher Schriftsteller. Lebt in Obertrum bei Salzburg. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, Hermann-Lenz-Preis 2004, Georg-Büchner-Preis 2009. Bei Deuticke erschienen zuletzt Selina (2005), Der lange Brief (überarbeitete Neuauflage 2007) und Rosina (Erzählung, Neuauflage 2010).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.10.2007

Auszug aus der Pensionsversicherung
Auf sympathische Weise gealtert: Walter Kappachers Roman „Der lange Brief” aus dem Jahr 1982
Walter Kappacher ist einer jener Stillen im Lande, denen durch Peter Handkes beharrliche Fürsprache eine späte Anerkennung zuteil wurde, mit der sie selbst kaum noch rechnen konnten und durften. Lange Jahre hindurch und zunehmend unbemerkt waren die Bücher des 1938 in Salzburg geborenen Kappacher im Residenz Verlag erschienen, und zuletzt fanden sie wohl nur noch eine Handvoll Leser, als ihm auf Handkes Vorschlag der Hermann-Lenz-Preis des Jahres 2004 verliehen wurde. Selbst dem Laudator Handke fiel es schwer, die Qualitäten des Gelobten auf eine schlüssige Formel zu bringen. Kein „Alleinunterhalter” sei Kappacher, und auch die „Conférence des Zeitgeistes” sei seine Sache nicht. Anders als die meisten heute Schreibenden sei Kappacher einer, der „schafft und tut”. Wahrscheinlich muss die Lobpreisung eines vom Literaturbetriebs vernachlässigten Autors den Literaturbetrieb und die von ihm nicht vernachlässigte Literatur schmähen, trotzdem aber bleibt die Frage: wer ist Walter Kappacher? Und haben wir ihn wirklich zu Unrecht vergessen?
1982 erschien Kappachers Roman „Der lange Brief”, der wohl schon in seinem Titel und mehr noch in seinem Amerikabezug an Handkes „Kurzen Brief zum langen Abschied” anknüpft. Jetzt ist das Buch in einer überarbeiteten Ausgabe wieder erschienen und lädt zur Neubefassung mit dem Schriftsteller Walter Kappacher ein. Das Novalis-Motto – „Das Leben soll uns kein gegebener, sondern von uns gemachter Roman sein” – lässt sich zu Handkes Lobesworten in Beziehung setzen. Das Vorhaben des Romans ist ein romantisches insofern, als es eine neue Welt erschafft, in welcher die Begrenzungen der alten Welt aufgehoben sind und die Kräfte der politischen und privaten Imagination wirksam werden.
Dieser Aufbruch ins Freie vollzieht sich vor dem Hintergrund einer sehr österreichischen Version des beruhigten, aber entfremdeten Lebens. Rofner, der Protagonist, ist Angestellter in der Salzburger Pensionsversicherungsanstalt, der sich am Schreibtisch langweilt und von einem anderen Leben träumt. „Ich solle mich ja nur zusammenreißen, bis zur Pragmatisierung”, sagt dem romantischen Kanzleibeamten der besorgte Vater, denn was gibt es schon Besseres als eine Lebensstellung im Pensionsversicherungswesen? Für den braven, aber verträumten Sohn gäbe es schon Besseres; sein Held ist der ehemalige Kollege S., der seine Lebensstellung plötzlich gekündigt hat und seither verschwunden ist.
Ein abgängiger Kollege
Wie Rofner hat auch S. „von einem anderen Leben” geträumt, anders als dieser ist er aber der Ruhe und Ordnung des Kanzlistenlebens entflohen. Unbestimmt angezogen von der Lebenswende des Kollegen S. sucht Rofner die Nähe von dessen früher Freundin Eva, wobei man nicht recht weiß, ob dafür Evas erotische Attraktion den Ausschlag gibt oder aber Rofners Interesse an den in Evas Besitz befindlichen Papieren, dem „langen Brief”, der Auskunft gibt über das weitere Los des abgängigen Kollegen S..
25 Jahre nach dem ersten Erscheinen kann man konstatieren, dass Kappachers Roman auf eine durchaus sympathische Weise gealtert ist. Das Behutsame und Keusche im erotischen Umgang, die aus alten Zeiten bewahrte Bürokratie mit den dazugehörigen Bürokraten-Existenzen, kurz die ganze ein wenig umständlich erzählte und so vollkommen unspektakuläre Alltagswelt des Angestellten wirkt anachronistisch und stellt im zeitlichen Abstand ihrerseits eine fremde Welt dar. Dagegen wirkt die andere fremde Welt, jene Welt, in der der Kollege S. ein neues Leben begonnen hat, fast schon wie von heute. In Detroit hat sich ein Aufruhr ereignet, die Einwohner der Stadt haben mit der klassischen Parole „Macht kaputt, was Euch kaputt macht” die Arbeitswelt in Trümmer gelegt und die ökologische Revolution in Angriff genommen. „Die Zeit”, so heißt es in dem langen Brief, „war reif geworden für eine Neuordnung des menschlichen Zusammenlebens.”
Der das schreibt, ist S., die Schreibkraft aus Salzburg, der bei alledem dabei gewesen ist und der nun nach der Niederschlagung des Aufstands mit seiner Freundin Eve nach Australien flüchtet, um dort mit ein paar Gleichgesinnten eine menschenfreundliche ökologische Gemeinschaft zu errichten. Das ist die andere, nicht weniger große Merkwürdigkeit in Kappachers Roman. Dem Todesschlaf in habsburgischen Büros korrespondiert auf der anderen Seite die große Öko-Utopie, „in der die Erkenntnisse von Naturvölkern, insbesondere der Indianer Nordamerikas, und die brauchbaren natur- und menschenfreundlichen Kenntnisse und Einsichten der Gegenwart gleichermaßen angewendet werden sollten”.
Mit einem Fuß steht dieser Roman in der Zeit seiner Niederschrift, den ökologisch bewegten Frühachtzigern, mit dem anderen aber im 19. Jahrhundert, nicht weit weg von Goethes „Wanderjahren” und Stifters „Nachsommer”. Es ist in ihm eine entschiedene und sehnsuchtsvolle Menschen- und Naturfreundschaft am Werk, ein von heute her schwer nachvollziehbarer, aber keinesfalls zu verspottender Glaube an das „Andere”.
Dass sich die Hoffnung des Ausreißers S. auf die ökologisch-homöopathische Daseinsform dann doch nicht erfüllt, dass er noch durch allerlei Abenteuer hindurch muss, ehe er seine Lebensziel im australischen Busch findet, tut der utopischen, transzendenten Gestimmtheit des Romans keinen Abbruch. Den Angestellten Rofner in seiner Pensionsversicherungsanstalt hat jedenfalls das Schicksal des Kollegen S., derart verzaubert, dass auch er sein Leben ändert, auch wenn ihn die Vorgesetzten zum Abschied wissen lassen, ein Rückweg stehe ihm noch offen.
Nicht von „kleinen Fluchten” ist hier zuletzt die Rede, sondern von großen, wenn auch sanften, und wenn man auf solche von Umkehr, Erlösung oder wenigstens Aufbrüchen ins Unbekannte handelnden Romanentwürfen heute zurückblickt, dann ist der Abstand nicht Kappacher und diesem Roman anzukreiden, sondern schon eher dieser Gegenwart.CHRISTOPH BARTMANN
WALTER KAPPACHER: Der lange Brief. Roman. Deuticke Verlag, Wien 2007. 192 Seiten, 17, 90 Euro.
Detroit, 1981: Attacke auf ein General-Motors-Automobil während der Proteste gegen die Ausdehnung des Konzerns auf Kosten des Viertels Poletown. Foto: Corbis
Der Schriftsteller Walter Kappacher Foto: Peter Peitsch
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2007

Die Widrigkeiten des Tages
Leben als Erfindung: Walter Kappachers Angestelltenroman

Es gibt Ortsnamen, die klingen wie gut erfunden. Ranerding gibt es tatsächlich, aber das macht nichts. Denn in Walter Kappachers Schreiben verwandeln sich auch bekanntere Bezeichnungen in Reflexe eines anderen Lebens, die mit "dieser Welt, in der der Mensch sich selbst in unglaublicher Weise erniedrigt", aber nur scheinbar nichts zu tun haben. Denn das andere Leben gehört zu diesem, es ist der Inbegriff der Möglichkeiten, die Menschen haben zu können glauben. Moville dagegen ist ein "paradiesischer Ort", deshalb ist er unauffindbar.

Kappachers Protagonisten wissen das schon seit "Rosina" (1978), dem erstaunlichen Sekretärinnenroman, mit dem der 1938 in Salzburg Geborene freier Schriftsteller wurde. Dennoch oder deshalb handeln die Romane und Erzählungen dieses so unzeitgemäß ruhig schreibenden Autors immer wieder vom Aussteigen und Weggehen wie zuletzt auch "Selina oder das andere Leben" (2005). Das andere Leben aber ist in "Der lange Brief" die Geschichte, die einer schreibt. Auf beinahe selbstverständliche Weise erscheint die Literatur bei Kappacher als glückhafter Aufenthalt. Ihre Notwendigkeit aber resultiert aus dem Erschrecken über die Welt, aus der Erfahrung des Ausgestoßenseins, die einen plötzlich mitten im Alltag befallen kann, zumal, wenn man den Lärm des modernen Lebens verabscheut.

Rofner quält sich als Dienstnehmer der Pensionsversicherungsanstalt "mit den hundert trivialen Widrigkeiten des Tages". Zunächst beiläufig beginnt er sich für seinen ehemaligen Kollegen S. zu interessieren, der eines Tages einfach nicht mehr im Amt erschienen ist. Rofner freundet sich nicht ohne Hintergedanken mit Eva an, die angeblich eine Beziehung mit S. hatte. Bei ihr findet er einen langen Brief von ihm, den sie offenbar achtlos zur Seite gelegt hat. Diesem zufolge ist S. zunächst nach Amerika gereist, wo er mit seiner Freundin Eve in Detroit in einen bewaffneten Aufstand geraten ist. Aufgrund der Erzählungen eines charismatischen Predigers machen sie sich nach Moville auf, einer neuen Gemeinschaft in natürlicher Umgebung, die S. aber wegen eines Unfalls nie erreicht. Stattdessen hat es ihn nach Goosenegg in Australien verschlagen, wo er einer alten Naturärztin dient, die ihm die Kultur der Aborigines nahebringen will. Den Ort kann Rofner auf seiner Australienkarte freilich nicht entdecken. Der Brief nämlich stellt sich als Roman im Roman heraus, der in Ranerding verfasst wurde. Im Außerordentlichen der geschilderten Reise aber wiederholen sich die Irritationen des gelebten Lebens, die Momente des Schreckens, der Distanz zur Welt und der Sehnsucht nach einem Anderen, das sich wie bei Novalis als das Eigene erweisen könnte, im Brief aber nur kurz aufblitzend als erinnerte Erinnerung erscheint. "Manchmal erinnerte ich mich früher an bewaldete Höhenzüge, unendliche Wälder, Tannenzapfen, Reisig, Schwämme, Wurzelstränge, die aus einem weichen Waldboden ragten ..." Derart erscheint die Literatur, wenngleich nicht ohne Ironie, als das Medium, in dem das Leben erst erstrebenswert wird. Rofner hat die Lektüre zu seinem Lebensinhalt gemacht und ist darüber zum Schriftsteller geworden, er komplettiert den Roman mit seinen Tagebuchaufzeichungen. So ist er schon ausgestiegen, bevor er sich in der Pensionsversicherungsanstalt verabschiedet hat. Das Leben des anderen aber hat sich ihm in Literatur verwandelt. "Bei einer zweiten Lektüre würde ich auf ganz andere Dinge achten. S. als Person interessiert mich nicht mehr." Im Anschluss ließe sich vielleicht auch sein profanes Leben romanhaft gestalten. "Eva, ein Leben mit ihr, eine Insel zu schaffen inmitten der Öde, wäre das nicht auch eine abenteuerliche Reise?" Dazu aber müsste sie, die andere Träume hat und ihn gleich bei der Hand zieht, wenn er vor einer Buchhandlung stehenbleibt, für die Literatur interessiert werden.

Dass das nicht so einfach ist, zeigt sich an Walter Kappacher, der viel gelobt und wenig gelesen wurde. "Der lange Brief" erschien erstmals 1982 und wurde kaum beachtet. Nun liegt er in einer vom Autor bearbeiteten Neuausgabe vor, die hoffentlich mehr Leser erreicht. An der meisterhaften Beschreibungskunst, die Kappacher in "Selina" gezeigt hat, sollte der Text aber nicht gemessen werden.

FRIEDMAR APEL

Walter Kappacher: "Der lange Brief". Roman. Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007. 192. S., geb., 17,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Christoph Bartmann begrüßt diese Neuausgabe von Walter Kappachers Roman "Der lange Brief" aus dem Jahr 1982. Für ihn auch ein willkommener Anlass, sich mit diesem österreichischen hierzulande weitgehend unbekannten Schriftsteller zu befassen, dem 2004 auf Peter Handkes Vorschlag der Hermann-Lenz-Preis verliehen wurde. An Handke fühlt er sich dann auch erinnert, nicht nur wegen des auf Handkes "Kurzen Brief zum langen Abschied" anspielenden Titels, sondern auch wegen des Amerikabezugs des Romans über den loyalen, aber verträumten Angestellten Rofner in einer Salzburger Pensionsversicherungsanstalt, der aus seiner langweiligen Existenz ausbrechen und es seinem verschwundenen Kollegen S. gleichtun möchte. Bartmann attestiert dem Werk, auf "sympathische Weise" gealtert zu sein. Die dargestellte Angestelltenwelt Rofners scheint ihm fast rührend, auf jeden Fall anachronistisch, die fremde Welt des Kollegen S., der von Aufruhr und Demonstrationen in Detroit berichtet, dagegen näher an der Gegenwart. Man merkt dem Werk in seinen Augen die ökologisch bewegten frühen 1980er Jahre mit ihren Öko-Utopien an. Zugleich aber hat es für ihn noch etwas vom 19. Jahrhundert. Jedenfalls findet er in dem Buch eine "entschiedene und sehnsuchtsvolle Menschen- und Naturfreundschaft", einen "von heute her schwer nachvollziehbaren, aber keinesfalls zu verspottenden Glauben an das 'Andere'".

© Perlentaucher Medien GmbH
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