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Sbarramento di Brennero/Sperre am Brenner: Am Eingang eines Bunkers an der österreichisch-italienischen Grenze wird am 6. April 1947 die Leiche eines Mannes entdeckt. Nachforschungen ergeben die wahre Identität des Toten: Dr. Gerhard Bast, geboren 1911 in der Gottschee, SS-Sturmbannführer, Mitglied der Gestapo, von der Bundespolizeidirektion Linz auf der Fahndungsliste für Kriegsverbrecher geführt. Als Gerhard Bast ermordet wurde, war Martin Pollack noch keine drei Jahre alt. Jetzt, mehr als ein halbes Jahrhundert später, machte sich der Sohn auf, seinen Vater zu suchen - er fand einen Täter.

Produktbeschreibung
Sbarramento di Brennero/Sperre am Brenner: Am Eingang eines Bunkers an der österreichisch-italienischen Grenze wird am 6. April 1947 die Leiche eines Mannes entdeckt. Nachforschungen ergeben die wahre Identität des Toten: Dr. Gerhard Bast, geboren 1911 in der Gottschee, SS-Sturmbannführer, Mitglied der Gestapo, von der Bundespolizeidirektion Linz auf der Fahndungsliste für Kriegsverbrecher geführt. Als Gerhard Bast ermordet wurde, war Martin Pollack noch keine drei Jahre alt. Jetzt, mehr als ein halbes Jahrhundert später, machte sich der Sohn auf, seinen Vater zu suchen - er fand einen Täter.
Autorenporträt
Martin Pollack, geb. 1944 in Bad Hall, Oberösterreich, studierte in Wien und Warschau, arbeitet als Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Seit Jahren beschäftigt er sich mit Polen und schrieb über Galizien. 2007 erhielt er für seine Übersetzungen den Karl-Dedecius-Preis der Robert Bosch Stiftung und wurde mit dem 'Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln' ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2007 den mitteleuropäischen Literaturpreis 'Angelus', 2010 den Hauptpreis des Georg Dehio-Buchpreises. Für sein 'einprägsames und richtungweisendes Oeuvre' wurde dem österreichischen Publizisten der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung für das Jahr 2011 zuerkannt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2004

Ganz unten
Heimschläfer auf Höllenfahrt: Die Belletristik in diesem Herbst

Kurz und Gut steht jeden Morgen an der Ecke und erzählt. Man nennt ihn Kurz und Gut, weil er, ständig hustend und lungenkrank, nicht mehr ausreichend Luft für eine ausführliche Erzählung hat. "Also kurz und gut, sagte er dann: Viele kurze Geschichten ergeben auch eine lange, ist vielleicht auch interessanter." So rezitiert er wörtlich den Beginn von Dostojewskis "Idiot" und erzählt dann, kurz und gut, dessen Quintessenz in einem einzigen Satz. Dieser Kurz und Gut ist nur eine der unvergeßlichen Figuren in Dieter Fortes neuem Roman "Auf der anderen Seite der Welt" (S. Fischer), eine Gestalt wie ein orientalischer Geschichtenerzähler, der sich ins Nachkriegs-Düsseldorf verirrt hat. Wie alle diese Figuren ist er ein Führer in die Unterwelt. Zu Beginn des Romans reist der Erzähler, das Kind aus Fortes autobiographischer Trilogie "Das Haus auf meinen Schultern", ans Meer, in ein Lungensanatorium, eine Hadesfahrt ohne Wiederkehr. Fortes Buch ist eines der düstersten dieses Herbstes und zugleich eines der reichsten, eine postapokalyptische Version des "Zauberbergs", die die "Stunde Null" nicht als Tor zu hellen Wirtschaftswundertagen versteht, sondern als schwarzes Loch, das Vergangenheit wie Zukunft in seinen Sog reißt.

Höllenwanderungen, Schattenreiche, Grubenfahrten in die Stollen der Erinnerung - in diesem Herbst, in dem die Deutschen im Kino mit dem Führerbunker das dunkelste Verlies ihrer Geschichte betreten, ist auch die Belletristik voller Abstiege ins Inferno, allerorten Erkundungen dunkler Geschichtsflecken. Es ist kein Zufall, daß eine der interessantesten literaturwissenschaftlichen Neuerscheinungen, "Höllenfahrten" von Isabel Platthaus (Wilhelm Fink), die "Unterwelten der Moderne" von Joyce bis Pynchon ausmißt. Der Abstieg in die Unterwelt ist stets auch ein Blick in die Tiefe der eigenen Seele und die Untiefen der Vergangenheit.

"Da geht's gleich richtig in den Schacht", nennt das Lutz Schaper, eine der Hauptfiguren in Antje Rávic Strubels Roman "Tupolew 134", der auf einem authentischen Fall beruht: 1978 entführten zwei DDR-Bürger eine polnische Linienmaschine auf dem Rückflug nach Schönefeld und zwangen sie zur Landung in Tegel. Wie Strubel die bleierne Atmosphäre jener Jahre sinnlich heraufbeschwört und zugleich die Unmöglichkeit einer authentischen Rekonstruktion der Vergangenheit demonstriert, ist virtuos. Der "Schacht" wird dabei zur zentralen Metapher der Erinnerung, immer wieder geht es nach "ganz unten", wo die Grenzen der Dinge und alle Gewißheiten verschwimmen.

Nicht nur für DDR-Bürger war West-Berlin ein Sehnsuchtsort. Auch mancher bundesrepublikanischer Wehrpflichtiger entzog sich so der Einberufung. Der zweite Roman von Sven Regener "Neue Vahr Süd" (Eichborn) liefert die Vorgeschichte seines Herrn Lehmann nach, der in den frühen Achtzigern nahe bei Bremen zum Bund muß. "Die ihr antretet, laßt alle Hoffnung fahren" könnte hier über dem Kasernentor stehen. Regener liefert die burleske Variante der Höllenfahrt, die immer pünktlich am Wochenende unterbrochen wird. Doch als Heimschläfer kann er nicht sicher sein, ob seine versifftes WG-Zimmer nicht in Wahrheit der allerunterste Kreis der Hölle ist.

Das gleiche gilt für jenen diabolischen Sexclub namens "Klapsmühle", den Abel Nema in Terézia Moras erstem Roman "Alle Tage" (Luchterhand) betritt und nur nackt und zerschunden wieder verläßt. Schlagender als durch Moras grandioses Panorama unserer Epoche der Fluchten und Vertreibungen mit seiner Vielzahl faszinierender Figuren und Geschichten läßt sich das Motto von Kurz und Gut nicht beweisen. Eine ähnliche Stoffülle bietet Thomas Brussig in "Wie es leuchtet" (S. Fischer) auf. Doch der vermeintlich ultimative Wenderoman demonstriert, daß allein die Addition von Episoden noch lange kein Zeitpanorama macht.

Die "Ästhetik des Widerstands" von Peter Weiss ging ja aus dem Plan hervor, Dantes "Commedia" für das zwanzigste Jahrhundert zu schreiben. Der dunkelste Schreckensort war hier Plötzensee, die Schlachtstätte der Hitler-Attentäter. F. C. Delius erinnert in "Mein Jahr als Mörder" (Rowohlt Berlin) an das Schicksal des Widerständlers Georg Groscurth, der im Mai 1944 mit dem Fallbeil hingerichtet wurde und dessen Sohn ein Kindheitsfreund des Autors war. Als 1968 der NS-Richter freigesprochen wird, faßt der Erzähler den Entschluß zur Selbstjustiz. An '68 arbeiten sich gleich mehrere Generationen ab: Gerhard Seyfried, Jahrgang 1948, stellt sich noch einmal unter den "Schwarzen Stern der Tupamaros" (Eichborn), Sophie Dannenberg, geboren 1971, klagt im Namen der unter Spätfolgen leidenden Kinder "Das bleiche Herz der Revolution" an (DVA), und Peter Rühmkorf (1929) veröffentlicht seine Tagebücher 1971/72 (Rowohlt).

Wer hierzulande familiengeschichtliche Grabungen anstellt, stößt irgendwann immer auf eine Kammer des Schreckens. Martin Pollack forscht seinem Vater nach, einem später wohl von Partisanen 1947 ermordeten SS-Offizier und Kriegsverbrecher ("Der Tote im Bunker", Zsolnay). Jakob Hein dagegen erinnert sich anrührend an seine verstorbene Mutter und erkundet dabei die jüdischen Wurzeln der Familie im Dritten Reich ("Vielleicht ist es sogar schön", Piper). Auch einige der wichtigsten Übersetzungen sind Familienromane, doch wer hier angesichts der Titel Erbaulicheres erwartet, täuscht sich: Über der "Liebe" in Toni Morissons gleichnamigem Roman (Rowohlt) scheint ein Fluch zu liegen; in Amoz Oz' gewaltiger "Geschichte von Liebe und Finsternis" (Suhrkamp) droht den knapp den europäischen Schrecken entronnenen Juden in Palästina erneut die Vernichtung. Daß der Amerikaner Denis Johnson nicht allzu optimistisch in die Welt blickt, ist aus seiner Novelle "Train Dreams" (Mare) in aller Konzentration abermals zu erfahren. Endlich übersetzt wurde "Der Besen im System", der hintersinnig-irrsinnige Debütroman des genialischen David Foster Wallace (Kiepenheuer & Witsch). Im Osten Europas taugt der Fortschritt schon lange nur noch als Groteskenstoff. Der Tscheche Péter Zilahy blickt in seinem verspielten "Revolutions-Alphabet" "Die letzte Fenstergiraffe" (Eichborn) mit Kinderblick auf das ehemalige Jugoslawien. Viktor Pelewin stellt in "Die Dialektik der Übergangsepoche von Nirgendwoher nach Nirgendwohin" (Luchterhand) den ganzen postkommunistischen Aberwitz Rußlands bloß. "Das jetzige System nannte sich Fortschritt, drehte sich aber Schritt für Schritt nur im Kreis, was natürlich keiner bemerkte, es ging ja immer so schön geradeaus", so heißt es bei Forte.

Nicht nur die deutsche Literatur also hat jeden Glauben an Fortschritt und Vervollkommnung längst aufgegeben. Das bevorstehende Schiller-Jahr dürfte spannend werden: Zwar ist Schiller ja selbst vor allem in seinen Briefen "Über die ästhetische Erziehung" der schärfste Fortschrittskritiker gewesen, hatte aber doch mit allem Pathos die Kunst als Remedium inthronisiert. Vielleicht ist ja der "ästhetische Zustand", als Harmonie von Sinnlichkeit und Vernunft, gar nicht so weit weg von Pelewins buddhistischer Weltentrücktheit. Neben neuen Werkausgaben erscheinen zwei Biographien: Während Sigrid Damm (Insel) eher das Private erkundet, nimmt Rüdiger Safranski (Hanser) eine ambitionierte Rekonstruktion des Schillerschen Idealismus vor.

Und wo versteckt sich in der Gegenwart das Positive? Natürlich in der literarischen Form - und in der Liebe, die ja auch nur eine Funktion der Sprache ist. Marion Poschmanns Buch "Grund zu Schafen" (Frankfurter Verlagsanstalt) ist einer der wichtigsten Gedichtbände der letzten Zeit und markiert die Rückkehr einer Naturlyrik auf höchstem Sprach- und Reflexionsniveau. Diese in wunderbaren, manchmal zunächst dunklen, dann blitzartig klaren Sprachbildern eingefangene Natur erobert sich auch hier die resignierende industrielle Zivilisation zurück. Und wo die Biologie kein Rätsel mehr offenläßt, muß die Sprache die Welt ins Wundersame und Märchenhafte überführen.

Ein Programm, das auch die große Naturerzählerin Brigitte Kronauer unterschreiben würde. Sie hat mit "Verlangen nach Musik und Gebirge" (Klett-Cotta) einen ausgelassenen, entrückten Liebesverwirrungsroman geschrieben. Wie bei Forte beginnt das Buch mit einer seltsamen Reise ans Meer, nach Oostende. Und wenn man diese beiden Zugfahrten nacheinander liest, dann hat man fast schon das ganze Spektrum dieses Herbstes aufgefächert.

RICHARD KÄMMERLINGS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.08.2004

Ein spaltbreit offen stehendes Tor
Die Väter geben keine Ruhe: Heute erscheint Martin Pollacks Bericht „Der Tote im Bunker”
Ein bisschen merkwürdig ist es ja schon: Da sieht man ihn auf einem Foto zwischen zwei Frauen im Schnee sitzen, ganz oben in den Bergen, alle drei sehr braun gebrannt und bester Laune, sympathische junge Menschen im Skiurlaub: „Gstemmer mit Trude Lipp-Terler und Gerti Elger”, steht im Tourenbuch. „Abfahrt zur Neualm bei fabelhaftem Pulverschnee mit Ernstl und Balo. Recht lustig und fidel.” Hatte ein kämpferischer Nationalsozialist und illegaler SS-Führer so kurz vor dem „Anschluss” Österreichs, Anfang 1938, tatsächlich nichts Besseres zu tun, als sich mit Freunden wochenlang auf einer entlegenen Skihütte zu erholen, Spuren durch Tiefschneehänge zu ziehen und Hüttenabende mit Trude und Gerti zu verbringen, zwischen denen er sich offensichtlich nicht entscheiden konnte? Oder war das alles nur Tarnung, fanden auf der Plannerhütte, der Stalla Alm und der Lärchkaralm konspirative Treffen statt, Vorbereitungen für den Umsturz?
Die Fotos sagen nichts darüber, wie Fotografien überhaupt viel weniger beweisen, als oft angenommen wird. Der spätere SS-Sturmbannführer Gerhard Bast ist dort gewesen, 1938, im Schnee, auf 1600 Meter Höhe - sicher. Doch geht daraus nichts hervor, auch nicht für den Sohn, der als Erinnerung an den Vater allein diese Aufnahmen hat. Die Bilder bleiben seltsam stumm. Sie reden nicht. Sie sind einfach nur da.
Martin Pollack hat seinen Vater gesucht - aber er hat ihn nicht wirklich gefunden. Er, der uneheliche Sohn von Dr. Gerhard Bast, Jurist und Nationalsozialist der ersten Stunde, Gestapokarrierist und Kriegsverbrecher, war keine drei Jahre alt, als sein Vater 1947 ermordet wurde, in einem Bunker am Brenner. „Ich habe keine Erinnerungen an ihn”, sagt er. „Ich habe ihn nur ein paar Mal flüchtig gesehen, und auch das weiß ich bloß von meiner Mutter, die selten von ihm sprach, über unverfängliche Ereignisse, Nebensächlichkeiten, als sei sie nicht sicher, was sie mir anvertrauen dürfe und worüber sie besser schwieg.” Was Pollack bleibt, sind Bilder, Akten und die widersprüchlichen Aussagen darüber, wie er, der Vater, denn nun gewesen sei: „Er war ungeheuer schneidig”, pflegte die Großmutter zu sagen, „ein ganz verrückter Hund, der ständig herumschrie”, befand ein ehemaliger Untergebener, „ein kameradschaftlicher und großzügiger Mensch”, meinte ein anderer, „ein Sportsmann, der jede freie Stunde dazu nutzte, Handball zu spielen”. Auf irgendeine Weise wird Gerhard Bast all das gewesen sein. Doch verhält es sich mit den überlieferten Charakterisierungen wie mit den Fotos: Sie sagen dem Überlebenden nur wenig. Der Vater bleibt, trotz allem, fremd.
Die Grenzen der Recherche
„Noch ein NS-Familienbuch!”, werden manche jetzt möglicherweise stöhnen. Denn tatsächlich schlägt der Österreicher Martin Pollack, der bis vor einigen Jahren Redakteur beim Spiegel war und seither als freier Autor und Übersetzer arbeitet, ein weiteres Kapitel im kollektiven Erinnerungsroman auf, der sich mit Wibke Bruhns’ „Meines Vaters Land”, Uwe Timms „Am Beispiel meines Bruders” oder Thomas Medicus’ „In den Augen meines Großvaters” als zeitgemäßes Genre der Nachgeborenen etabliert zu haben scheint. Ein Genre, in dem nicht mehr so sehr die Schuld der Elterngeneration treibende Kraft ist, als vielmehr die der Kinder, den Eltern das Mitgefühl verweigert zu haben.
Martin Pollacks Buch aber heißt „Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater”. Vom Vater ist hier nur im Untertitel die Rede, und was er über ihn schreibt, will der Autor als „Bericht”, als sachlich-nüchterne Investigation verstanden wissen. Weder geht es demnach um eine Suche, die „das Wiedergefundene in monumentaler Intimität” erscheinen lässt, wie man es den NS-Familienromanen insgesamt vorgeworfen hat (SZ vom 8. März). Noch geht es um den bloßen Schreibanlass für einen narzisstischen Autor. Martin Pollack ist von all dem frei zu sprechen. Er bleibt, sich selbst und dem Vater gegenüber, bemerkenswert kühl, was auch damit zu tun hat, dass er den Vater gar nicht gekannt hat.
Es beginnt, sehr kriminalistisch, im Frühsommer 2003, in Südtirol am Brenner. In Gossensass trifft der Autor einen Mann, der ihm bei der Suche nach jenem Bunker helfen will, in dem der NS-Täter Bast selbst zum Opfer wurde. Neben der Leiche waren damals Papiere gefunden worden, ein Ausweis für Volksdeutsche, ausgestellt auf den Namen Franz Geyer, Arbeiter aus dem slowenischen Ort Krško. Doch passten weder die Tätowierung an der linken Seite des Oberarms noch die Schmisse im Gesicht zu einem Arbeiter. Schnell war klar, dass es sich um jemand anderen handeln musste. „Man hat seinerzeit viel darüber geredet”, sagen die Einheimischen, die die Geschichte von der Leiche im Bunker kennen. Wo genau das gewesen war, weiß zunächst niemand zu sagen.
Doch finden sie die Stelle, stolpern über Stacheldraht, kommen zu einer niedrigen, stark überwachsenen Steinmauer vor einer Felsnische, in der ein senkrechter Riss klafft: ein spaltbreit offen stehendes Tor, kunstvoll gefertigt aus graugrünen Glasfibermatten, mit Buckeln und Falten, so dass man es beim flüchtigen Hinsehen für gewachsenen Fels halten kann. Hier also. Pollack zieht seinen Leser mit ins Stacheldrahtgestrüpp, lässt auch ihn stolpern und gewährt ihm den Blick ins Dunkel. In den eigentlichen Bunker aber kommt weder er noch der Leser hinein. Er ist verschlossen. Ein paar Lüftungsschächte lassen sich finden, modriger Geruch steigt ihnen in die Nase. Das Innere jedoch bleibt verborgen und wird so zum Sinnbild für die Vergeblichkeit der Suche.
Denn was immer Pollack in akribischen Recherchen herausfindet, er dringt nicht ins Innere vor. Es bleibt bei der Äußerlichkeit des Schreckens: beim Daten- und Aktenwissen über Gerhard Basts steile SS-Karriere, über die von ihm überwachten Transporte von Juden in Konzentrationslager, über Hinrichtungen von Zwangsarbeitern und Massenmorde seines Sonderkommandos in Südrussland. Der Stacheldraht, der Modergeruch, das undurchdringliche Dunkel - all das sind Metaphern dieses Schreckens. „Über das private Leben meines Vaters, über das, wie er war, wie er dachte, weiß ich wenig, eigentlich nichts”, heißt es zu Beginn des Buches. Es wird bis zum Schluss so bleiben.
Das Volkstum des Großvaters
Doch belässt es Pollack nicht dabei. Vielmehr lässt er neben diese leere, nicht zu rekonstruierende Stelle noch etwas anderes treten: die Geschichte einer Region - der Untersteiermark. „Ich bin in Tüffer, jetzt in Jugoslawien gelegen, geboren”, zitiert er seinen auch nach dem Krieg noch unerschütterlich nationalsozialistischen Großvater, Gerhard Basts Vater. „Ich bin daher Sprachgrenzdeutscher und habe bis zu meinem 30. Lebensjahr hier meine Jugend verbracht. Während dieser ganzen Zeit tobte zwischen uns Deutschen und Slowenen ein erbitterter Kampf um unsere Sprache und unser Volkstum. Die natürlich Folge dieses Kampfes war, dass die Volksdeutschen immer national eingestellt waren - lange bevor noch von einer NSDAP die Spur war - und es auch blieben.”
Hatte schon früh, im neunzehnten Jahrhundert, in der Untersteiermark alles begonnen, fragt Martin Pollack. Oder war später etwas passiert, das in der Laufbahn seines Vaters seinen unbegreiflichen Höhepunkt fand? Er muss diese Frage am Ende offen lassen. Seine kriminalistische Suche bleibt in entscheidenden Punkten vergeblich. Der Bedeutung dieses klaren, kühlen Buches tut das keinen Abbruch.
JULIA ENCKE
MARTIN POLLACK: Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater. Zsolnay Verlag, Wien 2004. 255 S., 19,90 Euro.
„Über das private Leben meines Vaters, über das, wie er war, wie er dachte, weiß ich wenig, eigentlich nichts. Er war ungeheuer schneidig, sagte Großmutter, was das Bild nicht plastischer machte.” Das Foto zeigt Gerhard Bast, den Vater, bei der Schneeballschlacht mit Freunden. Silvretta 1936.
Foto: Archiv Martin Pollack
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Sehr beindruckend findet Gabriele von Arnim dieses Buch, in dem Martin Pollack der Geschichte seines Vaters nachgeht, der es als SS-Sturmbandführer weit in der NS-Hierarchie gebracht hat und 1947 ermordet wurde. Sie preist es als gleichermaßen gelungene "Dokumentation" wie als ein literarisches Werk. Man ahnt in den "Halbsätzen" die "Seelennot" des Autors, wenn er der NS-Vergangenheit seines Vaters, den er nie kennen gelernt hat, nachspürt, bemerkt die Rezensentin einfühlsam, wobei sie angetan feststellt, dass sich Pollack bei seiner Recherche weder in "Lakonie" noch in "Selbstmitleid" verliert. Was diese Dokumentation aber so außerordentlich "interessant" macht, ist die Tatsache, dass sie s über die Person des Vaters hinausgeht und eine deutsche Laufbahn schildert, wie sie tausendfach im Nazi-Deutschland stattgefunden hat, lobt die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Verbleibende Leerstellen in dieser Rekonstruktion kleistert Pollack nicht mit Rückschlüssen zu; er läßt offen, was er nicht herausfinden konnte, schwingt sich nicht zu endgültigen Urteilen auf. (...) Pollack zeichnet das atmosphärisch dichte, minutiös recherchierte Bild eines Milieus, das zum Nährboden für den Nationalsozialismus wurde." Julia Kospach, Profil, 16.08.2004
"Die Nüchternheit des Stilisten Pollack kennt keine Schnörkel, billiges Pathos ist ihm wesensfremd... Pollacks großartiges Buch läßt sich nicht ohne Erschütterung lesen. Durch die Lektüre werden wir Zeugen einer Enthüllungstragödie von antiker Dimension." Ulrich Weinzierl, Die Welt, 11.09.2004
"...eine große erzählende Reportage, eine ärchologische Spurensuche und ein mentalitätsgeschichtlicher Essay... Gerade daß es offen scheitert im Verstehen, macht - auch literarisch - seine Größe aus." Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung, 11.09.04
"Schmucklos, in präzisen Beobachtungen und darum umso packender läßt uns Pollack daran teilhaben, wie er in die Welt jener Zeiten eintritt... Er reflektiert das Erfahrene, vergleicht es mit seinen spärlichen Erinnerungen... Sein Buch ist der großartig geglückte Auszug aus der Sprachlosigkeit." Michael Freund, Der Standard, 04.09.2004
"Ein bedrückendes Buch, eine kluge und glänzende Dokumentation und zugleich empfindsame Literatur. Ein Glücksfall." Gabriele von Arnim, Tages-Anzeiger Zürich, 24.12.2005
"Im Kontrast zu den aufwühlenden Details und manchen Erinnerungsfetzen, die der Stilist Martin Pollack virtuos wiederholt, hält er seinen Bericht in einem klaren, ruhigen, oft lakonischen Tonfall - und erzählt dabei doch eine irritierend fesselnde Geschichte. Auf beeindruckend ausgeglichene Weise balanciert er zwischen Nähe und Abstand, zwischen schmerzvoller Vatersuche und selbstverständlicher Abgrenzung." Erna Lackner, Frankfurter Allgemeine Zeitung…mehr