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Eine einzige Berufsbezeichnung für Franz Blei (1871 bis 1942) anzugeben, ist unmöglich. Am wichtigsten von seinen vielen Betätigungsfeldern war vielleicht seine Rolle als Entdecker und Vermittler von Autoren, die für die deutschsprachige Literatur in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts von Bedeutung sind, wie etwa Rilke, Musil, Robert Walser, Hofmannsthal, Wedekind oder Kafka.
Endlich erscheint nun eine neue Ausgabe seiner 1930 veröffentlichten und seither nicht mehr aufgelegten Lebenserinnerungen, die unter anderem von seiner Kindheit im Wien des Fin de Siècle oder von seinen
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Produktbeschreibung
Eine einzige Berufsbezeichnung für Franz Blei (1871 bis 1942) anzugeben, ist unmöglich. Am wichtigsten von seinen vielen Betätigungsfeldern war vielleicht seine Rolle als Entdecker und Vermittler von Autoren, die für die deutschsprachige Literatur in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts von Bedeutung sind, wie etwa Rilke, Musil, Robert Walser, Hofmannsthal, Wedekind oder Kafka.

Endlich erscheint nun eine neue Ausgabe seiner 1930 veröffentlichten und seither nicht mehr aufgelegten Lebenserinnerungen, die unter anderem von seiner Kindheit im Wien des Fin de Siècle oder von seinen außerordentlichen Begegnungen und Erlebnissen in München und Berlin erzählen. Die Entdeckung einer großen Autobiographie.
Autorenporträt
Blei, Franz
Franz Blei, 1871 in Wien geboren, lebte in München, Wien und Berlin. 1931 ging er nach Mallorca und wanderte anschließend in die USA aus, wo er 1942 in Westbury starb. Zu seinen wichtigsten Werken zählen: Das große Bestiarium (1920/24), Glanz und Elend berühmter Frauen (1927), Männer und Masken (1930). Erzählung eines Lebens ist 2004 im Paul Zsolnay Verlag erschienen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2005

Lebemann ohne Eigenschaften
Franz Blei in seiner Autobiographie und einer Studie

Der Autobiograph Franz Blei kommt nicht umhin, sein Mißtrauen gegenüber aller Autobiographie zu erklären. Dem Versuch, Ordnung, Ziel und Folgerichtigkeit in einen Lebenslauf zu bringen, sei nicht zu trauen. Und wozu überhaupt Erinnerung? "Vergessen ist wohltuender." Und es ist wohl nicht einmal kokett gemeint, wenn er hinzufügt: "Ich war in keinerlei weltbedeutende Ereignisse verwickelt, zu deren besserer Kenntnis ich durch diese Mitteilungen beitragen könnte." Was ist die Welt, was ist bedeutend? Immerhin hat er gelebt wie ein Casanova redivivus und war in die deutsche Literatur mehrerer Epochen verwickelt. Das wäre genug Grund für Mitteilsamkeit.

Geboren wurde der Entdecker und Förderer von Kafka, Musil, Broch (um nur diese drei zu nennen) 1871, am Tag der Reichsgründung. Die Herkunft war bescheiden. Am Eingang dieses Lebens für die Literatur steht wie eine große Ironie die Figur des glücklichen Analphabeten. "Mein Vater hat also weder lesen noch schreiben gekonnt." Eine rätselhafte Figur, dieser mehr als die autoritäre Mutter geliebte Vater. Gelernter Schuster, bringt er sich auf Wiener Baustellen selbst das Hausbauen bei und gelangt als Selfmademan schließlich zu jenem Reichtum, der später Grundlage von Bleis luxurierender Existenz wird. Mit fast sechzig verläßt der Vater die Familie. Die Mutter zerbricht daran.

In den Anfangskapiteln bewährt sich Blei als außerordentlich sensitiver Erzähler, wenn er etwa das Spiel im elterlichen Garten schildert, Ort des Kinderglücks und der geborgenen Naturnähe. Die fernsten Erinnerungen leuchten am intensivsten. In der Jugend dann opponiert der Bücherverschlinger heftig gegen den Vater - zwar kein Schlotbaron, aber doch ein vielfacher Hausbesitzer mit "räuberischem Gewinn". Er wendet den frisch angelesenen Marxismus auf ihn an. In jenen Jahren des noch ungemilderten Kapitalismus machte das "Kommunistische Manifest" mit dem sicheren "Dahergefahrenkommen seiner Definitionen" "einen überaus starken Eindruck".

1930 hatte sich Blei von seinen radikalen Anfängen längst distanziert; als Student in Zürich aber empfand er Ehrfurcht vor der "geheiligten Masse des Proletariats", was zu "einer schon vor der Bekanntschaft vorhandenen Bereitwilligkeit" führte, auch jeden einzelnen Proletarier "gut und herzlich zu finden". Einer seiner Gesprächspartner ist ein gewisser Lenin, der in der Schweiz auf seine Stunde wartet. Im späteren Buch "Materialismus und Empiriokritizismus" braucht der Begründer der Sowjetunion immerhin volle vier Textseiten, um Bleis Studentenarbeit "Die Metaphysik in der Ökonomie" als "reaktionäres Elaborat" zu widerlegen, wie Ursula Pia Jauch in ihrem vorzüglichen Nachwort-Essay anmerkt.

Der Student Blei schweifte durch alle Fakultäten; Gefallen fand er nur an der skurrilen Musik-Ehrendozentur Anton Bruckners. Ansonsten konnte ihn nach der nationalökonomischen Dissertation eine akademische Karriere nicht locken. Er entschied sich vielmehr für die Rolle des umtriebigen Literaten und Literaturvermittlers. Der Talentsucher knüpfte ein europaweites Netzwerk zu zahlreichen Autoren, Kritikern, Übersetzern und Verlegern, denen er nicht selten als Ratgeber verpflichtet war. Er hat die deutsche Rezeption von Autoren wie Oscar Wilde, Chesterton oder Gide auf den Weg gebracht und veröffentlichte die ersten Gedichte von Robert Walser, dessen listige Naivität in einem der schönsten Kapitel dieses Buches dargestellt wird.

Erfahrungslustig und in viele Richtungen neugierig, konnte Blei kein Fall ideologischer Wirklichkeitsverengung sein. Was er über Hermann Bahr schrieb, war auch in eigener Sache gesagt: "Man hat Bahr immer vorgeworfen, er sei ein Verwandlungskünstler, der schon drei Dutzend Überzeugungen gewechselt habe. Ich wüßte nicht, was man sonst mit Überzeugungen anfangen soll, die man als falsch oder untauglich erkannt hat." Wenn Blei seinen eigenen Charakter beschreibt, greift er auf ein Buch zurück, das es bereits besser gemacht hat, als er selbst es könnte: Musils "Mann ohne Eigenschaften". Das Kapitel mit diesem Titel bietet keine Ausführungen über den berühmten Roman, sondern Blei im Musil-Spiegel, ein Selbstporträt aus unausgewiesenen Zitaten. Anmaßung? Nicht unbedingt. Denn es ist nicht ganz unwahrscheinlich, daß der mit Musil gut bekannte Blei zu den Modellen des fabelhaften Ulrich gehört.

Ein rundes Werk ist diese Lebensgeschichte nicht. Sie hebt an als weit ausgreifendes, in Kindheitsszenen liebevoll sich versenkendes Erinnerungsbuch, um in der zweiten Hälfte die autobiographische Erzählung zu verweigern. Blei hätte vieles zu berichten. Aber er tut es nicht. Geschichte "eines" Lebens heißt das Buch nicht zufällig. Blei geht auf Distanz zu sich, nicht nur, wenn er Bezeichnungen wie "dieser junge Mann" oder "der Mensch, von dem die Rede ist" auf sich selbst anwendet.

Da ist die Rede von "der an diesem Menschen auffällig gewordenen Neigung, die Welt immer wieder als das Fleisch schöner Mädchen" zu sehen. Konkretes wird von den Affären nicht mitgeteilt, auch das Scheitern seiner Ehe an der notorischen Untreue nur angedeutet in essayistischen Betrachtungen über "die fatalen Konflikte des ehelichen Lebens, die nicht zu lösen sind". Man wundert sich über den unbeherzten thematischen Zugriff des in der Praxis kein bißchen zimperlichen Frauenverbrauchers.

1907 wurde der Herausgeber erotischer Zeitschriften und Anthologien in München wegen literarischer Vergehen gegen die Sittlichkeit angeklagt. Das "Dutzend bäuerischer Geschworener", das über ihn zu befinden hatte, amüsierte sich bei der gerichtlichen Verlesung der inkriminierten Texte bestens. "Nach dem Freispruch erhielt der vergeblich Angeklagte von neunen der zwölf Bauern Briefe, die ihn um das inkulpierte Buch baten. Weniger sympathisch waren ihm im nachfolgenden Leben getroffene Richter und Staatsanwälte, die mit einem pikant anzwinkernden Auge den Namen des ihnen Vorgestellten quittierten."

Wenn Blei mit seinen erotischen Publikationen denn eine pädagogische Absicht verfolgt hätte, dann vielleicht die, "seinen deutschen bürgerlichen Zeitgenossen jenes insinuierende Zwinkern abzugewöhnen". Als ein Verleger ihn um eine freizügige Anthologie bat und dabei wohl an "Zehntausende zwinkernder Käufer dachte", entzog er sich und lieferte statt dessen einen "ideengeschichtlichen Versuch" zum Thema.

Was Blei selbst nur diskret umreißt, kann man genauer nachlesen in Gregor Eisenhauers biographischem Essay "Franz Blei - Der Literat". Eine kenntnisreiche, streckenweise brillant geschriebene Arbeit, in der man den rastlosen Literaten und Erotomanen besser kennenlernt und auch jene Aspekte angesprochen findet, die Blei in seiner Lebenserzählung ganz verschweigt - etwa seine lebensphilosophisch gespeiste Kriegsbegeisterung im Herbst 1914.

Zu Unrecht vergessen ist Blei vor allem als begnadeter Porträtist. Die "Geschichte eines Lebens" bietet in der zweiten Hälfte zahlreiche Kostproben dieser Kunst. Es sind literarische Charakterstudien, deren lakonische Psychologie unaufdringlich bleibt; sie kommen ohne die pathetische Anempfindelei eines Stefan Zweig aus. Menschen setzen sich Masken auf: "Woraus sich ergibt, daß es zur feineren Menschlichkeit gehört, ,Ehrfurcht vor der Maske' zu haben und nicht an falscher Stelle Psychologie und Neugierde zu treiben." Das Buch enthält eindrucksvolle Kapitel über Aubrey Beardsley, Eduard von Keyserling oder Rudolf Borchardt, mit dem Blei eine Woche lang die Nächte inspiriert durchplauderte. Es findet sich ein freundliches Porträt Annette Kolbs, die Thomas Mann im "Doktor Faustus" als "elegantes Schafsgesicht" verewigte, eine Verteidigung Hofmannsthals gegen seine Verächter und natürlich ein Lob Robert Musils, der nicht nur ein eminenter Kopf gewesen sei, sondern ein Mann, der "seinen Körper sportlich übte bis in den kleinsten Muskel".

Blei kann auch zuschlagen. Über die Prosa des zunächst geförderten Carl Sternheim heißt es: "Er hatte nichts zu sagen und tat daher so vielsagend." Abneigung zeigt Blei gegenüber den Posen des George-Kreises, wo "immer, wenn von Päderastie hätte gesprochen werden sollen, Abrakadabra gesagt wurde". Prosa galt hier wenig; ein bißchen mehr, wenn sie "Pseudolyrik" war: "Leopold von Andrians fadendünne Erzählung ,Garten der Erkenntnis' war das einzige Stück erzählender Prosa, das als eine Art Schaubrot aus dem Georgeschen Backofen gezogen wurde."

Ein weiterer Höhepunkt sind die in die Lebensgeschichte eingefügten zwanzig Seiten aus dem amerikanischen Tagebuch. Die Vereinigten Staaten sind für Blei, der dort kurz vor der Jahrhundertwende zwei Jahre verbrachte, nur auf den ersten Blick das "Land der hochgebauten Städte"; auf den zweiten ein "Bauernkontinent", von "verraunzten Sektierern" gegründet. Die amerikanische Maschinenzivilisation, in der immer noch der wälderrodende Pioniergeist nachwirkt, bleibt ihm suspekt. Konservativ preist er statt dessen die Freundschaft zwischen "Mensch und Materie", die einst in den Handwerksberufen geherrscht habe.

Handwerkliche Gediegenheit kennzeichnet auch Bleis Stil. Von lebemännischer Leichtigkeit ist darin wenig zu spüren; bei aller Bemühung um Eleganz wirkt er oft behäbig. "Man hatte von Jean Paul herkommend viel übrig für das Sonderliche und Schrullige", heißt es an einer Stelle. Sonderlich ist bisweilen Bleis Satzbau, leicht schrullig wirkt Vokabular wie "Sensiblerie" oder "Salopperie". Kein Zweifel, die "Geschichte eines Lebens" ist eine sperrige Lektüre. Aber sie belohnt reichlich.

Nicht lange nach ihrer Veröffentlichung, bevor Deutschland vital und völkisch wurde, setzte sich der mittellose Blei nach Mallorca ab. Der Spanische Bürgerkrieg trieb ihn zurück nach Wien. Von dort floh er 1938 nach Lucca zu Borchardt, dann nach Frankreich, dann nach Portugal, dann in die Vereinigten Staaten. Seine letzte Station war das New Yorker Armenhospital, in dem er am 10. Juli 1942 starb.

WOLFGANG SCHNEIDER

Franz Blei: "Erzählung eines Lebens". Mit einem Nachwort von Ursula Pia Jauch. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2004. 528 S., geb., 25,90 [Euro].

Gregor Eisenhauer: "Franz Blei - Der Literat". Ein biographischer Essay. Mit Texten von Franz Blei auf CD. Elfenbein Verlag, Berlin 2004. 184 S., geb., 17,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als "beredeter Verschweiger" gebe sich Franz Blei (1871-1942) in seiner neu aufgelegten Autobiografie "Erzählung eines Lebens", befindet Rezensent Franz Haas. Blei habe viel zu sagen, er schreibe sogar noch ein bisschen mehr, aber nur wenig über sich selbst. Dementsprechend sieht Haas in dem Buch weniger ein Selbstporträt als einen "raffiniert zurückhaltenden Abgesang auf eine Epoche". Doch Blei sei nicht nur als "gnadenlos guter" Porträtist und "haargenauer Kritiker", als Förderer und Entdecker von Walser, Kafka, Musil, Bloch zu bewundern. An einigen Stellen seiner Memoiren zeige er sich auch als "großer Erzähler", wenn auch "meist flüchtig und offenbar ungern, aber unverkennbar". Bleis Schilderung seiner Zürcher Jahre zählt Haas zu den "kulturhistorisch wertvollsten Seiten" des Buches. Den Höhepunkt des Buches aber sieht er in der Beschreibung der lebhaften Jahre in München, wo sich Blei 1900 niederließ. "Er wird zum Promotor in allen literarischen Gassen, ein Spürhund und Dandy, gründet und wechselt Zeitschriften, verbraucht Frauen und das väterliche Erbteil, schreibt, übersetzt, polemisiert und posiert mit stupender Energie." Mit dem Glanz der Münchner Jahre ende das Buch eigentlich, der Weltkrieg und die Wiener Wirren danach kämen nur noch am Rand vor. Die zweite Hälfte des Buches bestehe zum guten Teil aus Porträts von Zeitgenossen wie Wedekind, Walser, Kubin, Bahr, Gide, Musil, die zusammen ein "scharfes Panorama der Epoche" ergeben. Ein großes Lob zollt Haas dem "brillanten Nachwort", das Ursula Pia Jauch zur Neuausgabe beigesteuert habe, und das den dicken Band "noch gewichtiger" mache.

© Perlentaucher Medien GmbH
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