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'Über den Dächern von Buenos Aires feiert Patri mit ihren Eltern Silvester. Freunde kommen hinzu, die den Ort - den Rohbau eines Hochhauses - charmant finden. Niemand stört sich an den ungewöhnlichen Gästen: drei Geister, nackte Männer, sichtbar gemacht durch den Baustaub. Patri ist fasziniert von ihnen. Verkörpern sie doch das Andere, das Neue. Die Warnungen ihrer Mutter schlägt sie in den Wind. Soll sie sich mit ihnen in die Dunkelheit der Nacht stürzen?

Produktbeschreibung
'Über den Dächern von Buenos Aires feiert Patri mit ihren Eltern Silvester. Freunde kommen hinzu, die den Ort - den Rohbau eines Hochhauses - charmant finden. Niemand stört sich an den ungewöhnlichen Gästen: drei Geister, nackte Männer, sichtbar gemacht durch den Baustaub. Patri ist fasziniert von ihnen. Verkörpern sie doch das Andere, das Neue. Die Warnungen ihrer Mutter schlägt sie in den Wind. Soll sie sich mit ihnen in die Dunkelheit der Nacht stürzen?
Autorenporträt
César Aira, geb. 1949 in Coronel Pringles, Argentinien, lebt seit 1967 in Buenos Aires, wo er sich zunächst als Übersetzer einen Namen machte. Er hat zahlreiche Romane, Erzählungen, Essays und Theaterstücke veröffentlicht und zählt zu den wichtigsten Autoren Lateinamerikas.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.12.2010

Mitternachtsparty am letzten Tag des Jahres
In der Literatur müssen die Seifenblasen nicht platzen, sie dürfen auf ewig schweben: César Aira und sein Roman „Gespenster“
„Das Einzige, was du kannst, ist schreiben“, musste sich Mario Vargas Llosa von seiner Frau gelegentlich sagen lassen; in seiner Nobelpreisrede hat er es abermals kolportiert. Unschön im Grunde, wenn die Gattin so etwas sagt. Anders ist es schon, wenn ein Autor selbst zu der Ansicht kommt. Der Argentinier César Aira ist so ein Fall. Er versichert glaubwürdig, für nichts anderes zu taugen als für die Literatur, und scheint sich immer aufs Neue darüber zu freuen, dass sie ihm tatsächlich eine ordentliche Existenz ermöglicht.
Inzwischen hat Aira, 1949 geboren, mehr als 60 meist kurze Bücher geschrieben. Viele sind nur in Kleinverlagen erschienen. Aber der Ruhm hat Aira doch ereilt. Manche Kollegen halten ihn für Borges’ einzigen Erben, und Roberto Bolaño erklärte: „Wenn Sie einmal angefangen haben, Aira zu lesen, hören Sie nicht mehr auf.“ Nun ja. Beide Urteile sind etwas hoch gegriffen, aber durchaus nachvollziehbar.
Der Ullstein Verlag hat gerade einen „klassischen“ Aira herausgebracht, „Gespenster“ von 1990, ein gehöriges literarisches Holterdipolter auf kleinem Raum. 170 Seiten, ein einziger Schauplatz, ein einziger Tag. Am Mittag des 31. Dezember besuchen die künftigen Bewohner eines Apartmenthauses in Buenos Aires den Rohbau in Begleitung des Architekten. Die Bauarbeiter feuern derweil den Grill an. Am Nachmittag befindet sich nur noch das Wächter-Ehepaar mit seinen vier Kindern auf dem Grundstück. Die Familie wohnt auf dem Dach und feiert dort am Abend mit zwei weiteren Paaren aus dem Familienkreis ein fröhliches Silvesteressen mit unverhofftem Ende.
So weit, um im Bild zu bleiben, der Rohbau des Buches. Doch das Bild ist schon falsch, denn es suggeriert eine solide erzählerische Struktur, die es hier gar nicht gibt. Aira entwirft keinen großen Bogen, er entwickelt seinen Stoff eher Brocken für Brocken und scheint sich dabei oft selbst zur Ordnung rufen zu müssen, um im Vorwärtstappen den Haupthandlungsstrang nicht komplett aufzugeben.
Lose Fäden, lose Worte
Er schweift seitenlang zu Randfiguren und in Nebenszenen ab, montiert kleine Essays in den Text hinein und kehrt dann unversehens, wie mit einem knappen Wo-war-ich-stehengeblieben? wieder zurück ins zentrale Apartmenthaus. Auch stilistisch geht’s munter drunter und drüber, besonders hübsch, wenn Aira sich kleine Meta-Späßchen erlaubt. Einmal heißt es über die Kinder: „Zum Glück bestand keine Gefahr, dass sie auf die Straße gerannt sein könnten. Das war ausgeschlossen, wer weiß, warum.“ So macht sich der Autor locker selbst über die Lücken und losen Fäden im Text lustig.
Erzählhaltung und Tonlage wechseln regelmäßig; mal beschreibt Aira bloß, dann fällt er mit geradezu kalauernden Kommentaren ins Geschehen ein, mal zaubert er eine Atmosphäre voller Suspense herbei, dann wieder räsonieren seine volkstümlichen Figuren, als befänden sie sich im kulturhistorischen Oberseminar.
Als Leser fühlt man sich im Hin-und-Her schließlich an jene Tiere erinnert, die im animierten Abenteuerkino plötzlich irgendein Fluggerät steuern müssen und dabei entsetzt-erstaunt unter abenteuerlichen Loopings etcetera kreuz und quer durchs Gelände brettern. Schwindelerregend, aber wow!. Und wir haben die Gespenster noch gar nicht erwähnt. Dabei handelt es sich um kleine bis große Gruppen nackter, weiß bestäubter und wohlgebauter Männer, an deren schwebende Präsenz im Rohbau die Mitglieder der Wächter-Familie mittlerweile gewöhnt sind. Aira schreibt trotzdem: „Beim Wäschewaschen in der Küche ein Dutzend nackter Kerle mit schlenkerndem Gehänge zu sehen, ist nicht gerade das Realistischste, was so passieren kann.“ Fürwahr.
Eine Einladung mit Widerhaken
Normalerweise bleiben die Burschen auf Distanz, aber im Verlauf einer zauberischen Szene am frühen Silvesterabend laden sie die 15-jährige Patri überraschend zu einer vielversprechenden Mitternachtsparty ein. Einziger Haken: „Du wirst natürlich tot sein müssen.“ So schimmert doch irgendwann eine Art existentielles Rückgrat des Buches durch. Wollte man das dingfest machen, würde es wohl in etwa lauten: Das Leben erfüllt sich höchstens, wenn wir davon träumen; es hat keinen Sinn, aber wir machen uns welchen.
Allerdings kleidet Aira keinerlei Botschaft in Worte. Davon will er so wenig wissen wie von voll ausgebildeten Charakteren. Sein eigentliches Thema ist die Literatur selbst, der faszinierende Vorgang der Wortbastelei unter Zuhilfenahme von Gedanken. Aira stellt das Klappern des Handwerks aus, feiert es geradezu. Schliche, Sprünge, Brüche, die man Creative-Writing-Absolventen rot anstreichen würde, haut Aira unbekümmert und bestimmt mit breitem Grinsen raus. Das gerade hat ihn in Lateinamerika zu einem Writer’s Writer gemacht, denn die Kollegen können hier so manches von dem genießen, was sie sich selbst immer wieder versagen müssen, der Stringenz und der Ordnung halber.
An einer Stelle des Buches, inmitten eines bizarren architekturtheoretischen Traums, hat Aira einen Schnörkel zur eigenen Poetik versteckt. Demnach bestehen, grob gesprochen, alle Künste aus Gebautem (den fertigen Werken) und Ungebautem (den nicht realisierten, nur erdachten Projekten). Im Gegensatz zu Film und Architektur darf die Literatur dabei als einzige Disziplin gelten, in der nichts „Ungetanes“ auf der Strecke bleiben muss, denn sie kann eine „im Augenblick Wirklichkeit werdende Kunst“ sein.
Man muss diese Einschätzung nicht teilen. Ohne Zweifel aber befeuert sie Airas Werk. Man sieht ihn förmlich vor sich, wie er – im Café, stets langsam und mit der Hand – an seinen Texten häkelt und dabei immer wieder einmal denkt: Tatsächlich, es funktioniert, Literatur!, hier entsteht sie, live und unter meinen Händen – wie gut, dass es sie gibt. Es ist nicht zuletzt dieses Glück des in die Literatur geretteten Autors, das César Airas Büchern eine ganz eigene Verve verleiht.
MERTEN WORTHMANN
CÉSAR AIRA: Gespenster. Roman. Aus dem Spanischen von Klaus Laabs. Ullstein Verlag, Berlin 2010. 169 Seiten, 18 Euro.
Der argentinische Autor César Aira
Foto:Ullstein Verlag
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.2010

Neujahrsspuk
César Aira erfindet die Gespenstergeschichte neu

Moderne Geister brauchen keine Laken. Bedeckt von einer Schicht Kalkstaub, schweben sie am Silvesterabend splitternackt vor den leeren Fenstern ohne Scheiben. Denn der Ort, durch den sie spuken, ist kein ruinöses Schloss, sondern der Rohbau eines Appartementhauses, das nicht termingerecht fertig wurde, weshalb es in dem Beton schon vor der Vollendung wie in einer geisterhaften Ruine aussieht. Auch die Gespenster sind keine fluchgeplagten blaublütigen Ahnen, sondern ungehobelte Bauarbeiter, die mit Freude ihr Totsein feiern.

Keine Frage, dass hier César Aira, der argentinische Großmeister ikonoklastischer Metaphern und Erzählformen, am Werk ist. An ihm, dessen Werk fünfzig disparate Romane umfasst, scheitert jede Klassifizierung. Bezaubernd und hintersinnig, stets auf dem Grat zwischen Poesie, Burleske und Ironie, bietet der "Gespenster"-Roman, zwanzig Jahre nach seinem Entstehen nun erstmals ins Deutsche übersetzt, die vielleicht ungewöhnlichste phantastische Literatur jüngeren Datums. Denn der Spuk ist Trug: In Airas Prosa finden sich die unspukigsten Geister in der Geschichte des altehrwürdigen Genres. Nicht einmal Oscar Wildes Gespenst von Canterville, das bei Aira einen intertextuellen Gastauftritt erhält, kann mit ihrer Unschrecklichkeit konkurrieren. "Mit diesen weit aufgerissenen Kulleraugen in ihren blöden Visagen" flößen die Gespenster den Bewohnern des Rohbaus - der Familie des chilenischen Bauarbeiters Raúl Viñas, die bis zur Fertigstellung im obersten Stockwerk einquartiert wurde - keine Angst ein.

Ungerührt von der sichtlichen Andersheit, behandeln die dem Großstadtmoloch Buenos Aires trotzenden Gastarbeiter die Wesen aus der anderen Welt so, als seien sie ganz normale Mitbewohner. Selbst wenn sie fliegen und durch Wände gehen, sind sie immer noch zugänglicher als die porteños, wie die schnöseligen Bauherren heißen, die vor Jahresende noch einen letzten Rundgang durch das unvollendete Gebäude machen.

Die armen Gespenster müssen sogar als Haushaltsgeräte herhalten. Da es auf der Baustelle keinen Kühlschrank gibt, steckt Viñas in der Hitze des argentinischen Sommers seine Weinflaschen für den Neujahrsrausch den Gespenstern in den Thorax. Das bringt den Fusel nicht nur rasch auf Trinktemperatur, sondern wird im Körper des Gespenstes zum Cabernet der Spitzenklasse veredelt. Auch die Kühlgeister planen eine Silvesterparty zur Geisterstunde. Dafür haben sie einen Gast auserkoren: Viñas' Tochter Patri. Zart und sensibel liefert sie den Kontrapunkt zum bizarren Bauarbeiterspuk - und verhilft dem Roman zur überraschenden Wendung. Als die Gespenster sie einladen, zeigt Patri sich keineswegs beeindruckt von der Teilnahmebedingung an der Gespensterparty: sich pünktlich zu Beginn des neuen Jahres vom Dach des Rohbaus in die Tiefe zu stürzen.

César Airas Gespenstermärchen der Marginalisierten in den Bauruinen des trügerischen Wirtschaftsbooms Anfang der neunziger Jahre bildet, jenseits implizitem Genrespiel und Gesellschaftssatire, eine Allegorie der menschlichen Existenz. Plötzlich den Handlungsfaden aufgebend, versteigt sich Aira immer wieder zu scheinbar abwegigen Exkursen, die in Wahrheit die Essenz seines Erzählens ausmachen. So mäandern wir durch die Geistesgeschichte der Geistergeschichte oder aber durch philosophische Reflexionen über die ideale Architektur.

Indem der Argentinier die eigenen Gedankenspiele erst auf die Ebene der "Traumzeit" australischer Aborigines hebt, um sie unter Berufung auf Lévi-Strauss' Anthropologie parodistisch unters Messer zu legen, gibt Aira seine eigenen Thesen dem Spott preis. Dennoch spricht aus dem metaphorischen Zusammenspiel von Gespenst und Gebäude eine Sehnsucht: nach einer Kunst, "bei der sich die Beschränkungen durch die Wirklichkeit auf ein Mindestmaß reduzieren, bei der Getanes und Ungetanes miteinander verschmelzen, eine im Augenblick Wirklichkeit werdende Kunst, ohne Gespenster." In seiner Sprache, die auf Deutsch in ebenbürtiger Weise brilliert, hat Aira diese Kunst für sich gefunden.

Die Konfrontation von barocken und humoristisch-strukturalistischen Reflexionen mit dem Alltagsdrama der chilenischen Bauarbeiterfamilie gelingt César Aira ein dichterisches Glanzstück. Der Roman erklärt, warum dieser Autor, der zuweilen als verschrobener Borges-Epigone gehandelt wurde, in den letzten Jahren zur Eminenz der argentinischen Literatur avanciert ist. Alltägliches und Phantastisches verbinden sich in seiner Prosa zu einem fremdartig schönen Ganzen. Auf diese Einheit zielt auch der Zielpunkt des Romans und sein verstecktes Credo: "Der Mensch und das Gespenst sahen sich in die Augen".

FLORIAN BORCHMEYER

César Aira: "Gespenster". Roman.

Aus dem Argentinischen von Klaus Laabs. Ullstein Verlag, Berlin 2010. 169 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Florian Borchmeyer ist der vor zwanzig Jahren entstandene und nun auf Deutsch vorliegende Roman "Gespenster" von Cesar Aira ein Meisterstück und dazu einer der originellsten fantastischen Romane der jüngeren Literatur. Der argentinische Autor lässt darin eine Gruppe von Gespenstern, allesamt verstorbene Bauarbeiter, in einem noch im Rohbau befindlichen Apartmenthaus spuken, in dessen oberstem Stockwerk der chilenische Bauleiter und seiner Familie wohnen, erfahren wir. Schon, dass diese Gespenster nichts Schreckliches an sich haben und die mit ihnen lebende Familie ganz selbstverständlich mit ihnen umgehe, macht sie für das Genre ungewöhnlich, konstatiert der Rezensent. Kontrastiert werde das skurrile alltägliche Zusammenleben von Gespenstern und Familie nicht nur von der sensiblen Tochter, die sich als Silvestergast der Gespenster um Mitternacht vom Rohbau stürzen soll, sondern durch immer wieder eingeschaltete Exkurse zur Gespenstergeschichte oder zur "idealen Architektur". Damit offenbart sich die Sehnsucht nach der Überschreitung von literarischen Grenzen, rühmt der Rezensent, und es entsteht ein "fremdartig schönes Ganzes".

© Perlentaucher Medien GmbH