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"Wolf Wondratscheks Erzählen ist Seelenarchäologie." Michael Kohtes, DIE ZEIT
"Früher begann der Tag mit einer Schusswunde" - mit dieser Sammlung kurzer Prosatexte schrieb Wolf Wondratschek sich in den Status eines Kultautors. Als radikaler, liebender, experimenteller Bohemien verfasste er Verse von lakonischer Eleganz. Sein neuer Roman "Selbstbild mit russischem Klavier" ist eine glühende Hommage an die Musik und die Freiheit der Kunst.
In einem Wiener Kaffeehaus lernt ein Schriftsteller den alten Russen Suvorin kennen. Suvorin war ein erfolgreicher Pianist, doch das ist lange her. Nun
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Produktbeschreibung
"Wolf Wondratscheks Erzählen ist Seelenarchäologie." Michael Kohtes, DIE ZEIT

"Früher begann der Tag mit einer Schusswunde" - mit dieser Sammlung kurzer Prosatexte schrieb Wolf Wondratschek sich in den Status eines Kultautors. Als radikaler, liebender, experimenteller Bohemien verfasste er Verse von lakonischer Eleganz. Sein neuer Roman "Selbstbild mit russischem Klavier" ist eine glühende Hommage an die Musik und die Freiheit der Kunst.

In einem Wiener Kaffeehaus lernt ein Schriftsteller den alten Russen Suvorin kennen. Suvorin war ein erfolgreicher Pianist, doch das ist lange her. Nun steht er am Ende seines Lebens, will seine Geschichte erzählen. Gebannt hört ihm der Schriftsteller zu, denn in Suvorins Schicksal spiegeln sich ein Wille, eine Energie, die ihm vertraut sind. Und immer geht es ums Ganze: um Freiheit und Rebellion, Schönheit und Verfall, um das von der Kunst geschaffene Unvergängliche. Schon bald bekommt die Begegnung der beiden Männer, die zunächst rein zufällig anmutet, etwas Schicksalhaftes. Ein Roman voll schweifender Sehnsucht, Romantik und echtem Leben aus der Feder eines der großen deutschsprachigen Gegenwartsautoren.
Autorenporträt
Wolf Wondratschek wuchs in Karlsruhe auf. Von 1962 bis 1967 studierte er Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie an den Universitäten in Heidelberg, Göttingen und Frankfurt am Main. Seit 1967 lebte er als freier Schriftsteller zunächst in München. In den Jahren 1970 und 1971 lehrte er als Gastdozent an der University of Warwick, Ende der 1980er-Jahre unternahm er ausgedehnte Reisen unter anderem in die USA und nach Mexiko. Er lebt seit 1996 in Wien.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

"Am Ende sind es Hotelzimmer, an die man sich erinnert, mehr als an Konzerte. Ein Koffer mit kaputtem Schloss. Der Eiffelturm im Nebel, da war zwei Tage nichts zu sehen. Und natürlich hat man es gewusst: Die Kunst kann nichts dafür, dass sie nichts kann." So spricht Suvorin, ein ehemaliger russischer Pianist, der in einem Wiener Kaffeehaus mit einem Schriftsteller Erinnerungen austauscht. Es geht um Liebe und Verlust, Erfolg und Scheitern, Vergänglichkeit und das Unvergängliche der Kunst. Wir lauschen dem Pianisten gebannt. Denn dessen Erfahrungen und Gedanken bringen auch unsere eigenen Saiten zum Klingen. Wolf Wondratschek, Kultautor der 70er- und 80er-Jahre - seine Romane wurden wie Popereignisse gefeiert, seine Gedichte, die Ullstein neu ediert, verkauften sich bis zu 300?000-mal -, ist mit "Selbstbild mit russischem Klavier" ein weises und bisweilen melancholisches Alterswerk gelungen. Ein Text wie ein impressionistisches Gemälde: Die Erzählung mäandert in einem Bewusstseinsstrom, wenn sich in den einen Gedanken andere einschleichen, Erinnerungsfetzen, Bruchstücke, Sentenzen. Und immer wieder gemeißelte Sätze, die innehalten und staunen lassen.

© BÜCHERmagazin, Christiane von Korff

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2018

Altern ist nichts für Feiglinge

Erst recht unter Pianisten nicht: "Selbstbild mit russischem Klavier", der neue Roman von Wolf Wondratschek, bietet viel mehr als nur eine Eigenbespiegelung des Autors.

Nun ist es heraus: "Es gibt nirgendwo so viele Dummköpfe wie unter Liebhabern der Musik. Ein Milieu, das einem zusetzen kann. Sie denken nur halbe Sachen." Wolf Wondratschek, der es ausplaudert in seinem neuen Roman "Selbstbild mit russischem Klavier", denkt wohl gewiss lieber ganze Sachen, schreibt aber, wie hier, zuweilen nur halbe auf, zu denen sich dann der Leser - wie es schon Johannes Brahms von seinen eigenen Briefen behauptete - die andere Hälfte dazudenken muss. Denn wer hier was denkt, sagt oder ergänzt, Wolf Wondratschek, der Pianist Juri Suvorin (halbwegs frei erfunden) oder der Cellist Heinrich Schiff (den gab es wirklich), das muss der Leser sowieso selbst herausfinden. Wenn er es denn schafft. Einfach ist das nicht, aber, das sei gleich dazugesagt, auch nicht anstrengend und schon gar nicht entscheidend. Wenn man einmal mitgerissen wurde und einen die Sympathie mit diesem erfahrungssatten, äußerst liebenswürdigen Buch erfasst hat, spielt das ohnehin keine Rolle mehr.

Von der ersten Seite des Romans an geraten nämlich Subjekt und Objekt des Erzählens ins Flimmern. Ein namenloses Ich trifft in einem Wiener Kaffeehaus unserer Tage den russischen Pianisten Juri Suvorin. Wer da aber über wen redet in den resignierten Satzfetzen, die durch den Fluss der Sprache treiben wie das Interieur eines unterspülten, eingestürzten Hauses, ob ich über ihn spricht oder er über sich als ich mit ihm, also dem Ich, das ihn im Kaffeehaus trifft, das ist in den Strudeln der Perspektivwechsel bald nicht mehr auszumachen.

Der Titel "Selbstbild mit russischem Klavier" legt nahe, dass Wondratschek in einem autofiktionalen Spiel auch über sich selbst schreibt. Am 14. August wurde er 75 Jahre alt. Über Suvorin erfahren wir, er sei beim Tod der rumänischen Pianistin Clara Haskil - also 1960 - fünfzehn Jahre alt gewesen, also Jahrgang 1945. Doch wenn schon auf der dritten Seite die Erinnerungen an das Idyll einer Kindheit in Russland enden mit dem Satz "Dann kamen die Deutschen", wird das Verhältnis von Figur und Geschichte so unscharf wie die Welt vor den Augen eines Kurzsichtigen, der die Brille absetzt.

Schlampigkeit des Schreibens ist das nicht, sondern Absicht, denn das Gleiten der Zeit in den Erzählungen des Alters wird hier ausdrücklich zum Thema: "So war das mit Suvorin. Mit ganz wenigen, sehr langsam gesprochenen Sätzen macht er Kinder erwachsen, aus einem Jungen wird ein Mann, aus dem Mädchen eine Frau, aus beiden etwas, das alle üblichen Mängel einer Liebesgeschichte aufweist."

Suvorin, der bei einem Verkehrsunfall erst kürzlich seine Frau verlor und dem nun langsam die Kontrolle über seine Wohnung wie über sein Leben entgleitet, wird als Russe vorgestellt mit allen Klischees, die man im Westen mit Russen so in Verbindung bringt: ihre Nähe zum Alkohol, ihr Heimweh im Ausland, ihre übergroße Liebe zur Musik. Aber Wondratschek, das merkt man bald, verfügt über Innenansichten des Milieus, die ihn vor Sentimentalität und Exhibitionismus lebensklug zurückschrecken lassen. Mit ebenso diskreter wie abgeschrammter Ironie schildert er sogar, wie sich ein russischer Komponist das Vorurteil einer reichen Deutschen, "Russen seien im Bett zu allem fähig", zunutze zu machen weiß.

Es sind zwei Männer gleichen Alters, die sich hier darüber unterhalten, dass früher alles besser war: gefährlicher, intensiver, vitaler, die Frauen schöner, die Kämpfe lohnender. Auch das kennt man von Wondratschek. "Früher begann der Tag mit einem KGB-Verhör" ließe sich allzu leicht über die Erzählungen Suvorins setzen, wenn er sich der Zumutungen des sowjetischen Geheimdienstes entsinnt. Und mit dem Verfasser des Romans, der sich dem Literaturbetrieb bereits soweit entzog, dass er das Manuskript zu "Selbstbildnis mit Ratte" exklusiv an den Investor Helmut Meier verkauft hat, teilt sein Geschöpf Suvorin die Lust an der Verweigerung. Der Pianist nämlich hörte auf, klassische Musik im Konzert zu spielen, weil er Applaus nicht leiden konnte.

Doch es sind auch die Zumutungen des Alters, denen sich Wondratschek hier stellt: der Verfall der Gesundheit und mit ihr jener der Würde, die Angst vor dem Mitleid und die Versuchung, diesen Verfall selbst abzukürzen. Dann ist es wieder die Sprache, die sich aus dem Andrang des Biologischen heraus in die Anmut des Spiels erhebt bei der Schilderung ärztlich verbotenen Kaffeegenusses: "Mein Herz liebt meine Dummheiten. Nicht alle, aber diese eine und ein paar andere, und verzeiht sie mir, wie ich hoffe. Noch immer schlägt es, ohne auszusetzen, seinen Takt." Hier wird die Syntax semantisch, denn die Parenthese "ohne auszusetzen" unterbricht mit einem Augenzwinkern die weitgehend parataktische Fügung der Sätze ausgerechnet dort, wo es um den Rhythmus eines kranken Herzens geht. Elliptisch wird dabei der Begriff umgangen, in welchem Musiktheorie und Kardiologie hätten zusammenfinden können: die Synkope.

Wondratscheks Verhältnis zur Musik ist eng, so eng, dass er - wie Brahms auch - kein Geschwätz darüber ertragen kann. Besonders den Cellisten Heinrich Schiff, der nach langer Krankheit am 23. Dezember 2016 starb, hat er gut gekannt, dessen Stradivari-Cello mit dem Buch "Mara" bereits 2003 ein Stück Literatur gewidmet. Schiff tritt gegen Ende dieses "Selbstbildes" eindrucksvoll auf: barock, ungeschlacht, gierig nach Leben, mit Krankheit geschlagen. Und in einer Konversation, die Schiff schweigend belächelt, äußert Suvorin seine Vermutungen, warum Beethoven, der das Cello liebte, kein Konzert für dieses Instrument geschrieben hat: "Aus Schüchternheit? Das habe ich mich oft gefragt. War Beethoven schüchtern? Keiner hängt, was er liebt, an die große Glocke. Beethoven, der sich als Komponist verausgabte, sich aber nicht hingibt. Wahre Liebe war Verzicht. Also kam so etwas Monumentales wie ein Cellokonzert nicht in Frage."

Die Antwort ist vermutlich viel pragmatischer, als so ein Liebhaber der Musik sich das denkt: Beethoven wird keinen passenden Solisten gehabt haben. Doch mag es auch nur halb gedacht sein, so ist es doch sehr schön gesagt. So schön wie das Porträt der Pianistin Elisabeth Leonskaja, das Wondratschek am Ende zeichnet: "Was für eine stattliche, beeindruckende Erscheinung sie noch immer ist, das steht fest, über welche Energie sie noch immer verfügt, wenn sie auftritt, nicht der geringste Verschleiß, und dann, das hatte ihm vor vierzig Jahren in Moskau schon gefallen, ihre Mähne, die sie bis heute hat und die sie so attraktiv erscheinen lässt. Sie scheint es nicht eilig zu haben, dem jungen Gemüse das Podium zu überlassen, und das ohne jeden unangebrachten Ehrgeiz. Sollen sie ihre Schönheitswettbewerbe unter sich ausmachen. Sie kämpft nicht, sie lässt, was sie tut, geschehen." Wer je das Glück hatte, Elisabeth Leonskaja zu hören, sie zu sehen, sie zu sprechen, ihre Hand zu halten, der weiß: Was Wondratschek schreibt, ist alles wahr.

JAN BRACHMANN

Wolf Wondratschek: "Selbstbild mit russischem Klavier". Roman.

Ullstein Verlag, Berlin 2018. 271 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.08.2018

Am Ende erwischt es einen doch
Hat hier jemand Kitsch gesagt? Wolf Wondratscheks
Roman „Selbstbild mit russischem Klavier“
VON JULIANE LIEBERT
Warum hat Beethoven kein Cellokonzert geschrieben? Weil er das Instrument zu sehr liebte natürlich. Auf diese Antwort kann nur ein Russe kommen, würde Suvorin sagen, ein alternder russischer Pianist, Kaffeehausbesucher, Alkoholliebhaber, Wassertrinker und beinahe so etwas wie der Protagonist von Wolf Wondratscheks „Selbstbild mit russischem Klavier“.
Beinahe, weil es so etwas wie einen Protagonisten in dem als „Roman“ bezeichneten Buch nicht wirklich gibt. Vordergründig unterhält sich ein Ich-Erzähler, meist standesgemäß in einem Wiener Kaffeehaus, mit Suvorin, der nach dem Unfalltod seiner Frau seine Karriere beendet hat. Er lebt zurückgezogen in einer zunehmend chaotischen Wohnung. Die Erzählung pendelt zwischen Plauderei und Bewusstseinsstrom. Manchmal ist sie szenisch, dann gerät sie zum Monolog, zuweilen wird sie fahrig, sprunghaft, produziert nur noch enigmatische Sentenzen und reiht Gedankenfetzen und Erinnerungsscherben aneinander. Die ergeben zwar irgendein Bild, aber schon während man die Seite umblättert, verliert es sich wieder im Nebel. Phasenweise weiß man nicht mehr, wer eigentlich spricht. Erzähler und Hauptfigur überlagern sich, um wenige Absätze später wieder klar voneinander getrennt zu sein.
Insofern ist der Titel angemessen vieldeutig. Wessen Selbstbild? Wondratscheks? Des Erzählers? Des Pianisten? Letzterer treibt sein Versteckspiel schon im Titel: Seinen Platz hat sein Instrument, das Klavier eingenommen, er selbst genießt vermutlich augenzwinkernd die Freiräume zwischen den Wörtern. Eine wirkliche Entwicklung findet in dem Roman nicht statt, auch wenn einiges aus Suvorins Leben berichtet wird.
Dafür wird wohldosiert verabreicht, was der Literaturbetrieb von seinem Lieblingsaußenseiter Wondratschek erwartet: empfindsame, melancholische Machos, kettenrauchende Loner, Künstleridiosynkrasien, Lausbubensehnsucht nach Schönheit. Sogar Marlon Brando wird erwähnt.
Dazu wird phrasenhaft über Musik geschwätzt: Bach spielen zur Hygiene, Sviatoslav Richters berüchtigte langsame Tempi. Es ist nicht leicht, über Musik zu sprechen, erst recht nicht über ihre intensivsten, abgründigsten Momente, ohne sich in ausgelutschten Metaphern zu verlieren oder ins Anekdotische abzugleiten. Aber wir haben es hier eben mit Literatur zu tun, nicht mit einer Dokumentation über einen russischen Konzertpianisten. Sie muss durch die Sprache beglaubigen, wovon sie spricht. Sie kann nicht das Klavier aufklappen und spielen. In Wörtern zu klingen ist ihre einzige Chance zu musizieren.
Andererseits: Ist diese Neigung zum zärtlichen Gelaber nicht integraler Bestandteil dessen, was Wondratscheks Texte erst anziehend macht? Lebt seine Literatur nicht davon, dass auch die Plattitüde bei ihm behütet wird, weil sie Ausdruck einer aufrichtigen Suche ist? Seit einem halben Jahrhundert ist Wondratschek nun der einsame Wolf (oh ja!) der deutschsprachigen Literatur. Nicht zuletzt sein hybrides Image zwischen Vulgarität und Hochkultur hält seinen Marktwert auf ansehnlichem Niveau. Gut bezahlt werden wollte er immer. Wenn man sich als Schönheitssehnsüchtiger schon prostituieren muss, um über die Runden zu kommen, dann wenigstens nicht zu billig. Als ihm die Angebote seines Verlags zu schlecht waren, hat er daher seinen letzten Roman exklusiv an einen Mäzen verkauft; bei einer Ausstellung in Berlin waren unlängst Gedichtunikate für rund 10 000 Euro das Stück zu haben.
Recht hat der Mann! Lieber schmutziger Sex mit dem Kapital als lebenslange Vernunftehe mit der staatlichen Kulturförderung. In Zeiten, da Schreibschulen fürs Business gerüstete Jungautor*innen am Fließband produzieren, ist es in jedem Fall tröstlich zu sehen, dass man auch vom Rande her dabei sein kann, abseits des üblichen Branchenringelpiezes sein Auskommen findet. Und sei es als Mythos (was ja nun wirklich ein Knochenjob ist).
Für besagte Ausstellung wurde einst auch eine Art Trailer produziert, den man sich im Internet anschauen kann. Darin läuft der alternde Wondratschek durch ein schwarz-weißes, pittoreskes Wien und erzählt, er stelle sich vor, wie nach seinem Tod etwas aufgefunden würde, das ihn in einem völlig neuen Licht zeigte, das die Öffentlichkeit zwänge, ihr Wondratschek-Bild zu revidieren. Eine entwaffnend kindliche, freundlich narzisstische Fantasie.
Und natürlich findet sich etwas davon auch in der Romanfigur Suvorin, der immer wieder mit dem Bild hadert, das sich das Publikum von ihm und seiner Kunst macht. Applaus verabscheut er, jedenfalls das besinnungslose Bravogerufe und Jubelgrölen. So weit, so künstlerkitschig. Aber nach dem Tod seiner Frau arbeitet er zur Selbsttherapie als Gehilfe in einer orthodoxen Kirche. Die einfache, ritualisierte Tätigkeit beruhigt und stabilisiert ihn. „Manchmal, nachdem er seine Arbeit verrichtet hatte, war die Kirche von Gesang erfüllt gewesen, mit den hellen und dunklen Stimmen des Chors, der hier seine Proben hielt. Sonst war es still, wie es auch nach den Aufführungen in der von seinen Landsleuten gefüllten Kirche still war. Es rührte sich keine Hand.“ Solche Bögen, solche unerwarteten motivischen Verknüpfungen erwischen einen dann doch. Nein, wer hier mit dem Kitschvorwurf hantiert, beginnt den Tag mit einer Schusswunde im eigenen Knie.
Wien ist eine Stadt der Friedhöfe. Also sind die Gespenster nicht weit, lebende wie tote. Und die Liebe liegt in der Leerstelle, in Beethovens Cellokonzert. Selbstverständlich stammt die Theorie von Suvorin. Er äußert sie im Roman gegenüber Heinrich Schiff, dem 2016 verstorbenen großen Cellisten, der in seinen letzten Jahren aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme keine Konzerte mehr geben konnte. Ein fiktiver Künstler spielt Billard mit einem Kollegen, der wirklich gelebt hat. Beide sind sie beschädigt.
Wondratschek hat über Schiff bereits in „Mara“ geschrieben, seinem Buch über das gleichnamige Stradivari-Cello. In „Selbstbild mit russischem Klavier“ lässt er ihn als Schmerzensmann auftreten. Herzensgut, rau im Umgang. Suvorins romantischen Spekulationen über Beethoven kann er wenig abgewinnen. Dennoch sind die Treffen der beiden von meditativer Harmonie. Manchmal werden Pralinen kredenzt. Der Cellist lässt die Kugeln klicken. Für einen Moment denkt man an John Wayne in „The Shootist“.
Schiff war der Heldentod auf offener Bühne nicht vergönnt. Aber auch John Waynes Film-Charakter stirbt nicht glamourös. Erst recht nicht der damals bereits todkranke Schauspieler. Es ist die Würde des gebrochenen, untröstlichen Menschen, die berührt. Wer jemals Salingers „Fänger im Roggen“ gelesen hat, wird ein Wort nie vergessen, das eigentlich nur unzulänglich als „falsch“ übersetzt werden kann: phony. Wondratscheks Roman ist sicher vieles, phony ist er – durch all seine Klischees hindurch – nicht.
Phasenweise weiß man nicht,
wer eigentlich spricht, Erzähler
und Figur verschwimmen
Wer hier Kitsch sagt, beginnt
den Tag mit einer
Schusswunde im eigenen Knie
Bei einer Ausstellung in Berlin bot Wolf Wondratschek unlängst Gedicht-Unikate à 10 000 Euro an.
Foto: Regina Schmeken
Wolf Wondratschek: „Selbstbild mit
russischem Klavier“. Ullstein Verlag,
Berlin 2018. 272 Seiten,
22 Euro.
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