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Nicht der europäische Kriegsschauplatz steht im Fokus von Friedrichs Betrachtung, sondern die östliche Hemisphäre, wo Russland, China und Japan, England, Holland und Frankreich, Indien, Indonesien und die USA zwischen Boxeraufstand und Koreakrieg einen Dauerfeldzug um Hegemonie führten. Dort ging es nicht um Schurken und Befreier, sondern um angemaßte Fremdherrschaft und die Auflehnung dagegen. Niemand hielt den Westen für den Heilsbringer. Vielmehr stellt sich aus dieser Perspektive das Kriegsgeschehen in Europa als blinde Selbstzerfleischung einer im Niedergang begriffenen Zivilisation dar,…mehr

Produktbeschreibung
Nicht der europäische Kriegsschauplatz steht im Fokus von Friedrichs Betrachtung, sondern die östliche Hemisphäre, wo Russland, China und Japan, England, Holland und Frankreich, Indien, Indonesien und die USA zwischen Boxeraufstand und Koreakrieg einen Dauerfeldzug um Hegemonie führten. Dort ging es nicht um Schurken und Befreier, sondern um angemaßte Fremdherrschaft und die Auflehnung dagegen. Niemand hielt den Westen für den Heilsbringer. Vielmehr stellt sich aus dieser Perspektive das Kriegsgeschehen in Europa als blinde Selbstzerfleischung einer im Niedergang begriffenen Zivilisation dar, der mit ihren Genoziden und Despotien, ihrem Kolonial- und Rassendünkel, aber auch mit ihren ausgefeilten Massenvernichtungstechniken die Kontrolle über sich und den Rest der Menschheit entgleitet, materiell wie moralisch. Nach seinem spektakulären Bestseller "Der Brand" legt Jörg Friedrich sein neues großes Buch vor, das unseren Blick auf das 20. Jahrhundert verändern wird.
Autorenporträt
Jörg Friedrich, geb. 1944 in Kitzbühel/Tirol, hat in Standardwerken der Zeitgeschichtsschreibung die Staats- und Kriegsverbrechen des Nationalsozialismus erforscht. Er hat an der 'Enzyklopädie des Holocaust' mitgewirkt, zahlreiche Fernsehsendungen über die Kriminologie des Land- und Luftkriegs produziert und für sein Schaffen internationale Auszeichnungen erhalten. Friedrich lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2008

Von Totmachern und Ersttätern
Jörg Friedrich bietet nichts Neues über den Korea-Krieg, bleibt aber wenigstens seinem Erzählstil treu

Der Korea-Krieg begann im Morgengrauen des 25. Juni 1950 mit dem Angriff der nordkoreanischen Kommunisten auf den Süden. Er dauerte drei Jahre und kostete Millionen Menschen das Leben - unter ihnen 37 000 Amerikaner. Der Konflikt wurde zum "Wendepunkt des Kalten Krieges", wie der amerikanische Präsident Harry S. Truman es formulierte, mehrmals geriet die Welt an den Rand eines Atomkrieges. In den Vereinigten Staaten wurde der Krieg schon bald zum "vergessenen Krieg", an den man sich lange Zeit nicht wirklich erinnerte. Er stand zwischen dem "guten" Zweiten Weltkrieg und dem "schlechten" Vietnam-Krieg, und an die beiden erinnerte man sich.

Das hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Es gibt nicht nur seit 1995 das "Korean War Veterans' Memorial" in Washington, sondern auch Ausstellungen, Fernsehserien, seit 1991 auch Konferenzen mit russischen Zeitzeugen sowie zahlreiche Arbeiten von Historikern in den Vereinigten Staaten, die nach dem Ende des Kalten Krieges Möglichkeiten nutzen konnten, um Dokumente in Peking und Moskau einzusehen. Trotz seiner Bedeutung für Deutschland war der Korea-Krieg auch hier lange Zeit ein vergessener Krieg. Das hat sich auch geändert: Es gibt Fernsehdokumentationen und eine erste Gesamtdarstellung in deutscher Sprache und zahlreiche Arbeiten über den Kalten Krieg insgesamt.

Nun also nach seinen erfolgreichen Büchern "Der Brand" und "Brandstätten" ein neuer "Friedrich", der uns über den Kalten Krieg, Atomdiplomatie und den Korea-Krieg aufklären will. Wenn Hans-Ulrich Wehler im Klappentext des Buches mit dem Satz zitiert wird, Friedrich gebühre "die Anerkennung des Vorreiters", so liegt er damit ziemlich daneben, genauso wie der frühere General Gerd Schmückle, der an gleicher Stelle meint, die Zeitenwende an den asiatischen Kriegsschauplätzen sollte "auch einmal den deutschen Geschichtshorizont erreichen". Dieser Horizont ist längst erreicht. Und wenn Schmückle weiter meint, Friedrichs "Erzählkunst" tauche die Vergangenheit "in ein neues klares Licht", so liegt er auch da völlig falsch. Friedrich erzählt in diesem Buch absolut nichts Neues, kein neues Dokument, kein neues Argument, keine neue Frage, wenig Licht. Er schlachtet die reichlich vorhandene Literatur allerdings weidlich aus und macht daraus "Erzählkunst".

Dazu einige Kostproben: "Der Herr hat sein Wort gehalten, die Stadt wurde Wüste. Nur die Heiden lebten weiter und zeugten sich fort und fort. Babylon war kein Ort, sondern eine Metapher." Dresden ist "verfeuert" worden; Jörg Friedrich fragt: "Vermochte es die Atombombe, den Blitz der gerechten Sache in das gottverlassene Babel zu schleudern, auch ohne dass es Millionen eigene Söhne und Töchter das Leben kostete?" Den "Traum der Pax Americana weckte ein Knall am ganz entgegengesetzten Ende der Hölle". Die "Linie vom Können zum Wollen wird irgendwann überschritten werden. Eine Fristverlängerung ist das letzte Erbarmen, das die Welt für sich übrig hat." Der Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki ist ein politisches Signal, vor dem "erschrecken die Jahrhunderte". Die Macht in China wechselt "so unbeirrt wie die Jahreszeiten". Oder, auch sehr schön: "Die Litaneien der Rache waren so unerschöpflich wie zuvor die Pein. Sie saß tief, weil dies Volk noch eine Erinnerung von Himmelshöhe in sich trug. In der natürlichen Ordnung war es der Nabel des Universums. An dessen Außenrand siedelten die Barbaren, die über die Meere gedrungen waren und eine verkehrte Welt geschaffen hatten. Das Fremde war mächtig, das Selbst war wehrlos dagegen." Oder: "Der Volkskrieg des Lagers war das Geäder eines Corpus, der außerdem Muskulatur, Schnelligkeit und Waffenkunde brauchte."

Die Berge sind bei Friedrich nicht einfach 2000 Meter hoch, nein, sie "wölben sich 2000 Meter hoch". Dem nordkoreanischen Führer Kim "ward ein erster Sohn geboren". Kim und der Südkoreaner Rhee "waren beide stiebende Funken ohne Scheu vor dem Pulverfass". Und auf Seite 226 erfahren wir, dass der GI Robert Roy Geburtstag gehabt hatte, er war "neunzehn Jahre geworden, am 5. Juli 1950, halb neun Uhr morgens". Das zu wissen ist schon wichtig. Und über den Guerrillakrieger heißt es: "Dieser Feind sitzt in allen Ritzen, so unsichtbar wie Gas." Und als Mao, "die Schlacht von seinem Bette lenkend", keine Information über den Kriegsverlauf erhält, teilt uns Friedrich das so mit: "In China entbehrte Vorsitzender Mao zwei Wochen lang aller Kunde erster Hand über den Krieg an seiner Grenze." Oder, auch sehr blumenreich: "Der Abend verging emsig. Boote mit Dolmetschern und Journalisten schaukelten planlos im rotglühenden Schein von Wolmido, und auch vor Einbruch der Dämmerung war wenig zu sehen, weil der gelbe Qualm des Deckungsfeuers das Becken füllte."

Mit dem Eingreifen der Chinesen in den Krieg Ende November 1950 beginnt "ein ganz neuer Krieg", wie der amerikanische Oberbefehlshaber, General Douglas MacArthur, nach Washington meldet. Der CIA war entgangen, dass 200 000 Chinesen unbemerkt den Grenzfluss Yalu überschritten hatten. Bei Friedrich waren sie "nächtlich, wie Jesus auf den Wogen wandelnd, nach Korea geschlüpft". Und "wer die feindliche Röhre verlängert, verkürzt die eigene". Oder, noch toller, Folgendes: "Niupitang ist ein klebriges Zuckerwerk aus Maos Heimatprovinz Hunan. Da es sich um eine lange Stange handelt, muss sie aufgeschnitten und Stück für Stück verzehrt werden. Jeder Bissen trägt die Stange ab wie den Krieg. Ist er völlig verzehrt, hat man gewonnen. Man muss nur bei der Stange bleiben." Und General MacArthur "rückt mit Jupiterstimme die Maße zurecht" und droht "zerschmetternden Zorn" an. Selbst simpelste Dinge werden im Friedrich-Stil umformuliert: Der sowjetische Geheimdienstchef Beria wird nicht einfach erschossen, nein, er "verstarb an einer Kugel im Kopf". Stalin stirbt zwar auch bei Friedrich am 5. März 1953, aber anders: bei ihm "verließ er die Welt". Wie schön! Und weiter: "Das Licht der Völker erloschen, die eisernen Fäuste der Mumie nun einwärts gefaltet." Und endlich ist Frieden: "Die Maske der Feindschaft blätterte hinweg", et cetera, et cetera.

Wer so etwas mag, wird im wahrsten Sinne des Wortes wirklich gut bedient. Der Rezensent kann dieser Art von "Kunst" leider gar nichts abgewinnen. Friedrich sei, wie es im Klappentext heißt, bekannt für "unorthodoxe Fragen an die Geschichte" und wage "einen neuen, verstörenden Einblick" auf das dramatische Jahrzehnt 1945 bis 1955. Von all dem lässt sich bei mühsamster Lektüre nichts finden, weder unorthodoxe Fragen noch den neuen, verstörenden Blick. Für den "Brand" mag das vielleicht so gewesen sein, in diesem Buch findet es nicht statt. Man erfährt auch nichts über die globalen Auswirkungen des Korea-Krieges.

Was bleibt? Im ersten Teil auf 186 Seiten eine kurze Überblicksgeschichte des Kalten Krieges von 1945 bis 1950, alles längst bekannt. Dann folgt eine detaillierte Geschichte des Korea-Krieges auf 300 Seiten - alles in dem obengenannten verquirlt-verquasten Stil. Ganz überzeugt scheint selbst Friedrich davon nicht zu sein, denn an vielen Stellen gibt es - wie erfrischend - englische Originalzitate (die dann am Schluss des Buches übersetzt werden). Bei manchen Wertungen liegt Friedrich richtig, wenn er zum Beispiel Stalin einen "Verbrecher" nennt. Stalin stehen aber gleich die "erfahrendsten Totmacher der Welt" gegenüber, die amerikanischen Marines; und Truman ist natürlich "der nukleare Ersttäter". Das sind schon erstaunliche Formulierungen.

Für die Jahre 1953 bis 1955 bleiben gerade mal noch 30 Seiten. Eine etwas merkwürdige Einteilung. Man hat den Eindruck, daß Friedrich nicht genau wusste, wo er aufhören sollte. Wenn schon nukleares Weltuntergangsszenario, dann doch mindestens bis zur Kuba-Krise 1962. Und manches, was wir lesen, ist schlicht und einfach falsch, etwa wenn Friedrich den britischen Außenministers Ernest Bevin gleich dreimal an den Atomgesprächen zwischen Premierminister Clement Attlee und Truman im Dezember 1950 in Washington teilnehmen lässt. Bevin hat nicht teilgenommen, er war zu der Zeit in London. Ähnlich die Information über Eisenhower. Der war zwar vieles, aber nicht, wie Friedrich meint, Vorsitzender der amerikanischen Vereinigten Stabschefs. So etwas weiß man, wenn man sich mit diesen Dingen wissenschaftlich beschäftigt hat. An einer Stelle schreibt Friedrich: "Jeder ist, wie er ist, nur weil der andere so ist, wie er ist." So ist es! Ein ärgerliches Buch. Eine Fortsetzung ist angekündigt. Auf "Yalu" soll demnächst "Hemisphären" folgen. Es kann nur besser werden.

ROLF STEININGER

Jörg Friedrich: Yalu. An den Ufern des dritten Weltkriegs. Propyläen Verlag, Berlin 2007. 624 S., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.12.2007

Krieg im Überall
„Yalu”: Jörg Friedrich hat die Apokalypse nach Korea verlegt
1950, als die zwei Weltmächte mit Stellvertreterkriegen noch wenig Übung hatten, erkundigte sich der nordkoreanische Diktator Kim Il Sung beim großen Genossen Stalin, ob der etwas dagegen habe, wenn er in Südkorea einmarschiere: Kim wollte das gespaltene Land unter dem kommunistischen Banner vereinigen. Stalin stimmte zu, verwies den Koreaner aber an Mao Zedong: Der müsse sein Plazet geben. Das tat der dann auch.
Syngman Rhee, Südkoreas Präsident, ein Gewaltherrscher und Antikommunist, war in den USA gut gelitten. Im Juni 1950 berief Washington den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein. Zu der Zeit schmollte Stalin: Die UN hatten Taiwan anerkannt, nicht aber die Volksrepublik China. Gegen den Rat des damaligen UN-Attachés und späteren Außenministers Andrei Gromyko verfügte Stalin, dass der sowjetische Gesandte nicht an der UN-Sitzung teilnahm. Da die Sowjetunion also ihr Veto nicht einlegen konnte, beschloss der Sicherheitsrat, dass die UN gegen Kim Il Sungs Invasion zu Felde ziehe.
Der Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen, die von anderen Einheiten unterstützt wurden, war General Douglas MacArthur, der die Invasoren aus Nordkorea nicht bloß zurückschlagen, sondern bei der Gelegenheit auch in „Rotchina” aufräumen wollte. MacArthur, im Zweiten Weltkrieg zur Legende geworden, legte es auf einen Krieg gegen China an und forderte den Einsatz von Atombomben. Präsident Truman hatte nicht die Absicht, als Befehlshaber in einem Dritten Weltkrieg Geschichte zu machen. Aber seine Gegner auf Seiten der Republikaner warfen ihm Hasenherzigkeit vor. Um das zu kontern, schloss Truman den Einsatz von Atombomben im Koreakrieg nicht aus. Die Welt war alarmiert. Wäre Stalin kriegslüstern gewesen, hätte Truman kaum vermeiden können, seine Drohungen wahrzumachen, und sei es nur aus innenpolitischen Gründen. Doch der Kreml-Führer ließ keinen Zweifel daran, dass er sich in den Krieg nicht einmischen wollte.
Die Grenze zwischen Nordkorea und China wird durch den Fluss Yalu markiert. Während MacArthur davon träumte, über den Yalu hinweg in China einzufallen, waren Maos „Bauernsoldaten” schon längst und größtenteils heimlich zu Zigtausenden in Nordkorea angekommen: Die kommunistischen Soldaten, darunter viele Freiwillige, waren fähig, diszipliniert und entschlossen. Nicht wenige liefen barfuß, weil sie auf den langen Märschen ihre schlechten Schuhe zertreten hatten. Sie fielen den US-Truppen in den Rücken.
Die UN-Soldaten erlitten im Koreakrieg große Verluste, die oftmals auf das Konto der Selbstherrlichkeit amerikanischer Befehlshaber gingen. Noch viel mehr Tote gab es auf Seiten der Chinesen, das war aber nicht einem Versagen der Führung anzulasten, sondern ausdrücklich ihr Plan: Mao hatte keine avancierten Waffen, aber dafür umso mehr Leute. Hundert tote Soldaten, so sein Kalkül, würden von tausend anderen ersetzt werden. Das Ergebnis des Krieges stellte niemanden zufrieden: Alles blieb wie gehabt. Nord- und Südkorea sind nach wie vor am 38. Breitengrad geteilt.
Jeder Aspekt des Koreakrieges, der von 1950 bis 1953 dauerte und heute von der Erinnerung an den Vietnamkrieg in den Schatten gestellt wird, ist faszinierend schrecklich: MacArthurs militärische Hybris, Trumans innenpolitische Kalamitäten, Stalins Schlauheit, Maos menschenverachtende Kaltblütigkeit. Auch militärhistorisch gesehen ist der Krieg darstellenswert. Viele Bücher sind darüber veröffentlicht worden, die besten auf Englisch. Man kann diese Geschichte immer wieder schreiben. Obwohl Jörg Friedrich bei seinen Recherchen keine neuen Erkenntnisse gewann, hätte sein Buch interessant werden können. Wenn Friedrichs Name in dieser Besprechung erst jetzt fällt, so liegt es daran, dass „Yalu” nicht verständlich macht, was in dem Krieg vor sich ging.
Friedrich will nicht erzählen, was sich zugetragen hat, sondern – so wie er es auch schon in „Der Brand”, seinem Bestseller über die Bombardements der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs,getan hat – die Apokalypse evozieren. Diesmal anhand der Atombombe. Er beginnt mit Hiroshima und Nagasaki, erwähnt die Berlin-Blockade 1948/49 und kommt dann zum Koreakrieg. Luftstreitkräfte bezeichnet er als „himmlische Heerscharen”. Atombomben nennt er „biblische Vernichtungsplagen”. Über die Geschichte schreibt er: „Im Gewirr der Gegenwart verleiht sie Richtung wie die Gleichnisse Jesu.” Entsprechend auslegungsbedürftig ist sein Buch. Da wird so viel geraunt, dass der Leser kaum erkennt, was eigentlich Friedrichs Standpunkt ist. Offenbar ist er gegen Stalin.
Der sowjetische Totalitarismus, schreibt er, gehöre, „einer Gattung an, welche die Menschheit begleitet wie die Erbsünde”. Und: „Der Zusammenhang seiner europäischen und asiatischen Flanken war für Stalin als Weltrevolutionär und Russen der tägliche Blick aus dem Fenster.” 1950 hatte Stalin die Idee der Weltrevolution schon seit vielen Jahren ad acta gelegt. Er hatte für sich die Welt in Einflusssphären aufgeteilt: Hier der Westen unter der Führung der USA, dort die Sowjetunion und in Ostasien Mao, den Stalin zu dominieren trachtete. Welchen „Zusammenhang” soll er also erblickt haben, wenn er auf den Roten Platz schaute? Jörg Friedrich erklärt es nicht. Dass Truman den Einsatz der Atomwaffen offiziell nicht ausschloss, weil er sich gegen seine innenpolitischen Gegner behaupten musste, wird in dem Buch völlig ausgeblendet. Historische Hintergründe will Friedrich nicht darstellen. Täte er es, müsste er zugeben, dass sein apokalyptisches Szenario vor den Fakten nicht standhält. In erster Linie interessiert es ihn denn auch nicht, was er sagt, sondern wie er es sagt. Er verlegt sich – wie in seinen früheren Büchern – auf einen pseudo-symbolistischen Tonfall.
Die Sprache des Autors erinnert freilich mehr an den Trainer Trapattoni als an Stefan George. Viele Sätze sind der reine Nonsens. Im besonderen wird das Verständnis des Textes dadurch erschwert, dass Friedrich Abstrakta zum Subjekt seiner Sätze macht. Über den Ausbruch des Koreakrieges sagt er: „Das Unheil hatte sich Wochen zuvor angekündigt, aber nicht vorgestellt.” Ja, da hat das Unheil Mangel an Kinderstube gezeigt. Auch findet er: „Die Expansion in Scheiben muss die Schwelle erkennen, wo der Krieg wartet.” Darf man fragen, auf welche Militärakademie die „Expansion in Scheiben” gegangen ist?
Über atomar bewaffnete Trägerraketen schreibt Friedrich: „Das Problem war das gleiche, die Ausschaltung der Ferne, die den USA einst eine Welt für sich geschenkt hatte. Durch die Rakete entstand eine sozusagen parallele Raumordnung der Erde, das Überall.” Man kann nur rätseln, was der Autor damit sagen will. Interkontinentalraketen gab es im übrigen erst seit den sechziger Jahren. Bizarr ist auch Friedrichs Kommentar über den koreanischen Bodenkrieg: „Auf die Geographie der Linie kam es aber nicht an, sondern auf ihre Psychologie.” Wäre der Krieg weniger blutig verlaufen, wenn „die Linie” therapeutische Hilfe erhalten hätte? Letztlich hätte das – Friedrich zufolge - auch nichts genützt. Denn: „Jeder Krach in Reichweite der Bombe ist ernst; der Krieger muss sie suchen, sonst fühlt er sich unerwachsen.”
„Der Krieger”, „die Bombe”, „das Unheil”: Nicht historische Akteure, sondern überzeitliche Gewalten sind Friedrichs Protagonisten. Über Maos Bauern-armee, die sich aus bitterarmen Menschen rekrutierte, heißt es: „Dem Lager der Getretenen öffnete sich ein Lager der Rächer. Es wurde vom Vorsitzenden dirigiert wie ein Chor.” Diese flapsige Art, einen Krieg zu beschreiben, zieht sich durch das ganze Buch. Friedrich schreibt: „Soldaten sind junge Leute, die sich beim Sterben zumindest amüsieren wollen.” Andernorts redet er vom „Waffenhandwerk”, das im Koreakrieg „denunziert” wurde. Adolf Hitler bezeichnet er als „überspannt”.
Am Ende gibt der Autor indirekt zu, dass Truman einen Atomkrieg vermeiden wollte. Das liest sich bei ihm so: „Trumans Hohltransporte sind anbetrachts seines Realvermögens ein Stirnrunzeln gewesen und machten Eindruck nur im eigenen, toderschrockenen Lager.”
Nicht toderschrocken, sondern enerviert stellt der Leser fest, dass dies Buch auch ein „Hohltransport” ist. Ein zweiter Band ist bereits angekündigt. FRANZISKA AUGSTEIN
JÖRG FRIEDRICH: Yalu. An den Ufern des dritten Weltkriegs. Propyläen Verlag, Berlin 2007. 624 Seiten, 24,90 Euro.
Nach „Der Brand” widmet Jörg Friedrich sich jetzt der Atombombe
Nicht historische Akteure, sondern überzeitliche Gewalten wirken hier
November 1950: US-Marines überqueren den Fluss Yalu. Foto: Bettmann/Corbis
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Für den reinsten "Hohltransport" hält Franziska Augstein dieses Buch Jörg Friedrichs über den Koreakrieg, der ihrer Ansicht nach ein "faszinierend schreckliches" Kapitel in der Geschichte des 20. Jahrhunderts war. Viel hätte der Autor also aus seinem Sujet machen können, aus der militärischen Hybris des Oberkommandierenden MacArthur sowie "Trumans innenpolitischen Kalamitäten, Stalins Schlauheit, Maos menschenverachtender Kaltblütigkeit". Doch Friedrich macht es nicht. Wie die Rezensentin feststellt, will er nicht erzählen, nicht erklären, sondern nur apokalyptische Bilder "evozieren". Doch nicht einmal dies gelinge ihm, seine Sprache erinnere mehr an Trappatoni als an Stefan George, spottet die Rezensentin, die neben anderen vermurksten Sätzen auch diesen aus Friedrichs Buch zitiert: "Die Expansion in Scheiben muss die Schwelle erkennen, wo der Krieg wartet."

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