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'Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, hatte Gerhart Hauptmann den Zenit seines Schriftstellerlebens längst überschritten. Sein naturalistisches Drama "Die Weber" war bereits 1892 erschienen, 1912 hatte er den Literaturnobelpreis erhalten. Doch sein Ruhm war ungebrochen. Thomas Mann nannte ihn den ungekrönten "König der Weimarer Republik", zu seinem 70. Geburtstag 1932 erhielt er höchste Ehrungen, im Ausland galt er als Repräsentant der deutschen Literatur schlechthin. So war der Goebbelssche Propagandaapparat von Anfang an bemüht, Hauptmann im Land zu halten und für seine…mehr

Produktbeschreibung
'Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, hatte Gerhart Hauptmann den Zenit seines Schriftstellerlebens längst überschritten. Sein naturalistisches Drama "Die Weber" war bereits 1892 erschienen, 1912 hatte er den Literaturnobelpreis erhalten. Doch sein Ruhm war ungebrochen. Thomas Mann nannte ihn den ungekrönten "König der Weimarer Republik", zu seinem 70. Geburtstag 1932 erhielt er höchste Ehrungen, im Ausland galt er als Repräsentant der deutschen Literatur schlechthin. So war der Goebbelssche Propagandaapparat von Anfang an bemüht, Hauptmann im Land zu halten und für seine Zwecke zu nutzen. Zwar gab es für einige Werke Aufführungs- oder Nachdruckverbot, aber der 80. Geburtstag des Dichters wurde mit nationalsozialistischem Pomp begangen. Umgekehrt war auch Hauptmanns Verhältnis zu den Nazis keineswegs eindeutig, sondern oszillierte zwischen Distanz und Empfänglichkeit für deren Avancen. So ist seine Rolle im Dritten Reich bis heute umstritten.
Der Literaturwissenschaftler Peter Sprengel ist ausgewiesener Hauptmann-Kenner. Erstmals hat er den Briefnachlass und die privaten Aufzeichnungen Hauptmanns sowie die Tagebücher von dessen Ehefrau Margarete ausgewertet. Eingehend befasst er sich mit dem zunehmend mystisch-mythischen Weltbild und Werk des alternden Dichters. Aber auch das Umfeld, seine Freunde und Gegner, seine Kontakte zu Vertretern des neuen Regimes, seine Reisen und Kuraufenthalte werden beleuchtet, so dass ein umfassendes Bild dieser letzten Lebensphase entsteht, die mit Hauptmanns Tod 1946 im polnisch besetzten Schlesien endet.
Autorenporträt
Sprengel, Peter
Peter Sprengel, geboren 1949 in Berlin, ist Literatur- und Theaterwissenschaftler. Nach Stationen an den Universitäten Erlangen und Kiel lehrt er seit 1990 Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Mitherausgeber der Tagebücher Gerhart Hauptmanns. Zahlreiche Publikationen zur deutschen Literaturgeschichte, darunter ein hochgelobtes zweibändiges Werk »Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1870?1918«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2009

Schauspieler mögen mich zu Grabe tragen

Ein Opportunist, der seine Kritik für sich behielt, und ein Autor auf der Suche nach Selbstbestimmung: Peter Sprengels aufschlussreiche Studie über den späten Gerhart Hauptmann.

Zwei Fragen sind es, die den Ruf des Dichterfürsten und Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann bis heute beeinträchtigen: War er ein Kollaborateur aus Opportunismus? Und: Hat er seine jüdischen Freunde verraten? So sieht es der Literatur- und Theaterwissenschaftler Peter Sprengel von der Freien Universität Berlin. In seinem so gehaltvollen wie spannend zu lesenden Buch "Der Dichter stand auf hoher Küste - Gerhart Hauptmann im Dritten Reich" untersucht der Hauptmann-Kenner und Mitherausgeber von dessen Tagebüchern einerseits die Überschneidungen von Literatur und Politik in Deutschland während des NS-Regimes, andererseits die letzten Lebens- und Schaffensjahre des Mitte 1946 verstorbenen Autors.

Die Konstellation: Ein Künstler von Weltruhm sieht sich im Alter plötzlich mit agilen neuen Machthabern konfrontiert, die sein Denken, Urteilen und Handeln indes kaum zu beeinflussen vermögen. Gleichwohl wird Hauptmann gezwungen, zu den radikal veränderten Verhältnissen und zu seinem eigenen Status als ungekrönter "König der Republik", wie ihn Thomas Mann 1922 scherzhaft bezeichnete, Position zu beziehen. Wie er dies tat, schildert Sprengel in seiner chronologisch aufgebauten Studie auf drei Ebenen: die der expliziten Begeisterung für das neue Regime, die der latenten Übereinstimmung in geistiger Hinsicht bei Hauptmann wie in weiten Teilen der Gesellschaft mit dem, was die Nationalsozialisten propagierten, sowie der ebenfalls vorhandenen dezidierten Ablehnung all dessen, wofür der Nationalsozialismus stand.

Außer Zweifel steht indes die unmittelbare Faszination, die Hauptmann angesichts des Auftretens, der Absichten und der vaterländischen Agitation der Nationalsozialisten verspürt, etwa wenn er begeistert Hitler am Radiogerät lauscht und dessen Rhetorik bewundert. 1940 spricht er sogar von "Adolf Hitlers Weltgenie" als geschichtsbildender Kraft. Beglückt gab er sich patriotischen Hochgefühlen hin, zumal nach dem "Anschluss" Österreichs 1938, den er auch in der Presse begrüßte. Auch den Kriegseintritt Italiens vermochte er als "den allergrößten Augenblick der neueren Weltgeschichte" zu feiern.

Festzuhalten ist aber trotz des Handschlags mit Hitler an Hauptmanns einundsiebzigstem Geburtstag 1933 in der Berliner Philharmonie oder dem häuslichen Abendessen beim Ehepaar Goebbels 1942, dass der Dichter den Nationalsozialisten immer einigermaßen suspekt blieb: weder Bündnis- noch Parteigenosse.

Daneben existieren, wie Sprengel anhand von Tagebucheintragungen, literarischen Skizzen und Spuren in den vollendeten Werken umfassend zeigt, im Denken Hauptmanns wie seiner Zeitgenossen Elemente und Strömungen, die sich in der nationalsozialistischen Ideologie komprimieren und dort erst ihr folgenreiches aggressives Potential entfalten. Zwar lehnt er Oswald Spengler, einen der "Modephilosophen des Nationalsozialismus" (Sprengel), kategorisch ab: "Ich bin keineswegs der Ansicht von Herrn Spengler, dass der Mensch ein Raubtier sei, sondern ich bin nach wie vor der Ansicht, er ist ein Mensch", befindet er im Vorwort zu "Die goldene Harfe". In ebendiesem Schauspiel freilich wird dann bei der Rückkehr nach einer Auslandsreise eine sehr bodenständige Naturemphase wach, denn "jeder Grashalm spricht deutsch, jeder Grashalm ist eine deutsche Zunge". So schleicht sich, Sprengel zufolge, "eine patriotisch-nationale Motivik ein", die der Karriere von Hauptmanns späteren Stücken im "Dritten Reich" förderlich war. Andererseits wurde etwa sein früher Erfolg "Die Weber" von den Bühnen verbannt. Andere Texte passte der Theaterpraktiker ungeniert an die Wertvorstellungen der neuen Herrscher an und war so nicht aus dem Geschäft zu verdrängen: Neben dem gewiss politisch-ästhetischen Opportunismus weiß der erfahrene Bühnenprofi laut Sprengel, "dass Theater nun einmal für das Hier und Jetzt gemacht wird und sich in der unmittelbaren Gegenwart behaupten muss". Deshalb sind ihm die Darsteller das Wichtigste. Im Gedicht "Testament" von 1935 wünscht er sich: "Schauspieler mögen mich zu Grabe tragen."

Im Übrigen hält sich Hauptmann nicht ungeschickt das allgemeine Tagesgeschehen vom Leib und sieht sich als alter Dichter "auf hoher Küste", entrückt dem Zeitgeist mit seinen Moden - ganz anders als der dreizehn Jahre jüngere Thomas Mann, der sich in der Emigration politisch artikuliert und - Nobelpreisträger auch er - seine Reputation explizit gegen Nazi-Deutschland einsetzt.

Jenseits seines offiziellen Einverständnisses mit den nationalsozialistischen Machthabern manifestiert sich hingegen der durchaus systemkritische Schriftsteller, der den Machtwechsel 1933 - wie viele andere - zuerst nicht recht ernst nimmt ("eine Art Kirmesprügelei"), bald allerdings genauer hinblickt und etwa in Tagebucheintragungen die Nürnberger Rassengesetze und das Sexualverhalten der "Arierhengste" entschieden angreift. "Im Gestus eines anarchischen Individualismus" (Sprengel) bleibt Hauptmann im Lande, verweigert sich indes jeder Mitgliedschaft und lässt sich von den Nazis, wenn auch nicht völlig, so aber doch gelegentlich instrumentalisieren. Sie lassen ihn wie zur Entschädigung in Ruhe - er verkneift sich öffentliche Äußerungen gegen sie. Seine herausragende Stellung nutzt Hauptmann jedenfalls zu keinem "J'accuse". Nicht zur Publikation bestimmte Texte, private Aufzeichnungen und Despektierlichkeiten, die er seiner geliebten Hans-Wurst-Marionettenpuppe mit Knittelversen in den Mund legt, sind alles, was er sich klammheimlich an Widerspruch erlaubt. Alfred Kerr, einer seiner ersten Unterstützer, hatte ihn wegen dieser Passivität schon 1933 vehement attackiert. Hauptmann hielt sich sogar dann bedeckt, wenn es um die eigene Familie ging. Als seine Schwiegertochter, die jüdische Geigerin Eva, 1935 mit Berufsverbot belegt wurde, empörte er sich nur halbherzig.

Mit überragender Material- und Faktenfülle, dabei nie trocken oder akademisch eitel, bringt Peter Sprengel das Objekt seiner Forschung dem Leser sachlich und kompetent als Subjekt nahe, indem er Gerhart Hauptmann ein hohes Maß an historischer Gerechtigkeit widerfahren lässt. Klar und klug analysiert er Hauptmanns Umfeld, die Lektüre, die Ausflüge und Reisen, Begegnungen, Anregungen, Verliebtheiten. Und wie dann der schließlich verzweifelt verteidigte Elfenbeinturm endgültig einstürzte. Das Ehepaar Hauptmann war nämlich in der Nähe, als Dresden im Februar 1945 verheerend bombardiert wurde. Im Grunde brach mit dieser Stadt, die Hauptmann seit jeher als inspirierenden Jungbrunnen geschätzt hatte, sein intellektuelles wie humanistisches Universum zusammen. Danach verschlug es ihm im wahrsten Sinn des Wortes die Sprache: Er hörte auf, Literatur zu schreiben.

War Gerhart Hauptmann also ein Jasager zu jedem Regime? Rundweg abstreiten kann man es nach dieser Lektüre nicht. Er war aber auch ein unbedingter Künstler in der Spätphase seines Lebens und Schaffens, der frei sein wollte, sich seine Prioritäten letztlich nur selbst zu setzen: "Es gibt ganz wenige produktive Wahrheiten, aber umso mehr produktive Lügen und Irrtümer."

IRENE BAZINGER

Peter Sprengel: "Der Dichter stand auf hoher Küste". Gerhart Hauptmann im Dritten Reich. Propyläen Verlag, Berlin 2009. 368 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

War Gerhart Hauptmann ein politischer Opportunist? Für Irene Bazinger geht der Berliner Germanist und Hauptmann-Kenner Peter Sprengel dieser Frage in seiner chronologisch angelegten Studie mit der nötigen Sachkenntnis und Differenziertheit nach. Und spannend, nicht akademisch, ist es auch, was Bazinger hier über Hauptmanns Haltung zum NS-Regime zwischen Ablehnung und Faszination erfährt. So deckt der Autor in Hauptmanns Tagebüchern, Skizzen und Werken Strömungen auf, ("patriotisch-nationale Motivik"), die sich in der Nazi-Ideologie wiederfinden. Andererseits präsentiert er Hauptmann als nach Unabhängigkeit strebenden und durchaus systemkritischen Künstler, wie Bazinger erklärt. Auch Hauptmanns Umfeld weiß Sprengel der Rezensentin eindringlich nahe zu bringen mittels Material- und Faktenfülle und mit einem "hohen Maß an historischer Gerechtigkeit".

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