Marktplatzangebote
19 Angebote ab € 4,20 €
  • Gebundenes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Propyläen
  • Seitenzahl: 349
  • Abmessung: 32mm x 145mm x 220mm
  • Gewicht: 584g
  • ISBN-13: 9783549071267
  • ISBN-10: 3549071264
  • Artikelnr.: 24050608
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.08.2000

Der Enthüller stellt sich bloß
Bogdan Musial sucht nach einer Mitschuld der Juden, die im besetzten Polen ermordet wurden
BOGDAN MUSIAL: Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen. Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941, Propyläen, Berlin 2000. 240 Seiten, 44 Mark.
Falsche Bildunterschriften haben Bogdan Musial bekannt gemacht. Der deutsch-polnische Historiker entdeckte in der Wehrmachtausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung fehlerhafte Erläuterungen, fand Fotos, die in Wahrheit nicht deutsche, sondern sowjetische Verbrechen dokumentieren. Die Ausstellung wurde suspendiert. Musial erntete Applaus. Auch von ganz weit rechts. Das fand er damals „bitter”.
Auch an Bitterkeit kann man Geschmack finden. Musials neues Buch „Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen. Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941” wird rechten Zeitgenossen erst recht gefallen. Die Studie werfe, so verspricht es der Verlag, „neues Licht” auf die Anfänge des Holocaust. Tatsächlich wird wenig mehr sichtbar als Musials bedenkliche Gedankenwelt. Der Enthüller stellt sich bloß.
Die Beute wird gesichert
Bogdan Musial behauptet, die deutschen Gräuel nach dem Überfall auf die UdSSR im Juni 1941 seien eine Reaktion auf sowjetische Untaten gewesen, er sieht hier gar eine der Wurzeln des Holocaust. Der am Deutschen Historischen Institut in Warschau beschäftigte Wissenschaftler geht noch weiter: Letztlich schiebt er den Juden indirekt eine Mitschuld an ihrer eigenen Vernichtung durch die Nazis zu.
Seine Belege sucht Musial im Ostpolen zur Zeit der sowjetischen Besatzung vom September 1939 bis zum Juni 1941 und in der Phase unmittelbar nach dem Einmarsch der Deutschen. Es war, darauf weist Musial zu Recht hin, „ein rückständiges und unterentwickeltes Gebiet, wo die sozialen und vor allem ethnischen Spannungen besonders stark waren”. Ideale Voraussetzungen für die neuen sowjetischen Machthaber also, die Herrschaft in ihrem Teil der Beute des Molotow-Ribbentrop-Paktes zu sichern.
Stalin tat, was er gewohnt war: Er spielte die verschiedenen Nationalitäten gegeneinander aus. Das war nicht schwer, denn Polen (40 Prozent), Ukrainer (34), Weißrussen (8,5) und Juden (8) lebten in der Region auch vor der Zerschlagung Polens nicht in Harmonie. Erste Opfer der stalinistischen Politik waren naturgemäß die Polen als Träger des auszuradierenden Staates. Viele Angehörige anderer Volksgruppen traf es aber nicht minder hart. Feinde ihres Arbeiterparadieses witterten die Sowjets überall. Hunderttausende wurden deportiert, Zehntausende eingekerkert.
Auch Juden zählten zu Stalins Opfern. Musial unterschlägt das nicht, stellt es aber als Ausnahme hin. Dabei war der Anteil der von den Sowjets deportierten Juden proportional höher als der deportierter polnischer Katholiken. In den Augen der nichtjüdischen Bevölkerung seien Juden „als Helfershelfer der Sowjets und sogar als Täter” erschienen, schreibt Musial – ein entscheidendes Glied in einer verworrenen Kette, die er schmiedet. Zunächst wirft Musial einen scheinbar nüchtern-skeptischen Blick auf damals herrschende Stereotypen. Aber nur, um sich ihrer sogleich umso beflissener zu bedienen. Antijüdische Emotionen hätten, schreibt er, aus dem Verhalten resultiert, „das nicht wenige Juden gegenüber Nichtjuden an den Tag legten ”.
Musial leugnet den tief verwurzelten polnischen oder ukrainischen Antisemitismus nicht, versucht ihn aber zu trennen vom angeblich zum großen Teil selbst verschuldeten Judenhass während der sowjetischen Besatzung. Die Belege hierfür verlieren sich im Nebulösen. „Unbestreitbar aber ist, dass relativ viele Milizangehörige, NKWD-Informanten und Denunzianten, die sich aktiv und zumeist freiwillig an sowjetischen Verbrechen beteiligten, jüdischer Herkunft waren”, postuliert Musial. Und: „Tatsache ist, dass im sowjetischen Staats-, Verwaltungs und Wirtschaftsapparat relativ viele Juden tätig waren. ” Oft formuliert Musial so ungenau. Denn anders wäre die Tangente vom Judenhass in Polen zum Holocaust schwer zu schlagen.
Ausführlich schildert Musial die sowjetischen Verbrechen in den ersten Tagen nach dem deutschen Angriff. Weil eine Evakuierung der Gefängnisinsassen meist nicht mehr möglich ist, kommt es zum staatlich organisierten Massenmord. Nach Musials Schätzungen finden so 20 000 bis 30 000 Menschen kurz vor dem Eintreffen der Wehrmacht den Tod. Wenig später werden Leichenberge entdeckt, in aufgeheizter Atmosphäre machen die Nicht-Juden die Juden verantwortlich, Pogrom-Stimmung entsteht. Das Morden beginnt.
Ein Zutun der Deutschen sei anfangs gar nicht nötig gewesen, argumentiert Musial. Eine These, die angesichts der Pogrom-Tradition in der Region nicht von der Hand zu weisen ist. Umso fragwürdiger aber sind die Schlüsse, die Musial zieht. Danach waren es erst die vorgefundenen sowjetischen Gräueltaten, welche die deutschen Soldaten brutalisierten, der NS-Propaganda Munition lieferten und die Vergeltungsaktionen provozierten, mit denen die Nazis die Schwelle zum Holocaust überschritten. Mehr noch: Die Propagandafigur vom jüdisch-bolschewistischen Feind sei für die deutschen Soldaten erst im Ostpolen des Jahres 1941 wirklich lebendig geworden. Zudem seien ja die Juden nun tatsächlich zu einer physischen Gefahr geworden – zu Partisanen „aus dem Hinterhalt”. Kurzum: „Damit war aus deutscher Sicht dringender Handlungsbedarf gegeben”.
Musial weiß sich auf dünnem Eis. Deshalb tritt er unsicher auf, stellt die eigentlich zwingende Gegenfrage nicht: Hätte es also – ganz im Sinne Ernst Noltes – ohne sowjetische Verbrechen (an denen ja Juden, wie Musial betont, beteiligt waren) keinen Holocaust gegeben? Musial schätzt Fragen in dieser Klarheit nicht. Er argumentiert verklausuliert, seine eigenen Thesen unentwegt relativierend und ihnen nicht selten widersprechend. „Für den Autor steht fest”, schreibt Musial, „dass der Krieg gegen die UdSSR von den Nationalsozialisten von vornherein als Eroberungs, Versklavungs- und Vernichtungskrieg geplant war. ” Zwei Absätze später findet derselbe Autor dann, dass „ein Zusammenhang zwischen der Brutalisierung der Kriegsführung und den sowjetischen Verbrechen im Sommer 1941” besteht. Was soll das heißen? Dass die Deutschen ihren „Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg” ganz ritterlich geführt hätten, hätten sich nur die Sowjets nicht so abscheulich benommen?
Nazis im Vordergrund
In der Auseinandersetzung um die Wehrmacht-Ausstellung hat sich Musial einen Namen als Streiter für wissenschaftliche Korrektheit gemacht. Er ist Autor einer Studie über die Judenverfolgung im besetzten Polen. Was hat ihn auf Abwege geführt? Die Antwort gibt der frühere Solidarnosc-Aktivist selbst. In „der kollektiven Erinnerung stehen nach wie vor die NS-Vergangenheit und die NS-Verbrechen im Vordergrund”, klagt er in seiner Einleitung. Dass auch sowjetischen Kommunisten Verbrechen begingen, werde kaum wahrgenommen. Es hätte gereicht, wenn Musial die Untaten der Kommunisten in Ostpolen dokumentiert hätte. Aber er zog es vor, auch ihnen eine Mitschuld am Holocaust zu geben. Herausgekommen ist daher ein fatales Werk mit sorgfältigen Bildunterschriften.
DANIEL BRÖSSLER
„Furchtbare Ankläger gegen den Bolschewismus,” lautete die Bildlegende der Nazis zu diesem Foto. Es zeigt Einwohner von Lemberg, die nach ihren Toten suchen. Sie wurden vermutlich von den Sowjets ermordet.
Foto: SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2000

Verscharrt und aufgestapelt
Stalinistische und nationalsozialistische Verbrechen

Bogdan Musial: "Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen". Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941. Propyläen Verlag, Berlin 2000. 351 Seiten, 16 Seiten Abbildungen, 44,- Mark.

In den letzten Junitagen des Jahres 1941 gerieten die meisten Städte und größeren Ortschaften in den westlichen Grenzgebieten der Sowjetunion in einen Strudel von Mord und Gewalt. Nach dem deutschen Überfall versuchten die sowjetischen Machthaber, die politischen Häftlinge ins Landesinnere zu schaffen, um den Deutschen diese potentiellen Kollaborateure zu entziehen. Dies scheiterte vielerorts an Transportproblemen, Zeitnot und dem allgemeinen Durcheinander. Daher begannen die Einheiten des sowjetischen Innenministeriums (NKWD) auf Befehl Berijas, die "konterrevolutionären" Gefängnisinsassen durch Genickschüsse oder mit Maschinengewehren und Handgranaten zu töten.

Die abziehenden Sowjets hinterließen der entsetzten Bevölkerung und der einrückenden Wehrmacht Zehntausende Leichen: Ukrainer, Polen, Weißrussen, Litauer, Balten und Juden, in den Gefängnishöfen verscharrt, in Zellen und Kellern aufgestapelt. Dieses stalinistische Massenverbrechen wurde von der deutschen Propaganda, aber auch von einheimischen Nationalisten sofort gegen den "jüdischen Bolschewismus" ausgeschlachtet. Zuweilen wurden die Leichen noch zusätzlich verstümmelt, um das Entsetzen zu steigern.

Die Juden mußten als Sündenböcke herhalten und fanden in zahllosen Pogromen zu Tausenden den Tod, was deutscherseits teils geduldet, teils gefördert, teils verhindert wurde. Die dritte Mordwelle innerhalb weniger Tage kam mit den Einsatzgruppen, den schrecklichen Vorboten des Holocaust, die "zur Vergeltung" in vielen Orten massenhaft jüdische Männer erschossen.

Die NKWD-Verbrechen vom Sommer 1941 sowie die Reaktionen der nichtjüdischen Bevölkerung und der deutschen Eroberer sind das Thema des Buches von Bogdan Musial. Der Historiker hatte der "Wehrmachtsausstellung" im vergangenen Jahr die peinliche Verwechslung von NKWD-Opfern und NS-Opfern nachweisen können, ein spektakuläres Nebenprodukt seiner Arbeit. Musial beschränkt sich auf das ehemalige, 1939 von den Sowjets annektierte Ostpolen, also auf westweißrussische und vor allem westukrainische Gebiete. Allein hier kosteten die Morde in Gefängnissen, Arreststuben und auf Todesmärschen bis zu 30 000 Häftlingen das Leben. Nicht viel weniger Opfer forderten die antijüdischen Pogrome dieser Tage. Die Darstellung stützt sich auf vielfältiges Quellenmaterial deutscher, sowjetischer, polnischer, ukrainischer und jüdischer Herkunft.

Die Sprachkompetenz des Autors ermöglicht die Beleuchtung der Vorgänge aus verschiedenen Blickwinkeln und erschließt dem deutschen Leser die Ergebnisse der polnischen und ukrainischen Forschung. Sein Buch ist die erste deutschsprachige Monographie zu einem Thema, das im Westen zuvor in einigen Spezialstudien bestenfalls am Rande behandelt wurde. Er verdeutlicht, wie interessant es sein kann, den Blick gewissermaßen auch auf die andere Seite des Bugs zu richten und die Wechselwirkungen von stalinistischen und nationalsozialistischen Verbrechen zu untersuchen. Das hat nichts mit Geschichtsphilosophie à la Ernst Nolte zu tun, sondern beschäftigt sich mit konkreten Ereignissen und Fakten.

Die NKWD-Verbrechen

Trotz der Anregungen und Impulse, die von diesem Buch ausgehen können, birgt es einige Probleme. Musials Darstellung bleibt in vielem zu holzschnittartig, mißverständlich und widersprüchlich. Dafür seien drei Beispiele genannt.

Musial beschreibt eingehend die ethnischen und sozialen Spannungen im ehemaligen Ostpolen, die durch den sowjetischen Terror der Jahre 1939 bis 1941 noch wesentlich verschärft wurden. Das Wüten der Besatzungsmacht traf zunächst vor allem die Polen, dann die Ukrainer, kostete aber auch Tausenden Juden das Leben. Die Sowjets bedienten sich dabei der Hilfe von Kollaborateuren aus allen Volksgruppen.

Musial behauptet nun, daß während der sowjetischen Schreckensherrschaft der jüdische Teil der Mittäter relativ größer, der jüdische Teil der Opfer relativ geringer gewesen sei als der polnische und ukrainische. Diese Behauptung hat gute Gründe, doch irritiert die Beharrlichkeit, mit der Musial dieses Argument immer wieder und teilweise recht pauschal wiederholt. Daß sich der antisowjetische Haß dann vor allem gegen die jüdische Bevölkerung entlud, erhält scheinbar eine gewisse Legitimation. Ältere antisemitische Ressentiments und die gezielte Steuerung der Pogrome von deutscher und nationalukrainischer Seite werden dagegen unterschätzt.

Die wichtigste These Musials ist, daß die deutsche Konfrontation mit den NKWD-Verbrechen wesentlich zur Brutalisierung des Krieges beigetragen habe. Schon der Titel suggeriert einseitig diesen Zusammenhang. Tatsächlich verbreitete sich die propagandistisch aufgebauschte Nachricht von diesen Verbrechen wie ein Lauffeuer und schien die bereits vorher geschürten Vorurteile gegen die "jüdisch-bolschewistische Bedrohung" zu bestätigen. Auch die von Musial erwähnten Exzesse von Rotarmisten gegen gefangene und verwundete deutsche Soldaten sowie die erbitterte Kampfweise führten dazu, daß man die rücksichtslose deutsche Kriegführung als gerechtfertigt ansah.

Die Grundlage war schon durch die verbrecherischen deutschen Befehle und Planungen vor dem 22. Juni gelegt worden. Gefangene Kommissare der Roten Armee wurden vom ersten Tag an ermordet, der plötzliche Überfall war an sich ein Akt unerhörter Brutalität. Daß sich die Grausamkeiten dieses Krieges zweier totalitärer Staaten noch steigerten, war ein komplizierter, natürlich beidseitiger Prozeß, für den die Erklärungsmuster Musials allein nicht ausreichen. Sein Fazit, "daß die sowjetischen Verbrechen im Sommer 1941 die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges nach sich zogen", ist zu einseitig, auch wenn sein Zusatz, diese Entwicklung sei von den Nazis von vornherein geplant und gewollt gewesen, die Aussage wieder relativiert. Das merkwürdige Gegeneinander von pauschalen Thesen und entschärfenden, einschränkenden Passagen ist überhaupt ein Charakteristikum des Buches.

Ein Vorwand für Pogrome

Die Ankündigung des Klappentextes, durch Musials Arbeit würden "die immer noch umstrittenen Anfänge des Holocaust" in neuem Licht erscheinen, wird nicht erfüllt. Die überzeugenden Argumente gegen einen allgemeinen "Judentötungsbefehl" zu Beginn des Ostfeldzugs sind ebensowenig neu wie die Erkenntnis, daß die Einsatzgruppen die sowjetischen Massaker zu "Vergeltungsmaßnahmen" nutzten. In den antijüdischen Aktionen vor allem reaktives Verhalten zu sehen geht entschieden zu weit. Die NKWD-Morde lieferten den Pogromen einen Vorwand und beschleunigten die Durchführung der NS-Verbrechen, lösten sie aber nicht aus.

Heydrich hatte höchstwahrscheinlich am 17. Juni 1941, also vor Kriegsbeginn, den Einsatzgruppenchefs befohlen, die "jüdische Intelligenz" zu ermorden und "Selbstreinigungsbestrebungen antikommunistischer und antijüdischer Kreise" auszunutzen. Auf die engen Beziehungen von Wehrmacht und SS zur ukrainischen Miliz, die maßgeblich für die Pogrome verantwortlich war, geht Musial nicht näher ein.

Der deutsch-sowjetische Krieg war zusammen mit dem Holocaust die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Die deutsche Seite entfachte den Krieg und beging den Judenmord. Zur Wirklichkeit des Krieges gehörte auch das Verhalten der sowjetischen Gegenseite, das ebenfalls von einem verbrecherischen Regime geprägt wurde. Der Zusammenstoß zweier mörderischer Ideologien dynamisierte den Prozeß des Vernichtungskrieges und Völkermordes. Bisher war das Augenmerk fast ausschließlich auf die deutschen Verbrechen gerichtet. Der Historiker muß sich jedoch nach und nach einem Gesamtbild nähern, das alle Beteiligten umfaßt. Bei dieser Aufgabe droht ihm der Vorwurf, das Ungeheuerliche der deutschen Verbrechen zu relativieren und rechtsextremen Kreisen in die Hände zu spielen. Das ist sein Dilemma. Dagegen hilft nur eine differenzierte und nüchterne Darstellung, die dem Leser einiges abverlangt und sich nicht zur populären Vermarktung eignet. Dies ist Musial nicht durchgehend gelungen. Sein Verdienst bleibt aber, daß er sowohl auf ein fast vergessenes Kapitel des Zweiten Weltkriegs als auch auf die Schwierigkeiten seiner Vermittlung aufmerksam gemacht hat: ein wichtiges, ein problematisches Buch, ein Anfang, aber nur ein Anfang.

JOHANNES HÜRTER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Mit sehr gemischten Gefühlen hat Wolfram Wette das Buch des polnischen Historikers gelesen, durch den die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialgeschichte dazumal ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war. Nachdem er durch seine Entdeckung falsch zugeordneter Fotos prominent geworden war, wurde seine Dissertation über "Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement" hierzulande aufmerksam und in der Regel positiv aufgenommen. Deren "Solidität" jedoch, so Wette, ist in dem neuen Buch nicht erreicht worden. Vielmehr sind besonders die Schlussfolgerungen "leichtfertig und provozierend geschrieben". Thematisch geht es um die Zusammenschau der Vorgänge während der sowjetischen Besatzung in Ostpolen, den Deportationen Hunderttausender von Weißrussen, Ukrainern, Polen und Juden, das dadurch brutal gestörte empfindliche soziale Gefüge und die sich teilweise daraus ergebenden Racheakte nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht. Obgleich Musial sich durchaus auf die erst seit kurzem verfügbaren Dokumenten sowjetischer Verbrechen stützt, schlägt sein "spezifisch polnischer Antisowjetismus", so Witte, immer wieder durch. Die heikle Verbindung von Juden und Sowjets, die beispielsweise sowohl nationalistischen Ukrainern als auch der SS nach dem Rückzug der Sowjets zum Anlass hasserfüllten Mordens wurde, wird bei Musial nicht wirklich sauber herausgearbeitet, findet Wette. Vielmehr lässt er sich, trotz anderslautender Erklärungen, immer wieder ein auf Schuldzuschreibungen an die Opfer selbst. Damit gerät er in die Nähe der Thesen der (von Wette nicht ausdrücklich genannten) deutschen Historiker wie Nolte et. al., die einer Reaktion der Wehrmacht auf die Verbrechen der Kommunisten das Wort redeten (und vor Jahren damit den "Historikerstreit" entfachten). Das Fazit des Rezensenten: der Autor hat mit dieser Untersuchung riskiert, "jenen gefährlichen Geschichtsdeutern in die Hände" zu spielen, "die den zweiten Weltkrieg und den Holocaust als Reaktion auf bolschewistische Verbrechen sehen wollen".

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr