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Wie kam es dazu, dass sich das Christentum in der von Rom dominierten antiken Welt so gut verbreiten und sinnstiftend wirken konnte? Der Autor untersucht als Religionswissenschaftler die zeitgenössischen religiösen Sinnangebote (Kaiserkult, Magie, Zauber, Mysterien, Gnosis), die sämtlich auf religiöse Beheimatung (des unbehausten Menschen) aus sind und sich nach Ziel und Inhalt gar nicht so sehr von ihren postmodernen Neuauflagen unterscheiden. Und so zeigt der Blick in die antike Welt zugleich die Unbehaustheit unserer eigenen neoliberalen, globalisierten Lebenswelt mit ihren wuchernden…mehr

Produktbeschreibung
Wie kam es dazu, dass sich das Christentum in der von Rom dominierten antiken Welt so gut verbreiten und sinnstiftend wirken konnte? Der Autor untersucht als Religionswissenschaftler die zeitgenössischen religiösen Sinnangebote (Kaiserkult, Magie, Zauber, Mysterien, Gnosis), die sämtlich auf religiöse Beheimatung (des unbehausten Menschen) aus sind und sich nach Ziel und Inhalt gar nicht so sehr von ihren postmodernen Neuauflagen unterscheiden. Und so zeigt der Blick in die antike Welt zugleich die Unbehaustheit unserer eigenen neoliberalen, globalisierten Lebenswelt mit ihren wuchernden Gärten psycho-sozialer und spiritueller Sehnsüchte und ihren religiösen Therapieversuchen.
Autorenporträt
Hans-Peter Hasenfratz, geb. 1938, war von 1985 bis 2003 Professor für Theologie der Religionsgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum, Veröffentlichungen über Christentum, den sozialen Tod, Seele und Seelenvorstellungen, die religiöse Welt der Germanen u.v.a.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2005

Scharenweise in die ewige Hütte
Zwei Bände bestaunen die Unwahrscheinlichkeit des Christentums

Die Verteidiger des humanistischen Bildungsideals sehen die abendländische Kultur gerne auf den beiden "Säulen" der antiken und der christlichen Tradition aufruhen. Diese Säulenthese ist plausibel, weil die Geschichte Europas in der Tat ohne eine angemessene Berücksichtigung der kulturellen Leistung der klassischen Antike wie der Kirche nicht zu verstehen wäre. Allerdings hat sie sich auch Kritik zugezogen, weil das Bild ein schiedlich-friedliches Miteinander oder gar ein symbiotisches Verhältnis zum Wohle der Kultur und Zivilisation suggeriert, das es in dieser Einfachheit nie gegeben hat. Tatsächlich ist das Christentum ebenso Produkt wie Gegner der antiken Philosophie, Kunst und Literatur gewesen und hat die Antike in einem allmählichen Prozeß, der zivilisatorisch mit Gewinnen wie Verlusten zu Buche geschlagen hat, grundlegend verändert.

Das Erstaunliche daran ist, daß eine unbedeutende Provinzialreligion, die der pagane Philosoph Kelsos im zweiten Jahrhundert als einen Kult der "Textilarbeiter, Schuster und Walker" verspottete, zu diesem zivilisatorischen Kraftakt in der Lage gewesen ist. Die Historiker haben sich bereits in der Antike mit der Frage beschäftigt, welche Faktoren und Konstellationen hierfür namhaft zu machen sind, wobei man christlicherseits oft allzu eilig die göttliche Providenz bemühte.

Die Debatte ist auch in der Gegenwart nicht abgerissen, wurde in den letzten Jahren aber vor allem im angelsächsischen und frankophonen Raum geführt, während sich die deutschsprachige Wissenschaft mit großräumigeren Deutungsversuchen auffällig zurückhielt. Dies scheint sich nun zu wandeln. Zwei neue Essays deutscher Gelehrter rücken dem Problem auf den Leib: Hans-Peter Hasenfratz, emeritierter Religionshistoriker in Bochum, zieht den durch Hans E. Holthusen in der Literaturwissenschaft populär gemachten Begriff der "Unbehaustheit" als Schlüsselkategorie heran, um zu erklären, unter welchen "sozio-religiösen Gegebenheiten" das Christentum im römischen Weltreich entstand und warum es "zur ,number one' unter den Sinnlieferanten der Zeit aufzusteigen vermochte". Hasenfratz beschreibt die Überlebensstrategien, die die Umwelt der durch mancherlei politische und soziale Umwälzungen fröstelnd im Freien stehenden Seele des antiken Menschen angeboten habe. Das Christentum seinerseits habe diese unterschiedlichen "religiösen Wege aus der Unbehaustheit" - Hasenfratz behandelt besonders Kaiserkult, Magie, Zauber, Mysterienfrömmigkeit und Gnosis - "einheimisch gemacht, indigenisiert" und sei so zur ",neuen Heimat' für alle Unbehausten im ehemals heidnischen Römischen Reich" geworden. Hasenfratz bietet also eine weitere Variante der Theorie von der religiösen Krise, in die die Kultur der ausgehenden Antike geraten sei und die sich das Christentum mit letztlich geschickt geklauten Sinnstiftungsangeboten zunutze gemacht habe.

Nun ist aber die Existenz von Zauberei und Magie, deren Spielarten der Verfasser lustvoll vorführt, per se noch kein Krisenzeichen, und die Karriere der Mysterienreligionen in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten ist eher ein Signal für die zunehmende Mobilität der mediterranen Gesellschaften und konterkariert in gewisser Weise Hasenfratz' These von der Unbehaustheit des antiken Menschen: Der Häuser gab es viele, allein, warum drängte spätestens seit dem vierten Jahrhundert das Volk in Scharen in die "ewigen Hütten" der Christen? Die Adaption antiker Vorstellungen, die Hasenfratz bei dem antiken Christentum registriert (eine spätestens seit den Arbeiten der religionsgeschichtlichen Schule durchaus geläufige Einsicht), reicht als Erklärung allein dafür kaum aus. Vielmehr hätte man erkunden müssen, welche Modifikationen sich bei diesem "Bildungsraub" vollzogen, inwiefern diese Modifikationen im Rahmen des spätantiken Plausibilitätshorizontes zur religiösen Überlegenheit gegenüber den "Altgläubigen" führten und wo eben auch Brüche und Inkompatibilitäten namhaft zu machen sind. Es ist ein in seiner Eindimensionalität seltsam antiquiertes Bild von Geschichte, das uns der Verfasser hier bietet, und dazu paßt auch gut, daß er weite Teile der neueren Forschung zum Thema ausblendet.

Dies ist ganz anders in dem Essay von Christoph Markschies. Der nun in Berlin lehrende Kirchenhistoriker möchte sich fast in jedem Satz gegen den Verdacht einer monokausalen Deutung absichern. Dank seiner bewundernswerten Belesenheit sammelt Markschies die Früchte der Forschung seit Richard Rothe ein und versucht sie mit etwas atemloser Behendigkeit auf wenigen Seiten mit einer Vielzahl anderer Disziplinen - von der Religionssoziologie bis zur Hirnforschung - ins Gespräch zu bringen. Markschies wendet sich ausdrücklich gegen die von Hasenfratz erneuerte Krisenthese und macht statt dessen gleich ein ganzes "Netz von Begründungen" für das Überleben des Christentums namhaft: Die charismatisch begabten Märtyrer und Missionare, Mönche und Bischöfe hinterließen einen starken persönlichen Eindruck. Sie arbeiteten mit einer Art Doppelstrategie: Mit einer einfachen Lehre wandten sie sich an einfache Leute und sprachen dem einzelnen einen Wert zu, den dieser in der paganen Gesellschaft oft vergeblich suchte. Diese Individualisierung zeigt sich nicht zuletzt auch in Taufe und Buße in der Vergebung von persönlicher Schuld. Gleichzeitig bildeten die Christen eine komplexe Theologie aus, mit der sie im intellektuellen Diskurs der Zeit, der in erster Linie durch den Platonismus bestimmt war, bestehen konnten.

Mit Beispielen wie der Forderung nach einem Verbot der Abtreibung und der Prostitution, der rechtlichen Begrenzung der Vergeltung und dem asketischen Leben illustriert Markschies einmal mehr die bereits von Henry Chadwick vertretene These, das Christentum habe zu einer Humanisierung der Gesellschaft geführt. Das sozialdiakonische Handeln der Christen habe "neue soziale Beziehungen" konstituiert, die als "attraktiv, befreiend und effektiv empfunden" wurden. Je weiter die Auflösung des Reiches voranschritt, um so besser gelang es dem Christentum schließlich, sich als Parallelinstitution, als "Staat im Staate" zu etablieren und so sein Überleben institutionell zu sichern.

Daß es mit diesem Begründungscluster für einen Kirchenhistoriker, der sich auch als Theologe versteht, nicht sein Bewenden haben kann, ist Markschies natürlich bewußt. Denn die Frage bleibt letztlich unbeantwortet, warum gerade diese Gründe gewirkt haben. Epochale Ereignisse der Weltgeschichte - seien sie der Aufstieg des Christentums, der Dreißigjährige Krieg oder die Völkermorde des zwanzigsten Jahrhunderts - lassen sich vermutlich nicht allein kausal erklären, sondern zwingen den Historiker zur Reflexion über das Wesen von Geschichte überhaupt. Markschies wehrt sich in diesem Zusammenhang zu Recht gegen jegliche Versuche, das kausale Denken vorschnell zu verabschieden und womöglich gar ein unmittelbar historisch aufweisbares göttliches Eingreifen in die menschliche Geschichte anzunehmen. Er warnt aber auch davor, die menschlichen Möglichkeiten bei der Rekonstruktion historischer Kausalketten zu überschätzen. Angesichts dessen macht er einen weiteren Grund für Aufstieg und Ausbreitung des Christentums namhaft: das Wirken des Heiligen Geistes, das "das äußerliche Wort des Evangeliums im Herzen von Menschen gewiß" mache und "ihnen die Wahrheit des Evangeliumswortes evident werden" lasse. Aber ob diese Neuauflage der Lehre vom "testimonium spiritus sancti internum", der inwendigen Bezeugung des Heiligen Geistes im einzelnen Menschen, wie sie die altprotestantische Schuldogmatik entwickelt hat, heute noch ohne weiteres konsens- und kommunikationsfähig ist? Und liegt die erstaunliche Überlebensfähigkeit des Christentums vor allem in den heißen Herzen seiner Anhänger oder nicht gerade auch in der Lebenskraft seiner Institutionen?

Wie behutsam man mit einem solchen Kriterium umgehen muß, zeigt der Blick ins vergangene Jahrhundert, dessen Katastrophen auch Krisen der Kirche gewesen sind. Mir scheint, man müßte, wenn man die Kirchengeschichte insgesamt ins Auge faßt, neben der Präsenz auch die Abwesenheit Gottes bedenken. Der Kirchengeschichtler, der sich explizit als Vertreter einer "historischen Theologie" versteht, hat seine Aufgabe nur dann erfüllt, wenn es ihm gelingt, die historischen Erfolge ebenso wie das Scheitern des Christentums mit der Theologie zu vermitteln.

WOLFRAM KINZIG

Hans-Peter Hasenfratz: "Die antike Welt und das Christentum". Menschen, Mächte, Gottheiten im Römischen Weltreich. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2004. 120 S., geb., 24,90 [Euro].

Christoph Markschies: "Warum hat das Christentum in der Antike überlebt?" Ein Beitrag zum Gespräch zwischen Kirchengeschichte und Systematischer Theologie. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2004. 67 S., br., 12,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht wirklich zufrieden zeigt sich Rezensent Wolfram Kinzig mit diesem Essay des Religionshistorikers Hans-Peter Hasenfratz über die Frage, wie das Christentum, eine zunächst unbedeutenden Provinzialreligion, im römischen Weltreich zum Sinnlieferanten Nummer eins aufsteigen konnte. Zur Erklärung dieses Phänomen ziehe Hasenfratz den Begriff der "Unbehaustheit" als Schlüsselkategorie heran. Er beschreibe wie das Christentum unterschiedliche "religiöse Wege aus der Unbehaustheit" gezeigt und so zur "neuen Heimat für alle Unbehausten im ehemals heidnischen Römischen Reich" gemacht habe. Damit liefere Hasenfratz eine weitere Variante der Theorie von der religiösen Krise, in die die Kultur der ausgehenden Antike geraten sei und die sich das Christentum mit letztlich geschickt geklauten Sinnstiftungsangeboten zunutze gemacht habe - ein Ansatz, der Kinzig zu monokausal ist und ihn nicht wirklich überzeugen kann. "Es ist ein in seiner Eindimensionalität seltsam antiquiertes Bild von Geschichte, das uns der Verfasser hier bietet", resümiert der Rezensent, "und dazu passt auch gut, dass er weite Teile der neueren Forschung zum Thema ausblendet."

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