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Deutschland ist eine blockierte Republik, eine deformierte Spaßgesellschaft? Wirklich? Gegen vorschnelle Urteile hilft die historische Diagnose dieses Diskussionsbuches.
Wirtschaftliche Leistungskraft, Massenwohlstand, sozialer Friede und politische Stabilität: All dies bestimmte das Bild der Bundesrepublik Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren so sehr, dass allenthalben vom »Modell Deutschland« die Rede war - nicht zuletzt im Gegensatz zu den marktradikalen Reformen des Thatcherismus in England. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich die Vorzeichen umgekehrt: England gilt…mehr

Produktbeschreibung
Deutschland ist eine blockierte Republik, eine deformierte Spaßgesellschaft? Wirklich? Gegen vorschnelle Urteile hilft die historische Diagnose dieses Diskussionsbuches.
Wirtschaftliche Leistungskraft, Massenwohlstand, sozialer Friede und politische Stabilität: All dies bestimmte das Bild der Bundesrepublik Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren so sehr, dass allenthalben vom »Modell Deutschland« die Rede war - nicht zuletzt im Gegensatz zu den marktradikalen Reformen des Thatcherismus in England. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich die Vorzeichen umgekehrt: England gilt als fit für die Globalisierung, Deutschland hingegen als europäischer Patient.Was ist aus dem »Modell Deutschland« geworden? War es eine Erfolgsgeschichte oder schon zu seinen besten Zeiten eine Illusion? In die öffentliche Debatte haben kurzatmige Verfallsdiagnosen Einzug gehalten. Dieser Band hingegen entfaltet eine umsichtige Gesamtschau: namhafte Historiker, Politologen und Publizisten diskutieren das »Modell Deutschland« in historischer Perspektive und gewinnen daraus einen umfassenden Blick auf die Fragen der Gegenwart und die Herausforderungen der Zukunft.
Autorenporträt
Dr. Dieter Langewiesche ist ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2008

Auf dem Prüfstand
"Modell Deutschland": Geschichte, Gegenwart, Zukunft

Der neue Testbericht setzt an bei den frühen Ordnungskonzeptionen der Bundesrepublik, soweit sie sich später zum "Modell Deutschland" verdichtet haben, verfolgt "ihre historische Entwicklung" und "fragt nach ihrer Tragfähigkeit in Gegenwart und Zukunft". Der Leitbegriff "Modell Deutschland" (Wahlkampfslogan der SPD im Jahr 1976) ist wohl weniger als fiktionales Vorbild oder Ideal zu verstehen, sondern vielmehr als Chiffre für einen virtuellen Abhörraum, dessen Dimension sich aus unseren Selbstbegegnungen bildet. Zutage treten jede Menge ökonomischer Verwerfungen, Sehnsüchte nach Sicherheit und Selbstvertrauen. Deutschland sei inzwischen "der kranke Mann Europas". So zitiert Herausgeber Thomas Hertfelder den Präsidenten des Münchener Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn. Die Ikone Soziale Marktwirtschaft charakterisiert Mark Spoerer in seinem Beitrag als Leerformel eines genialen Polit-Marketings seit den fünfziger Jahren.

Manfred G. Schmidt verweist auf Balance-Verluste: zu großes Ungleichgewicht zwischen Wirtschaftskraft und Sozialpolitik, zwischen den Lasten der Generationen bei Anhäufung der Staatsschulden auf heute rund zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes. Dazu verbraucht nach Gerhard A. Ritter der hergebrachte deutsche Föderalismus zu viel Reformenergie. Neben der Neuordnung des Finanzwesens sind eine Neugliederung des Bundesgebiets und eine effektivere deutsche Interessenvertretung in Brüssel überfällig. Deutschland profitiert, so Helmut Trischler, zwar noch von der innovationsorientierten regionalen Strukturpolitik der siebziger Jahre, aber Verbesserungsinnovation rangiere vor Basisinnovation in den primär mittelständisch und dezentral ausgerichteten Produktionssystemen, besonders in Württemberg und Sachsen. Das "Made in Germany" verlange für die Zukunft eine forschungsintensivere Spitzentechnologie, um nicht als Exportweltmeister abzurutschen.

Kulturelle Bindungsenergien zur Krisenabwehr sieht Dieter Langewiesche in der Gewährleistung eines auf Ausgleich angelegten "Fundamentalkonsenses" und Hans Vorländer in der Integrationskraft des Verfassungspatriotismus. Doch bedarf dieser nicht fortwährend und dazu von Fall zu Fall einer Explikation, die Klugheitswürde dort bietet, wo man Lebenswärme sucht? Selbstbejahung durch Fußballerfolge verweist auf einen Sonderweg emotionaler Dürftigkeit. Auch dies vielleicht eine Folge dessen, "dass die Deutschen die Wiedervereinigung bekamen, als sie nicht mehr viel mit ihr anfangen konnten" (Hermann Rudolph)? Ist daran nicht auch die frühe Westbindung schuld, die nach Andreas Rödder für Bundeskanzler Adenauer das Ziel der Wiedervereinigung nachrangig gemacht habe? Wieder begegnet man damit der Vorstellung von Adenauers angeblicher Abstaffelung seiner Kerninteressen. Sie müssen aber als Ringverbund begriffen werden.

Heute zeigt sich Deutschland als Mittelmacht, die mitwirken, aber keine Entscheidungen im internationalen Kräftespiel generieren kann. Auch dies spiegelt sich in Europas Krise des Übergangs. Andreas Wirsching macht sie manifest in Verflechtungen und Verspannungen alt-neuer Interessenstrukturen, nationaler Vorbehalte, ruheloser Märkte, regionalpolitischer Sperrigkeit und isolierter Erinnerungskulturen. In Deutschland gab es 1995 bereits achttausend Opferdenkmäler, die durch Tabuisierung und Skandalisierung zu "erinnerungspolitischen Mitnahmeeffekten" anstiften. Zentraler Impuls müsse aber "die Globalisierung der Erinnerung" sein, meint Wolfgang Hardtwig. Die von den Autoren gebotenen Deutschland-Bilder fügen sich zu einem tiefenscharf strukturierten Sichtfeld ins Ungewisse.

MANFRED FUNKE

Thomas Hertfelder/Andreas Rödder (Herausgeber): Modell Deutschland. Erfolgsgeschichte oder Illusion? Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 208 S., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Instruktiv scheint Manfred Funke dieser von Thomas Hertfelder und Andreas Rödder herausgegebene Band über das "Modell Deutschland", in dem zahlreiche Autoren die Geschichte, Gegenwart und Zukunft dieses Modells diskutieren. Die Beiträge dokumentieren für ihn nicht nur ökonomische Verwerfungen, sondern auch Sehnsüchte nach Sicherheit und Selbstvertrauen. Neben Manfred G. Schmidts Beitrag über das Ungleichgewicht zwischen Wirtschaftskraft und Sozialpolitik und Gerhard A. Ritters Kritik am zu viel Reformenergie verbrauchenden deutschen Föderalismus hebt er unter anderem Andreas Wirschings Artikel über Verflechtungen und Verspannungen alt-neuer Interessenstrukturen hervor. Insgesamt fügen sich die von den Autoren gezeichneten Deutschland-Bilder zu einem "tiefenscharf strukturierten Sichtfeld ins Ungewisse".

© Perlentaucher Medien GmbH