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Die Geschichte der Literatur ist auch eine Geschichte ihrer Skandale. Die Zahl der betroffenen Autoren ist groß, sie reicht von Gottfried von Straßburg bis Martin Walser oder Vladimir Sorokin. Es gibt eine Vielzahl von Mechanismen, die ineinandergreifen, um einen literarischen Text zu einem Skandal werden zu lassen. Im vorliegenden Band werden exemplarische Skandale der Weltliteratur nachgezeichnet, dabei wird auch nach den juristischen, den sozialen, den wirtschaftlichen, den politischen Rahmenbedingungen gefragt und die Funktion des Skandals für seine Initiatoren oder andere »Nutznießer« in den Blick genommen.…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte der Literatur ist auch eine Geschichte ihrer Skandale. Die Zahl der betroffenen Autoren ist groß, sie reicht von Gottfried von Straßburg bis Martin Walser oder Vladimir Sorokin. Es gibt eine Vielzahl von Mechanismen, die ineinandergreifen, um einen literarischen Text zu einem Skandal werden zu lassen. Im vorliegenden Band werden exemplarische Skandale der Weltliteratur nachgezeichnet, dabei wird auch nach den juristischen, den sozialen, den wirtschaftlichen, den politischen Rahmenbedingungen gefragt und die Funktion des Skandals für seine Initiatoren oder andere »Nutznießer« in den Blick genommen.
Autorenporträt
Dr. Bettina von Jagow ist fellow am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald. Ab Sommersemester 2010 ist sie Professorin für europäisch-jüdische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Erfurt.

Mag. Dr. Doris Moser leitet den Fachbereich Angewandte Germanistik an der Universität Klagenfurt und arbeitet über literarische Öffentlichkeit, Literaturrezeption und Literatursoziologie.

Dr. Artur Pelka ist Dozent an der Universität Lodz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2008

Unanständige Umtriebe

Die tun nichts, die wollen nur spielen: Ein Sammelband schreibt die Literaturgeschichte der Empörung, und es kommen alle darin vor: "Lolita", "Esra", Handke und Walser.

Die "Ökonomie der Aufmerksamkeit" ist eine recht junge Disziplin. Ihr zufolge werden die gesellschaftlichen Ordnungen der Zukunft nicht von Geld und Kapital, sondern von Wahrnehmung und Medien beherrscht. Nur wer auffalle, werde sich behaupten können, heißt es. Nun scheint es, dass diese These ausgerechnet dort verifiziert werden kann, wo es um öffentliche Resonanz gemeinhin nicht gerade berauschend bestellt ist: im literarischen Feld.

Auch die Dichter haben nämlich längst erkannt, wie man sich möglichst rasch möglichst viel Publikum verschafft: Spätestens seit den Stimmungskanonen der Avantgarden hat sich hierfür die Erregung eines Skandals als die effizienteste Strategie erwiesen. Die Empörung, die der Skandal auslöst, sorgt für eine Aufmerksamkeit, die keine Stilfigur und kein noch so gelungener Plot garantieren können.

In den vergangenen Jahren fand diese Strategie nicht umsonst vor allem bei Intellektuellen Anwendung, die ihre berufliche Sozialisation in den sechziger Jahren erfahren haben: bei Peter Handke etwa oder bei Martin Walser, beide geübte Künstler des Auffälligwerdens. So unterschiedlich ihre Werke sind, so verwandt zeigen sie sich doch im Umgang mit dem Inszenierungsgeschäft der Medien, sei es als Sonntagsredner, sei es als Kriegsreisender. Die Abwehrreflexe, die ihre provokanten Beiträge auslösten, führten immerhin dazu, dass letztlich literarische Angelegenheiten bis in die Abendnachrichten vordringen konnten.

In Österreich, der Heimat von Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard, kennt man sich mit intellektuellen Ruhestörern ganz besonders gut aus. So verwundert es auch nicht, dass zwei Innsbrucker Germanisten zum Thema "Literatur als Skandal" einen schweren Sammelband vorlegen. Stefan Neuhaus und Johann Holzner haben gleich mehrere Dutzend Kollegen durch die Literaturgeschichte geschickt mit dem Auftrag, alles ans Tageslicht zu befördern, was je das Nervenkostüm der Rezipienten besonders strapazierte. Das Spektrum der Fälle reicht von der "Unsittlichkeit in Gottfrieds von Straßburg Tristan" in der Wahrnehmung des neunzehnten Jahrhunderts bis zur Verunglimpfungsfehde zwischen Heine und Platen, von Nabokovs "Lolita" als pädophilem "Nymphchen-Mythos" bis hin zu Binjamin Wilkomirskis vor einigen Jahren erschienener fingierter Autobiographie über seine angebliche Kindheit im Konzentrationslager.

Ob Entblößungen, Verdrängungen oder Konversionen jedweder Art - der Skandal lauert, wo Grenzen des guten Tons, der Moral, der politischen Übereinkünfte und der religiösen Gefühle überschritten werden oder, wie der Literatenkanzler Gerhard Schröder gesagt haben würde, wo es eben "unanständig" wird. Doch diese Kategorie ist dermaßen relativ in ihrer historischen wie kulturellen Bedingtheit, dass eine geschichtliche Darstellung von Skandalen sich ständig über den inzwischen eingetretenen Reibungsverlust hinwegtrösten muss. Nichts ist so alt wie der Skandal von gestern. Jede Erregung kühlt einmal ab, jede Empörung verpufft - und im Nachhinein hat sich meistens im großen Lärm das Korsett des Sagbaren gelockert.

Vor neuerlichen Einschnürungen schützt das freilich nicht, wie die chronologische Durchsicht der Beiträge deutlich macht. Denn wo es um die Freiheit des Worts geht, müssen neue Tabus nie lange gesucht werden. Angenommen, die breite Auswahl des Bandes ist repräsentativ, dann betrifft die aktuelle Sensibilität neben den eher peripher gewordenen Fragen der Scham oder der political correctness zunehmend Fragen des Persönlichkeitsrechts. Am Beispiel des gerichtlich verbotenen Romans "Esra" von Maxim Biller wird klar, welche Konsequenzen es für die Kunstausübung haben kann, wenn reale Personen, Namen und Adressen zum Gegenstand eines Romans werden - aber nicht mehr Literaturwissenschaftler über den Fiktionalitätsbegriff urteilen müssen, sondern Juristen. In diesen Fällen wirkt sich ein Skandal für den Autor ruinös aus.

Unter dem Eindruck der Vielfalt der analysierten Skandale und Skandälchen verliert die Definition des Begriffs selbst an Kontur. Mal gilt der literarische Text als Skandalon, mal der Schriftsteller, mal die Rezeption eines Buches. Die theoretischen Abhandlungen des Bandes versuchen daher, wenigstens die generellen Funktionsweisen literarischer Skandale in den Griff zu bekommen. So schlägt Stefan Neuhaus vor, im Skandal ein "Spiel" mit festen Regeln zu sehen, das mit den soziologischen Schaltplänen Pierre Bourdieus oder Niklas Luhmanns einwandfrei zu beschreiben sei.

Demnach ließe sich über Tabubrüche symbolisches Kapital anhäufen, sobald sie "geheime Wünsche der Rezipienten" an- oder aussprächen. Das ist ein massenpsychologisches Deutungsangebot, dem die Ansicht Volker Ladenthins entgegensteht, der meint, dass Skandale aus "Kategoriefehlern beim Publikum" entstehen, das moralisch urteilt, wo es um Ästhetik gehen sollte. Marc Reichwein wiederum kombiniert in seinem Beitrag die beiden Sehweisen, wenn er darauf abzielt, dass solche "Kategoriefehler" aus Marketing-Absichten ganz bewusst herausgefordert und im Sinne einer intensivierten "Skandalkommunikation" und "Empörungsbewirtschaftung" genutzt würden.

Nur wenige Schriftsteller sind begabt, sich diesbezüglich als Agenten der eigenen Sache zu profilieren. Einen der einprägsamsten Auftritte legte Rainald Goetz in Klagenfurt hin, als er 1983 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb las und sich dabei die Stirn mit einer Rasierklinge aufschnitt. Die spektakuläre Selbstverletzung hat ihm damals zwar keinen Preis eingebracht, aber ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit - seine damaligen Kontrahenten sind heute so gut wie vergessen, er selbst war zur Ikone eines neuen Autorenkults geworden.

Nichts lag deshalb näher, als für einen Sammelband zum literarischen Skandal den blutüberströmten Goetz von Klagenfurt als Aufmerksamkeit erheischendes Titelbild zu wählen. Dass indes keiner der rund sechzig Beiträge auf dieses Happening eingeht, stimmt nachdenklich über die Wirkungskraft der neuen Aufmerksamkeitsökonomie: Die Ware, die sie erzeugt, scheint auf lange Sicht nicht immer der Rede wert zu sein.

ROMAN LUCKSCHEITER

Stefan Neuhaus, Johann Holzner (Hg.): "Literatur als Skandal". Fälle - Funktionen - Folgen. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2007. 735 S., geb., 72,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2008

Skandalös sind vor allem die ausgebliebenen Skandale
Zündeln, aber richtig: Ein Handbuch untersucht Eskalationsstrategien und öffentliche Aufregungen in der Literaturgeschichte
Gutes Zündeln bedarf guter Planung. Als Filippo Tommaso Marinetti im Februar 1909 das Gründungsmanifest des italienischen Futurismus veröffentlichte, wählte er dafür nicht einfach irgendeinen Publikationsort, sondern kaufte kurzerhand die erste Seite der Tageszeitung Le Figaro: „Wir wollen den Krieg verherrlichen, einzige Hygiene der Welt, den Militarismus, Patriotismus, den Befreiungsgestus der Freigeister, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung der Frau”, schmetterte er seine Botschaft öffentlichkeitsträchtig in die Welt hinaus.
Um die Details der Botschaft ging es dabei höchstens in zweiter Linie. In dem von den Literaturwissenschaftlern Johann Holzner und Stefan Neuhaus herausgegebenen Handbuch „Literatur als Skandal” ist Marinetti nur einer von zahlreichen Protagonisten , die ihre Meinungen zu öffentlichkeitswirksamen Slogans zuspitzten und so auf den Eklat spekulierten.
Literaturskandale hat es schon immer gegeben, erst in der Moderne aber wurden sie zum grundlegenden Prinzip literarischer Innovation. In einer instruktiven Einleitung zum Band stellt der Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin dieses auf den ersten Blick befremdliche Prinzip in seine Kontexte: Von Aristoteles ausgehend galt ja in Deutschland bis tief in das 18. Jahrhundert hinein das Erfüllen von Regelpoetiken als Ziel gelingender schriftstellerischer Arbeit, skandalös waren nur ästhetische Ausrutscher und handwerklicher Pfusch. Genau diese Verstöße gegen die Konventionen aber kultivierte die Moderne. Plötzlich war der Regelbruch das konstitutive Element gelingender Kunstwerke, „zugespitzt”, schreibt Ladenthin, „kann man behaupten, dass die Literatur der Moderne schlechthin Skandal ist”.
Man entführe den Papst
Für die Eskalationsstrategien der frühen Avantgarden des 20. Jahrhunderts stimmt das uneingeschränkt, Futuristen und Dadaisten machten Ernst mit dem prinzipiell bezweckten Tabubruch. Ihr kühl strategischer Einsatz moderner Kommunikationstechniken und neuer literarischer Medien war nicht mehr kompatibel zum innerlichen Künstler-Selbstverständnis des 19. Jahrhunderts.
Den Künstlern waren endgültig die Massenmedien bewusst geworden, von ihren aggressiven Versuchen aus entfaltet sich die Kunst des 20. Jahrhunderts als ständig vorsätzliche Inszenierung des Skandalträchtigen. Zum Skandal als einem „öffentlichen Ärgernis” aber gehört mehr als nur der Inszenierungswille des Künstlers. Daran, was der Öffentlichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt als skandalös erscheint und was von den Medien zum Skandal gestempelt wird, lässt sich quer durch die Geschichte die Entwicklung des gesellschaftlichen Normensystems nachvollziehen. Mit seinen über fünfzig Einzelaufsätzen präsentiert das Handbuch so nicht weniger als eine Mentalitätsgeschichte öffentlicher Wallungen.
Vom durch die Germanistik des 19. Jahrhunderts als unsittlich beleumundeten „Tristan” Gottfried von Straßburgs bis hin zu den ganz unterschiedlich gelagerten Debatten um Martin Walser, Peter Handke und Günter Grass in diesen Jahren wird von Fall zu Fall nachgestellt, wie die Gesellschaft ihre eigenen Wertmaßstäbe anhand der Erregung durch Skandale neu justierte – oder wenigstens hätte neu justieren können.
Mehrfach nämlich werden als weiterer Wendepunkt der Geschichte der Literaturskandale die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts ausgemacht. Ungefähr ab dem sogenannten „deutsch-deutschen Literaturstreit” um Christa Wolfs Erzählung „Was bleibt” reagierten die Medien in vielen Fällen höchstens noch untergründig auf ästhetische Provokationen und klopften stattdessen Autoren und Autoren-Nimbus vor allem auf ideologische Gesichtspunkte ab. Literarische Texte wurden immer offensichtlicher für politische Grenzziehungen instrumentalisiert – mit dieser Abkopplung aber machten die Skandale der Gegenwart nur wahr, was schon immer in ihnen angelegt war.
Die Fallgeschichten der letzten Jahre erschrecken so zwar teilweise durch die Übergriffigkeit der durch die Medien geprägten öffentlichen Meinung, der die Literaturwissenschaftler des Bandes ihre genaueren Textlektüren entgegenhalten. Auf der anderen Seite aber gibt es auch vergnüglichere Schilderungen von Autorenversuchen, selbständig einen Skandal zu erzeugen oder zu steuern – so etwa im Fall von Thor Kunkels Nazitrash-Roman „Endstufe” oder Thomas Glavinics Kriminalroman „Der Kameramörder”, der mit süffig zusammengebrauter Medienschelte und Kindsmord alle Ingredienzien zum handfesten Skandal enthielt, diesen aber partout nicht auslösen konnte.
Überhaupt durchzieht die Frage nach den Gründen für das Zustandekommen gesellschaftlicher Aufregungen das gesamte Handbuch. Futuristen-Vater Marinetti etwa sorgte zwar mit seinem Gründungsmanifest im Figaro für das gewünschte Aufsehen. Sein 1914 in italienischer Übersetzung veröffentlichter Roman „Das Flugzeug des Papstes” aber, in dem immerhin das Oberhaupt der katholischen Kirche aus Rom entführt und an ein Flugzeug gekettet während des Fluges immer wieder beschimpft wird, sorgte dagegen für erstaunlich wenig Aufruhr. In seiner Einleitung führt Volker Ladenthin solche verwunderlichen Leerstellen auf die „repressive Toleranz” der Öffentlichkeit zurück: Um Thomas Manns „Zauberberg” etwa habe es keinen Skandal gegeben, obwohl die durchgängige Ironie des Textes ein harscher Affront gegen die Wissenschaftsgläubigkeit der Moderne gewesen sei. Eigentlich, schreibt Ladenthin, sei dieser Nichtskandal schlichtweg skandalös – und als Ergänzung zu diesem gelungenen Band wünscht man sich da fast schon eine Literaturgeschichte der leider ausgebliebenen Skandale. FLORIAN KESSLER
STEFAN NEUHAUS, JOHANN HOLZNER (Hrsg.): Literatur als Skandal. Fälle – Funktionen – Folgen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 735 Seiten, 72,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr angetan ist Florian Kessler von diesem Handbuch der Literaturskandale, das in mehr als 50 Beiträgen den Skandal in der Literatur bis in die Gegenwart verfolgt. Erhellend findet der Rezensent besonders die Einleitung, in dem Volker Ladenthin nachweist, dass nach Aristoteles die Einhaltung literarischer Konventionen das Kunstwerk konstituierte, in der Moderne dagegen der bewusst lancierte Regelbruch zum Kunstprinzip wurde. Wenn in den Beiträgen des Bandes Fall auf Fall literarische Skandale wieder ausgerollt werden, so entsteht gerade in dem Wissen um die Bedingungen, die einen literarischen Text skandalträchtig machten, so etwas wie eine "Mentalitätsgeschichte" des Skandals, stellt Kessler gefesselt fest. Amüsiert hat er sich nicht zuletzt über die Beispiele, in denen Autoren versucht haben, einen Skandal vom Zaun zu brechen, die Öffentlichkeit aber einfach nicht darauf einging.

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