Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 14,50 €
  • Gebundenes Buch

Im Jahre 1922 notiert der jüdische Historiker Simon Dubnow: "Berlin ist der einzige Platz in der Welt, wo ich mein literarisches Schaffen in wenigen Jahren vollenden kann." So optimistisch war die Situation keineswegs immer zu beurteilen. Der von Michael Brenner herausgegebene Band vermittelt einen Eindruck von der kulturellen und sprachlichen Vielfalt der hebräischen und jiddischen Sprachlandschaft in der neueren deutsch-jüdischen Geschichte. Er trägt dazu bei, deren häufig noch immer zu eindimensionale Darstellung zu modifizieren.

Produktbeschreibung
Im Jahre 1922 notiert der jüdische Historiker Simon Dubnow: "Berlin ist der einzige Platz in der Welt, wo ich mein literarisches Schaffen in wenigen Jahren vollenden kann." So optimistisch war die Situation keineswegs immer zu beurteilen. Der von Michael Brenner herausgegebene Band vermittelt einen Eindruck von der kulturellen und sprachlichen Vielfalt der hebräischen und jiddischen Sprachlandschaft in der neueren deutsch-jüdischen Geschichte. Er trägt dazu bei, deren häufig noch immer zu eindimensionale Darstellung zu modifizieren.
Autorenporträt
Dr. Michael Brenner, geb. 1964 in Weiden/Opf., ist o. Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwigs-Maximilians-Universität München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.08.2002

Das Eigene und das Fremde
Deutsch, Jiddisch, Hebräisch: Wie Sprachen sich mischen
Jahrhunderte lang war für die Juden im deutschen Raum die Mehrsprachigkeit von entscheidender Bedeutung: Die Sprache der Herkunft signalisierte Zugehörigkeit, die erworbene Sprache verhieß Aufstieg, die nicht einwandfrei beherrschte verhieß Ausgrenzung und wurde nach 1933 zum Schibboleth der Verfolgung und Vernichtung. Es lautete nicht gerade „doitsch”, wohl aber „taitsch” oder „Judentaitsch”, wie man Jiddisch bis ins neunzehnte Jahrhundert nannte, oder „laschon aschkenas”, die Sprache der aschkenasischen Juden, der Juden in Deutschland.
Deutsch zu sprechen und zu schreiben wurde zum Ausgangspunkt für Juden aus ihrer nicht selbstverschuldeten Unmündigkeit. Die Haskala, die jüdische Aufklärung, stellt denn auch die Sprache, das Sammeln schriftlicher Dokumente und das Übersetzen ins Zentrum ihrer Konzeption. Das Judentum steht seit dem achtzehnten Jahrhundert im Kraftfeld dreier Sprachen: des Jiddischen, der Sprache der Herkunft, die im Ghetto und im Schtetl gesprochen wurde; des Hebräischen, der Sprache der geheiligten Überlieferung von Talmud und Tora; des Deutschen, das zu beherrschen zum Zeichen der Assimilation wurde. Rahel Varnhagen etwa schrieb Deutsch zunächst noch in hebräischen Buchstaben, wie man Jiddisch schreibt.
Ein von Michael Brenner herausgegebener Sammelband zeigt die Geschichte dieser Sprachvielfalt. Der Schwäche vieler Tagungsbände, ihrer Beliebigkeit und Zufälligkeit, entgeht dieses Buch, indem es den historischen Faden straff gespannt hat. Es zeigt die Geschichte der hebräischen Zeitschriften des achtzehnten Jahrhunderts, deren Titel überaus sprechend waren. 1784 kam „Ha meassef” heraus, zu Deutsch: der Sammler, der Sammler nämlich hebräischer Sprache und Dichtung. Uri Kaufmann berichtet, wie Jiddisch Teil der Umgangssprache der südwestdeutschen und elsässischen Juden wurde. Dass jemand „betucht” sei, leitet sich nicht von seinem Zwirn her, sondern vom hebräischen „betuach”: sicher. Die jiddische Literatur erblühte im Berlin der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik, die Delphine Bechtel beschreibt.
Die Entwicklung des modernen Hebräisch als Sprache und Literatur war ein Herzensanliegen der zionistischen Bewegung seit dem späten neunzehnten Jahrhundert. Berlin wurde, vor allem durch die jüdischen Emigranten aus Russland und Galizien, in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum Zentrum der hebräischen Literatur. Der spätere Nobelpreisträger Agnon lebte über Jahre im bei Frankfurt gelegenen Bad Homburg, ehe er ins damalige Palästina übersiedelte.
Der abschließende Beitrag von Amir Eshel aus Stanford gilt Kafka und Paul Celan, die beide in ihrer Person und in ihrem Werk die jüdischen Sprachen miteinander verbanden. Kafka interessierte sich für das jiddische Theater, Celan beherrschte Jiddisch seit seiner Kindheit in Czernowitz. Ivrith, das moderne Hebräisch, lernte Kafka als Erwachsener, als er an die Emigration nach Palästina dachte, Celan lernte es als Kind. Geschrieben haben beide auf Deutsch, ohne in Deutschland zu leben. Und das Schlüsselwort des Lyrikers in Paris inmitten der vielen Sprachen, aus denen er übersetzte und die er sprach, war: das Schweigen.
THOMAS SPARR
MICHAEL BRENNER (Hrsg.): Jüdische Sprachen in deutscher Umwelt. Hebräisch und Jiddisch von der Aufklärung bis ins 20. Jahrhundert. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002. 134 Seiten, 39 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In einer recht knappen, aber offenbar überzeugten Rezension bespricht Thomas Sparr den von Michael Brenner herausgegebenen Sammelband zur Geschichte der Sprachvielfalt des deutschen Judentums. Seit dem achtzehnten Jahrhundert habe es im "Kraftfeld dreier Sprachen" gestanden: des Jiddischen als Sprache des Schtetls und des Ghettos, des Hebräischen als der Sprache des Talmud und der Thora, sowie des Deutschen als der Sprache der Assimilation und des sozialen Aufstiegs. Die einzelnen Beiträge widmen sich der Geschichte hebräischer Zeitschriften ebenso wie dem Jiddischen als Umgangssprache oder der Sprachmächtigkeit Kafkas und Celans. Besonders würdigt Rezensent Sparr, dass dieser Band den historischen Faden straff spannt, so dass er der Zufälligkeit und Belibigkeit vieler Tagungsbände entgeht.

© Perlentaucher Medien GmbH