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Friedrich II., der 2012 seinen 300sten Geburtstag feiert, gilt als Leitgestalt der europäischen Aufklärung - entsprechend aufwändig wird das Jubiläum begangen. Ein Aspekt wird dabei jedoch regelmäßig vernachlässigt: das Verhältnis Friedrichs des Großen zu Polen und das Verhältnis der Polen zu ihm.Der Aufstieg Preußens zur europäischen Großmacht, der mit einem erheblichen Gebietszuwachs einherging, fand im Osten insbesondere auf Kosten Polens statt: Ca. 40 % der preußischen Bevölkerung sprach polnisch und nach Berlin war Warschau die zweitgrößte preußische Stadt; heute liegen ca. 70 % des…mehr

Produktbeschreibung
Friedrich II., der 2012 seinen 300sten Geburtstag feiert, gilt als Leitgestalt der europäischen Aufklärung - entsprechend aufwändig wird das Jubiläum begangen. Ein Aspekt wird dabei jedoch regelmäßig vernachlässigt: das Verhältnis Friedrichs des Großen zu Polen und das Verhältnis der Polen zu ihm.Der Aufstieg Preußens zur europäischen Großmacht, der mit einem erheblichen Gebietszuwachs einherging, fand im Osten insbesondere auf Kosten Polens statt: Ca. 40 % der preußischen Bevölkerung sprach polnisch und nach Berlin war Warschau die zweitgrößte preußische Stadt; heute liegen ca. 70 % des historischen fridericianischen Preußen auf polnischem Territorium. Friedrich selbst war damit maßgeblich am Untergang Polens beteiligt, wobei die polnische Wahrnehmung Friedrichs erst mit dem sich in Deutschland im 19. Jahrhundert entwickelnden Kult zunehmend kritisch wurde.Hans-Jürgen Bömelburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Friedrich-Bild von beiden Seiten zu beleuchten, um damit den Blick auf einen von deutscher Seite bisher vernachlässigten Aspekt zu öffnen. Sein um wesentliche Facetten bereichertes Porträt Friedrichs des Großen trägt nicht zuletzt dazu bei, das Verständnis der beiden Völker füreinander zu fördern. Mit Register, Karten und Literaturverzeichnis.
Autorenporträt
Hans-Jürgen Bömelburg, geb. 1961, ist Professor für osteuropäische Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er war 1994-2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter und stellvertretender Direktor am Deutschen Historischen Institut Warschau und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der polnischen Geschichte (u.a. Herausgeber des Handbuchs Polen in der deutschen Geschichte, Bd. Frühe Neuzeit)Hans-Jürgen Bömelburg, geb. 1961, ist Professor für osteuropäische Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er war 1994-2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter und stellvertretender Direktor am Deutschen Historischen Institut Warschau und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der polnischen Geschichte (u.a. Herausgeber des Handbuchs Polen in der deutschen Geschichte, Bd. Frühe Neuzeit).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.01.2012

Fritz oder Kant
Preußen und Polen teilen ein gemeinsames Erbe –
Hans-Jürgen Bömelburg über ein schwieriges Verhältnis
Ein Glück, dass heute mit Friedrich dem Großen kein Staat mehr zu machen ist. Ein 28-jähriger Intellektueller, der als Präsident eines vorwiegend aus Sanddünen, Kiefern und gut gedrillten Soldaten bestehenden EU-Staates zwei Nachbarländer angriffe, würde bald – wie Milosevic – vor dem Haager Tribunal landen. In seiner Zelle könnte er dann Flöte spielen und seine Hirngespinste für die Nachgeborenen zu Papier bringen: Einen Nachbarstaat sollten sie aufteilen, aber bitte sehr friedlich, damit „die Kalmücken“ nicht dazwischenkommen.
Dieser Gedankenstreich drängt sich bei der Lektüre von Hans-Jürgen Bömelburgs Buch über „Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen“ auf. Der Autor ist Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Gießen. In den 90er Jahren war er Mitarbeiter des Deutschen Historischen Instituts in Warschau. Seine vorzüglich recherchierte „Ereignis- und Erinnerungsgeschichte“ zeichnet die gegensätzliche Wahrnehmung von Friedrichs Person und Politik in Deutschland und Polen bis in die heutigen Tage nach.
In Polen wird der preußische „Philosophenkönig“ vor allem durch das Prisma seiner „negativen Polenpolitik“ (so der Historiker Klaus Zernack) gesehen. In seinem Testament hielt er 1752 fest, die polnisch-litauische Adelsrepublik solle „wie eine Artischocke“ Blatt für Blatt aufgezehrt werden, was er 1772 auch in Gang setzte. So ließ er polnische Münzen fälschen und polnische Reformversuche mit Kanonen stoppen. Und schließlich kolportierte er in seiner europaweit beachteten Publizistik viele jener antipolnischen Stereotypen, die bis heute im Umlauf sind. Als anarchische und tumbe „Irokesen Europas“ seien sie staatsunfähig. Die Liquidierung ihrer „polnischen Wirtschaft“ durch die aufgeklärten Mächte wäre also eine Wohltat für den Fortschritt.
In Deutschland wurde der polnische Aspekt der friderizianischen Politik bisher fast völlig unterschlagen. Keine der bedeutenden deutschen Friedrich-Biographien der vergangenen zwanzig Jahre – bemängelt Bömelburg – widme Friedrichs Verhältnis zu Polen „auch nur ein eigenes Kapitel“. Zwar wird die „diplomatische Glanzleistung“ der ersten Teilung Polens erwähnt. Doch selten werden die katastrophalen Folgen dieses Politikverständnisses, nicht nur für Polen, sondern auch für Deutschland und nicht zuletzt für Preußen selbst, reflektiert. Durch Friedrichs aggressive Politik stieg Preußen zwar zu einer mittleren Großmacht auf und vereinigte im 19. Jahrhundert Deutschland unter seinen Fittichen. Doch letztendlich erwies es sich als unfähig, im Wettlauf der Großmächte die friderizianische Prägung der Rundumschläge, Rechtsbrüche und Vabanque-Spiele zu überwinden.
Dabei stand 1740, als der 28-jährige Friedrich den Thron bestieg und ein 17-jähriger Immanuel Kant sich an der Königsberger Albertina immatrikulierte, noch eine andere Variante für Mitteleuropa offen. Die „strukturell defensiven“ (Bömelburg) Föderationen – die Rzeczpospolita (die Republik) und das Reich – verzahnten sich durch die polnisch-sächsische Personalunion unter den Wettinern. Im Erfolgsfall hätten sie vielleicht eine stabilisierende Rolle in der Region spielen können. Die Crux ist aber, dass die res publica den „preußischen Weg“ hätte einschlagen müssen: die Militarisierung der Außenpolitik. Die Wettiner versuchten es, aber nur als sächsische Kurfürsten. Als Könige von Polen fanden sie für ihre militärischen Abenteuer keine Unterstützung des Sejm, des polnischen Aristokraten-Parlaments. Sie unterlagen. Die Zukunft sollte den Preußen gehören.
Aber nur auf Abruf. Es gibt keine direkte Linie von Friedrich über Bismarck und Wilhelm II. zum Hitler-Stalin-Pakt, wie sie nicht nur in Polen immer wieder evoziert wird. Keine nationale Geschichte ist zwangsläufig. Jede hätte mehrmals andere Wege gehen können. Es ist Hans-Jürgen Bömelburgs Verdienst, dass er Weltgeschichte nicht als Weltgericht betrachtet und dadurch auch den preußisch-polnischen Zusammenprall unter Friedrich vom Hegelschen „Zeitgeist“ befreit.
Der von Friedrich betriebene Untergang der polnisch-litauischen res publica entsprang (bei aller Verunglimpfung der Polen) weniger der nationalen Aversion des Preußen als einer gängigen Überzeugung unter Despoten: Dass Föderationen und Republiken rückständig und ineffizient seien, weil die politischen Parteien sich gegenseitig blockieren, während leistungsfähige Staatsmaschinerien einem einzigen Machtzentrum unterstellt sind. Friedrich desavouierte nicht nur die polnisch-litauische Rzeczpospolita, sondern auch das Heilige Römische Reich. Sein Überfall auf Österreich und Sachsen war de facto der Todesstoß für das Alt-Reich, das im Westfälischen Frieden 1648 sein inneres Gleichgewicht zurückzugewinnen schien und sich 1683 beim Entsatz von Wien (mit maßgeblicher polnischer Hilfe) als durchaus handlungsfähig erwies. Der fast zeitgleiche – 1795, 1806 – Untergang der Rzeczpospolita und des Alt-Reichs war die Folge einer tektonischen Verschiebung in Europa, die mit dem Aufstieg Preußens begann und in der Französischen Revolution ihren Höhepunkt fand.
Zum 300. Geburtstag Friedrichs II. und zum 240. Jahrestag der ersten Teilung Polens, die er so eifrig betrieb, sieht die preußische Linie der deutschen und polnischen Geschichte wie eine Sackgasse aus. 70 Prozent des friderizianischen Preußen-Brandenburg – mit solchen „Erinnerungsorten“ wie Kunersdorf, Leuthen und Zorndorf – liegen im heutigen Polen. Königsberg ist russisch. Und Friedrich – ein brandenburgisches Medien-Event. Wenn es aktuell Traditionslinien gibt, schlussfolgert Bömelburg, an die ein deutscher Staatsverband anknüpfen kann, so ist dies die ältere west- und süddeutsch konzentrierte frühneuzeitliche oder die Rheinbund-Tradition aus der Zeit um 1800. Beide stehen konträr zur preußisch-kleindeutschen Staatsidee.
Die Konsequenz dieser erneuten Verschiebung in der europäischen Tektonik, die 1945 einsetzte und nach 1989 durch die EU-Osterweiterung vollendet wurde, ist wohl in Polen eine historische Verantwortung für das materielle Erbe auch des friderizianischen Preußen. Und in Deutschland: Verantwortung für den polnischen Teil der preußischen Geschichte, die uns nach wie vor eng miteinander verbindet. Dank sei dem Gießener Historiker, dass er das so einprägsam darstellt. Sein „Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen“ ist eine vortreffliche Ergänzung zum ersten Band der „Deutsch-Polnischen Erinnerungsorte“, der soeben auch auf Deutsch erschienen ist. Deutsche und Polen verbindet mehr, als den meisten bewusst ist. Nicht die Artischocke, sondern die weltbürgerliche Absicht; also: der alte Kant, nicht der Alte Fritz.
ADAM KRZEMINSKI
HANS-JÜRGEN BÖMELBURG: Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen. Ereignis- und Erinnerungsgeschichte. Unter Mitarbeit von Matthias Barelkowski. Kröner Verlag, Stuttgart 2011. 320 Seiten, 22,90 Euro.
Adam Krzeminski ist Kommentator der polnischen Wochenzeitung Polityka. Sein Buch „Testfall für Europa. Deutsch-polnische Nachbarschaft muss gelingen“ erschien 2009.
Orte, wo Friedrich II. große
Schlachten schlug, liegen heute
in Polen. Was folgt daraus?
Der aufgeklärte Monarch: Als meineidigen Gesellen zeigt ihn der 1960 geborene Zeichner Rainer Ehrt. Ein guter Teil dessen, was einst Preußen war, gehört heute zu Polen. Wie tiefgreifend die polnische und die deutsche Geschichte seit Friedrich II. miteinander verwoben ist, zeigt der Historiker Hans-Jürgen Bömelburg. Unser Rezensent meint: Es hätte alles auch anders kommen können. (aug)
Foto: akg
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Für Hans-Jürgen Bömelburgs Buch über "Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen" ist der hier rezensierende polnische Historiker und Publizist Adam Krzeminski wirklich dankbar. Denn der Gießener Historiker stelle dort überzeugend die gegensätzliche Wahrnehmung Friedrichs in Deutschland und Polen bis heute dar. So erfährt der Kritiker etwa, dass noch heute grassierende "antipolnische Stereotypen" auf den Preußenkönig zurückzuführen sind oder dass der von Friedrich verfolgte Untergang der polnisch-litauischen Republik nicht durch seine nationale Aversion, sondern durch die Überzeugung, Republiken seien ineffizient, begründet war. Im Gegensatz zu den meisten Friedrich-Veröffentlichungen der letzten Jahre widme sich Bömelburg dem polnischen Aspekt der friderizianischen Politik und der daraus entstehenden Verantwortung für den polnischen Teil der preußischen Geschichte. Diese hervorragend recherchierte "Ereignis- und Erinnerungsgeschichte" kann der Rezensent deshalb nur dringend empfehlen.

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